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Veröffentlicht am 15.04.2019

Gelungene Fortsetzung der Reihe um Friederike Matthée

Der Hunger der Lebenden (Friederike Matthée ermittelt 2)
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INHALT
Köln, Juni 1947: Auf den arktischen Winter ist ein ungewöhnlich heißer Sommer gefolgt. Die Ernährungslage in der von Krieg und Hunger gezeichneten Stadt ist immer noch desolat. Friederike Matthée ...

INHALT
Köln, Juni 1947: Auf den arktischen Winter ist ein ungewöhnlich heißer Sommer gefolgt. Die Ernährungslage in der von Krieg und Hunger gezeichneten Stadt ist immer noch desolat. Friederike Matthée von der Weiblichen Kriminalpolizei ermittelt im Mordfall an einer früheren Kollegin. Die ehemalige Beamtin überwachte während des Nationalsozialismus die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Polizeilichen Jugendschutzlagern. Friederike überschreitet einmal mehr ihre Befugnisse, um den Fall aufzuklären.
Auch Lieutenant Richard Davies von der Royal Military Police wird in einem heiklen Fall nach Deutschland geschickt, so dass sich ihre Wege schließlich kreuzen. Doch die Ermittlungen rühren an Geschehnisse aus der Vergangenheit, die auch Friederike schmerzlich betreffen und die das Vertrauen zwischen ihr und Davies für immer zu zerstören drohen.
(Quelle: Ullstein Verlag)
MEINE MEINUNG
Der fesselnde, historische Kriminalroman »Der Hunger der Lebenden« von der deutschen Autorin Beate Sauer ist bereits der zweite Band der Reihe rund um die junge Friederike Matthée bei der Kölner Weiblichen Polizei, kann aber auch ohne Vorkenntnisse aus dem Vorgängerband "Echo der Toten" problemlos gelesen werden. Dank des sehr angenehmen und flüssigen Schreibstils habe ich sehr schnell in die Geschichte hineingefunden.
Mit ihrem zweiten Fall versetzt die Autorin den Leser gekonnt ins Köln der Nachkriegszeit und vermittelt ein sehr stimmiges, authentisches Bild der damaligen Zustände. Sehr anschaulich und facettenreich portraitiert die Autorin die ausgebombte Stadt unter britischer Besatzung, in der Hunger, Armut, knapper Wohnraum und Kriminalität den Alltag bestimmen, der Schwarzmarkt floriert und die notleidende Bevölkerung durch die unglaubliche Hitze eines Jahrhundertsommers in Atem gehalten wird. Für ein interessantes Lokalkolorit sorgen auch die sehr lebendig geschilderten Schauplätze im ländlich geprägten Bergischen Land. Die vielfältigen Einblicke in die Arbeit der Weiblichen Polizei in Köln und ihre Akzeptanz bei der Bevölkerung sind äußerst aufschlussreich und haben mir gut gefallen.
Geschickt lässt Sauer uns auch an der Stimmungslage der Menschen im besetzten Nachkriegsdeutschland teilhaben, die dem Wiederaufbau mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen und mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen haben.
Die spannende, geschickt in den historischen Kontext eingebettete Krimihandlung zieht den Leser rasch in ihren Bann und ist äußerst vielschichtig gestaltet. Die Ermittlungen zum grausamen Mord an der Hofbesitzerin und zudem der Leichenfund von drei britischen Soldaten, der auf ein Kriegsverbrechen hindeutet, bieten viele Ansatzpunkte zum Miträtseln. Zudem hält die Autorin zahlreiche überraschende Wendungen für uns bereit. Geschickt verwebt die Autorin die unterschiedlichen Handlungsstränge, verdichtet die beiden Fälle zu einer komplexen Geschichte und lässt schließlich alle Fäden zusammenlaufen. Die Auflösung ist zwar für meinen Geschmack etwas arg konstruiert, aber rundum schlüssig und nachvollziehbar.
Beate Sauer versteht es, die meisten ihrer Figuren, vielschichtig und lebensnah zu zeichnen. Hervorragend hat mir ihre sympathische weibliche Hauptfigur - die clevere, sympathische Friederike gefallen, die wir bei ihrer engagierten, nicht immer einfachen Ermittlungsarbeit begleiten. Der Mordfall stellt eine neue Herausforderung für sie dar und ihrer Intuition vertrauend überschreitet sie bald schon ihre Kompetenzen. Doch auch im privaten Bereich muss sie sich der Vergangenheit stellen und einige schwierige Entscheidungen treffen. Ebenfalls Richards Charakter mit seiner inneren Zerrissenheit hat mir gut gefallen, auch wenn er deutlich hinter Friederikes Part zurücktritt und mit seiner zurückhaltenden Art sehr unnahbar wirkt. Insgesamt hat die Autorin alle ihre Charaktere entsprechend ihrer Rollen ausreichend glaubwürdig und lebendig gezeichnet, so dass ihre Handlungen nachvollziehbar waren.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es bald einen neuen Fall für Friederike Matthée – vielleicht sogar wieder in Zusammenarbeit mit Richard Davies gäbe.
Wie man dem ausführlichen Nachwort der Autorin entnehmen kann, ist der historische Hintergrund zu diesem Fall mit vielen interessanten Fakten von ihr hervorragend recherchiert worden und sehr gelungen und fesselnd in der fiktiven Geschichte umgesetzt worden. Am Ende des Krimis findet sich zum besseren Überblick auch noch ein Personenverzeichnis mit entsprechender Kurzbeschreibung.
FAZIT
Ein spannender und unterhaltsamer historischer Kriminalroman mit einer sympathischen Ermittlerin im Kölner Nachkriegsdeutschland und einem stimmig eingefangenen Zeitkolorit!

