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dear_fearn

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.04.2019

Der Unterschied zwischen warmen und kalten Dingen

Das Haus meiner Eltern hat viele Räume
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Dieses Buch berührt mich in besonderem Maße, da meine Eltern gestorben sind, als ich 17 war. Meine Geschwister und ich wollten uns vom Haus nicht trennen, konnten es aber auch nicht länger unterhalten. ...

Dieses Buch berührt mich in besonderem Maße, da meine Eltern gestorben sind, als ich 17 war. Meine Geschwister und ich wollten uns vom Haus nicht trennen, konnten es aber auch nicht länger unterhalten. Nach zwei Jahren hat meine Schwester mit Mann und Kindern den Schritt gewagt, das Haus übernommen und uns Geschwister ausgezahlt. Ein großer Schritt, der mit vielen Tränen, Angst und Reibereien einherging. Auszuräumen fiel uns schwer, wir sortieren auch 7 Jahre später noch.

Ursula Ott erzählt von ihrer 87-jährigen Mutter, die ihr Haus in Ravensburg verkauft und in eine Wohnung nach Stuttgart, näher zu ihren beiden Töchtern, zieht. Der Vater ist viele Jahre tot, die Mutter allein, nach einigen Unfällen steht der Beschluss fest. Einfach ist dieser Entschluss für keine der Frauen, es fließen viele Tränen. Die Trauer über den Abschied vom Zuhause ist groß - jetzt heißt es, erwachsen zu werden. Der schützende Unterschlupf ist endgültig weg.

Ursula Ott beschreibt sehr gelassen und mit Witz die Entscheidungen und Herangehensweisen an das Ausräumen des Hauses. Dinge wegzuwerfen fühlt sich falsch an, aber niemand braucht zwei Bowleschüsseln mit je einem Dutzend Gläsern dazu oder riesengroße Eichenholzschrankwände, wo die Wohnungen doch immer flexibler und kleiner werden. Wohin also mit all den Sachen?
Beim Aussortieren beobachtet sie sehr genau, wie sich manche Dinge anfühlen. Es gibt warme und kalte Dinge. Warme Dinge, die man liebt und die ein positives Gefühl vermitteln, werden aufgehoben. Kalte Dinge, an denen schlechte Erinnerungen hängen oder die negative Gefühle hervorrufen, kommen weg. Und "weg", das bedeutet Sachspenden an Kirche, Sozialkaufhaus und Geflüchtete. Sie nimmt sich viel Zeit, ihrer Mutter zu manchen Dingen Fragen zu stellen, mehr über fragwürdige Fundstücke herauszufinden und sie noch einmal neu und besser kennenzulernen. So wird das Haus nach und nach leergeräumt und nach einem Jahr schließlich verkauft.

Die Autorin hat keinen Ratgeber/kein Sachbuch geschrieben, sondern in einer Erzählung aus privater Sicht, mit Rückhalt aus anderer Literatur und Gesprächen mit Psychologen und Anwälten das Thema liebevoll und warmherzig aufgearbeitet. Es ist eine kurze, trotz schwerem Thema leichte Lektüre, die jeder gelesen haben sollte, um vorbereitet zu sein oder - wie in meinem Fall - die Dinge mit neuer Perspektive anzupacken.

Trotzdem:
"Es ist schön, immer wieder in die Erinnerungen einzutauchen, um zu verstehen, woher man kommt und wer man ist."

Veröffentlicht am 10.04.2019

OMG! *-*

#ichwillihnberühren
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Die Ausgangssituation kann wirklich blöder nicht sein: OJ & ER liegen auf dem Bett beim netflixen, als Kumpels. ER nur in Boxershorts, OJ daneben und völlig verkrampft. Verkrampft, weil er seit bald zwei ...

Die Ausgangssituation kann wirklich blöder nicht sein: OJ & ER liegen auf dem Bett beim netflixen, als Kumpels. ER nur in Boxershorts, OJ daneben und völlig verkrampft. Verkrampft, weil er seit bald zwei Jahren verliebt in ihn ist und Angst hat, einen Schritt zu wagen. Also, was tun? OJ verfasst einen Jodel - DEN Jodel - und eröffnet der anonymen Frankfurter Jodelgemeinde Einblick in diese absurde Situation und OJ's verzwickte Lage.

Zur Generation Jodel gehöre auch ich, deshalb ist es fantastisch, dass sich die Menschen, die sonst im Deckmantel der Anonymität auf Jodel Beschimpfungen und Trolls loslassen, plötzlich so liebevoll engagieren, Tipps geben, helfen wollen, Mut machen, aber vor allem OJ die Gelegenheit geben, seinen Gefühlen Luft zu machen und Unterstützung zu bekommen.

