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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.04.2019

Auferstanden von den Toten

Lazarus
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Mit „Lazarus“ legen Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril unter dem Pseudonym Lars Kepler ihren siebten Band rund um Joona Linna und sein Team vor. Dieser Kriminalroman ist im Februar 2019 bei ...

Mit „Lazarus“ legen Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril unter dem Pseudonym Lars Kepler ihren siebten Band rund um Joona Linna und sein Team vor. Dieser Kriminalroman ist im Februar 2019 bei Lübbe erschienen und umfasst 637 Seiten.
Eine Mordserie erschüttert Europa. Während die meisten Ermittler im Dunkeln tappen, steht für Joona Linna bald fest: Diese Morde tragen eindeutig die Handschrift des gefährlichsten Serienmörders, der Schweden je heimgesucht hat, nämlich die Jurek Walters, der vor Jahren bei einem Polizeieinsatz den Tod fand. Und noch einer Sache ist Linna sich sicher: Das eigentliche Ziel dieser Mordserie sind er und seine Familie. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Auch wenn es sich hier um den siebten Band einer Serie handelt und ich schon lange keine Kepler-Romane mehr gelesen habe, fiel es mir sehr leicht, in das Geschehen einzutauchen, denn das Autorenpaar flechtet gekonnt alle wichtigen Informationen aus der Vorgeschichte in diesen Kriminalfall ein. Man kann diesen Band also auch bedenkenlos unabhängig von den Vorgängerbänden lesen.
Vorsichtig indes sollten etwas zartbesaitetere Menschen sein, denn der Roman strotzt nur so vor Brutalität. Macht einem dieses allerdings nicht so viel aus, darf man sich auf fast 640 Seiten voller Spannung und Tempo freuen.
Der Titel des Romans, Lazarus, ist Programm: Fragt man sich am Anfang noch, ob es sich bei dem Mörder wirklich um den toten Jurek Walter handeln könnte, beginnt man nach und nach zu ahnen, dass hier doch der vermeintlich Tote seine Finger im Spiel hat.
Gleich zu Beginn wird man mit einem grausigen Leichenfund konfrontiert, und das Blutvergießen will und will im Folgenden kein Ende nehmen. Der Spannungsbogen reißt kein einziges Mal ab, und Fehler sowie Missverständnisse bei den Ermittlungsarbeiten zerren an den Nerven der Leser/innen. An einigen Stellen kann man sich über die Naivität der Beteiligten nur wundern und möchte laut aufschreien: „Tu es nicht!“ oder „Tu das und das!“ Während dieses bei anderen Romanen oft dem Lesefluss zuwiderläuft, ist es ihm hier dienlich – zumindest ich empfand es beim Lesen so -, kommt man beim Lesen doch kaum zu Atem und fliegt förmlich durch die Seiten. Gegen Ende geben sich dramatische Szenen noch einmal gegenseitig die Klinke in die Hand, und der Roman endet schließlich mit einem Cliffhanger, der auf Nachfolgebände hoffen lässt.
Immer wieder negativ aufgestoßen allerdings ist mir die Realitätsferne. Jurek Walter scheint über übermenschliche Kräfte zu verfügen, er dringt überall ein, lässt sich durch nichts und niemanden aufhalten und manipuliert alles und jeden – am Ende empfand ich es dann doch als eher „too much“. Auch die eine oder andere logische Unzulänglichkeit tritt zutage, was ich als schade wahrnahm.
Sprachlich und stilistisch ist der Krimi flott und flüssig zu lesen. Kurze Kapitel verleihen dem Lesen zusätzlich Tempo und Perspektivwechsel bieten Abwechslung, sodass sich das Buch als ein echter Pageturner entpuppt.
Die Charaktere sind detailliert gezeichnet, die Grundstimmung ist, wie man es von Skandinaviern gewohnt ist, sehr düster, und alles ist plastisch beschrieben, weshalb man beim Lesen vieles bildlich vor Augen hat und dem Geschehen gut folgen kann.
Insgesamt präsentiert sich hier ein Kriminalroman, bei dem man es mit der Realität nicht allzu ernstnehmen sollte, der sich aber von der ersten bis zur letzten Seite mühelos, spannend und temporeich lesen lässt: für Leser/innen, die auch ein bisschen mehr an Brutalität vertragen, ein unbedingtes Muss. Aufgrund der recht vielen unrealistischen Szenen gebe ich dem Roman dann aber doch „nur“ 4,5 von 5 Sternen.

