Ehrlicher, authentischer Jugendroman, der mich leider nicht ganz überzeugen konnte
Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Eigentlich wollte Rosa mit ihrem Freund nach Australien fliegen und durch das schöne Land reisen, doch der trennt sich unerwartet von ihr. Also wagt sie diesen großen ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Eigentlich wollte Rosa mit ihrem Freund nach Australien fliegen und durch das schöne Land reisen, doch der trennt sich unerwartet von ihr. Also wagt sie diesen großen Schritt allein. Unsicher, ängstlich und einsam landet sie am anderen Ende der Welt und überlegt, ob sie nicht gleich wieder zurückfliegen soll. Doch dann trifft sie auf Frank, einen intelligenten, sehr introvertierten jungen Mann, der, ebenfalls im gleichen Hostel schläft wie sie. Beide sind sich sofort (mehr als) sympathisch und beschließen, gemeinsam weiterzureisen. Nach kurzer Zeit taucht jedoch David, Franks bester Freund, mit dem er sich eigentlich zerstritten hat, in Down Under auf und bringt alles durcheinander. Eine atemberaubende Reise beginnt, die niemand von ihnen als der gleiche Mensch beenden wird, als der er sie begonnen hat…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Heyne
Seitenzahl: 416
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive (Rosa, Frank, David)
Kapitellänge: sehr kurz (meist 1-3 Seiten)
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere verletzt oder gequält. Die drei gehen sogar sehr liebevoll mit den australischen Kängurus um und streicheln und füttern sie. Jedoch wird auch Fleisch gegessen und geangelt. Die toten Fische werden im Anschluss verspeist. Ziemlich geärgert hab ich mich auch, dass ein Hamster als „Drecksviech“ bezeichnet wurde und dass es als normal dargestellt wurde, dass diese Tiere nur wenige Wochen leben. Wenn man sie alles andere als artgerecht hält (zu kleiner Käfig, schlechtes Futter, am Tag mehrmals aufwecken), dann leiden sie natürlich und sterben so früh, ansonsten aber nicht. Ich würde mir wünschen, dass Hamster und andere Kleintiere endlich nicht mehr in winzigen Gefängnissen ihr Dasein fristen müssen, nur weil man sich nicht die Mühe macht, sich ordentlich zu informieren, bevor man sich (oder dem Kind) ein Tier ins Haus holt. Im Internetzeitalter gibt es dafür keine Ausreden mehr! Seriöse Informationen findet man z. B. auf der Internetseite hamsterbacken.com. Kaufen sollte man Tiere übrigens niemals im Zooladen (die Tiere werden meist im Ausland unter tierquälerischen Bedingungen „produziert“), sondern stattdessen sollte man einem Hamster von einem seriösen Züchter (keinem „Kleinanzeigen-VermehrerInnen“!) oder aus dem Tierheim ein neues Zuhause schenken.
Warum dieses Buch?
Über Anne Freytag hatte ich vor der Lektüre sooo viel Gutes gehört - ihr vielgelobtes und vielgeliebtes Buch "Den Mund voll ungesagter Dinge" liegt seit kurzem auf meinem SUB. Klappentext und Leseprobe ihres neuen Romans haben mich sofort verzaubert. Dass die Autorin (laut Verlag) mit ihm diese magische Zeit zwischen der Schule und allem, was danach kommt, feiert, hat mich zusätzlich sehr neugierig gemacht. Meiner Meinung nach ist das nämlich einer der schönsten Zeitabschnitte im Leben!
Meine Meinung
Einstieg (-)
Obwohl der Schreibstil eigentlich sehr einfach ist und obwohl mich die Leseprobe überzeugen konnte, dauerte es sehr lange (ca. 150-200 Seiten), bis ich einen Zugang zur Geschichte und ins Buch fand. Vor allem am Beginn hatte ich oft nicht das Bedürfnis weiterzulesen – im Gegenteil, ich hätte das Buch wohl, wenn es sich nicht um ein Verlosungsbuch gehandelt hätte, abgebrochen. Zum Glück bin ich ab einem gewissen Punkt mit jeder Seite besser in die Geschichte gekommen, so dass sich das Weiterlesen für mich durchaus gelohnt hat. Auch wenn meine Beziehung zum Buch bis zum Ende eine blieb, die man heutzutage wohl am ehesten mit „Es ist kompliziert“ beschreiben würde.
