Bardowick, ein kleines Städtchen an der Ilmenau, dessen Bewohner durch den Handel zu bescheidenen Wohlstand gekommen sind, wird Ende des 12. Jahrhunderts von einem Ritterheer zerstört. Es ist die Zeit der Intrigen und Kriege zwischen Staufern und Welfen um die Vorherrschaft in den Deutschen Landen. Leidtragende sind immer die Menschen, die zwischen die Mahlsteine der Politik geraten.
Familie Ostmann, bestehend aus dem Ehepaar Gerold und Magda sowie den Kindern Bendix und Ida, ist eine davon. Auf der Flucht aus der brennenden Stadt geht die kleine Ida verloren. Während sich Gerold und der Rest der Familie in Lübeck eine neue Existenz aufbauen können, wächst Ida, als Waise bei Neslin, einer alten Einsiedlerin, am Rande eines Weilers im Einklang der Natur auf. Kurz vor ihrem Tod enthüllt Neslin Ida die wenigen Informationen zu ihrer, Idas, Herkunft und vererbt ihr das Waldgrundstück am Flussufer. Gemeinsam mit Bauernsohn Esko und der Magd Kethe bricht Ida auf, um ihre Familie zu suchen.
Meine Meinung:
Sabine Weiß ist wieder ein großartiger historischer Roman gelungen. Eingebettet in die Zeit der Kreuzzüge, Raubritter, Intrigen und der Christianisierung der angestammten Bevölkerung „mit Feuer und Schwert“, erleben wir die Höhen und Tiefen der Familie Ostmann. Wir können teilhaben an den Schwierigkeiten, die die Flüchtlinge beim Aufbau einer neuen Existenz haben. Wir leiden sowohl mit Ida als auch mit den Verwundeten der diversen Kämpfe.
Die historischen Hintergründe sind penibel recherchiert. Der rote Faden durch das Buch sind die Flussperlen, die Ida in Flussmuscheln findet. Das wird Ida letztlich als Wilderei ausgelegt, da Flüsse samt Inhalt Eigentum des Adels und/oder Klöstern ist. Auch Bruder Bendix weiß die wertvollen Perlen zu schätzen, verdient er sein Geld ja als Goldschmied.
Sehr fein und detailliert sind die Standesunterschiede, unter denen Ida und ihr späterer Gemahl Esko zu leiden haben, dargestellt. Man heiratet nur innerhalb seines Standes. Es sei denn, eine vermögende Bürgerstochter „muss“ heiraten und ein verarmter Ritter braucht Geld. Da verschwimmen dann die Grenzen…
Für uns moderne Leser ist es kaum auszuhalten, über die begrenzten Rechte von Frauen zu lesen. Die Zeugenaussage eines Mannes ist mehr wert als die einer Frau, Frauen dürfen nichts erben, Frauen dürfen nicht unbegleitet aus dem Haus, Frauen dürfen dies nicht und das nicht. Man erwartet von ihnen, dass sie ein Kind nach dem anderen zur Welt bringen, den Haushalt führen, den Ehemann zu hofieren und seine Launen zu ertragen. Deshalb bin ich sehr froh, im hier und heute zu leben.
Die Autorin gibt ihren Lesern eine wichtige Botschaft auf den Weg mit: Achtet die Natur, betreibt keinen Raubbau. Das wird sehr subtil eingeflochten, als Esko den herzoglichen Wald bewirtschaftet. Er lässt, zum Unwillen seiner Arbeiter, nicht dem gesamten Wald abholzen, sondern nur ausgesuchte Bäume. Auch Ida erntet nur jene Muschel, bei denen sie sicher ist, dass sie Perlen enthalten. Während die Glücksritter die Muschelbänke zerstören und nur stinkendes Muschelfleisch hinterlassen.
Im Anhang finden wir ein Glossar über die wichtigsten Begriffe aus dem Mittelalter und Abbildungen von Karten, sodass wir uns sowohl zeitlich als auch örtlich orientieren können.
Fazit:
Ein gelungenes Mittelalterepos, das auch sozialkritische Töne anklingen lässt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.