Veröffentlicht am 14.03.2019

Ein mörderisches Business

Murder Swing
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Zum ersten Mal ermittelt der Vinyldetektiv, dessen Name im Roman kein einziges Mal erwähnt wird, in dem Thriller „Murder Swing“ von Andrew Cartmel. Der Roman ist im März 2019 bei Suhrkamp erschienen und ...

Zum ersten Mal ermittelt der Vinyldetektiv, dessen Name im Roman kein einziges Mal erwähnt wird, in dem Thriller „Murder Swing“ von Andrew Cartmel. Der Roman ist im März 2019 bei Suhrkamp erschienen und umfasst 528 Seiten.
Der Vinyldetektiv ist ein Sammler, ein Spezialist für außergewöhnliche Schallplatten eben, sein Leben ist die Musik – genauer der Jazz. Eines Tages erhält er den Auftrag, zusammen mit Nevada eine seltene Platte eines kleinen amerikanischen Labels aufzustöbern. Was anfangs einfach nur ein kniffeliges Rätsel zu sein scheint, entpuppt sich bald als tödlicher Auftrag: Denn immer mehr Leichen pflastern den Weg der Suchenden. Die Lage spitzt sich zu, als dann auch noch die „arischen Zwillinge“ Heidi und Heinz den Weg des Vinyldetektivs kreuzen.
Auch wenn es an Todesfällen in diesem Thriller nicht mangelt, brilliert er nicht nur durch seine Spannung, sondern vor allem durch seinen Humor: Von Slapstickhaftem bis Tiefgründigem ist hier alles vertreten. Diese Kombination macht das Buch zu einem Lesespaß, den man einfach nicht aus der Hand legen mag.
Der Roman ist, wie auch die gute, alte Schallplatte, in eine A- und eine B-Seite unterteilt. Auf der A-Seite machen sich Leserinnen und Leser zusammen mit dem doch eher ungleichen Pärchen Nevada und Vinyldetektiv auf die Suche nach der Platte, auf der B-Seite erfährt man dann, welche Geschichte hinter diesem Tonträger steckt, weshalb die Suche so brisant war.
Während die A-Seite eher rasant geschrieben ist und die Leser/innen kreuz und quer durch London führt, geht es auf der B-Seite zwar geruhsamer zu – jedoch keineswegs weniger witzig und spannend. So bilden beide Teile zusammen eine spannende Reise durch die Welt der Jazzmusik und der Plattenindustrie.
Leserinnen und Leser, die sich noch an die Zeit der Langspielplatten erinnern, werden in diesem Roman auf einige(s) Bekannte(s) treffen, Jüngere werden vielleicht ein wenig nachvollziehen können, welche Faszination von diesen schwarzen Scheiben einst ausging – und allen ist gemeinsam, dass man viel Wissenswertes über dieses Medium erfährt.
Sprachlich lässt sich dieser Thriller locker-flockig lesen, an vielen Stellen muss man gar laut auflachen. Insbesondere die Dialoge sind einfach nur lustig und zum großen Teil mit trockenem Humor gespickt. Die Ich-Perspektive und die inneren Monologe lassen die Lesenden tief in das Geschehen eintauchen und mit den Protagonisten mitleiden und –lachen.
Die Zahl der Charaktere ist übersichtlich, alle sind liebevoll gezeichnet und haben ihre Marotten, was ebenfalls für reichlich Humor sorgt. Besonders gut hat mir der Vinyldetektiv selbst gefallen, der auf den ersten Blick eher wie ein etwas verlotterter Verlierer wirkt, sich aber im Laufe des Lesens als gewitzt und pfiffig erweist – und einfach nur einen „Schlag bei den Frauen“ hat, was man beim Lesen durchaus nachvollziehen kann. Ein besonderes Highlight waren für mich zudem seine Katzen, die dem Roman etwas Liebreizendes geben – und die Art, wie Nevada mit ihnen redet, ist einfach nur göttlich.
Das Cover ist ein echter Hingucker. Es erinnert ein wenig an James Bond, hat mit seinem knalligen Blau und Rot aber auch etwas Comichaftes. Die große Schallplatte im Zentrum stimmt ansprechend auf das Thema ein.
Insgesamt ist Cartmel mit diesem Roman ein Thriller der etwas anderen Art gelungen, eher Krimödie als Thriller, mit wenig Brutalität, aber dafür mit einer ordentlichen Portion Humor und Coolness, der in einem Zug gelesen werden will und mir einige sehr amüsante Lesestunde bereitet hat. Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 24.02.2020

