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Veröffentlicht am 02.09.2019

Ein Bild des Jammers und der Schuld

Brennendes Grab
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„Manche Leute halten Mord für einen sinnlosen Akt. Ich bin da anderer Meinung. Mord ist zweifellos ein brutaler Akt, grausam und unmoralisch. Ein Unrecht vor dem Auge des Gesetzes, eine Sünde im Angesicht ...

„Manche Leute halten Mord für einen sinnlosen Akt. Ich bin da anderer Meinung. Mord ist zweifellos ein brutaler Akt, grausam und unmoralisch. Ein Unrecht vor dem Auge des Gesetzes, eine Sünde im Angesicht Gottes. Für jeden anständigen Menschen ist Mord geradezu undenkbar. Aber sinnlos ist er nur selten.“


Inhalt


Chefermittlerin Kate Burkholder jagt in ihrem 10. Fall den Mörder des jungen Daniel Gingerich, er hat sein amisches Opfer unter Vortäuschung falscher Tatsachen in eine alte Scheune gelockt und ihn dort mit samt des Gebäudes angezündet. Seltsam nur das vorher die Tiere gerettet wurden und das es anscheinend überhaupt kein Motiv zu geben scheint, denn die ersten Zeugenaussagen stellen Daniel als ein geschätztes, arbeitswilliges Mitglied der amischen Gemeinde in Painters Mill/ Ohio dar, der kurz vor der Verlobung mit seiner Freundin stand und sich nie etwas zu Schulde kommen lies. Doch Kate glaubt nicht an ein willkürliches Verbrechen und gräbt tiefer in der Vergangenheit des jungen Mannes.

Durch Zufall entdeckt sie, dass Daniel höchstwahrscheinlich für den Selbstmord einer Frau, die in ihn verliebt war, mitverantwortlich ist und darüber hinaus der Vater eines Kindes, welches mittlerweile bei seiner Mutter lebt und dem Vater als „Kuckuckskind“ untergeschoben wurde. Als schließlich noch Daniels ehemaliger bester Freund von einer ganz besonderen Nacht erzählt, weiß Kate, dass der Ermordete nicht so unbescholten ist, wie zunächst geglaubt …


Meinung


Die Reihe rund um die Ermittlerin Kate Burkholder und den Verbrechen in der stark gläubigen Gemeinde der Amischen habe ich bereits im vergangenen Jahr komplett gelesen und fühlte mich fast immer bestens unterhalten. Auch der nun vorliegende 10. Fall der Ermittlerin stand deshalb ganz weit oben auf meiner Wunschliste. Ganz klar, wer den Erzählstil der Autorin mag, wird auch diesen Thriller mögen, denn man spürt nach wie vor den einerseits leichten, andererseits fesselnden Unterton, im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen. Nicht unbedingt ein brutaler, schockierender Fall über Mord und Totschlag, sondern vielmehr Unterhaltungsliteratur mit dem gewissen Etwas an Spannung.


Gerade hier nimmt die Autorin erstmals einen Fall ins Visier, den die Polizistin nur zu gut verstehen kann, da er einige Parallelen zu ihrer Jugend aufweist. Dieser Umstand macht es Kate schwer, diesen Mordfall aufzuklären, nachdem sie festgestellt hat, dass Daniel Gingerich eigentlich sein frühzeitiges Ableben in gewisser Weise selbst verschuldet hat. Immer wieder versinkt sie in Gewissensbissen und benötigt die klare, objektive Sicht ihres Freundes John Tomasetti, der eben nicht mit dem Fall und seinen Auswirkungen zu kämpfen hat.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen abwechslungsreichen, unterhaltsamen Thriller in bekannter Manier. Der Verlag feiert das Jubiläum dieser einzigartigen Erfolgsserie und „Brennendes Grab“ passt tatsächlich gut in die Kriminalreihe, setzt diese gewissermaßen nahtlos fort. Prinzipiell muss ich sagen, dass ich bei dieser Serie einen größeren Abstand zwischen den Einzelbänden ganz gut finde, weil man dann nicht so fieberhaft auf den Fortgang wartet, sich aber immer wieder positiv an das Gesamtleseerlebnis erinnert. Ich empfehle dieses Buch allen Fans von Linda Castillo aber auch Neulesern, die bisher keine Berührungspunkte mit der Autorin haben. Ein leichter, zum Schmökern einladender Kriminalfall, der zwar nichts Neues bringt aber die Story gut verpackt.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Grausamkeit verjährt nie

Rachesommer
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„Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie es diesmal nicht auf die übliche Tour hinbekommen würde. Nicht bei ihm. Ihr Plan würde nicht funktionieren.“


Inhalt


Walter Pulaski untersucht diverse Todesfälle, die ...

„Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie es diesmal nicht auf die übliche Tour hinbekommen würde. Nicht bei ihm. Ihr Plan würde nicht funktionieren.“


Inhalt


Walter Pulaski untersucht diverse Todesfälle, die als Selbstmord getarnt sind. Dabei handelt es sich um junge, psychisch gestörte Menschen, die oft schon jahrelang Patienten in Spezialklinken sind und denen man die Neigung zu einem Freitod durchaus zutrauen würde. Doch die aktuellen Fälle sind anders, denn eben jene Opfer, kannten sich alle und haben trotz ihrer geistigen Störung ein gemeinsames Kapitel in der Vergangenheit, welches sie nun mit mörderischer Konsequenz einzuholen droht. Und auch die Wiener Anwältin Evelyn Meyers ermittelt inkognito an einer seltsamen Serien von Unfällen, bei der gut situierte Männer um die 60 Jahre auf rätselhafte Art und Weise verunglücken. Als Evelyn Parallelen zwischen den Opfern entdeckt, die sie auf ein Kreuzfahrtschiff führen, welches vor 10 Jahren exklusive Törns entlang der Küsten unternommen hat, ahnt sie, dass diese Luxusreisen der Grund für die Todesfälle sind. Sie macht sich auf den Weg nach Norddeutschland um ihrer Spur nachzugehen und trifft dort auf Walter Pulaski, der anscheinend den selben Fall aus der anderen Richtung aufrollt …


Meinung


Schon lange wollte ich ein Buch des deutschen Krimiautors Andreas Gruber kennenlernen, denn die Klappentexte seiner Thriller klingen äußerst vielversprechend und lassen auf spannende Lesestunden hoffen.

Begonnen habe ich nun mit dem ersten Band aus der Walter-Pulaski-Reihe, der mich auf Anhieb überzeugen konnte, weil er ein kurzweiliges, gut durchdachtes Szenario aufzeigt, bei dem es nicht bloß um Mord und Totschlag geht sondern auch um die engagierte Ermittlungsarbeit zweier nicht ganz regelkonformer Ermittler, die sich hier in ihrem Privatleben für Fälle einsetzten, die offiziell gar nicht auf dem Tisch liegen.

Die Kombination zwischen einem Polizisten, der sich mit einer Anwältin auf eine mysteriöse Mordreihe einlässt, um längst vergangene Verbrechen aufzuklären ist mir sehr sympathisch. Beide Hauptprotagonisten treten als starke Charaktere auf, die selbst keine leichte Vergangenheit hatten und nun umso verbissener an der Aufklärung anderer Fälle dran sind. Gerade durch die wechselnden Erzählperspektiven, die ich um den gleichen Hintergrund drehen, konzentriert sich die Geschichte auf einen klaren Punkt - denn einer endgültigen Aufklärung kommen die beiden erst näher, nachdem sie sich getroffen haben und ihre Karten offen auf den Tisch legen.

Aber auch die Frage nach dem Täter und den Opfern ist geschickt gelöst, denn so einfach wie man zunächst denkt, ist es wirklich nicht. Auch die Rache als alleiniges Motiv funktioniert nicht auf die herkömmliche Art, vor allem wenn man bedenkt, dass es sich um schwer gestörte, psychisch kranke Menschen handelt, die unter Persönlichkeitsstörungen leiden und nie ein „normales“ Leben geführt haben.


Fazit


Ich vergebe sehr gute 4 Lesesterne für diesen abwechslungsreichen, spannenden Thriller, der mittels vieler kleiner Ermittlungserfolge einen dramatischen Höhepunkt erreicht, dem man regelrecht entgegenfiebert. Besonders gelungen empfinde ich die Charakterisierung der Protagonisten, aus deren Privatleben man genau die richtige Menge an Informationen erhält, um sich ein Bild zu machen, aber nie zu viel, um das Interesse an den Morden zu verlieren. Vom Aufbau und dem Plot der Geschichte bin ich überzeugt, ebenso wie von der Glaubwürdigkeit der Ereignisse. Sehr gern lese ich weitere Kriminalromane aus der Feder des Autors, um noch mehr zu erfahren – zum Glück gibt es da schon einiges Lesefutter, was auf mich wartet. Ich empfehle die Reihe all denjenigen, die gerne deutsche Thriller konsumieren und sich mit den Hintergründen einer laufenden Ermittlung beschäftigen.

