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Veröffentlicht am 15.04.2019

Ein Spiel mit der Wahrheit

Der Stotterer
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Der Stotterer ist ein Meister des Wortes, aber nur des geschriebenen. Denn wie der Titel des Buches schon verrät, versagt er beim Sprechen. Nun sitzt er in der Haftanstalt eine Strafe für seine Betrügereien ...

Der Stotterer ist ein Meister des Wortes, aber nur des geschriebenen. Denn wie der Titel des Buches schon verrät, versagt er beim Sprechen. Nun sitzt er in der Haftanstalt eine Strafe für seine Betrügereien ab, denn seine Meisterschaft hat er im Unredlichen perfektioniert. Abzockerei per Brief bei Partneragenturen und den Enkeltrick hat er geradezu perfektioniert, aber letztendlich war seine Eitelkeit größer als seine Vorsicht und nun sitzt er ein.

Hier beginnt er mit Tagebuchschreiben und Briefen an den Gefängnispfarrer, den er Padre nennt. Mit seiner dramatischen Kindheit, er wuchs in einer freikirchlichen Sekte auf, erduldete Prügel und seelische Misshandlungen, punktet er schnell beim Padre. Vor allem seine profunde Bibelkenntnis untermauert seine Geschichte. Aber was ist die Wahrheit? Diese Frage stellte ich mir das ganze Buch.

Lewinsky benützt seinen Protagonisten um mit dem Leser zu spielen, er wiegt ihn in Sicherheit, lässt ihn eine Geschichte glauben und stürzt ihn sofort im nächsten Kapitel wieder in Zweifel. Genauso manipulativ wie der Stotterer mit seinen Briefen, verführt der Autor den Leser. Dabei benützt virtuos die Sprache. Sein Stil passt sich der jeweiligen Geschichte an, die Briefe an den Anstaltspfarrer, seine „wahren“ Tagebucheinträge und zwischendurch immer wieder kleine Prosastücke, die als Fingerübungen bezeichnet werden und in den Stärckle sein literarisches Können unter Beweis stellen will. Diese Geschichten sendet er dem Pfarrer, der in seinem Namen an einem Literaturwettbewerb teilnehmen soll.

Lewinsky gelingt es, für seinen Protagonisten Sympathie, ja stellenweise sogar Bewunderung zu wecken. Sein Stil ist brillant, voller Esprit und kurzweilig humorvoll, bis ich an den Punkt gelangte, wo mir diese so offensichtlich zelebrierte Gewandtheit langsam zu viel wurde, manchmal wäre weniger mehr gewesen und nicht jeden Wortwitz muss man mitnehmen. Aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt an dieser unterhaltsamen und eleganten Hochstaplergeschichte.

Haben wir am Ende Stärckles wahre Geschichte erfahren, wer weiß?

Veröffentlicht am 11.04.2019

Wie ein Märchen

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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Girifalco ist ein verschlafenes Nest. Wir sind in den 60iger Jahren, dort lebt der Postbote – so wird er im Laufe des Buches nur genannt und tagein tagaus sieht man ihn mit seiner Tasche durch die Straßen ...

