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Veröffentlicht am 24.04.2019

Ein ganz besonderes Hörbuch mit Schwächen

Der Wal und das Ende der Welt
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In dem abgelegenen kleinen Fischerdorf St. Piran in Cornwall herrscht Aufregung: Mit der Flut wurden ein Wal und ein nackter junger Mann angespült. Mit vereinten Kräften beleben die 307 Dorfbewohner den ...

In dem abgelegenen kleinen Fischerdorf St. Piran in Cornwall herrscht Aufregung: Mit der Flut wurden ein Wal und ein nackter junger Mann angespült. Mit vereinten Kräften beleben die 307 Dorfbewohner den jungen Joe, der auf die Rettung des gestrandeten Wals drängt. Das Schicksal des Wals erscheint diesem untrennbar mit seinem verknüpft. Doch was hat den jungen, erfolgreichen Analysten aus der City ins Wasser getrieben? Nach und nach gibt er Preis, daß er an der Entwicklung eines Analyseprogramms namens Cassandra, kurz Cassie, mitgewirkt hat, daß absolut sichere Zukunftsprognosen für die nächsten Tage treffen kann. Doch es wurde manipuliert und kann nun nicht mehr gestoppt werden. Auf die Menschheit rollt die Apokalypse zu und er fühlt sich schuldig und benutzt. Joe warnt die Bewohner, fühlt sich aber selbst wie die Antike Seherin, der niemand Glauben schenken wollte. Die Dorfbewohner sind ihm mittlerweile ans Herz gewachsen, viel mehr, als sonst jemand, seit dem Tod seiner Mutter. Also beschließt er seine Retter zu retten und selbst Vorkehrungen für die nahende Katastrophe zu treffen. Erst wird er skeptisch und ein wenig mitleidig beäugt, aber dann...

Ich hatte keine klare Vorstellung von dem, was mich erwarten würde, aber ich mag die Stimme von Johann von Bülow und seine Wandelbarkeit, auch die Aufmachung sprach mich auch an. Zumindest würde es mal was anderes sein. Das war es auch, auch wenn ich nichts erwartet habe, war ich nicht auf das gefasst was kommen würde. Zuerst war ich akustisch erschlagen, von der unglaublichen Personenvielzahl z.T. mit cornischen Namen, Familienmitglieder und Mitarbeiter der Londoner City. Beim Hören eine Überforderung, bei der es wirklich hilft das beiliegende Booklet mit Personenverzeichnis vor dem ersten Hören und nach oder während der ersten CD zu hören. Es sind so viele, da lohnt es sich, die Liste mal schnell mehrfach durchzugehen. Nachdem ich das Personenkonsortium für mich sortiert hatte, packte mich die Geschichte mit ihren doch bisweilen sehr eigenen Charakteren. Was ich von Joe halten sollte war mir anfangs nicht so klar, aber in diesem Dorf ist wie auch sonst im Leben. Es lassen sich nicht immer alle in Schubladen von Gut und Böse einteilen, die einen sind mal so, mal so, wie es das Leben halt gerade mit sich bringt. Gerade in ihrer Ausgestaltung liegt für mich die absolute Stärke der Geschichte.