OJ ist ein schüchterner Typ, irgendwie ein Lauch, und einer, bei dem sich das Gedankenkarussell nonstop dreht. Vor allem, wenn ER dabei ist: Kann er diesen oder jenen Satz so sagen? War das jetzt peinlich? Machen Kumpels das so? Oder schlimmer: Wenn er einen Schritt wagt, wie wird ER reagieren? Zieht ER sich angeekelt zurück? Zerbricht die Freunschaft, wenn ER von seinen Gefühlen erfährt? Was passiert, wenn ER weitererzählt, dass OJ schwul ist - werden ihn die anderen Freunde dann meiden?

Eine Scheißsituation. Man, aber so kann's ja auch nicht weitergehen. Das macht ihm die Jodelgemeinde klar. Mit gestärktem Selbstvertrauen durch so viel Zuspruch wird OJ mutiger. Und so richtig spannend wird es, als ER die Situation mal aus seiner Sicht beleuchtet und die Erzählperspektive wechselt.

Beim Lesen hatte ich selten so schwitzige Hände und so viel Herzklopfen bis zum Hals. Wow! Das ist kein Weichspülerliebesroman, sondern Adrenalin pur!

Veröffentlicht am 06.08.2020

Lesen und mitpilgern

Abenteuer Olavsweg - Eine Frau pilgert den Neuanfang
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Stefanie Jarantowskis Buch "Abenteuer Olavsweg" macht mit seinen 315 Seiten einen üppigen Eindruck, aber hat mal einmal reingelesen, kann man es nicht mehr aus der Hand legen und ist ratzfatz durch die ...

Stefanie Jarantowskis Buch "Abenteuer Olavsweg" macht mit seinen 315 Seiten einen üppigen Eindruck, aber hat mal einmal reingelesen, kann man es nicht mehr aus der Hand legen und ist ratzfatz durch die Seiten geflogen. Im Klappeinband sind die Karten der Reise-Etappen abgebildet und in der Mitte gibt es eine Auswahl an Fotos zu sehen.

Nachdem die Autorin ihr Start-up verkauft hat, schleicht sich eine Leere ein, die es zu besiegen gilt. Das Pilgern des Olavswegs soll den Kopf frei machen und Klarheit bringen, wie der nun beginnende, neue Lebensabschnitt aussehen soll. 643 km von Oslo nach Trondheim sind ein großes Ziel, bei dem Ehrgeiz und Glaube (auch an sich selbst) nicht fehlen darf.

Der Reisebericht ist ähnlich einem Tagebuch geschrieben. Tag für Tag erlebt der Leser die einzelnen Pilgeretappen gemeinsam mit Stefanie und ihrem Mann Stephan. Da die beiden das Land Norwegen zum ersten Mal bereisen, gibt es einiges zu entdecken, was das Buch perfekt für Leser macht, die Norwegen nicht kennen, aber eben auch für Leser wie mich, die Norwegen lieben und die bei diesen Beschreibungen das Fernweh packen wird. Ob nun das erste Mal der von den Norwegern geliebte Karamellkäse Brunost probiert wird oder die erste Moltebeere gefunden und gekostet wird, es sind einfach herrliche Lesepassagen, die mir unheimlichen Spaß gemacht haben. Die beiden gehen einen teilweise schmerzhaften, anstrengenden, aber auch belohnenden Weg, bei dem auch ein bisschen Heiterkeit nicht fehlen darf. Diese Lesereise hat mir sehr gut gefallen und ich habe sie als ungeschönt und echt empfunden, deshalb klare Lese-Empfehlung!

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Die Dunkelheit in den Menschen

Licht und Schatten
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Als Vida auf die Welt kommt, muss ihre Mutter dafür ihr Leben lassen. Sie wächst bei ihrem Vater Solomon und ihren drei Tanten Eka, Asha und Riva auf. Die Geschichte spielt in Sibirien um 1700, aber zu ...

Als Vida auf die Welt kommt, muss ihre Mutter dafür ihr Leben lassen. Sie wächst bei ihrem Vater Solomon und ihren drei Tanten Eka, Asha und Riva auf. Die Geschichte spielt in Sibirien um 1700, aber zu Beginn merkt man von der genauen Umgebung nicht viel, da sich alles im kleinen Dörfchen Warrosch abspielt, das Vida in ihrer Kindheit auch nicht verlässt. Sie wird von ihren Tanten unterrichtet und nutzt ihre freie Zeit, um durch die Wälder zu streifen. Mit neun Jahren rettet sie einem Bären das Leben, erfährt, dass sie mit Toten sprechen kann und ihnen zu Erlösung verhelfen kann, und trifft den Architekten, der ihr ihre Zukunft verrät. Ab diesem Monat verändert sich ihr Leben und die Tanten unterrichten sie über ihre wirkliche Identität und die Verantwortung, die auf Vidas Schultern lastet: Sie ist die Erlösung der von Dunkelheit geplagten Welt.