Girifalco ist ein verschlafenes Nest. Wir sind in den 60iger Jahren, dort lebt der Postbote – so wird er im Laufe des Buches nur genannt und tagein tagaus sieht man ihn mit seiner Tasche durch die Straßen ziehen. Es könnte ein ereignisloses Leben sein, aber der Postbote hat sein Geheimnis.
Als vaterloser Junge aufgewachsen, ohne großen Ehrgeiz, fast träge, kommt eines Tages in der Schule sein Talent Schriften zu kopieren sehr gelegen, er hilft einer Mitschülerin den Zorn des ungerechten Lehrers abzuwenden. Aber erst als er Postbote wird, hat seine Berufung gefunden. Es ist ein Zufall, der ihn beim ersten Mal dazu verführt einen Brief zu öffnen. Von da an geht kein Brief ungelesen durch seine Hände. Er kopiert jedes Schreiben und archiviert sie. Er kommt krummen Machenschaften auf die Spur, liest von heimlicher Liebe und unglücklichen Begebenheiten. Aber er begnügt sich nicht damit nur zu lesen. Er beginnt in das Leben seiner Dörfler einzugreifen. Ein Liebesbrief hier, eine verklausierte Warnung dort, so lenkt er die Geschicke seiner Nachbarn, verhindert Unglück und bringt Paare zusammen, deren Schüchternheit ihnen im Wege stand. Er zieht keinen Nutzen aus seinem Tun, im Gegenteil, er will helfen.
Auch sammelt er „Zufälle“, notiert, nummeriert und archiviert sie, genau wie Zeitungsberichte, die ihm kurios erscheinen.
Doch zwischen dem Leben der Anderen verliert er fast seine eigenen Träume und Wünsche aus den Augen.
Jedem der Kapitel ist ein fast märchenhafter Satz als kleine Inhaltsangabe vorgestellt. Wie überhaupt das ganze Buch den Eindruck eines Märchens macht. Es ist eine untergegangene dörfliche Welt die der Autor beschreibt. Das ist sehr warmherzig und mit spürbarer Liebe zu den beschriebenen Personen erzählt. Die Figuren – es sind eine ganze Menge und glücklicherweise gibt es ein ausführliches Personenregister – werden lebendig, der Leser taucht schnell in ihr Leben ein und leidet und freut sich mit ihnen. Ein ganzer Kosmos wird dargestellt, bildhaftig und farbig. Ich hatte das Dorf vor Augen und es erinnerte mich an die alten S/W Filme von Don Camillo. Verschmitzt und tragisch-komisch. Der Autor hat ein ganz eigenen Ton gefunden und mich damit überzeugt.
Dazu passt das gewählte Foto des Schutzumschlags ganz ausgezeichnet.

Veröffentlicht am 10.04.2019

Schöne Urlaubslektüre

Mit James auf Sylt
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„Der Mann an Janas Seite hatte volles schwarzes Haar, blendend weiße Zähne, einen beeindruckend athletischen Körper und wunderschöne bernsteinfarbene Augen“

So stellt man sich ein Prachtexemplar vor ...

„Der Mann an Janas Seite hatte volles schwarzes Haar, blendend weiße Zähne, einen beeindruckend athletischen Körper und wunderschöne bernsteinfarbene Augen“

So stellt man sich ein Prachtexemplar vor und es ist auch ein Prachtexemplar von einem Neufundländer!

Jana hat ihrer Schwester versprochen auf den Hund aufzupassen, zwei Monate lang in deren Ferienwohnung auf Sylt. Dabei mag Jana gar keine Hunde und solche Riesen erst recht nicht. Aber so kurz vor der Geburt mag sie der Schwester den Wunsch nicht abschlagen und da es für sie beruflich nicht sonderlich gut läuft, kommt ihr das Angebot gerade recht.

Schnell stellt sich heraus, dass James, so heißt der Hund, eine Herausforderung für sie ist. Verzogen und nicht sonderlich gehorsam, setzt James meist seinen Willen durch und Jana hechelt hinterher. Dabei ist er ein liebevolles, freundliches Tier wenn es nach seinem Kopf geht. Diese Turbulenzen sorgen für die Bekanntschaft mit einem Sylt-Urlauber samt Weimaraner Hündin und dem Hundetrainer, den James dringend benötigt.

Mit einem Hund auf Sylt - nach diesem Buch werden viele Hundebesitzer die vielen Tipps, die in diesen Roman einflochten sind ausprobieren können. Ich habe zwar keinen Hund, habe mich mit dieser Geschichte aber köstlich amüsiert. Es ist eine leichte, humorvolle Sommergeschichte, die von der ersten Seite an Urlaubsfeeling verbreitet. Die Figuren sind allesamt, wie aus dem Leben gegriffen, die unsympathischen wirken ganz besonders realistisch. Eine amüsante und locker-flockige Liebesgeschichte bringt noch mehr Unterhaltung in die Geschichte.

„Ein Glücksroman“- so heißt der Untertitel und das passt. Von Anfang an begleitete ein Lächeln meine Lektüre. Also genau das richtige Buch für einige unterhaltsame Lesestunden, vielleicht sogar im Strandkorb am Meer.

Veröffentlicht am 25.03.2019

Wiedergefundene Wurzeln

Was uns erinnern lässt
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In ihrer Freizeit sucht Milla nach „Lost Places“ und im ehemaligen Grenzgebiet der DDR, unweit des Rennsteigs macht sie eine sensationelle Entdeckung. Mitten im Wald findet sie Bauschutt und eine Falltür ...