Ein opulentes Gemälde der Renaissance

Raffael - Das Lächeln der Madonna
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Er gilt als das Wunderkind der Renaissance: Raffael Santi. Das Leben und Umfeld dieses Künstlers hat Noah Martins 640-seitiger historischer Roman „Raffael. Das Lächeln der Madonna“, erschienen im März ...

Er gilt als das Wunderkind der Renaissance: Raffael Santi. Das Leben und Umfeld dieses Künstlers hat Noah Martins 640-seitiger historischer Roman „Raffael. Das Lächeln der Madonna“, erschienen im März 2020 bei Droemer, zum Thema.
Raffael ist elf Jahre alt, als sein Vater stirbt. Als er es einige Jahre schafft, sich selbst in Urbino einen Namen zu machen, muss er aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen fliehen. Unterwegs lernt er die schöne Bäckerin Margherita kennen, die jedoch einen anderen, weitaus Mächtigeren zum Mann nehmen muss. Schließlich kommt Raffael nach Rom, wo er sich neben da Vinci und Michelangelo als dritter großer Künstler etablieren kann. Doch es sind schwierige, blutige Zeiten, in denen er lebt. Und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als in den Machtkämpfen und Intrigen der Herrschenden mitzumischen.
Noah Martin hat es geschafft, die Zeit der Renaissance wieder lebendig werden zu lassen: Sei es, dass Leserinnen und Leser an großen, blutigen Schlachten teilnehmen, dass sie das Leid des „kleinen Mannes“ miterleben oder dass sie am oft ausschweifenden und dekadenten Leben im Vatikan teilhaben. Doch nicht nur die Kirche, auch die Welt der Schönen Künste steckt voller Missgunst und Neid, wie man vor allem dem Verhältnis zwischen Raffael, da Vinci, Michelangelo und Sebastiano Luciani entnehmen kann. Man reist gemeinsam mit Raffael durch das Italien des noch jungen 16. Jahrhunderts und begegnet zahlreichen historisch belegten Persönlichkeiten. Dieses macht den Roman zwar zu einem sehr komplexen Werk, jedoch helfen ein Personenregister zu Beginn des Buches, in dem fiktive und historische Personen gekennzeichnet sind, eine Landkarten in der inneren Buchklappe sowie eindeutige Kapitelüberschriften bei der geografischen und historischen Einordnung des Gelesenen.
Einen großen Raum in diesem Roman nehmen die Romanze Raffaels mit Margherita Luti sowie die Querelen im Vatikan ein. Auch wenn vieles davon historisch belegt ist, entfernt sich der Autor immer wieder aus dramaturgischen Gründen von den historischen Fakten, was ich persönlich schade finde. Natürlich nimmt die Fiktion in einem historischen Roman viel Platz ein, aber ich wäre der Historie gerne noch näher gekommen.
Dass der Autor selbst Kunsthistoriker ist und gut recherchiert hat, kann man vor allem aus den Szenen in den Kunstwerkstätten und an den Arbeitsstätten der Künstler ersehen. Hier darf man sich als Leser/in auf reichen Wissenszuwachs freuen.
Liest man dieses Werk, so kann man an der Aufrichtigkeit der Menschen zweifeln. Entsprechend sind die meisten Charaktere, einschließlich Raffael, eher hart und boshaft gezeichnet. Lediglich Raffaels Jugendfreund Daniele, einer der wenigen aufrichtigen Priester im Vatikan, bildet hier eine Ausnahme: Trotz seiner oft zwielichtigen und unlauteren Aufträge bleibt er sich selbst und seinem Glauben treu und ist mir somit ans Herz gewachsen.
Martins Sprache ist gut zu lesen, italienische und antiquiert anmutende Ausdrücke verleihen dem Werk Realitätsnähe. Sehr plastische Beschreibungen rufen in den Lesenden lebendige Bilder wach, sodass man das Buch beim Lesen kaum aus der Hand legen mag.
Das Cover ist ein Blickfang: Es basiert auf Raffaels bekanntes Werk „Madonna del Prato“ und sticht gleich ins Auge.
Insgesamt hat mir die Lektüre dieses Buches sehr gefallen, nur fiel es mir – trotz den Nachworts – teilweise schwer zu unterscheiden, wo es sich um historisch Belegtes, wo es sich um Fiktion handelt. Außerdem rückt mir persönlich Raffael stellenweise zu sehr aus dem Blickfeld. Dennoch empfehle ich aufgrund seiner schönen Bilder dieses Buch gerne allen Freund/innen historischer Romane zur Lektüre weiter.