Veröffentlicht am 15.04.2019

Sehr be“swingt“er, origineller Roman

Murder Swing
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INHALT
London, heute: Er ist ein Plattensammler, ein Spezialist für äußerst seltene LPs, die er kauft und verkauft. Die Jobbeschreibung auf seiner Visitenkarte lautet: ›Vinyl-Detektiv‹. Und manche Leute ...

INHALT
London, heute: Er ist ein Plattensammler, ein Spezialist für äußerst seltene LPs, die er kauft und verkauft. Die Jobbeschreibung auf seiner Visitenkarte lautet: ›Vinyl-Detektiv‹. Und manche Leute nehmen das ganz wörtlich – so wie die geheimnisvolle Nevada Warren, die ihn für eine Unsumme anheuert, um für einen anonymen Auftraggeber eine bestimmte LP zu finden, die zu der schmalen Produktion eines winzigen kalifornischen Jazz-Labels gehört, das in den 1950ern nur ein Jahr existierte.
Bald häufen sich seltsame Todesfällen, die allesamt mit dieser Platte zu tun haben könnten. Aber was könnte auf ihr zu hören sein, was sie so ungemein wertvoll macht? Und was hat einer der mächtigsten Konzerne der weltweiten Unterhaltungsindustrie damit zu tun?
Zu allem Überfluss hat unser Detektiv bald auch noch die »Aryian Twins« Heinz und Heidi an der Hacke, zwei ziemlich extravagante Killer …
(Quelle: Suhrkamp Verlag)