Veröffentlicht am 21.05.2019

So echt, so perfekt und doch nur ein Abbild

Deine kalten Hände
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„Was andere für echt hielten, zweifelte ich hartnäckig an, und womit sich alle zufrieden gaben, reichte mir nicht aus. Dafür entdeckte ich Schönheit, wo sonst niemand welche fand. Auf diese Weise versuchte ...

„Was andere für echt hielten, zweifelte ich hartnäckig an, und womit sich alle zufrieden gaben, reichte mir nicht aus. Dafür entdeckte ich Schönheit, wo sonst niemand welche fand. Auf diese Weise versuchte ich zum Inneren der Dinge vorzudringen, deren Äußeres man sehen, hören, riechen und berühren konnte.“


Inhalt


Unhyong Jang lernt schön früh, dass sich Menschen hinter einer Maske verstecken, dass selbst ein freudestrahlendes Gesicht, wie das seiner Mutter, nur aufgesetzt sein kann und die echten Charakterzüge verbirgt.

Als Erwachsener entwickelt er eine ganz besondere Form der Kunst, mit deren Hilfe er die äußere Wahrheit zeigen möchte aber gleichzeitig auch ihre Zerbrechlichkeit und Lüge. Er nimmt von verschiedenen Frauen Gipsabdrücke, dabei konzentriert er sich immer auf ein anderes Körperteil. Zunächst sind es die Hände, dann ganze Körper oder nur das Gesicht – je nachdem welchen Teil der Frau er abbilden möchte. Doch seine Modelle sind in erster Linie besonders und entsprechen nicht dem gängigen Schönheitsideal.

In zwei Frauen verliebt er sich – die eine ist ein wahres Schwergewicht und in ihren Körperformen kann er sich verlieren, doch bald schon entwickelt sie psychische Probleme, die sie in eine schwerwiegende Krankheit führen, die Unhyongs Einfluss nicht mildern kann. Die andere ist zwar äußerlich wunderschön, erstarrt aber immer wieder in ihrer Art, sie scheint etwas zu verbergen, was sie niemandem verraten möchte. Doch damit kann der junge Künstler leben, er nimmt sich die Zeit auch diese Frau zu erkunden, um ihr wahres Ich zu enthüllen. Doch die zerstörerische Kraft dieser Beziehung ändert auch seine Sicht auf die Dinge …


Meinung


Die koreanische Schriftstellerin Han Kang hat mit ihren Werken mittlerweile internationale Erfolge gefeiert und widmet sich in diesem Buch einer Person, die selbst auf der Suche nach Nähe und Ehrlichkeit ist und nur durch stetiges Beobachten und einige Rückschläge ihrem Lebenssinn etwas näherkommt. Auf die Geschichte über die Möglichkeiten des Ausdrucks mittels künstlerischer Gestaltung aber auch die Grenzen, die nicht überwunden werden können, war ich sehr gespannt, weil mir allein die Inhaltsbeschreibung noch keine Auskunft geben konnte, ob diese Erzählung meinen Lesegeschmack treffen könnte oder eher nicht.

Im Grunde genommen passiert sehr wenig: Ein Mann verschwindet und hinterlässt Tagebuchaufzeichnungen und sein Gesamtkunstwerk, welches er minutiös in Schriftform festhält, inklusive der einzelnen Ereignisse, die zu den Objekten passen. Dennoch gelingt es der Autorin, den Leser zu unterhalten und ihn gewissermaßen für die kleinen, feinen Details der Schaffensgeschichte zu begeistern. Dabei wahrt sie jedoch eine kühle Distanz, die ebenso wie die Skulpturen zwar eine äußere Fassade besitzt, aber gleichermaßen eine hintergründige Aussage.