Das Dilemma in welchem Joe sich befindet, mutet aber erschreckend real an. Die Macht und den Einfluss von Prognoseprogrammen auf den Weltmarkt mag ich mir nicht vorstellen. Doch bei nahender Apokalypse, denken die meisten eher an Atomkatastrophen, Krieg, Klimakatastrophe, aber so was alljährliches wie die Grippe? Und doch sterben jedes Jahr Millionen Menschen weltweit an ihren Folgen.... und es gibt nie genügend Schutzimpfungen für alle und auch hier kann die Prognose, wie sich der diesjährige Erregerstamm entwickeln wird, irren. Dann gibt es keinen Schutz. Oder doch? Was wäre, wenn man in einem Dorf am Ende der Welt leben würde, ist das heute noch möglich? Was wäre bei völliger Isolation und Quarantäne das größte Problem? Die Nahrung, mangelnder Strom, fehlendes fließendes Wasser, Dorfkoller? Die Hürden und Schwierigkeiten sind mannigfaltig. Welche dieser Probleme sind lösbar und welche eigentlich eher unbedeutend und wie spielt der menschliche Faktor eine Rolle? Immerhin kennt in einem Dorf jeder jeden und das auch schon seit Ewigkeiten. Die menschliche Komponente des gestrandeten Fremden in einer festen, alteingesessenen Gemeinschaft inmitten einer Katastrophe ungekannten Ausmaßes und unvorhersehbarer Dauer macht diese Geschichte so fesselnd. Wie würde man selbst reagieren? Würde man über sich hinauswachsen oder zum absoluten Egoisten mutieren? Welche Rolle spielt der Wal, der immer wieder mahnend in der Bucht auftaucht? Nicht nur der streng logische Analyst verändert sich und erstaunt sich selbst. Die Dorfgemeinschaft überrascht den Trader und den Hörer und gibt Hoffnung auf die Menschlichkeit der Menschheit, in Zeiten, in denen es nicht selbstverständlich ist. Doch ist Joe nicht einfach eine strahlende Gestalt, er ist bisweilen auch etwas naiv. Man lernt aber auch seine Hintergründe kennen und die Analystin des Dorfes, durchschaut ihn besser als er die Märkte und sich selbst. Das macht sie unglaublich sympathisch auf schmunzelnde Art und Weise und dennoch lässt mich das Ende ein wenig ratlos zurück. Es ist wirklich ein hoffnungsfrohes Ende. Aber sind die Menschen tatsächlich so? Schön wäre es, ich bin da ein wenig unschlüssig. Während mich nach einem etwas überforderten Anfang das nahende Ende der Welt und seine möglichen einzigen Überlebenden wirklich fesselten und bannten, so machte mich das Ende etwas ratlos. Ist es das Ende, dass ich mir gewünscht hätte? Ich weiß es nicht, es macht mich zumindest nachdenklich und wird mich diese Geschichte nicht so schnell vergessen lassen, Cornwall und sein Wal werden noch eine Weile durch meine Hirnwindungen spuken. Dennoch dämpft es meine zwischenzeitliche absolute Begeisterung für diese mahnende Vision.

Johann von Bülow liest absolut fesselnd und wandelbar. In seiner Unaufgeregtheit spürt man die erdende Ruhe Cornwalls, mit seinen tiefen Wurzeln und noch tieferen Gefühlen, die überraschen und vor allen Unwägbarkeiten Halt bieten. Seine Stimme klingt diesmal erstaunlich mild und weich und gar nicht so tief und gebieterisch bestimmend, wie man es von ihm bisweilen kennt. Kein Hauch von Sherlock Holmes ist in der Stimme zu hören, sondern Mitgefühl und Ratlosigkeit. Es ist überraschend und dennoch glaubhaft zu hören.

Die Aufmachung in einer soliden Pappbox mit 3 MP3 und einem Booklet finde ich sehr ansprechend, haptisch angenehm und sehr edel.

Ein wirklich besonderes Hörbuch mit kleinen Schwächen.

Veröffentlicht am 09.04.2019

Als Leben noch Überleben war

Die Reise des weißen Bären
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Im Norwegen, Anfang des 13. Jahrhunderts reißt der 12-jährige Arthur von zu Hause aus, da er seine Stiefbrüder und seinen Stiefvater nicht mehr erträgt. In der Stadt Bergen kommen ihm langsam Zweifel, ...

Im Norwegen, Anfang des 13. Jahrhunderts reißt der 12-jährige Arthur von zu Hause aus, da er seine Stiefbrüder und seinen Stiefvater nicht mehr erträgt. In der Stadt Bergen kommen ihm langsam Zweifel, ob die Entscheidung richtig war, als ihn der Hunger quält und er vor aller Augen einen Hasenbraten stiehlt. Der flieht, doch seine Flucht endet in einem Lagerhaus, wo er umzingelt wird, so daß er sich in den dortigen Käfig rettet. Darin wird ein Eisbär gehalten, der als Geschenk des Königs von Norwegen an den König von England gedacht ist. Erstaunlicherweise greift der weiße Riese ihn nicht an. So wird er als Strafe als Eisbärpfleger mit an Bord genommen und ist den Launen der Mannschaft und des Tieres völlig ausgeliefert. Während der Überfahrt, knüpfen Tier und Junge ein immer festeres Band und der Bär erweist sich als weniger gefährlich, als einige der Matrosen und der übrigen Gefahren des Meeres.