Veröffentlicht am 16.02.2020

Ein sehr persönliches Buch

Die Bagage
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Die Geschichte ihrer Familie erzählt Monika Helfer in ihrem knapp 160-seitigen Roman „Die Bagage“, erschienen im Februar 2020 im Carl Hanser Verlag.
Sie lebt abgeschieden, die Familie Moosbrugger – am ...

Die Geschichte ihrer Familie erzählt Monika Helfer in ihrem knapp 160-seitigen Roman „Die Bagage“, erschienen im Februar 2020 im Carl Hanser Verlag.
Sie lebt abgeschieden, die Familie Moosbrugger – am Rande eines kleinen Dorfes, am Rande der Gesellschaft. Weitgehend Selbstversorger, hat sie kaum genug, um über die Runden zu kommen. Als dann der Erste Weltkrieg ausbricht, wird Josef, der Ernährer, eingezogen. Zurück lässt er seine schöne Frau Maria und seine Kinder, die von nun an mehr oder weniger auf sich gestellt sind – unterstützt allein vom Bürgermeister des Dorfes, der sich allerdings immer wieder an Maria heranmacht. Und dann ist da noch der hübsche Hannoveraner Kaufmann Georg, der ebenfalls seinen Weg zu Maria findet. Kurze Fronturlaube entfremden die Familie eher, als dass sie sie zusammenschweißen. Als Maria schwanger wird und Grete gebiert, keimt in Josef der Verdacht, dass seine Frau ihm ein Kuckuckskind ins Nest gesetzt hat … und er wird zeitlebens nie ein Wort mit diesem Mädchen, der Mutter der Autorin, wechseln.
Ich muss gestehen, dass ich mit anderen Erwartungen an das Buch herangegangen bin, als das Buch schließlich erfüllte. Ich dachte, mehr über Gretes Leben und Entwicklung zu lesen – wie schrecklich muss es sein, vom eigenen Vater ignoriert zu werden. Stattdessen erzählt Helfer die Geschichte sämtlicher Familienmitglieder, von 1914 bis hinein in die Gegenwart. Grete spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle, im Zentrum stehen Josef und Maria Moosbrugger.
Das Buch beginnt mit einem Idyll: Ein Bild soll gemalt werden, von einem kleinen Haus in einer heilen Welt. Leserinnen und Leser werden dabei direkt von der Autorin angesprochen, zum Stift zu greifen und loszulegen. Doch dann ein Bruch: „Die Wirklichkeit weht hinein in das Bild, kalt und ohne Erbarmen.“ (S. 7) Der Vater zieht in den Krieg, die Familie kämpft ums Überleben. Durch Vorgriffe in die spätere Geschichte zeigt Monika Helfer immer wieder auf, wie insbesondere die Kriegsjahre mit ihren Folgen das weitere Schicksal ihrer Familie geprägt haben. Besonders beeindruckt hat mich dabei, wie treffend sie am Beispiel ihres Großvaters Josef aufzeigt, wie der Krieg den einst selbstbewussten Mann und seine Beziehung zu seinen Lieben verändert hat.