Die Frage der Schönheit kommt immer wieder auf, sie wird auf subtile Art und Weise hinterfragt und zeigt erschreckend deutlich, welche Auswirkungen eine gebrochene Seele auf den menschlichen Körper haben kann aber auch umgekehrt, wie viel Aufmerksamkeit dem Äußerlichen zu Teil wird, ohne jemals in die Tiefen des Herzens geblickt zu haben. Die Frage nach Schein und Sein dominiert den Text und man findet verblüffende Parallelen, Beispiele aus dem ganz normalen Alltag, die ebenfalls diese Schnittmenge aufweisen und denen ich normalerweise kaum Beachtung schenke.

Die Sprache ist poetisch, wenn auch kühl, die Charaktere bleiben weitestgehend anonym, haben nicht einmal richtige Namen. Die Geschichte überzeugt dennoch, schon allein aufgrund ihres ungewöhnlichen Ansatzes, ihrer Ausführung und der stillen, unbestimmten Entwicklung aller Personen, die die Gedankenwelt des Lesers eher am Rande streifen, als sich in ihr festzusetzen.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen ausdrucksstarken Roman, der eine Thematik anschneidet, mit der ich einerseits wenig Berührungspunkte habe, die mir aber in ihrer Form durchaus wertvolle Inhalte vermitteln konnte. Besonders einprägsam wird der Text, weil er gänzlich ohne Bewertungen auskommt. Jedwedes Verhaltensmuster scheint tiefen Ursprungs zu sein, der Betrachter erhascht jedoch nur kleine Momentaufnahmen, so dass eine Anmaßung über korrektes oder schuldhaftes Verhalten erst gar nicht zur Sprache kommt.

Interessant empfand ich auch die Kraft der Selbstzerstörung auf Grund gesellschaftlicher Normen, die ein Individuum nicht immer erfüllen kann. Im Kern habe ich dabei den Aspekt der Selbstliebe gefunden, der Akzeptanz all jener Fehler, die den Menschen so liebenswert und einmalig machen, auch dann, wenn alle Hüllen zerbröckeln. Prädikat: Lesenswerte Belletristik mit Unterhaltungswert.

Veröffentlicht am 25.04.2019

Einsamkeit trotz immerwährender Beziehungen

Die zehn Lieben des Nishino
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„Nishino zu küssen war wunderschön. Schöner als alles, was ich bisher gekannt hatte. Und doch fühlte es sich einsam an. Es war der einsamste aller Momente von Einsamkeit, die ich je erlebt hatte.“


Inhalt


Nishino ...

„Nishino zu küssen war wunderschön. Schöner als alles, was ich bisher gekannt hatte. Und doch fühlte es sich einsam an. Es war der einsamste aller Momente von Einsamkeit, die ich je erlebt hatte.“


Inhalt


Nishino sucht die Liebe seines Lebens, die immerwährende, alles umfassende Liebe, die er mit jeder neuen Frau an seiner Seite entdecken möchte. Doch trotz seiner Zuneigung zum weiblichen Geschlecht, seines Charmes und der Fähigkeit, jeder Frau das zu geben, was sie bisher nicht einmal vermisst hat, bleibt er ein Einzelkämpfer. Ein Mann, der sich über die Unendlichkeit des Universums beschwert, der seltsam unverbindlich und gleichermaßen fordernd auftritt. Der heiraten möchte und alle Frauen liebt, der während einer Beziehung mit der einen gleich noch die nächste Bekanntschaft pflegt. Ein Mann, der innere Verbundenheit sucht und doch nur oberflächliche Zuneigung findet. Eigentlich tritt er kaum in Erscheinung, ist manchmal schon wieder verschwunden, während er eine neue Liebe entdeckt und hinterlässt immer seltsam bestürzte Frauen, die sich unablässig fragen, ob sie ihn nicht lieben können, weil er so ist wie er sich gibt oder die ihn gerade deshalb verehren und ihn nur nicht halten können, weil sie ihn selbst zu wenig lieben.


Meinung


Die japanische Autorin Hiromi Kawakami, die bereits zahlreiche Literaturpreise ihres Landes für sich beanspruchen konnte, setzt mit ihrem neuesten Buch einem sehr unbestimmten Mannsbild ein Denkmal und schafft mit ihrer Erzählung, aus der Perspektive der Frauen ein stimmiges Gleichnis über die Unberechenbarkeit der Liebe.