Obwohl es sich um ein Jugendbuch handelt, ist es dennoch sehr ernst, was nicht nur, an der nicht artgerechten Haltung des Tieres liegt. Das Leben damals war viel rauer und härter, der tägliche Kampf ums Überleben für die meisten alltäglich. Daher ist es gut, daß bereits der Prolog verrät, was für damalige Seefahrten nicht selbstverständlich ist: sie erreichen ihr Ziel, angeschlagen, aber noch enger mit einander verbunden, bis an ihr Lebensende. Beide sind ihr Leben lang gezeichnet, von den Torturen und Gefahren, welche dies im Einzelnen waren, erzählt Julian Greis einfühlsam und bewegend. Obwohl er älter als 12 Jahre alt ist, klingt das Ensemblemitglied des Thalia Theaters Hamburg jung, schafft es aber auch gut, den Part des alternden Schiffsarztes, der sich als immer mal wieder schützend von Arthur stellt. So verbindet auch diese zwei, trotz gewisser Animositäten ein immer festeres Band, insbesondere als Arthur dessen Geheimnis errät und sie so einander ohne Worte helfen können. Da die Geschichte auf historischen Ereignissen beruht (leider ist mir unklar, was außer dem Eisbärengeschenk noch historisch belegt ist) bleibt ihnen keine der damals üblichen Gefahren erspart. Weder Unwetter, noch Piraten und drohender Schiffsbruch an ungeplanten Ufern. Dort trifft Arthur auf so ziemlich die einzige weibliche Figur des Abenteuerromans, bis auf die lediglich erwähnte Mutter, die er verließ. Denn die Seefahrt war reine Männersache und Frauen an Bord brachten dem Aberglauben nach Unglück.
Neben den Kämpfen, den Piraten und den Gefahren bekommt der Hörer Einblick in Arthurs Gefühlswelt, seine Sorgen und Nöte, warum er die Gesellschaft des Bären, der der Menschen, vorzieht. Auf diese Weise erfährt man mehr über das damalige Verständnis von Familie, Erbschaftsansprüchen, deren Nachweise und Ansprüche auf Ländereien. Denn auch wenn Arthur etwas kopflos weglieft, so war er doch nicht ohne Ziel, sein Plan war lediglich nur so weit durchdacht, wie man es von einem 12 Jährigen erwarten kann.

Susan Fletcher, ist eine ungewöhnliche Geschichte gelungen, die auf Pathos, Kitsch und Glücksseeligkeit verzichtet. Die Geschichte ist rau so wie die Zeiten damals, auch wenn Arthur und der Bär England lebend erreichen, so gehen doch nicht alle Träume in Erfüllung, die Realität beugt sich nicht immer den Wünschen und Träumen. So ist diese Geschichte auch traurig und verzichtet auf das klassische Happy End. Kritische Töne und Realitätssinn werden vom Hörer verlangt, wer nicht bereit ist, sich mit den Härten des Lebens auseinander zu setzen, sollte wohl ein glattgespülteres, weniger kritisches Hörbuch wählen. Dennoch wird das Abenteuer auf See und die Freundschaft zwischen Junge und Raubtier sicherlich viele Jungen und auch einige Mädchen (Tiere gehen immer, haben mir meine Töchter und deren Freundinnen versichert) begeistern, eben gerade weil es so anders, so ungewöhnlich ist.

Veröffentlicht am 09.04.2019

Jeder darf so sein wie er will

Lotti und Otto (Band 1)
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Lotti ist ein kleines Otter-Mädchen, das immer eine lustige rote Bommelmütze trägt und das Abenteuer sucht! Am liebsten in Form von Monstern, denen sie gerne Fallen stellt, um sie zu fangen. Bisher hatte ...