MEINE MEINUNG
Der ziemlich außergewöhnliche Spannungsroman “Murder swing” von dem britischen Schriftsteller und Drehbuchautor Andrew Cartmel ist der gelungene Auftakt seiner brandneuen Serie rund um den selbsternannten ›Vinyl-Detektiven‹, der als großer Musikkenner und Plattensammler ein besonderes Geschick darin hat, äußert seltene Schallplatten aufzuspüren.
Sehr schön stimmt das Cover mit den schwarzen, James Bond-mäßigen Silhouetten und die große schwarze Schallplatte im Vordergrund auf die originelle, etwas mysteriöse Geschichte ein, in der sich alles um Musik, rare Schallplattenausgaben, geheimnisvolle Frauen, viel Jazz-Geschichte sowie rätselhafte Unglücke und Todesfälle dreht. Dabei handelt es sich aber nicht um einen packenden Thriller im eigentlichen Sinne, sondern die etwas abgedrehte Handlung entwickelt sich bald zu einem rasant-abenteuerlichen, höchst amüsanten und sehr unterhaltsamen Lesevergnügen. Mit einem lockeren, mitreißenden Schreibstil, äußerst witzigen Dialogen und seinem tollen britischen Humor ist es Cartmel mühelos gelungen, mich von Beginn an zu fesseln, so dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Trotz der manchmal ausschweifenden Ausführungen zu klangtechnischen Details, der komplexen Historie des Jazz, zur Schallplattenindustrie und Hintergrundinformationen für wirkliche Platten-Freaks habe ich diese selten als langweilig oder überzogen empfunden, habe mich von der Begeisterung anstecken lassen und viel Interessantes und Lehrreiches über diese ganz spezielle Welt und die faszinierende Vinyl-Szene mitnehmen können.
Cartmels Geschichte lebt vor allem von seiner sehr skurrilen, aber liebenswerten Hauptfigur und Ich-Erzähler, der sehr vielschichtig und lebendig gezeichnet ist, aber erstaunlicher Weise in der ganzen Geschichte kein einziges Mal namentlich erwähnt wird. Der junge Londoner ist ein absoluter Jazz-Kenner, Plattenfreak und Katzenliebhaber, der sich mit den kärglichen Einnahmen als Vinyl-Detektiv immer gerade so über Wasser hält. Der sehr sympathische Nerd sorgt für so manches Mal mit seiner erfrischend verpeilten, aber sehr gewitzten Art für überraschende Episoden und humorvolle Pointen. Sehr interessant ist auch sein weibliches Pendant, die verführerische, geheimnisvolle Nevada, die unseren Vinyl-Detektiv bei seinem schwierigen Auftrag und ihrer turbulenten Jagd auf die verloren geglaubte Aufnahme tatkräftig unterstützt, und mir mit ihren verschrobenen Eigenheiten nach und nach immer mehr ans Herz gewachsen ist. Auch bei den Nebenfiguren hat sich Cartmel eine gelungene Mischung an originellen und skurrilen Charakteren einfallen lassen, die für jede Menge Abwechslung, Unterhaltung und sehr amüsante Episoden sorgen, wie Tinkler, der permanent kiffende, audiophile Freund oder die kahlgeschorene, farbige Taxifahrerin Clean Head.
Inspiriert von der zweiseitigen Unterteilung bei Schallplatten hat Cartmel seinen Roman ebenfalls in eine A-Seite, die das populäre Hauptstück besitzt, und einer B-Seite, die ein eher unbekanntes und oft ergänzendes Stück zur A-Seite enthält, gegliedert. So beinhaltet die A-Seite mit der fesselnden, gefährlichen Jagd nach der extrem seltenen Jazz-Platte eine in sich abgeschlossene Geschichte, während die wesentlich kürzere B-Seite, den Faden zur A-Seite erneut aufnimmt und uns Cartmel nach Los Angeles mitnimmt auf eine ereignisreiche Suche zu den noch fehlenden Hintergrundinformationen der im ersten Teil aufgedeckten Besonderheiten der gesuchten Schallplatte. Auch wenn ich die Idee von A- und B-Seite sehr gelungen finde, hätte mir eine Verdichtung der beiden Geschichten besser gefallen. Zudem waren das Rätsel und dessen Auflösung zu konstruiert und unglaubwürdig.
Dennoch freue ich mich schon auf eine Fortsetzung mit den zwei liebgewonnenen Charakteren und mancher interessanter Nebenfigur, und bin sehr gespannt auf den zweiten Fall für den sympathischen Vinyldetektiv!

FAZIT
Ein sehr humorvoller, origineller Spannungsroman mit einem etwas verpeilten, aber liebenswerten Helden - eine abenteuerliche Reise in die Welt des Jazz und Vinyls - rasant, abgedreht und sehr unterhaltsam!

Veröffentlicht am 15.04.2019

Interessanter Science Fiction-Roman

Die Reinsten
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INHALT
Die Erde im Jahr 2191: Nach einer Zeit von verheerenden Kriegen, Seuchen und Klimakatastrophen hat die künstliche Intelligenz "Askit" die letzten Überlebenden in eine Ära des Friedens geführt. Um ...

