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Veröffentlicht am 07.05.2019

Starke Heldin, starker Stil

Ihr mich auch
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Lu, eigentlich Louisa, empfindet einen tiefen inneren Schmerz, es lodert eine Wut in ihr, die immer wieder in ihr hoch kommt und herausbricht. Sie lebt mit ihrer Mutter einer ewigen Studentin alleine, ...

Lu, eigentlich Louisa, empfindet einen tiefen inneren Schmerz, es lodert eine Wut in ihr, die immer wieder in ihr hoch kommt und herausbricht. Sie lebt mit ihrer Mutter einer ewigen Studentin alleine, mit sehr begrenzten Mitteln und trägt die alten Klamotten, ihres älteren Cousins auf. Diese ändert sie sich auf einer alten Nähmaschine um, damit sie individueller sind und passen. Sie hatte noch nie wirkliche Freunde, aber eine Menge Fantasie und jede Menge Aggressionen. Darum achtet ihre Mutter darauf, daß sie regelmäßig zum Boxtraining geht. Als Zeichen des Protests färbt sie sich die Haare knallig pink, ein starker Kontrast zu den schwarzen Klamotten. Ihre Mutter ist etwas lebensfremd. Sie leidet nicht nur unter Examensangst, ihre Jobs entpuppen sich auch regelmäßig als Flops. Daher ist ständig Ebbe in der Kasse. Doch nun scheint sie den idealen Job gefunden zu haben: Gesellschafterin für die traumatisierte Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmannes, für 120,- € am Tag. Lu ist diese Prinzessin Viola gleich suspekt und so knallt es gleich bei ihrem ersten Treffen. Doch dann besteht Viola darauf, daß Lu mit in den Urlaub in die Finca auf Mallorca kommt. Ein Albtraum scheint für Lu wahr zu werden.

Lu ist in ihrer Wut, in ihrer Aggressivität ein fesselnder Charakter es scheint ihr gleichgültig zu sein, was andere von ihr denken. Wozu auch, sie hat ja eh keine Freunde, bis auf Rhys, der ihrer Fantasie entspringt und mit dem sie alles teilen kann. Allerdings ist er ausgerechnet ihrer Mutter ein Dorn im Auge. Diese Mutter leider auch mir. Wie kann man nur einerseits so intellektuell und psychologisch sensibel sein wollen und dann bei der eigenen Tochter und sich selbst so blind? Sie muss doch den Schmerz ihrer Tochter spüren und sich fragen, wo er herkommt. Ich habe mich das die ganze Zeit gefragt. Warum ist Lu, wie sie ist? Sie rebelliert teilweise heftig und nicht immer ungefährlich, da würde sie meine Geduld auch sehr strapazieren. Aber von vielen rebellischen Gefahren ihrer Altersgruppe lässt sie in weiser Voraussicht die Finger: kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten. Sie schließt sich auch keiner missratenen Clique an, sie ist wirklich absolut autonom, bis auf Rhys, mit seinen unverschämt grünen Augen. Er ist ein wunderbares Korrektiv für Lu, mit dem sie sich austauschen kann und der ihr auch ganz schön gehörig den Kopf zurecht rückt. Ein toller Charakter, für den die Mutter leider gar kein Verständnis hat, ebenso wenig wie für die Bedürfnisse ihrer Tochter, die sich durch ihn offenbaren.