Lotti ist ein kleines Otter-Mädchen, das immer eine lustige rote Bommelmütze trägt und das Abenteuer sucht! Am liebsten in Form von Monstern, denen sie gerne Fallen stellt, um sie zu fangen. Bisher hatte sie da aber wenig Glück, anders als beim Angeln, wobei sie großes Geschick beweist. Otto ist ein kleiner Otterjunge mit blauer Bommelmütze, der gerne mit backt und aus alten Gardinen ein Zelt näht, da er ins Ferienlager soll, wo er doch ein wenig Schutz vor Monstern möchte, die er absolut fürchtet. Deswegen möchte er auch gar nicht dorthin! Aber er muss und trifft dort auf Lotti, die nicht nur genauso aussieht wie er, sondern auch all die Dinge liebt, die er fürchtet, dafür aber Backen und Nähen nichts abgewinnen darf. Leider werden die Tierkinder nach Geschlechtern getrennt in Gruppen eingeteilt und nicht nach Interessen. Wie soll Lotti nun um das Backen herumkommen, für das sie nun so gar kein Talent hat und sich Otto vor dem Angeln drücken?

Ein Bilderbuch über Geschlechterrollen, das fand ich cool, denn um die Gesellschaft zu ändern, muss man mit den Gedanken in den Köpfen beginnen. Also war ich sehr neugierig, fand allerdings die gewählten Beispiele jetzt nicht krass genug. Ich kenne genügend Jungs die Backen, im Nähkurs meiner Töchter war auch ein Junge, aber Jungs die Angeln kenne ich nicht so viele (das ist ja auch langweilig, mit dem vielen rumsitzen), dafür sind aber auch im Grundschulalter Teddybären noch eine Selbstverständlichkeit. In sämtlichen Ferienfreizeiten meiner Töchter waren die Gruppen durchmischt und es gab Angebote, die jeder wahrnehmen konnte, auch wenn einige Angebote mehr Jungs anlockten als Mädchen. So der ganz krasse Mädchenkitsch wie Barbies, Prinzessinnenkostüme, Glitzerkram und Schminke fehlten hier in der Tierwelt ebenso wie Roboter, Waffen, Mondraketen, Technik, Schnitzmesser..... Daher brauchte ich dringend eine Kindermeinung für dieses Buch mit der Altersempfehlung 4 – 6 Jahre.

Die fast 4 jährige Emilia fand offensichtlich den Textanteil zu hoch, nach 1,5 Seiten im öden Schwimmbadcafé schaltete sie ab. Der nächste Versuch scheiterte ebenso schnell. Nein, ich habe ein Kind aus einer lesebegeisterten Akademikerfamilie gewählt, daß durchaus eine positive Einstellung zu Büchern hat, aber auch die wirklich zauberhaften Illustrationen von Carola Sieverding konnten ihre Aufmerksamkeit nicht lange fesseln. Das Text-Bild-Verhältnis ist wohl für 4 Jährige noch zu textlastig, daher würde ich es für die Altersgruppe 5 – 7 Jahre empfehlen.

Da in der turbolenten Vorweihnachtszeit mir einfach kein Kinder der entsprechenden Altersgruppe mehr begegnete und meine Jüngste (9) immer wieder nach dem Buch schielte, wurde sie meine nächste Zuhörerin. Ihre Konzentrationsspanne war kein Problem. Ihr Urteil: nein, das darfst Du nicht verschenken, das will ich behalten! - Warum? - Weil es cool ist, es erklärt ganz klar, dass nicht alle gleich sind und jeder mögen darf was er will. Als ich sie fragte, ob das mit den typischen Rollenbildern in der Geschlechterverteilung gut rübergekommen wäre, schaute sie mich nur fragend an.

Die Sprache ist gut verständlich, wenn auch die Sätze für 4 Jährige noch zu lang und der Textanteil zu hoch. Die Begriffe sind bekannt, die Gedanken für die meisten Kinder aber so nicht relevant, weil in der Praxis die Gesellschaft doch sehr viel offener ist, als man es meinen mag. Die Akzeptanz von Querdenkern fand meine Tochter aber sehr deutlich und hilfreich.

Collien Ulmen-Fernandes ist Mutter einer kleinen Tochter (jetzt 5) und gibt Erziehungsratschläge gemeinsam mit Jesper Jul und Kirsten Fuchs im Familientrio der Süddeutschen Zeitung. Meistens tendiere ich zu den Ansichten von Kirsten Fuchs und am Wenigsten zu Jesper Jul, die mir zu realitätsfern sind. Daher war ich auf diese Bilderbuchumsetzung sehr gespannt. Man muss natürlich überlegen, daß die Umsetzung durch die Wahl der Tiere als Erklärmedium beschränkt ist. Backende oder angelnde Otter kann man sich wohl besser vorstellen als Barbie spielende und PC-zockende Otter.