INHALT
Die Erde im Jahr 2191: Nach einer Zeit von verheerenden Kriegen, Seuchen und Klimakatastrophen hat die künstliche Intelligenz "Askit" die letzten Überlebenden in eine Ära des Friedens geführt. Um die Regeneration des Planeten zu sichern, erwählt die KI eine Elite aus, deren Persönlichkeitsentwicklung ständig von ihr überwacht und gesteuert wird, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen: Die "Reinsten".
Eve Legrand erfüllt alle Kriterien, um eine Reinste zu werden, und wird von der KI zur wichtigsten Prüfung ihres Lebens anerkannt. Doch anstatt in diesen elitären Kreis aufgenommen zu werden, wird sie ohne Erklärung verstoßen. Ihr bleibt nur die Flucht in die Zonen, die nicht von “Askit” kontrolliert werden. Dort wird sie mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die ihre gesamten Werte und Vorstellungen radikal infrage stellt.
(Quelle: Golkonda Verlag)

MEINE MEINUNG
Mit seinem neuesten Buch „Die Reinsten“ ist dem deutschen Autor Thore D. Hansen ein beeindruckender und nachdenklich stimmender Science Fiction-Roman mit beklemmenden dystopischen Elementen gelungen. Die Vielschichtigkeit und Detailtiefe seiner düsteren Zukunftsvision und die fesselnde Geschichte rund um das faszinierende, sehr glaubwürdig ausgearbeitete Thema Künstliche Intelligenz konnten mich sehr überzeugen.
Der Roman bietet eine spannende und brisante Auseinandersetzung mit tiefgründigen, hochkomplexen Themen, die jeden von uns angehen. Sehr differenziert beleuchtet der Autor wichtige Fragestellungen, wie beispielsweise unsere Zivilisation in einer fernen Zukunft aussehen wird, das Überleben auf unserem Planeten trotz desolater Zustände gewährleistet werden könnte oder welche Möglichkeiten und Risiken neue Technologien bringen.
Angesiedelt ist Hansens Utopie in einer fernen Zukunft Ende des 22. Jahrhunderts nach dem Zusammenbruch der alten Zivilisation durch Klimawandel, Umweltverschmutzung und ungebremstes Bevölkerungswachstum. Hansen lässt uns eintauchen in eine hochtechnisierte, völlig durchorganisierte Welt, die noch immer gezeichnet ist von der lang zurückliegenden, verheerenden Klimakatastrophe. Dank des anschaulichen Erzählstils und vieler detaillierter Erläuterungen zu seiner erschaffenen, recht komplexen Welt der Zukunftsvision, fällt der Einstieg in die Geschichte nicht schwer. Die technischen Fachbegriffe und gut recherchierten Zusammenhänge werden gut eingeführt und halten sich angenehm im Hintergrund.
Gekonnt gibt uns der Autor Einblick in eine neue Klassen-Gesellschaft, die von einer künstlichen Superintelligenz namens ASKIT gelenkt und überwacht wird. Um fatale Fehler aus der Vergangenheit und eine neue Katastrophe zu vermeiden, hat diese KI mit ihrem Wertesystem und eigener Selbstoptimierung die Geschicke der gesamten Menschheit in der Hand. Sie unterstützt sie dabei, sich selbst zu optimieren, ihren Lebensraum wieder bewohnbar zu machen und wacht über die aktuellen Klimaentwicklungen. Eine speziell für ihre Arbeit mit ASKIT selektierte, menschliche Elite sind „Die Reinsten“, die Hirnimplantate besitzen, die eine direkte Kommunikation mit der alles beherrschenden KI ermöglichen und ihre Psyche für ihre Aufgaben beeinflussen und steuern.
Mit der sympathischen Protagonistin Eve Legrand, die als stolze Auserwählte kurz davorsteht, in die Akademie der Wissenschaft aufzusteigen zu werden, lernen wir diese bizarre Welt und die unvoreingenommene Gedankenwelt der „Reinsten“ kennen. Doch schon bald kommen auch ihre massive Zweifel an ASKITs-Entscheidungen, ihr perfektes Weltbild gerät zusehends ins Wanken und Eve steht vor schwierigen ethisch- moralischen Entscheidungen.
Obwohl das gut überschaubare Figurenensemble glaubwürdig und vielseitig ausgearbeitet ist und sich gut in die Geschichte einfügt, bleiben die Protagonisten recht blass. Bisweilen fehlten mir einige ergänzende Erläuterungen zu ihren Gedanken und Handlungsweisen, so dass ich mich nicht sehr gut in sie hineinversetzen und mit ihren mitfiebern konnte.
Hansen hat er eine durchaus fesselnde und abwechslungsreiche Handlung entworfen, die den Leser auch ohne viele Actionszenen zu unterhalten weiß. Im sehr dialogbetonten und informationslastigen Mittelteil tritt der Fortgang der Handlung jedoch sehr in den Hintergrund, so dass einige Längen auftreten und der Spannungsbogen deutlich einbricht. Je weiter die Geschichte dann aber voran schreitet, desto gewaltiger nimmt sie an Fahrt auf und gipfelt schließlich in einem äußerst fesselnden, unerwarteten Ende.
Die Gesamt-Handlung ist überzeugend genug, so dass man locker über einige kleine Schwächen im Plot und bei den Charakteren und zahlreichen Tippfehlern, die dem Lektorat durchgegangen sind, hinwegsehen kann. Der recht schlicht gehaltene, flotte Schreibstil von Hansen liest sich insgesamt angenehm.
Hansen hat in seinem Roman ein beklemmendes und erschreckend realitätsnahes Szenario ersonnen, denn viele der geschilderten Klima-Phänomene erleben wir bereits heute ansatzweise und der baldige Kollaps der Ökosysteme scheint ebenfalls in naher Zukunft denkbar. So futuristisch seine düstere Zukunftsvision mit einer allmächtigen KI und technisch perfektionierten Menschen auch scheint, wirkt sie doch sehr glaubwürdig und könnte basierend auf der Weiterentwicklung heutiger Technologien durchaus Realität werden.