Ich finde das Buch wahnsinnig gut geschrieben, es hat mich sofort in einen Sog gezogen. Ich wollte immer wissen, was ist eigentlich mit Lu los? Wird Viola mit der neuen Situation zurecht kommen? Auch wenn ich das Buch super fand, habe ich diese Fragen nicht wirklich beantwortet gefunden. Ich habe bei rund 20 Jahren Berufserfahrung erst einmal ein Kind ganz ohne Freunde getroffen, daß vom Jugendamt auch tatsächlich in eine spezielle Einrichtung gegeben wurde und auch in einem zweiten Fall kamen die Kinder sofort in verschiedene Einrichtungen, wo sich dann offenbarte, daß die Geschwister untereinander auch keine wirkliche Bindung haben. Die wenigen Kinder ohne Freunde, hatten alle ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis und keine auffangenden Großeltern. Auch Lus Großeltern werden mit keinem Wort erwähnt. Das Problem war nicht Armut, es waren die Eltern, die das Bindungsverhalten stören, mit diagnostizierter Erziehungsunfähigkeit. Hier empfinde ich die Mutter auch als problematisch, da sie die Realität verkennt und etwas lebensfremd ist. Dennoch scheint Lu an ihr zu hängen und ihre Mutter nicht völlig egal zu sein. Bei allen Differenzen zwischen Lu und ihrer Mutter, ist Schule erstaunlicher Weise nie ein Thema. Sie geht offensichtlich nicht nur hin, sie scheint auch zu lernen, auch wenn es nicht explizit erwähnt wird. Das wird jetzt der Zielgruppe nicht so bewußt sein, da sie intakte Bindungen haben werden, daher gibt es hierfür nur einen Stern Abzug.

Die Jugendlichen in dieser Geschichte mag ich wiederum sehr gerne. Sie sind sehr einfühlsam beschrieben, man spürt ihren Schmerz, ihren Welthass, ihre Verachtung, ihre Verzweiflung und die aufkeimende Hoffnung. Bei Lu und Viola schätze ich sehr ihre Geradlinigkeit und Kompromisslosigkeit, bisweilen sind die zwei wirklich gnadenlos ihrer Umwelt gegenüber, aber dabei irgendwie menschlich. Emotional hat mich längere Zeit kein Buch mehr so bewegt, daher gehe ich über die für mich als Erwachsene bestehende Schwäche hinweg und gebe gerne noch gute 4 von 5 Sternen.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Spannender Reihenauftakt

Die Geheimnisse von Oaksend - Monsterprüfung
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Robin ist fast 11, seine Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen als er noch klein war. Nun lebt er bei seinem knurrigen, ungeselligen Opa Rufus und wird in der Schule ganz schön drangsaliert. ...

Robin ist fast 11, seine Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen als er noch klein war. Nun lebt er bei seinem knurrigen, ungeselligen Opa Rufus und wird in der Schule ganz schön drangsaliert. Gleichaltrige Freunde hat er keine, aber die liebenswert schrullige Antiquarin Polly und der blinde Kiosk-Besitzer Mr. Hooper sind dafür um so netter zu ihm. Als eines Tages Freddy, der Schul-Bully besonders gemein ist und seine Schultasche im Druidenstein am Wald zu versenken versucht, tritt Melvin in sein Leben. Melvin ist ein echtes Monster, sein Schutzmonster (Warmblut, Europäisch-Langhaar, Blue Tabby) von nun an. Er ist der ersehnte Freund und hat allerlei magische Fähigkeiten, mit einem echten Hatchpatch. Das ist ein scheinbarer Stofflappen, den man an die Wand oder den Boden werfen kann, der einen Expresstunnel bildet, der einen in größter Not auf der Flucht helfen kann, aber nur Freunde einlässt und Feinde beißt! Nun fühlt sich Robin endlich nicht mehr allein und sein Leben wird auch viel aufregender. Als dann aber die Prüfungsaufgabe für Melvins Schutzmonsterprüfung ins Haus flattert, wird es richtig brenzlig. Denn die Aufgabe ist knifflig und sie scheinen nicht die einzigen zu sein, die hinter der Lösung her sind.

Anfangs ist die Geschichte sehr traurig, da Robin echt sympathisch ist und er sein Schicksal wirklich tapfer trägt, auch wenn es so trostlos ist. Doch mit Melvin hat die Traurigkeit fast ein Ende.
Na ja, die alte Schreckschraube nebenan, keift immer noch, sobald er sich halbwegs in der Nähe blicken lässt, aber mit einem Freund an seiner Seite ist das alles viel leichter zu ertragen, ebenso wie seinen abweisenden und oft abwesenden Großvater Rufus. Auch seine Klassenkameradin Imogen ist Robin gegenüber freundlich. Allerdings ist sie so seltsam, daß er sich gar nicht so sicher ist, ob ihm das recht ist. Sie läuft immer mit einem stinkenden Beutel herum, scheint aber guter Dinge zu sein. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen bringt er es nicht übers Herz sie zurückzuweisen. Das gefällt uns sehr gut, denn es zeigt Kindern, daß es keinen Grund gibt, zu jemandem fies zu sein und ihn zu ärgern, nur weil er anders ist. So wie Robin es nicht leiden kann, wie der gemeine Freddy mit ihm umspringt, muß er den Frust nicht an der unschuldigen Imogen ausleben. Ein sehr schöner Gedanke, der uns Robin noch mehr ans Herz wachsen lässt. Im Auftaktband spielt sie eine relativ untergeordnete Rolle, doch wir sehen großes Potenzial für dieses Mädchen dessen großes Herz vielleicht nur noch von ihrem Hirn überragt wird.