Optisch hat Carola Sieverding die Geschichte wunderbar umgesetzt, mit herrlich leuchtenden und fröhlichen Farben. Mit ganz vielen liebevollen Details gibt es jede Menge zu entdecken und so werden Kinder das Buch auch immer wieder gerne zur Hand nehmen, es durchblättern und die Geschichte durch den Kopf gehen lassen. Die Gestaltung finde ich ausgesprochen gelungen.

Veröffentlicht am 09.04.2019

Sie lehrt Sherlock das Staunen

Der Fall des verschwundenen Lords
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Vor 10 Jahren verstarb der Vater des berühmten Privatdetektivs Sherlock Holmes und seines bürokratischen Bruders Mycroft. So lange schon waren die zwei nicht mehr auf dem Familiensitz Ferndall Hall. ...


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Vor 10 Jahren verstarb der Vater des berühmten Privatdetektivs Sherlock Holmes und seines bürokratischen Bruders Mycroft. So lange schon waren die zwei nicht mehr auf dem Familiensitz Ferndall Hall. Ihre Vierzehnjährige Schwester Enola ist fest davon überzeugt, daß es daran liegt, dass sie sich für sie schämen, die Schande, die ihre Eltern so spät bekamen, immerhin war ihre Mutter damals schon 50! Doch als an ihrem Geburtstag ihre Mutter, eine freigeistige Künstlerin und Frauenrechtlerin, spurlos verschwindet, ohne ihre Tochter mitzunehmen oder ihr einen Brief zu hinterlassen, ruft sie ihre Brüder herbei. Nicht nur Enola staunt, als ihre Brüder ihr offenbaren, warum sie sich solange nicht haben blicken lassen, auch ihre Brüder staunen, über den Zustand des Gutes, des Herrenhauses, sowie des ungebändigten Zustands der Schwester. Ganz eindeutig muß Enola in ein Internat, doch dass sieht diese anders, sie muß ihre Mutter finden. Während Mycroft ihre Internatsgarderobe schneidern lässt, plant sie ihre Flucht und findet dabei immer wieder versteckte Hinweise ihrer Mutter, geheime Botschaften und Codes, speziell an sie gerichtet. Um ihre Spuren vor ihren logisch rationalen Brüdern zu verschleiern, geht sie bewußt planlos vor und stolpert so, in den Fall eines spurlos verschwunden Zwölfjährigen Lords, der die Presse in Atem hält. Da kann sie ihre Familienspürnase leider nicht bremsen und geht der Sache nach.

Enola ist ein interessanter Charakter, ebenso wie ihre freigeistige Mutter, die sie so ganz anders erzogen hat, als es für Töchter der besseren Gesellschaft damals üblich war. Während dies reflektiert wird, ebenso wie die Eigenheiten und Schrullen von Lady Eudoria Holmes, wird einem doch deutlich wie weit die Frauenrechte inzwischen gediehen sind. Vieles was für uns heute selbstverständlich ist, war 1888 völlig undenkbar. Da es ein Jugendbuch ist, ist es auch unglaublich wichtig, dies den jungen Leserinnen vor Augen zu führen. Frauen wie Eudoria Holmes haben dafür gekämpft und einiges an Kritik und gesellschaftlicher Ächtung hingenommen, damit wir heute die Wahl haben zu sein wer wir sind und zu werden, wer wir wollen und nicht zwangsläufig Ehefrau und Mutter oder eben nicht nur. Das ist zwar wichtig und interessant, nimmt aber auch viel Raum in dem Roman ein, ebenso wie die Schilderung der Personen und Gegebenheiten, so daß erst auf S. 100 der titelgebende Fall beginnt. Das empfinde ich als ein typisches Problem von Reihenauftaktbänden, daß eben sehr viel Zeit und Seiten auf die Einführung in diese neue fremde Welt investiert wird. Das ist zwar für die folgenden Bände notwendig, sollen die Charaktere nicht wie bloße Abziehbilder wirken, aber für einen Krimi lässt der Fall schon sehr lange auf sich warten.
Als der Kriminalfall des verschwundenen Lords dann endlich begann, war ich etwas enttäuscht, daß er so schnell auch schon wieder vorbei war, aber das war ein Trugschluss. Denn das Blatt wendete sich erneut.Was später kam war wirklich unglaublich spannend, auch wenn es nicht so schwer zu erraten war, wer denn dahinter steckte. Das fand ich etwas schade. Sehr spannend fand ich aber immer wieder die Codes, die Lady Holmes für Enola hinterließ (so kann man ihren Vornamen auch rückwärts erlesen und erhält dann? Jawoll, ein Gefühl, daß sie oft überkommt). Wie die Codes funktionieren, wird ausführlich erklärt. Auch die Frage, ob Enola letztendlich von ihren Brüdern erwischt wird und im Internat landet, ist immer und allgegenwärtig.