FAZIT
Ein beeindruckender, nachdenklich stimmender Science Fiction-Roman mit einem beklemmenden und erschreckend realitätsnahen Szenario! Lesenswert!

Veröffentlicht am 30.03.2019

Unterhaltsamer, etwas enttäuschender Roman von Noll

Goldschatz
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INHALT
Fünf junge Leute wollen es der Wegwerfgesellschaft zeigen: Tante Emmas altes Bauernhaus soll nicht abgerissen, sondern in eine alternative Studenten-WG verwandelt werden. Doch für die Renovierung ...

INHALT
Fünf junge Leute wollen es der Wegwerfgesellschaft zeigen: Tante Emmas altes Bauernhaus soll nicht abgerissen, sondern in eine alternative Studenten-WG verwandelt werden. Doch für die Renovierung fehlt das Geld. Da taucht in Emmas Trödel ein Säckchen mit wertvollen Goldmünzen auf. Aber der Schatz holt sie nicht etwa aus der Bredouille. Im Gegenteil, er führt sie mitten hinein und macht sie mit den unschönen Regungen des menschlichen Herzens bekannt.
(Quelle: Diogenes Verlag)
MEINE MEINUNG
„Goldschatz“ ist der neue Roman der sympathischen, mittlerweile über 80jährigen Grande Dame der Literatur Ingrid Noll. Ein Name, der für raffinierte Geschichten, kurzweilige Unterhaltung und vor allem für tiefschwarzen, subtilen Humor steht.
Doch auf vieles, was man sich von einem typischen „Noll“-Roman verspricht, wartet man bei „Goldschatz“ leider vergeblich. Die Geschichte über die jungen Weltverbesserer entwickelt sich trotz einiger Vorkommnisse nicht in Richtung Krimi, sondern bleibt vielmehr ein solider gesellschaftskritischer Roman über unsere Wegwerfgesellschaft und menschlichen Begehrlichkeiten und ist längst nicht so spitzfindig, bitterböse und einfallsreich, wie gewohnt.
Mit ihrer flotten, amüsanten Erzählweise gelingt es der versierten Autorin, uns rasch in ihre Geschichte hinein zu ziehen. Aus der Distanz heraus schauen wir quasi als stille Beobachter der Ich-Erzählerin Trixi und ihrer bunt zusammengewürfelten, alternativen Studenten-WG, die sich einem nachhaltigen Leben und Konsumverzicht verschrieben haben, dabei zu, wie sie sich in ihren Semesterferien mit großem Engagement bemühen, das alte Bauernhaus von Trixis Tante Emma zu entrümpeln und wohnlich zu machen. Nach und nach lernen wir neben den fünf jungen Leuten auch den schrulligen alten Gläser kennen, der mit seinem Schlüssel vom Haus unerwartete Besuche abstattet. Es macht richtig Spaß, sie anfangs bei ihrem ganz normalen Alltag zu begleiten, mit ihnen durch das runtergekommene Bauernhaus zu streifen, ihre gemütlichen Grillabende, ihre Geschäftigkeit bei der Restaurierung von alten Möbeln und ihren Gemeinschaftssinn beim lästigen Küchendienst zu erleben. Geschickt streut Noll in diese vermeintlich heile, aber doch sehr unkomfortable Welt erste unschöne, missgünstige Regungen ein. Durch den mysteriösen Fund des Säckchens mit wertvollen Goldmünzen wandelt sich die offene, freundschaftliche und rücksichtsvolle Atmosphäre in der WG schlagartig und die Konfliktpotentiale beginnen sich zu potenzieren. Sehr anschaulich hat Noll herausgearbeitet, wie die Geldgier selbst die anfänglich noch liebenswerten Hauptfiguren zu absolut unsympathischen, egoistischen Charakteren werden lässt.
Noll gelingt es sehr gut, uns bei den unterschiedlichen Beteiligten den schockierenden, charakterlichen Wandel und den schrittweisen Verlust jeglicher Werte wie Anstand, Gewissen, Aufrichtigkeit oder Rechtsgefühl sehr eindringlich vor Augen zu führen. Erschreckende menschliche Schwächen und unvorstellbare Abgründe tun sich hier auf. Missgunst, Intrigen, Boshaftigkeit, Neid und Egoismus lassen die WG schließlich auf eine unausweichliche Katastrophe zutreiben und das so optimistisch angegangene Projekt „Gegenstrom“ scheitern. Durch Nolls fesselnde Erzählweise und einige interessante Hintergründe zu einem Kapitalverbrechen wird zunächst viel Spannung aufgebaut. Dann entwickelt sich die Geschichte jedoch in eine völlig unerwartete Richtung und die zuvor angelegten Handlungsfäden verlieren sich und werden enttäuschender Weise nicht mehr aufgegriffen. Nach Beendigung des Romans war ich dann doch etwas vom Verlauf und dem Ausklang der Geschichte enttäuscht.