Mit Melvin an seiner Seite beobachtet Robin merkwürdige Vorgänge, die er sich nicht erklären kann. So wird nachts immer wieder in das Antiquariat eingebrochen, aber Miss Polly weiß nicht, ob überhaupt etwas gestohlen wurde, weil bei ihr solches Chaos herrscht. Bis sie bei einem Einbruch schwer verletzt wird. Das ist natürlich für die zwei Freunde ein echter Grund Ermittlungen aufzunehmen, mit denen sie leider auch nicht so recht vorankommen. Bis Melvin seine Prüfungsaufgabe erhält, dann wird es echt aufregend und auch richtig gefährlich. Bei diesem gefährlichen Abenteuer werden Fiktion und Wahrheit fröhlich vermischt. Es werden historische Ereignisse mit mysteriösen Vorgängen in der Monsterwelt erklärt. Für die jungen Leser aber ein prima Anlass mal selbst nach diesen historischen Ereignissen zu forschen, oder wenigstens die Eltern zu fragen, was das denn damals war und was offiziell die Erklärung dafür war. Sehr originelle Erklärungsansätze, werden mit sehr menschlichen Reaktionen und absurden Situationen verbunden. Das ist sehr abwechslungsreich und z.T. sehr spannend oder witzig. Im Mittelteil hatte es allerdings kleinere Längen, aber nicht so sehr, daß wir die Lust am Lesen verloren hätten. Die kleinen schwarz-weißen Vignetten von Max Meinzold sind sehr witzig und fangen die Stimmung sehr schön ein. Das Buch wird ab 10 Jahren empfohlen, aber wir finden, daß es auch gerade wegen der kleinen Illustrationen durchaus auch schon ab 9 Jahren geeignet ist. Diese Empfehlung gilt sowohl für Jungen, als auch Mädchen.

Autorin Andrea Martin wuchs in den USA, Österreich und Deutschland auf. Schon als Kind hatte sie den Verdacht, daß hinter den Dingen viel mehr steckt, als allgemein behauptet wird. In diesem fantastischen Debüt, kann sie endlich mal ein paar dieser Missverständnisse geraderücken auf sehr unterhaltsame Art und Weise.

Ein Auftaktband zu einer monsterstarken neuen Kinderfantasyreihe, der Lust auf neue monstermäßige Wahrheiten und weitere Folgen macht.

Veröffentlicht am 24.04.2019

Ein ganz besonderes Hörbuch mit Schwächen

Der Wal und das Ende der Welt
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In dem abgelegenen kleinen Fischerdorf St. Piran in Cornwall herrscht Aufregung: Mit der Flut wurden ein Wal und ein nackter junger Mann angespült. Mit vereinten Kräften beleben die 307 Dorfbewohner den ...

