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Veröffentlicht am 18.10.2019

Ein fast vergessener Schatz der amerikanischen Literatur

Ein anderer Takt
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Dieser Roman erschien erstmal 1960 und wurde jetzt neu aufgelegt. Und das ist richtig und wichtig. Einerseits aufgrund der literarischen Qualität des Romans. Andererseits aufgrund der Thematik ...

Dieser Roman erschien erstmal 1960 und wurde jetzt neu aufgelegt. Und das ist richtig und wichtig. Einerseits aufgrund der literarischen Qualität des Romans. Andererseits aufgrund der Thematik des Romans - von Gleichberechtigung sind Afroamerikaner nämlich weiterhin weit entfernt.

Der Roman spielt in einem fiktiven Südstaaten-Staat, der im Jahre 1957 von allen Afroamerikanern (im Buch noch Neger genannt) verlassen wird. Dies geschieht alles innerhalb von wenigen Tagen. Und die (weiße) Bevölkerung ist ratlos. Beim täglichen Plausch auf der Veranda des kleinen Ladens wird gemunkelt und jeder hat so seine eigenen Anmerkungen. Außerdem kommen in verschiedenen Kapiteln verschiedene Personen zu Wort, die alle irgendwie mit der (vermeintlich) zentralen Figur dieses "Auszugs" zusammenhängen.

Und so wird ein Panorama einer Kleinstadt im Süden der USA entworfen, das vielleicht typisch ist. Einige Bewohner sind liberal und hoffen auf eine Zukunft ohne Rassenprobleme. Einige hängen noch an den alten Ideen der Südstaaten. Einige verfolgen kommunistische Gesellschaftsvisionen. Einige möchten die Gesellschaft von oben verändern. Und alle stehen einigermaßen fassungslos vor der Tatsache, dass quasi "mit den Füßen" abgestimmt wurde - die Afroamerikaner sind einfach gegangen. In den Norden, keiner weiß genau wohin.

Die möglichen Gründe für den "Auszug" werden eher subtil vermittelt und angedeutet in den Erzählungen der einzeln Personen in den einzelnen Abschnitten. Ebenso subtil wird ein Portrait der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in dieser Zeit dargestellt. Sehr gut hat mir die Stimmung gefallen, die im Roman vermittelt wird. So ein wenig wie bei Carson McCullers, die ich sehr schätze.

Erzählt wird vom Autor konsequent aus Sicht der "weißen" Bevölkerung. Was einerseits verwundert - denn der Autor war Afroamerikaner - andererseits ein interessanter literarischer Schachzug ist. Eine Rolle gespielt haben mag auch, dass der Autor in einem weitgehend "weißen" Umfeld aufgewachsen ist, was Wohnort und Schule betrifft - das steht in der Einführung.

Die ausgiebige Einführung in des Werk des Autors steht am Anfang des Romans. Vielleicht ist diese zu ausgiebig geraten - und vieles wird im Nachwort noch einmal erzählt. Daher diese Einführung besser erst am Ende lesen.
Immerhin weiß ich dadurch jetzt, dass ich die späteren Werke des Autors nicht mehr lesen möchte (sie erscheinen mir zu abgedriftet) aber dieses frühe Werk empfehle ich uneingeschränkt!




Veröffentlicht am 26.04.2019

Wunderschöner Klassiker

Siebzehnter Sommer
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Angie ist 17, hat gerade die Schule beendet und wird nach dem Sommer ins College gehen. Sie ist intelligent, eher ruhig und lebt sehr behütet mit 3 Schwestern in einer Kleinstadt an einem See ...

Angie ist 17, hat gerade die Schule beendet und wird nach dem Sommer ins College gehen. Sie ist intelligent, eher ruhig und lebt sehr behütet mit 3 Schwestern in einer Kleinstadt an einem See in Wisconsin. Die Eltern haben keine materiellen Sorgen und leben das klassische Leben der amerikanischen Mittelklasse Anfang der 40er Jahre. Er ist Handelsvertreter, sie ist Hausfrau und liebende Mutter. Und die Töchter helfen so selbstverständlich und ohne Murren im Haushalt mit, dass man es kaum glauben kann.

Und im Grunde genommen bleibt es so idyllisch. Wenn auch die Verwirrungen der Liebe Einzug halten und einiges durcheinanderwirbeln. Angie verliebt sich zum ersten Mal. Und ausgerechnet der Mädchenschwarm der Kleinstadt interessiert sich für Angie. Und so beginnt eine zarte Annäherung und eine immer intensivere erste Liebe.
Und die Gefühle, die Angie dabei entwickelt, werden so authentisch, lebendig und aktuell beschrieben, wie sie sich heute noch anfühlen.
Daher ist das Buch als Klassiker einzustufen. Die Sprache und die Beschreibungen der Gefühle wirken zeitlos. Und so verzaubert das Buch auch in der heutigen Zeit noch.