FAZIT
„Goldschatz“ bietet gute Unterhaltung mit feiner Ironie, ist aber mit Sicherheit nicht das beste Buch von Ingrid Noll!
Mir haben bei diesem soliden gesellschaftskritischen Roman Nolls subtiler, schwarzer Humor und das gewisse Etwas gefehlt.

Veröffentlicht am 11.03.2019

Fesselndes, rasantes Thrillerdebüt

Lola
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INHALT
South Central, L.A. Lola Vasquez ist klein, zierlich, unscheinbar, anscheinend eine chica unter vielen in der Latino-Gang The Crenshaw Six. Die Gang versucht, möglichst unauffällig zu agieren, und ...

INHALT
South Central, L.A. Lola Vasquez ist klein, zierlich, unscheinbar, anscheinend eine chica unter vielen in der Latino-Gang The Crenshaw Six. Die Gang versucht, möglichst unauffällig zu agieren, und zu dieser Strategie in einer Mucho-macho-Welt gehört auch, dass Lola nicht sichtbar wird, denn in Wahrheit ist sie die Chefin der Gang, ebenso brillant wie rücksichtslos.
Die Karten werden neu gemischt, als sie in einen Krieg zwischen einem etablierten Großdealer, einem expansionswilligen mexikanischen Kartell und einem neuen Großlieferanten gezogen wird. Auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft mischen mit – eine Gang wie jede andere.
Lolas Achillesferse ist ihre Familie, ihre Crack-Mutter und ihr nicht allzu schlauer Bruder. Als es hart auf hart kommt, muss Lola ein paar Entscheidungen fällen, die alles andere als leichtfallen …
(Quelle: Suhrkamp Verlag)