Der Schreibstil selbst besticht durch leise, unaufgeregte kleine Erzählungen, bei der jede Frau dem Charakter des Nishino ein weiteres Attribut hinzufügt. Dadurch kann der Leser diesen besonderen Mann nach und nach immer besser einschätzen und wird sich bald darüber bewusst, worin die Kunst dieser Liebe bestehen mag, oder im Gegenteil, welche Ursachen immer wieder dazu führen, dass eine hoffnungsvolle Beziehung zerbricht.

Das Porträt des Herrn Nishino macht deutlich, wie Einsamkeit auch in andauernden Paarbeziehungen vorhanden sein kann, warum es immer leichter scheint sich einen neuen Partner zu suchen, wenn der gegenwärtige nicht mehr die eigenen Bedürfnisse erfüllt. Aber sie zeigt ebenso die Kehrseite der Medaille – ein ständig wechselndes, unverbindliches Zusammenleben ohne allzu tiefe Gefühle und nur wenige Entbehrungen.

Im Kern spürt man die Melancholie und Schmerzanfälligkeit dieses Mannes, der es nicht vermag, Konstanz in seine Beziehungen zu bringen. Dabei finde ich es sehr gelungen, wie wertungsfrei und offen die Autorin sein Verhalten aber auch das seiner Gefährtinnen darstellt. Wer kann etwas dafür, wenn Partnerschaften im Sande verlaufen? Warum ist es nicht nur die Treue, die Menschen an einander binden kann? Findet wirklich jeder irgendwann im Leben den passenden Partner? All diese teilweise philosophischen Betrachtungen fliesen in den Text hinein, ohne explizit genannt zu werden – dieses literarische Spiel mit den Figuren hat mir sehr gefallen, denn sie bleiben alle irgendwie substanzlos und dennoch bringen sie die Geschichte voran.

Ein klitzekleiner Schönheitsfehler, der mich etwas gestört hat, war das ineinander verschlungene Netz der Geschichten, die weder chronologisch noch mit deutlich verschiedenen Stimmen erzählt werden. So richtig kann man da nicht mitzählen, wie viele Frauen es tatsächlich waren, wer welche Ansprüche hatte und warum sie nicht erfüllt wurden. An dieser Stelle hätte ich mir vielleicht mehr Klarheit gewünscht, um die Frauenfiguren noch etwas besser einordnen zu können. Rückblickend betrachtet bleibt nur die Tatsache, dass es viele waren, die alle nicht fanden, was sie suchten.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen faszinierenden Roman über die Liebesfähigkeit eines Menschen, die sowohl fiktiv sein könnte als auch auf Realität basierend. Es ist kein klassischer Text über eine Person, die man vielleicht kennen könnte, doch die Verhaltensweisen an sich erscheinen äußerst plausibel. Zurückhaltung, Abstand und eine gewisse Distanziertheit bleiben bestehen, doch umso intensiver entfalten sich die diversen Interpretationsmöglichkeiten, die noch dazu sehr fremd und unbestimmt wirken.

Wer sich auf dieses Gedankenexperiment einlassen kann, findet hier Zugang und einen ungewöhnlichen Ansatzpunkt, dennoch hatte ich das Gefühl, nicht restlos in die Erzählung und ihre Tiefe vordringen zu können. Vielleicht bietet sich hier ein zweimaliges Lesen an, um noch mehr zu entdecken.

Veröffentlicht am 18.04.2019

Onkel Willis letzte Reise

Rückwärtswalzer
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„Wir haben gelernt, dass man nicht jedem jede Geschichte erzählen kann. Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie allen erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen ausgewählten Menschen teilt.“


Inhalt


Lorenz ...

„Wir haben gelernt, dass man nicht jedem jede Geschichte erzählen kann. Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie allen erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen ausgewählten Menschen teilt.“