In dem abgelegenen kleinen Fischerdorf St. Piran in Cornwall herrscht Aufregung: Mit der Flut wurden ein Wal und ein nackter junger Mann angespült. Mit vereinten Kräften beleben die 307 Dorfbewohner den jungen Joe, der auf die Rettung des gestrandeten Wals drängt. Das Schicksal des Wals erscheint diesem untrennbar mit seinem verknüpft. Doch was hat den jungen, erfolgreichen Analysten aus der City ins Wasser getrieben? Nach und nach gibt er Preis, daß er an der Entwicklung eines Analyseprogramms namens Cassandra, kurz Cassie, mitgewirkt hat, daß absolut sichere Zukunftsprognosen für die nächsten Tage treffen kann. Doch es wurde manipuliert und kann nun nicht mehr gestoppt werden. Auf die Menschheit rollt die Apokalypse zu und er fühlt sich schuldig und benutzt. Joe warnt die Bewohner, fühlt sich aber selbst wie die Antike Seherin, der niemand Glauben schenken wollte. Die Dorfbewohner sind ihm mittlerweile ans Herz gewachsen, viel mehr, als sonst jemand, seit dem Tod seiner Mutter. Also beschließt er seine Retter zu retten und selbst Vorkehrungen für die nahende Katastrophe zu treffen. Erst wird er skeptisch und ein wenig mitleidig beäugt, aber dann...

Ich hatte keine klare Vorstellung von dem, was mich erwarten würde, aber ich mag die Stimme von Johann von Bülow und seine Wandelbarkeit, auch die Aufmachung sprach mich auch an. Zumindest würde es mal was anderes sein. Das war es auch, auch wenn ich nichts erwartet habe, war ich nicht auf das gefasst was kommen würde. Zuerst war ich akustisch erschlagen, von der unglaublichen Personenvielzahl z.T. mit cornischen Namen, Familienmitglieder und Mitarbeiter der Londoner City. Beim Hören eine Überforderung, bei der es wirklich hilft das beiliegende Booklet mit Personenverzeichnis vor dem ersten Hören und nach oder während der ersten CD zu hören. Es sind so viele, da lohnt es sich, die Liste mal schnell mehrfach durchzugehen. Nachdem ich das Personenkonsortium für mich sortiert hatte, packte mich die Geschichte mit ihren doch bisweilen sehr eigenen Charakteren. Was ich von Joe halten sollte war mir anfangs nicht so klar, aber in diesem Dorf ist wie auch sonst im Leben. Es lassen sich nicht immer alle in Schubladen von Gut und Böse einteilen, die einen sind mal so, mal so, wie es das Leben halt gerade mit sich bringt. Gerade in ihrer Ausgestaltung liegt für mich die absolute Stärke der Geschichte.

Das Dilemma in welchem Joe sich befindet, mutet aber erschreckend real an. Die Macht und den Einfluss von Prognoseprogrammen auf den Weltmarkt mag ich mir nicht vorstellen. Doch bei nahender Apokalypse, denken die meisten eher an Atomkatastrophen, Krieg, Klimakatastrophe, aber so was alljährliches wie die Grippe? Und doch sterben jedes Jahr Millionen Menschen weltweit an ihren Folgen.... und es gibt nie genügend Schutzimpfungen für alle und auch hier kann die Prognose, wie sich der diesjährige Erregerstamm entwickeln wird, irren. Dann gibt es keinen Schutz. Oder doch? Was wäre, wenn man in einem Dorf am Ende der Welt leben würde, ist das heute noch möglich? Was wäre bei völliger Isolation und Quarantäne das größte Problem? Die Nahrung, mangelnder Strom, fehlendes fließendes Wasser, Dorfkoller? Die Hürden und Schwierigkeiten sind mannigfaltig. Welche dieser Probleme sind lösbar und welche eigentlich eher unbedeutend und wie spielt der menschliche Faktor eine Rolle? Immerhin kennt in einem Dorf jeder jeden und das auch schon seit Ewigkeiten. Die menschliche Komponente des gestrandeten Fremden in einer festen, alteingesessenen Gemeinschaft inmitten einer Katastrophe ungekannten Ausmaßes und unvorhersehbarer Dauer macht diese Geschichte so fesselnd. Wie würde man selbst reagieren? Würde man über sich hinauswachsen oder zum absoluten Egoisten mutieren? Welche Rolle spielt der Wal, der immer wieder mahnend in der Bucht auftaucht? Nicht nur der streng logische Analyst verändert sich und erstaunt sich selbst. Die Dorfgemeinschaft überrascht den Trader und den Hörer und gibt Hoffnung auf die Menschlichkeit der Menschheit, in Zeiten, in denen es nicht selbstverständlich ist. Doch ist Joe nicht einfach eine strahlende Gestalt, er ist bisweilen auch etwas naiv. Man lernt aber auch seine Hintergründe kennen und die Analystin des Dorfes, durchschaut ihn besser als er die Märkte und sich selbst. Das macht sie unglaublich sympathisch auf schmunzelnde Art und Weise und dennoch lässt mich das Ende ein wenig ratlos zurück. Es ist wirklich ein hoffnungsfrohes Ende. Aber sind die Menschen tatsächlich so? Schön wäre es, ich bin da ein wenig unschlüssig. Während mich nach einem etwas überforderten Anfang das nahende Ende der Welt und seine möglichen einzigen Überlebenden wirklich fesselten und bannten, so machte mich das Ende etwas ratlos. Ist es das Ende, dass ich mir gewünscht hätte? Ich weiß es nicht, es macht mich zumindest nachdenklich und wird mich diese Geschichte nicht so schnell vergessen lassen, Cornwall und sein Wal werden noch eine Weile durch meine Hirnwindungen spuken. Dennoch dämpft es meine zwischenzeitliche absolute Begeisterung für diese mahnende Vision.