Natürlich läuft heute vieles anders ab. Im Buch ist alles sehr unschuldig. Als Angie beschreibt, dass sie es schon beim dritten Treffen getan hat, dachte ich als Leserin an Sex - aber nein - es geht um den ersten Kuss. Und auch das alltägliche Leben, das beschrieben wird, ist heutzutage ganz anders. Emanzipation gab es damals nicht, die Frauen waren Hausfrauen und die Männer verdienten das Geld und putzen am Wochenende das Auto.
Aber immerhin gingen die Töchter der beschriebenen Familie aufs College - sicherlich damals auch nicht ganz selbstverständlich.

Nebenher erhält man noch einen Einblick in das beschauliche Alltagsleben einer amerikanischen Kleinstadt Anfang der 40er Jahre. Und man erhält die Erkenntnis, dass manche Gefühle zeitlos sind.


Veröffentlicht am 26.04.2019

Verdrängte Familiengeheimnisse

Nordfinsternis
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Miriam hat ein perfektes Leben: Ein Haus auf dem Land an der Schlei, einen netten Ehemann und nun auch endlich das langersehnte Baby. Aber dann bekommt sie ständig Panik Attacken, fühlt sich unsicher (wenn ...

Miriam hat ein perfektes Leben: Ein Haus auf dem Land an der Schlei, einen netten Ehemann und nun auch endlich das langersehnte Baby. Aber dann bekommt sie ständig Panik Attacken, fühlt sich unsicher (wenn auch voller Liebe) in ihrer Beziehung zu ihrem Baby.

Und dann träumt sie von einem Mädchen mit blauen Augen, dass ihr sagt, sie solle nicht vergessen....

Und seltsamerweise scheint Miriam vieles vergessen zu haben. Ihre frühe Kindheit nämlich. Und seltsamerweise gibt es aus der Zeit, bevor sie 6 Jahre alt war, auch keine Fotos mehr. Bei einem Umzug verloren gegangen? Oder steckt etwas anderes dahinter? Warum antwortet ihre Mutter immer so ausweichend? Warum ist ihre Mutter immer so kühl und distanziert?
Miriam fällt dies immer mehr auf, seitdem sie selbst Mutter ist.

Als das alte Haus ihrer verstorbenen Tante auf dem Land auszuräumen ist, kommen Erinnerungsfetzen zurück... und langsam setzt sich das Puzzle zusammen.

Ricarda Oertel ist ein fulminanter Spannungsroman gelungen. Schon der Prolog, der in einem dunklen Kellerverlies spielt und von einem eingeschlossenen Mädchen erzählt, zieht sofort in den Bann. Dann kommt erst einmal das heutige, behütete Leben von Miriam. Und dann schleichen sich Erinnerungen ein. Und dann gibt es noch jemanden, der aus dem Off erzählt.

Ich konnte das Buch kaum zur Seite legen. Die Spannung ist rein psychologisch, es gibt keine blutigen Mordserien und eigentlich auch keinen aktuellen Kriminalfall. Aber viele verdrängte Familiengeheimnisse. Und Todesfälle, die im Nachhinein vielleicht doch nicht natürlich waren.

Für Liebhaber Psychologischer Spannung eine klare Lese Empfehlung!

Veröffentlicht am 09.04.2019

College - Freundinnen auf dem Weg ins Leben

Aller Anfang
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Das Smith-College an der Ostküste der USA. Eines der wenigen rein weiblichen Colleges der USA. Sehr renommiert. Hier lernen sich vier Studentinnen kennen, weil sie zufälligerweise auf einem Flur in einem ...

Das Smith-College an der Ostküste der USA. Eines der wenigen rein weiblichen Colleges der USA. Sehr renommiert. Hier lernen sich vier Studentinnen kennen, weil sie zufälligerweise auf einem Flur in einem der Wohnheime untergebracht werden. Eigentlich sind die Frauen sehr unterschiedlich. Da ist Sally, die gerade ihre Mutter verloren hat und nächtelang weint. Bree, eine typische Südstaaten-Schönheit - und schon verlobt. Celia, die sich um alle kümmert und froh ist, dem erzkatholischen Umfeld ihrer irischen Familie zu entkommen - wobei sie ihre liebevolle Familie eigentlich sehr schätzt. Und da ist April, Tochter einer alleinerziehenden Mutter, radikale Feministin und die einzige, die sich ihr Studium selbst finanzieren muss.