Nancy Springer schreibt flüssig und sehr anschaulich z.B. über die Qualen die die damalige Damenmode nicht nur durch ihre sperrigen Korsetts verursachte. Auch die gesellschaftlichen Probleme, die Dickens in seinen Gesellschaftsromanen anprangert, wie die Armut und Verelendung ganzer Stadtviertel, werden einen durch Enola und ihren kleinen Lord sehr plastisch vor Augen geführt. Vom Ausdruck und dem Erfahrungshorizont her, kann Nancy Springer sich hervorragend auf ihr junges Publikumab 12 Jahren einstellen. So bereichern sie ihren Horizont, mit einem nach Anlaufschwierigkeiten sehr spannenden Kriminalfall. Die Reihe ist in der amerikanischen Heimat der Autorin so erfolgreich, daß sie mit Millie Bobby Brown („Stranger Things“) in der Rolle der jungen Detektivin verfilmt wird. Nächstes Jahr soll der Film dann in die Kinos kommen.

Auf den zweiten Band, der direkter zur Sache kommen dürfte, bin ich schon jetzt gespannt und werde die Reihe sicherlich weiterverfolgen.

Veröffentlicht am 28.03.2019

Wilde Abenteuer mit tierischem Oliver Kalkofe

Die Gäng vom Dach
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Die Gäng vom Dach klingt nach einem wilden Haufen nicht ganz so kuscheliger Tiere. Aber nein, anfangs sind es nur Eule Lulu und Waschbär Wolle, die es sich auf einem Dachboden gemütlich eingerichtet haben. ...