Johann von Bülow liest absolut fesselnd und wandelbar. In seiner Unaufgeregtheit spürt man die erdende Ruhe Cornwalls, mit seinen tiefen Wurzeln und noch tieferen Gefühlen, die überraschen und vor allen Unwägbarkeiten Halt bieten. Seine Stimme klingt diesmal erstaunlich mild und weich und gar nicht so tief und gebieterisch bestimmend, wie man es von ihm bisweilen kennt. Kein Hauch von Sherlock Holmes ist in der Stimme zu hören, sondern Mitgefühl und Ratlosigkeit. Es ist überraschend und dennoch glaubhaft zu hören.

Die Aufmachung in einer soliden Pappbox mit 3 MP3 und einem Booklet finde ich sehr ansprechend, haptisch angenehm und sehr edel.

Ein wirklich besonderes Hörbuch mit kleinen Schwächen.

Veröffentlicht am 09.04.2019

Als Leben noch Überleben war

Die Reise des weißen Bären
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Im Norwegen, Anfang des 13. Jahrhunderts reißt der 12-jährige Arthur von zu Hause aus, da er seine Stiefbrüder und seinen Stiefvater nicht mehr erträgt. In der Stadt Bergen kommen ihm langsam Zweifel, ...

Im Norwegen, Anfang des 13. Jahrhunderts reißt der 12-jährige Arthur von zu Hause aus, da er seine Stiefbrüder und seinen Stiefvater nicht mehr erträgt. In der Stadt Bergen kommen ihm langsam Zweifel, ob die Entscheidung richtig war, als ihn der Hunger quält und er vor aller Augen einen Hasenbraten stiehlt. Der flieht, doch seine Flucht endet in einem Lagerhaus, wo er umzingelt wird, so daß er sich in den dortigen Käfig rettet. Darin wird ein Eisbär gehalten, der als Geschenk des Königs von Norwegen an den König von England gedacht ist. Erstaunlicherweise greift der weiße Riese ihn nicht an. So wird er als Strafe als Eisbärpfleger mit an Bord genommen und ist den Launen der Mannschaft und des Tieres völlig ausgeliefert. Während der Überfahrt, knüpfen Tier und Junge ein immer festeres Band und der Bär erweist sich als weniger gefährlich, als einige der Matrosen und der übrigen Gefahren des Meeres.