In ihrer Freizeit sucht Milla nach „Lost Places“ und im ehemaligen Grenzgebiet der DDR, unweit des Rennsteigs macht sie eine sensationelle Entdeckung. Mitten im Wald findet sie Bauschutt und eine Falltür die zu einem Keller führt. Geschirr, Leinen, Silberbesteck – alles mit dem Namen Hotel Waldeshöh. Aber auch alte Schulhefte findet sie, mit den Namen Andreas und Christine Dressel.
Es gelingt ihr Christine ausfindig zu machen und sie erfährt von Dressels Forst und der Geschichte des Hotels und der Familie.
In Rückblenden erzählt die Autorin von der Kriegszeit und den Anfängen der DDR. Wie schwierig es für die Familie Dressel im Grenzgebiet wurde. Eingeschlossen im Sperrgebiet und immer von der Ausweisung bedroht werden die Jahre 1957 bis 1977 prägend für die Familienmitglieder. Kein Gang ins nächste Dorf ohne Passierschein, kein Spaziergang im umgebenden Wald ohne die ständige Angst auf Grenzbeamte zu treffen, abgeschnitten von der Umgebung hoffen die Dressels immer noch, das Haus zu erhalten, vielleicht als Ferienheim für den FDGB, zumindest als Heimat. Aber die Schikanen werden immer perfider, der Überwachungsstaat hat sich perfektioniert und schon lange ist Freundschaft keine Garantie mehr für Loyalität.
Diese Familiengeschichte ist warmherzig erzählt. Die Nachkriegszeit und die Geschichte der frühen DDR wird hier im Einzelschicksal lebendig. Dabei gelingt es der Autorin Gegenwart und Vergangenheit zu verschmelzen und ihren Hauptfiguren Milla und Christine so viel Leben einzuhauchen, dass ich meinte, sie sprechen und erzählen zu hören. Wie die beiden Frauen zu Freundinnen werden und wie sie gemeinsam an eine Zukunft von Dressels Forst glauben, gefiel mir außerordentlich gut. Dabei kommen sie Geheimnissen auf die Spur, die Familie bis ins Mark erschüttern.
Ein ruhiger dahinfließender Erzählstil passt zu diesem Roman, es ist anrührend, aber ohne falsche Sentimentalität geschrieben. Eine schöne und bereichernde Lektüre.

Veröffentlicht am 24.03.2019

Bauhof Helden

FASTENPREDIGT IN UNTERFILZBACH
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Hansi Scharnagl aus Unterfilzbach ist mit seinem Job im Bauhof rundum zufrieden. Immer an der frischen Luft, im Winter Spaß beim Schneeräumen mit dem Hero 2000 – was will er mehr. Zudem hat er es zu einer ...

Hansi Scharnagl aus Unterfilzbach ist mit seinem Job im Bauhof rundum zufrieden. Immer an der frischen Luft, im Winter Spaß beim Schneeräumen mit dem Hero 2000 – was will er mehr. Zudem hat er es zu einer gewissen lokalen Berühmtheit gebracht, nachdem es ihm erst kürzlich gelungen ist, ein dörfliches Verbrechen zu lösen. Das hat ihn sogar auf die Liste zur nächsten Gemeinderatswahl gebracht. Kein Wunder, dass ihm das alles ein wenig zu Kopf gestiegen ist, seine Frau Bettina hat es im Augenblick nicht leicht.
Ein Dorf voller uriger Individuen, alle leicht überzeichnet, aber mit Sympathie und Liebe zum Niederbayern beschrieben. Das hat mir richtig Spaß gemacht. Genau wie die die niederbayerischen Dialekteinsprengsel. Ich könnte jetzt gar nicht sagen, an wem ich die meiste Freude hatte, ob es der Hansi oder der stille Sepp ist oder gar Ashanti ist, der seine Vertreterkarriere nach der Erleuchtung an den Nagel gehängt hat.
Jedenfalls hat in dieser Krimikomödie die Komödie eindeutig das Übergewicht. Es ist eine liebevolle Dorfposse, in der sogar Mord und Erpressung komödiantisches Potential haben und die Bösewichte verdiente Strafe bekommen.
Ein schöner Ausflug nach Niederbayern, der Lust auf mehr macht und ich bin schon gespannt, wie es auf dem Unterfilzbacher Bauhof weitergeht.