In die erste Hälfte des Buchs habe ich mich so richtig verliebt: Ich war ganz vernarrt in den zweiten Erzählstrang, der sich um den Wächter dreht. Er ist eine schaurig-düstere Gestalt, die Vidas Seele rauben soll, sobald sie geboren wird, um die Dunkelheit zu erhalten. Auch, dass um den geretteten Bären ein weiterer Erzählstrang gesponnen wurde, hat mir sehr imponiert. Ingesamt finde ich die Welt, die Zoran Dvrenkar erdacht hat, faszinierend und durchdacht. Ich war durchweg begeistert!

Mit dem Ende des Wächter-Teils schwand meine Begeisterung ein wenig. Auch der Rest der Geschichte ist wundervoll geschrieben und mit ein bisschen Fantasie läuft ein fabelhafter Film vor dem inneren Auge ab. Denn natürlich ist der Wächter nicht der einzige Bösewicht. An Bösem mangelt es Drvenkars Welt nämlich ganz und gar nicht. Trotzdem war ich mit dem weiteren Verlauf der Handlung nicht ganz so zufrieden und habe das Ende vermutlich einfach nicht verstanden. Für mich gehört jetzt ein zweiter Teil dazu, der das ganze noch aufdröselt und zuende denkt!

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Kurzweilige Teeniegeschichte im nordischen Flair

Elchtage
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Als Johanna in die siebte Klasse kommt, will ihre beste Freundin Sandra plötzlich nichts mehr von ihr wissen. Sie schließt sich der Schar um Lusse und Viktorias Clique an und schmachtet Jungs an. Johanna ...

Als Johanna in die siebte Klasse kommt, will ihre beste Freundin Sandra plötzlich nichts mehr von ihr wissen. Sie schließt sich der Schar um Lusse und Viktorias Clique an und schmachtet Jungs an. Johanna dagegen ist noch nicht soweit und kann dem Ganzen nichts abgewinnen. Sie zieht sich lieber in ihre Hütte im Wald zurück, die vor nicht allzu langer Zeit noch das Refugium der beiden Freundinnen war. Als an einem Abend Elche an ihrer Hütte auftauchen, entsteht ihr Traum, auf einem zu reiten. Aber so einfach ist das nicht, denn sie kommt in Kontakt mit einer Tierschutzorganisation und stößt auf Fremde im Wald, die den Elchen ebenfalls (gefährlich) nahe kommen. Als nun noch ein fremder Junge ins Spiel kommt, beginnen auch bei Johanna Veränderungen.

"Elchtage" ist die skandinavische Alternative zu Pferderomanen. Es ist eine Mädchengeschichte, in der die typischen Teeniethemen wie Cliquen und Verliebtsein bespielt werden, außerdem Klamottenkaufen, Parties und Freundschaften. Der nordische Flair wird durch die Hütte im Wald erzeugt, die Liebe zur Natur und natürlich durch die Elche, die es zu beschützen gilt.

Insgesamt finde ich das Buch ganz gut gelungen. Der Erzählstil ist einfach. Keine langen Sätze, kurze Kapitel, einige Dialoge und auch ein paar Wiederholungen. Für ein Alter ab 10/11 Jahren absolut geeignet, zumindest für Mädchen.

Etwas schade finde ich, dass vieles in der Story nach dem Ende offen bleibt, aber das wird nicht das sein, was mir im Gedächtnis bleiben wird. Was das Buch meines Erachtens sehr lesenswert macht, ist der Charakter von Johanna. Sie ist in sich absolut gefestigt und findet sich gut so, wie sie ist. Sie vergleicht sich zwar mit den anderen Mädels, findet es allerdings nicht erstrebenswert, ihnen ähnlich zu sein. Sie ist locker, nimmt sich die Dinge nicht so zu Herzen und geht humorvoll und warmherzig mit anderen um. Zu ihren Eltern und Tanten pflegt sie ein gutes und freundliches Verhältnis. Im Finnischen würde man sie sicher mit "sisu" beschreiben. Ihren gefestigten Charakter wünsche ich allen Heranwachsenden und empfehle das Buch deshalb als Inspiration für diese Zielgruppe.

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