Aber auch die Schwierigkeiten, die ihre Großmutter als schönste Frau des Dorfes, von Männern begehrt, von Frauen verachtet, hatte, wird plastisch insbesondere anhand des Bürgermeisters beschrieben. Dieser wankt immer wieder zwischen seinem Versprechen, sich um Maria zu kümmern, und seinem Begehren nach ihr. Wie geächtet die Familie Moosbrugger in ihrer Gemeinde ist, wird sehr anschaulich, wenn sie in der Kirche in der hintersten Bank knien und beten muss – auch hier, wo die Gemeinde sich am nächsten sein sollte, ist also kein Platz für die „Bagage“.
Vieles bleibt in diesem Buch unklar, die Familiengeschichte ist, wie wohl jede, von Legenden umwoben: Ist die im Krieg geborene Grete Josefs Tochter? Er bezweifelt es, die Familie glaubt es. Doch, wie oben schon beschrieben, hätte mich gerade Gretes Schicksal noch mehr interessiert, als es in diesem Buch erörtert wird.
Monika Helfers Sprache ist eher einfach, dem Inhalt der Geschichte dadurch jedoch umso angemessener. Auch hatte ich während des Lesens oftmals das Gefühl, mit der Autorin zusammen über das Leben ihrer Familie zu philosophieren, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass sie immer wieder Stichpunkte aufgreift, um auf spätere Schicksale zu schreiben zu kommen. Dieses hilft beim Lesen, tief in die Geschichte einzutauchen sowie mit der Familie mitzuleben und mitzuleiden.
Auch wenn das Buch nicht die Geschichte erzählt, die ich im Vorfeld erwartete, habe ich es nicht bereut, es zu lesen. Eindrücklich und mitreißend erzählt Monika Helfer hier eine, nämlich ihre (Familien-)Geschichte des 20. Jahrhunderts – jenseits von Ruhm und Geld, sondern eine Geschichte einer einfachen Familie fast am Rande der Gesellschaft, die zu lesen sich auf jeden Fall lohnt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.01.2020

Die Welt der Kunst – so schön und doch so grausam

Kohlenwäsche
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"Als wäre es weniger kriminell, wenn man wohlhabende Menschen oder Menschen mit Neidfaktor aufs Kreuz legte." (S. 196) – Dieser Satz geht Frederike Stier von der Essener Kripo durch den Kopf, als sie tiefer ...