Obwohl es sich um ein Jugendbuch handelt, ist es dennoch sehr ernst, was nicht nur, an der nicht artgerechten Haltung des Tieres liegt. Das Leben damals war viel rauer und härter, der tägliche Kampf ums Überleben für die meisten alltäglich. Daher ist es gut, daß bereits der Prolog verrät, was für damalige Seefahrten nicht selbstverständlich ist: sie erreichen ihr Ziel, angeschlagen, aber noch enger mit einander verbunden, bis an ihr Lebensende. Beide sind ihr Leben lang gezeichnet, von den Torturen und Gefahren, welche dies im Einzelnen waren, erzählt Julian Greis einfühlsam und bewegend. Obwohl er älter als 12 Jahre alt ist, klingt das Ensemblemitglied des Thalia Theaters Hamburg jung, schafft es aber auch gut, den Part des alternden Schiffsarztes, der sich als immer mal wieder schützend von Arthur stellt. So verbindet auch diese zwei, trotz gewisser Animositäten ein immer festeres Band, insbesondere als Arthur dessen Geheimnis errät und sie so einander ohne Worte helfen können. Da die Geschichte auf historischen Ereignissen beruht (leider ist mir unklar, was außer dem Eisbärengeschenk noch historisch belegt ist) bleibt ihnen keine der damals üblichen Gefahren erspart. Weder Unwetter, noch Piraten und drohender Schiffsbruch an ungeplanten Ufern. Dort trifft Arthur auf so ziemlich die einzige weibliche Figur des Abenteuerromans, bis auf die lediglich erwähnte Mutter, die er verließ. Denn die Seefahrt war reine Männersache und Frauen an Bord brachten dem Aberglauben nach Unglück.
Neben den Kämpfen, den Piraten und den Gefahren bekommt der Hörer Einblick in Arthurs Gefühlswelt, seine Sorgen und Nöte, warum er die Gesellschaft des Bären, der der Menschen, vorzieht. Auf diese Weise erfährt man mehr über das damalige Verständnis von Familie, Erbschaftsansprüchen, deren Nachweise und Ansprüche auf Ländereien. Denn auch wenn Arthur etwas kopflos weglieft, so war er doch nicht ohne Ziel, sein Plan war lediglich nur so weit durchdacht, wie man es von einem 12 Jährigen erwarten kann.

Susan Fletcher, ist eine ungewöhnliche Geschichte gelungen, die auf Pathos, Kitsch und Glücksseeligkeit verzichtet. Die Geschichte ist rau so wie die Zeiten damals, auch wenn Arthur und der Bär England lebend erreichen, so gehen doch nicht alle Träume in Erfüllung, die Realität beugt sich nicht immer den Wünschen und Träumen. So ist diese Geschichte auch traurig und verzichtet auf das klassische Happy End. Kritische Töne und Realitätssinn werden vom Hörer verlangt, wer nicht bereit ist, sich mit den Härten des Lebens auseinander zu setzen, sollte wohl ein glattgespülteres, weniger kritisches Hörbuch wählen. Dennoch wird das Abenteuer auf See und die Freundschaft zwischen Junge und Raubtier sicherlich viele Jungen und auch einige Mädchen (Tiere gehen immer, haben mir meine Töchter und deren Freundinnen versichert) begeistern, eben gerade weil es so anders, so ungewöhnlich ist.

Veröffentlicht am 09.04.2019

Jeder darf so sein wie er will

Lotti und Otto (Band 1)
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Lotti ist ein kleines Otter-Mädchen, das immer eine lustige rote Bommelmütze trägt und das Abenteuer sucht! Am liebsten in Form von Monstern, denen sie gerne Fallen stellt, um sie zu fangen. Bisher hatte ...

Lotti ist ein kleines Otter-Mädchen, das immer eine lustige rote Bommelmütze trägt und das Abenteuer sucht! Am liebsten in Form von Monstern, denen sie gerne Fallen stellt, um sie zu fangen. Bisher hatte sie da aber wenig Glück, anders als beim Angeln, wobei sie großes Geschick beweist. Otto ist ein kleiner Otterjunge mit blauer Bommelmütze, der gerne mit backt und aus alten Gardinen ein Zelt näht, da er ins Ferienlager soll, wo er doch ein wenig Schutz vor Monstern möchte, die er absolut fürchtet. Deswegen möchte er auch gar nicht dorthin! Aber er muss und trifft dort auf Lotti, die nicht nur genauso aussieht wie er, sondern auch all die Dinge liebt, die er fürchtet, dafür aber Backen und Nähen nichts abgewinnen darf. Leider werden die Tierkinder nach Geschlechtern getrennt in Gruppen eingeteilt und nicht nach Interessen. Wie soll Lotti nun um das Backen herumkommen, für das sie nun so gar kein Talent hat und sich Otto vor dem Angeln drücken?