Inhalt


Lorenz Prischinger wird von seinen Tanten mit einer ebenso schwierigen wie verantwortungsvollen Aufgabe betreut. Er soll seinen toten Onkel Willi zusammen mit den drei alten Damen von Wien nach Montenegro bringen, damit Willi dort seine letzte Ruhestädte findet, so wie er es sich zu Lebzeiten gewünscht hat. Als einziges Transportmittel kommt nur das Auto in Frage, da allen Prischingers das Geld für eine offizielle Überführung des Leichnams fehlt. Nach anfänglichen Zweifeln bleibt dem jungen Mann, der selbst gerade eine schwierige Lebensphase durchmacht, nichts weiter übrig als sich den Wünschen seiner drei beherzten Tanten zu beugen. Und gemeinsam erleben sie auf einer gut 12 stündigen Fahrt allerlei turbulente Vorkommnisse und ganz nebenbei führen sie tiefgreifende Gespräche über ihr Leben, die Vergangenheit und erfüllte oder verschobene Lebenswünsche. Onkel Willis letzte Reise setzt ihm ein Denkmal, ist Totenwache und Familienrat gleichermaßen und bestärkt die Prischingers in ihrem seit Kindertagen geltenden Motto: „Niemand wird zurückgelassen.“


Meinung


Dies war mein erster Roman aus der Feder der österreichischen Autorin Vea Kaiser, die mit ihren anderen Werken „Blasmusikpop“ und „Makarionissi“ bereits Bestseller landete. Die vielen positiven Lesermeinungen haben mich darin bestärkt, nun endlich mal ein Buch der Jungautorin kennenzulernen.


Und tatsächlich, der Roman verspricht eine unterhaltsame Geschichte, einen abenteuerlustigen Roadtrip und letztlich ein unvergessliches Familienepos und kann all das irgendwie auch bieten. Das große Plus dieser Erzählung ist nicht unbedingt der Humor, obwohl auch dieser nicht fehlt, nein es sind die warmherzigen Charakterbeschreibungen mehrerer Familienmitglieder, die hier alle gleichberechtigt und authentisch zu Wort kommen und die trotz ihrer Macken und Fehler, immer beherzte Entscheidungen treffen und sich mit den Konsequenzen arrangieren. Dieses sehr genau Bild gelingt durch ein stilistisches Mittel noch besser, denn abgesehen von der Gegenwartshandlung in einem beengten Panda mit einer gefrorenen Leiche auf dem Beifahrersitz, entführt Vea Kaiser den Leser in die Vergangenheit der jeweiligen Protagonisten.


So lernt man die älteste Schwester Mirl kennen, die sich mit dem dicken Gottfried einen echten Schürzenjäger als Mann zulegt, dessen Bauch als Beamter ebenso schnell wächst, wie als hungriger Ehemann. Die mittlere Schwester Wetti, die immer sehr präsent ihr Wissen kundgibt und sich für die Natur und ihre Entwicklung weit mehr interessiert als für Liebesgeplänkel und letztlich die jüngste Hedi, die sich mit Willi als Ehemann glücklich schätzt, sich aber doch nicht immer verstanden fühlte und auch den ein oder anderen Fehltritt zu Lebzeiten zu verantworten hat.


Tatsächlich haben mir die eher ernsthaften Ausflüge in die Familiengeschichte weit besser gefallen als die skurrilen Begebenheiten der „Leichenfahrt“, dort waren mir stellenweise die Handlung und die Vorkommnisse etwas zu dick aufgetragen und nicht mehr ganz so lustig wie beabsichtigt, obwohl es natürlich ein erfundener Roman mit einem bewusst gewählten Szenario ist, hätte ich mir an dieser Stelle eine etwas realistischere Ausführung gewünscht.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für einen sehr unterhaltsamen, humorvollen Roman voller Empathie und kleiner liebenswerter Anekdoten, der in seinem Gesamtbild eine unverwechselbare, einprägsame Familiengeschichte erzählt, die einem ans Herz wächst. Die Reise wird nur zum Anlass genommen, um die eigentliche durch Jahrzehnte reichende Lebenswelt der Familie Prischinger lebendig werden zu lassen. Ein Buch, welches unter der Hand an das Verständnis des Lesers appelliert, an die Möglichkeit trotz verschiedener Lebenswege einen intakten Zusammenhalt zu wahren und sich nicht davor zu verstecken, zu den eigenen Fehlern zu stehen, aber anderen diese ebenso großmütig zu verzeihen. Empfehlenswert ist das Buch für alle engagierten, lebensbejahenden Menschen, die sich gerne auf eine kleine Reise zu den Herzen anderer Menschen begeben möchten. Vielleicht nehmen sie sogar ein Stück Kuchen mit, für ihr eigenes Leben – denn auch darin sind sich die Prischingers einig: mit Essen wird alles etwas leichter.