"Als wäre es weniger kriminell, wenn man wohlhabende Menschen oder Menschen mit Neidfaktor aufs Kreuz legte." (S. 196) – Dieser Satz geht Frederike Stier von der Essener Kripo durch den Kopf, als sie tiefer in die Sphären der Kunstkriminalität eindringt. Und es stimmt für viele: Wen kümmert es schon, wenn Reiche sich gegenseitig übers Ohr hauen? Doch, es kümmert jemanden, nämlich eben oben genannte Frederike.
Diese wird nämlich an einen Tatort gerufen: An der orangefarbenen Rolltreppe auf der Zeche Zollverein in Essen, die zur Kohlenwäsche führt, wird der Leichnam des hoch gehandelten Aktionskünstlers Claude Freistein gefunden. Mittels Drahtschlinge erdrosselt, liegt der Verdacht einer Exekution nahe. Als kurz darauf auch noch der Kunsthändler Westerburg gefoltert und ermordet aufgefunden wird, steht fest: Hier muss es sich um ein Verbrechen größeren Ausmaßes handeln. Trotz zahlreicher Widrigkeiten macht sich die Kommissarin auf die Jagd nach dem Mörder, die ihr selbst fast das Leben kostet.
Erschienen ist dieser 320-seitige Regionalkrimi von Thomas Salzmann, der über die Grenzen des Ruhrgebiets hinausführt, im November 2019 bei Emons.
Frederike Stier ist eine skurrile Ermittlerin, der man auf den ersten Blick vielleicht nicht wirklich viel zutraut: Schwer herzkrank mit einem Hang zum ungesunden Leben und vom Leben gebeutelt, ist sie bei ihren Kolleg/innen nicht hoch angesehen. Eigentlich legt man ihr eher Steine in den Weg, als dass man sie unterstützt. Lediglich ihr Kollege Kowalczyk hilft ihr nach bestem Wissen und Gewissen. Als sie nicht mehr weiter weiß, lässt sie sich krankschreiben und macht sich allein mit unorthodoxen Mitteln auf Verbrecherjagd. Inwiefern dieses glaubwürdig erscheint, mögen die Leser/innen entscheiden, für Nervenkitzel und auch Spaß sorgt dieses allemal.
Der Roman spielt im Herzen des Ruhrpotts, in Essen. Nach dem Zusammenbruch der Kohlewirtschaft musste sich das Revier neu orientieren. Die Zechen stehen heute als Symbol für eine ganze Region. Wo einst Kohle gefördert wurde, widmet man sich heute der Kunst oder der Freizeitgestaltung. Dieses bietet dem Erzähler auch Anlass für die eine oder andere kritische Bemerkung, die erahnen lässt, dass diese Umstrukturierung doch nicht ganz so einfach vonstattengeht: „Auch wenn die Zeche Vergnügungen und Kultur bot, war dies doch ein Tanz auf Gräbern.“ (S. 20)
Von tiefgreifender Recherche seitens des Autors zeugen die zahlreichen Informationen, die man über Kunsthandel, -fälschung und –kriminalität erhält. Wie eingangs schon erwähnt, werden Letztere oft als Kavaliersdelikte betrachtet, hier aber wird deren ganze Dimension, wenngleich aus dramaturgischen Gründen komprimiert, dargestellt. Zudem regen gerade die Darstellung und der Werdegang des Künstlers Freistein dazu an, der Frage nachzugehen, was eigentlich Kunst ist … und was eben Kommerz.
Sehr gut gefallen haben mir die Informationen zu verschiedenen Künstlern, was mir im Fall von Monet auch einigen Wissenszuwachs beschert hat. Ebenfalls dem kleinen Ausflug in das Essener Museum Folkwang konnte ich viel abgewinnen.
Dieser Kriminalroman ist von Anfang bis Ende spannend zu lesen, lediglich das Ende erschien mir – trotz der logischen Auflösung – ein wenig langatmig. Andere, actionreichere Passagen können jedoch dafür entschädigen. Salzmanns Sprache ist flüssig und schnörkellos zu lesen, allerdings hätte ich mir gerade bei Dialogen ein wenig mehr Lokalkolorit in Form von „Ruhrpottslang“ gewünscht. Dieses wäre dem Ruhrgebietsflair sehr zuträglich.
Alles in allem hat es mir großen Spaß gemacht, diesen Krimi zu lesen und diese kleine Reise in die Welt der Kunst und des Kohlereviers zu unternehmen. Mit Frederike Stier hat Thomas Salzmann außerdem eine originelle, zynische und auch gewiefte Ermittlerin geschaffen, von der mehr zu lesen mir große Freude bereiten würde. So empfehle ich dieses Buch sehr gerne zur Lektüre weiter.