MEINE MEINUNG
Mit ihrem Debüt „Lola“ hat die US-amerikanische Schriftstellerin Melissa Scrivner Love einen mitreißenden, unglaublich fesselnden Thriller geschrieben, der als “Bester Erster Roman” für den Edgar Allan Poe Award nominiert wurde.
Die Autorin hat für ihren Thriller ein sehr interessantes Setting im skrupellosen Latino-Bandenmilieu von South Central Los Angelos und eine rasante, wendungsreiche und zunehmend komplexer werdende Handlung entworfen. Mühelos taucht man als Leser in ein großartiges und aufwühlendes Leseerlebnis ab und kann das Buch bald nicht mehr aus der Hand legen. Als Drehbuchautorin von TV-Serien hat die Autorin ein gutes Gespür für filmreife Szenen, kann diese sehr anschaulich umsetzen und lässt beim Leser ein eindrückliches Kopfkino entstehen.
Gekonnt nimmt uns die Autorin mit in eine uns recht fremde, düstere Welt des brutalen Drogenmilieus und gibt uns beklemmende Einblicke in das Leben ihrer äußerst faszinierenden Hauptfigur, der 26-jährigen Latina Lola Vasquez, die unversehens in einen Krieg zwischen zwei rivalisierenden Drogenkartellen hineingezogen wird und um ihr Leben bangen muss. Sehr lebendig und authentisch schildert die Autorin den schockierenden Alltag der kleinen Latino-Gang mitten im multikulturellen Moloch L.A., der geprägt ist von Skrupellosigkeit, Verrat, Rassismus, Frauendiskriminierung, Drogenabhängigkeit, Kriminalität, Gewalt, Waffen, Vernachlässigung und Missbrauch von Kindern und dem allgegenwärtigen Tod. Doch gibt es auch berührende, zwischenmenschliche Momente, die den Zusammenhalt der Menschen in ihrem Viertel und das Verantwortungsbewusstsein füreinander trotz der widrigen Umstände aufblitzen lassen.
Die Autorin hat mit ihrer überaus taffen Protagonistin Lola einen einzigartigen, authentisch wirkenden Charakter geschaffen, aus deren Perspektive die Geschichte erfrischend sachlich und abgeklärt erzählt wird. Lola ist eine vielschichtige und unglaublich starke Heldin, die beim Leser durchaus ambivalente Gefühle weckt. Als Tochter einer drogensüchtigen Mutter hat sie eine sehr schwierige Kindheit hinter sich, kennt die Abgründe der menschlichen Existenz und ist in dieses brutale Milieu hineingewachsen, was sie rücksichtslos und oft kaltherzig werden lassen. Als vermeintlich unscheinbare und unauffällige chica in einem von hartgesottenen Männern dominierten Umfeld lenkt sie ihre kleine Gang äußerst brillant, effizient und gerissen im Verborgenen und lässt ihren Freund Garcia nach Außen als Bandenchef auftreten. Eine überaus große Faszination geht von dieser ehrgeizigen, intelligenten Protagonistin aus, die zwar schockierend abgebrüht, kaltblütig und skrupellos ihren Job erledigt und oft recht fragwürdige Entscheidungen trifft. Neben ihrer dunklen Seite ist sie eine einfühlsame, fürsorgliche und sympathische Frau, die wie eine Gute unter all den Bösen wirkt und bei ihrem verzweifelten Überlebenskampf Respekt und Anerkennung verdient. Die Autorin hat mit Lola keine strahlende Überheldin geschaffen, sondern eine glaubwürdige, schillernde Figur mit vielen Schwächen und einigen fatalen Fehlentscheidungen, die den Leser aber mit ihrem großen Herz und guten Absichten auch berühren kann.
Doch auch die Bösewichte und übrigen Nebenfiguren sind mehrdimensional, lebendig und glaubwürdig ausgearbeitet. Eine besonders gelungene Nebenfigur ist die kleine 5-jährige Lucy mit ihrem sehr berührenden Schicksal.
Der Autorin gelingt es hervorragend, uns mit ihrer spannenden, packend erzählten Handlung und einigen unerwarteten Wendungen bestens zu unterhalten. Ihr abwechslungsreicher, anschaulicher Schreibstil liest sich trotz einiger recht brutaler, blutrünstiger Szenen sehr angenehm. Einige dramaturgische Schwächen und ungenau recherchierte, unglaubwürdige Details fallen bei der ansonsten hervorragenden Umsetzung kaum negativ ins Gewicht.
Auf eine Fortsetzung mit Lola als offizielle Anführerin der Crenshaw Six darf man schon sehr gespannt sein!

FAZIT
Ein fesselndes, aufwühlendes Thrillerdebüt - rasant und wendungsreich mit der faszinierenden, sehr taffen Latina Lola!
Autor: Melissa Scrivner Love