Das gemeinsame Wohnen wird die jungen Frauen zusammenschweißen, so unterschiedlich sie auch sind. Und auch nach dem Abschluss verlieren sie nicht den Kontakt und gehen gemeinsam durch Höhen und Tiefen. Doch es gibt auch Risse in der Zusammengehörigkeit. Mit Mitte 20 stehen einige von ihnen am Scheideweg. Welche Wege sollen sie im Leben beschreiten? Heiraten und Kinder? Oder lieber Romanautorin werden? Eine Beziehung voller Gefühle aber auch voller Probleme weiterführen? Oder zurückkehren in die Heimat und ein konventionelles Leben führen?

Als die Frauen sich vier Jahre nach dem College zur Hochzeit von Sally treffen, prallen die unterschiedlichen Ansichten aufeinander. Aber es warten noch viel größere Einschnitte im Leben auf die Frauen...

Dieser Roman besticht durch seine guten Charakterzeichnungen und durch seine Vielzahl an Themen, die sehr realistisch dargestellt werden und mich als Leserin zum Nachdenken brachten. Es geht um Feminismus - radikal und gemäßigt. Um Gleichberechtigung, um Entscheidungen für das weitere Leben, um die Bedeutung der familiären Herkunft für das eigene Leben.

Es geht aber auch um das enge Zusammenleben auf dem Campus eines Colleges, das nur von Frauen besucht wird. Dort gibt es viel lesbische Liebe, viele abgedrehte Aktionen und Partys. Und das war etwas, mit dem ich persönlich nicht viel anfangen konnte. Kennen wir doch in Deutschland weder das enge Zusammenleben in einem Wohnheim auf dem Campus noch rein weibliche Universitäten. Allerdings hat die Autorin selbst das Smith College besucht - also ist davon auszugehen, dass die Schilderungen realistisch sind. Und eine typisch amerikanische Situation zeigen.

Ein wenig schade fand ich, dass die Geschichte nur die College-Zeit und die Jahre danach bis ca. Mitte 20 erzählt. Dadurch wirkte manches noch unfertig - im Gegensatz zum letzten Roman der Autorin (All die Jahre) der seine Protagonistinnen fast ein ganzes Leben begleitete.

Mir hat die Lektüre trotzdem sehr gut gefallen. Jedes Buch der Autorin hat mir bisher gut gefallen. Jedes ist gut geschrieben, hat Tiefgang und ist alles andere als seicht. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Roman von J. Courtney Sullivan.

Veröffentlicht am 26.02.2019

Irrungen, Wirrungen und die Suche nach der Wahrheit

Das Echo der Wahrheit
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"Das Buch der Spiegel" hat mich vor einigen Jahren sehr beeindruckt. Und so war ich gespannt auf das neue Buch des Autors - das aber wohl eigentlich schon vor dem Buch der Spiegel entstand - ...

"Das Buch der Spiegel" hat mich vor einigen Jahren sehr beeindruckt. Und so war ich gespannt auf das neue Buch des Autors - das aber wohl eigentlich schon vor dem Buch der Spiegel entstand - dann aber später noch einmal überarbeitet wurde.

Das Konzept der Geschichte ist gleich: Ein Geheimnis, das schon lange zurückliegt. Und die Suche nach der Aufklärung und nach der Wahrheit. Und dabei psychologische Betrachtungen darüber, was wirklich die Wahrheit ist, inwieweit Erinnerungen überhaupt der Wahrheit entsprechen. Und nicht zuletzt das Thema, wie traumatische Ereignisse sich auf das zukünftige Leben der Beteiligten auswirken.

Das hört sich jetzt trocken an? Ist es aber nicht. Denn es ist ein spannendes Buch, quasi ein Krimi. Die Aufklärung des Geschehens bringt den Leser zunächst in ein Labyrinth aus Briefen, Erinnerungen von vermeintlichen Zeugen und Nachforschungen. Und so entwickelt die Geschichte einen Sog, dem man sich als Leser kaum entziehen kann.

Die Geschichte beginnt mit einem Multimillionär, der kurz vor seinem Tod mit Hilfe von Hypnose noch den Hergang einer Nacht in Paris vor vielen Jahren rekonstruieren will. Damals kam eine junge Frau ums Leben. Und der Multimillionär hat die Befürchtung, selbst der Mörder gewesen zu sein. Der bekannte Psychiater Cobb wendet die Hypnose-Therapie an - kann aber den Sachverhalt nicht abschließend klären. Aber die Frage, was damals wirklich geschah, lässt Cobb nicht los. Auch nicht nach dem Tod seines Patienten. Und so beginnt er nachzuforschen. Mithilfe eines Privatdetektivs dringt er immer tiefer in die Materie ein, sucht Zeitzeugen aus der damaligen Zeit auf - und es wird immer undurchsichtiger und verwirrender. Bis zu einem sehr unerwartetem Ende.

Mich hat auch dieses Buch von Chirovici sehr gut unterhalten. Außer Joel Dicker mit "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" habe ich noch keinen Autor gefunden, der so gut solch verzweigte Geschichten schreiben kann.