Ein Bilderbuch über Geschlechterrollen, das fand ich cool, denn um die Gesellschaft zu ändern, muss man mit den Gedanken in den Köpfen beginnen. Also war ich sehr neugierig, fand allerdings die gewählten Beispiele jetzt nicht krass genug. Ich kenne genügend Jungs die Backen, im Nähkurs meiner Töchter war auch ein Junge, aber Jungs die Angeln kenne ich nicht so viele (das ist ja auch langweilig, mit dem vielen rumsitzen), dafür sind aber auch im Grundschulalter Teddybären noch eine Selbstverständlichkeit. In sämtlichen Ferienfreizeiten meiner Töchter waren die Gruppen durchmischt und es gab Angebote, die jeder wahrnehmen konnte, auch wenn einige Angebote mehr Jungs anlockten als Mädchen. So der ganz krasse Mädchenkitsch wie Barbies, Prinzessinnenkostüme, Glitzerkram und Schminke fehlten hier in der Tierwelt ebenso wie Roboter, Waffen, Mondraketen, Technik, Schnitzmesser..... Daher brauchte ich dringend eine Kindermeinung für dieses Buch mit der Altersempfehlung 4 – 6 Jahre.

Die fast 4 jährige Emilia fand offensichtlich den Textanteil zu hoch, nach 1,5 Seiten im öden Schwimmbadcafé schaltete sie ab. Der nächste Versuch scheiterte ebenso schnell. Nein, ich habe ein Kind aus einer lesebegeisterten Akademikerfamilie gewählt, daß durchaus eine positive Einstellung zu Büchern hat, aber auch die wirklich zauberhaften Illustrationen von Carola Sieverding konnten ihre Aufmerksamkeit nicht lange fesseln. Das Text-Bild-Verhältnis ist wohl für 4 Jährige noch zu textlastig, daher würde ich es für die Altersgruppe 5 – 7 Jahre empfehlen.

Da in der turbolenten Vorweihnachtszeit mir einfach kein Kinder der entsprechenden Altersgruppe mehr begegnete und meine Jüngste (9) immer wieder nach dem Buch schielte, wurde sie meine nächste Zuhörerin. Ihre Konzentrationsspanne war kein Problem. Ihr Urteil: nein, das darfst Du nicht verschenken, das will ich behalten! - Warum? - Weil es cool ist, es erklärt ganz klar, dass nicht alle gleich sind und jeder mögen darf was er will. Als ich sie fragte, ob das mit den typischen Rollenbildern in der Geschlechterverteilung gut rübergekommen wäre, schaute sie mich nur fragend an.

Die Sprache ist gut verständlich, wenn auch die Sätze für 4 Jährige noch zu lang und der Textanteil zu hoch. Die Begriffe sind bekannt, die Gedanken für die meisten Kinder aber so nicht relevant, weil in der Praxis die Gesellschaft doch sehr viel offener ist, als man es meinen mag. Die Akzeptanz von Querdenkern fand meine Tochter aber sehr deutlich und hilfreich.

Collien Ulmen-Fernandes ist Mutter einer kleinen Tochter (jetzt 5) und gibt Erziehungsratschläge gemeinsam mit Jesper Jul und Kirsten Fuchs im Familientrio der Süddeutschen Zeitung. Meistens tendiere ich zu den Ansichten von Kirsten Fuchs und am Wenigsten zu Jesper Jul, die mir zu realitätsfern sind. Daher war ich auf diese Bilderbuchumsetzung sehr gespannt. Man muss natürlich überlegen, daß die Umsetzung durch die Wahl der Tiere als Erklärmedium beschränkt ist. Backende oder angelnde Otter kann man sich wohl besser vorstellen als Barbie spielende und PC-zockende Otter.

Optisch hat Carola Sieverding die Geschichte wunderbar umgesetzt, mit herrlich leuchtenden und fröhlichen Farben. Mit ganz vielen liebevollen Details gibt es jede Menge zu entdecken und so werden Kinder das Buch auch immer wieder gerne zur Hand nehmen, es durchblättern und die Geschichte durch den Kopf gehen lassen. Die Gestaltung finde ich ausgesprochen gelungen.