Die Gäng vom Dach klingt nach einem wilden Haufen nicht ganz so kuscheliger Tiere. Aber nein, anfangs sind es nur Eule Lulu und Waschbär Wolle, die es sich auf einem Dachboden gemütlich eingerichtet haben. Doch der Hunger ruft sie zu Abenteuern und die arrogante Katze Seide, die ihnen ihr Katzenfutter nicht gönnt, empfiehlt ihnen einen Trip zum Supermarkt. Als Dank für den Tipp fordert sie einen Becher Sahne. Was mag so ein Supermarkt sein? Lulu und Wolle erreichen ihn und staunen. Sie folgen ihrer Nase (denn nachts ist der Markt geschlossen) und landen an einem rumpelnden Container, aus dem sie den frechen Marder Ecki befreien. Gemeinsam „containern“ sie und transportieren alles in einem Kindereinkaufswagen zurück. Naja, das ist der Plan, doch dann bebt die Erde und eine noch viel wildere Horde ist im Anmarsch, da stellen sich den drei neugefundenen Freunden Fell und Federn auf!
Die Gäng vom Dach wird ab 7 Jahren empfohlen, das wäre also eigentlich noch etwas für meine Töchter mit 9 und 11 Jahren. Meine 11 Jährige empfand sich als eindeutig viel zu alt und die Einschätzung finde ich zutreffend. Es ist ein wirklich schönes Hörbuch mit vielen Tieren und Abenteuern, die durchaus auch ab 4 Jahren geeignet sind, aber schon für 9 Jährige ist es grenzwertig (meiner Jüngsten gefällt es aber schon). Die Geschichte ist in einzelne Kapitel unterteilt, zwischen denen jeweils ein vom Autor gesungenes Lied (vollständiger Text der 6 Songs ist im Booklet abgedruckt) eingespielt wird. Sollte die Geschichte für Jüngere zu lang sein, kann man sie dadurch leicht in sinnvolle Höreinheiten einteilen. Meine Tochter kann das Titellied auch nach Wochen noch mit Text mitsingen, und die jüngere Schwester inzwischen auch, aber mich hat das Lied nicht verfolgt, sondern „Freiheit für Knolle“. Meine Älteste mag Lieder lieber weichgespülter. Ich war sehr froh, daß es kein Kitsch-Bling-Bling ist, dennoch finde ich es sehr geschickt, daß der Verlag den Liedern eigene Tracks gegeben hat. Wer die Lieder liebt, kann sie so einzeln anspielen, oder wie ich, überspringen (beim wiederholten Hören). Die Lieder sind nicht schlecht, aber ich finde auch bei Disney-Filmen in den meisten Fällen die Lieder absolut entbehrlich. Sie sind aber nicht furchtbar oder unerträglich, wer die gängigen CDs von Kinderliedermachern kennt, weiß wahrscheinlich was ich meine. Autor Andreas Hüging ist seit 20 Jahren Musiker. Er hat eine angenehme Stimme und man kann den gesungen Text sehr gut verstehen, ohne daß es überbetont wirkt.
Inhaltlich erinnert mich diese Geschichte etwas an „Villa Wunderbar“ die meine Jüngste liebt, wobei ich die etwas geeigneter für Mädchen empfinde und diese hier etwas mehr für Jungs, was an den Stimmen der Sprecher liegen dürfte. Es ist aber lediglich eine Tendenz, beide Abenteuer sind für Jungs und Mädchen geeignet.
Sehr schön finde ich, daß man auch etwas über die jeweiligen Tierarten lernt, wenn natürlich die Tiere hier schon einige allzu menschliche Eigenschaften haben. Aber so lernen Kinder zum Beispiel, daß eine Horde Wildschweine Rotte heißt und man ihnen besser aus dem Weg gehen sollte. Die Abenteuer der Gäng steigern sich und die Gäng wächst. Wolle und Lulu sind sehr offen auch für neue Freundschaften, so daß sich der Freundeskreis aufs abenteuerlichste erweitert, wenn auch nicht alle dauerhaft unter dem Dach einziehen.
Anfangs kam ich mit den Namen Knolle und Wolle durcheinander, da ich es als Einschlafgeschichte hörte, um zu wissen, ob es nicht zu aufregend für Kinder ist. Für empfindsame Kindergartenkinder beim ersten Hören trifft dies wahrscheinlich schon zu, sobald der gute Ausgang der brenzligen Situationen, die die Freunde natürlich mit Bravour meistern, bekannt ist, werden aber auch Kleine nicht mehr unnötig verschreckt. Nachdem ich mir die Illustrationen von Anna-Lena Kühler im Booklet angeschaut habe, war aber alles klar. Die Illustrationen sind wirklich sehr süß und werden von den Kindern während des Hörens gerne angeschaut.
Gereizt hat mich das Hörbuch vor allem wegen des Sprechers Oliver Kalkofe. Wahrscheinlich ist seine bisweilen raue, ungeschliffene Stimme der Grund, weshalb ich es tendenziell eher für Jungen empfehle. Er krächzt und grunzt, bis ich wahrscheinlich heiser wäre. Besonders dem Schlawiner Ecki verleiht er die nötigen Ecken und Kanten. Seine Stimme verhindert, daß die Geschichte allzu süß und doch eher gängmäßig wild klingt. Die humorvollen Passagen unterstreicht er gekonnt, vor allem bei Kaninchen Wolles Dicht“künsten“ und Eckis frech gereimten Antworten.
Ein schönes Hörbuch, daß bei mir aber nicht ganz zünden konnte, wahrscheinlich da ich aufgrund der Altersangabe etwas Wilderes erwartet habe. Für Kinder von 4 – 8 Jahren aber sicherlich ein vergnüglicher Hörspaß, vor allem wenn sie die Musik mit Text mögen (Hörproben finden sich im Netz), hat es das Potenzial auf Dauer im CD-Spieler einzuziehen.