Schreibstil (+/-)
„Es fühlt sich an, als stünde ich auf einer Klippe, vor mir und hinter mir Abgrund, überall Abgrund, als gäbe es kein Vor oder Zurück, als wäre jeder Schritt ein Ende.“ Seite 90
Was den einfachen, altersgemäßen Schreibstil betrifft, habe ich beispielsweise sehr widersprüchliche Gefühle. Einerseits hat er mir an manchen Stellen unglaublich gut gefallen, denn immer wieder gelingt es Anne Freytag, unglaublich berührende, emotionale und intensive Momente zu beschreiben, in denen ich absolut mitgefühlt habe und von denen ich begeistert oder verzaubert war. Auch ihre poetische Sprache und die gelungenen Vergleiche und Metaphern fand ich oft wunderschön. Zudem ist das, was im Buch gesagt wird, trotz des einfachen Schreibstils niemals oberflächlich, sondern hat stets Substanz und Tiefe.
Andererseits waren mir die stellenweise unglaublich kurzen (Einwort-)Sätze oft auch zu abgehackt, rissen mich aus dem Lesefluss und führten dazu, dass ich für dieses Jugendbuch beim Lesen sehr lange gebraucht habe. Immer wieder bin ich während der Lektüre gedanklich abgeschweift. Der Schreibstil wirkt irgendwie rastlos und unruhig, und das passt vielleicht ganz gut zu diesem ungewöhnlichen Roadtrip, jedoch konnte er mich dadurch oft leider nicht so erreichen, wie ich mir das gewünscht hätte. Oft blieb eine gewisse Distanz zur Geschichte, und ich konnte nie vergessen, dass ich ein Buch vor mir hatte, nie ganz in die Geschichte eintauchen. Es gab Szenen, die haben mich fast zu Tränen gerührt und andere Momente, die nichts in mir ausgelöst haben – diese haben leider überwogen. Zudem waren mir die Sätze oft auch zu pathetisch, manchmal wirkte jedes Wort wie künstlich mit Bedeutung aufgeladen. Mir war das manchmal einfach zu viel.
Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)
„Mein Großvater sagte immer, das Leben beginnt da, wo die Angst endet. In den Sekunden, in denen wir die Möglichkeiten sehen und nicht das, was dagegen spricht.“ Seite 61
Wenn ich (als angehende Lehrerin) eines an Anne Freytags Buch schätze, das es von vielen anderen Jugendromanen abhebt, dann ist es die feinfühlige, altersadäquate Ehrlichkeit der Autorin, mit der sie tabulos komplizierte (unperfekte) zwischenmenschliche Beziehungen beleuchtet und über Themen wie Freiheit, das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normen, Liebe, Freundschaft und Selbstfindung, aber auch eher schwierige Themen wie Schuldgefühle, Sexualität und Verletzlichkeit spricht. Ihre Geschichte ist genau deshalb sehr erfrischend: die Autorin nimmt ihre Zielpublikum ernst und traut ihm einiges zu. Manchmal geht sie auch unerwartet ins Detail, was mich teilweise überrascht hat. Dabei wird es allerdings niemals unpassend, auch empfindliche Themen werden tiefgründig und sensibel behandelt und so aufbereitet, dass Jugendliche sie verstehen können. Ähnlich ehrlich schreibt übrigens die österreichische Autorin Sabine Schoder, deren berührendes Debüt, „Liebe ist was für Idioten. Wie mich“, ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann.
Die Geschichte wird aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt; abwechselnd und nur wenige Seiten lang erhalten wir einen Einblick in das Innenleben der zweifelnden Rosa, des schüchternen Frank, des extrovertierten Davids. Die Zeitstruktur ist hierbei oft komplex, da es viele Rückblenden gibt – diese werden jedoch sehr gelungen eingewebt, sodass sie einen nicht aus dem Lesefluss reißen. Es ist ein stilles Buch, das wenig Dialog und Handlung enthält und sich eher auf die „innere Reise“, also die innere Weiterentwicklung und Selbstfindung konzentriert, anstatt auf äußere Vorkommnisse. Für diese Geschichte war diese Erzählweise sicherlich die richtige Wahl, weil nur so eine gewisse Vielschichtigkeit und Tiefe entstehen konnte. Über Australien und seine Sehenswürdigkeiten erfährt man nicht viel – obwohl Anne Freytags Schreibstil anschaulich ist –, stattdessen weiß man am Ende des Buches ganz genau, wie es ist, hunderte Kilometer lang mit zwei Menschen einen Camper sein Zuhause zu nennen. Das hat mir sehr gut gefallen. Das Ende fand ich außerdem passend und rund. Es hat mich zwar nicht vom Hocker gehauen, aber ich habe auch nichts daran auszusetzen. Ich konnte das Buch zufrieden schließen. Ich werde dieses Roadtrip-Feeling, das Anne Freytag sehr intensiv einfängt, bestimmt auch nicht so schnell wieder vergessen.
Eine Playlist am Vorsatzpapier (auf der Innenseite der Buchdeckel) ermöglicht es einem, die selben Lieder wie die drei AbiturientInnen zu hören, was viel zur Atmosphäre beiträgt und was ich natürlich deshalb auch gemacht habe. Viele der Lieder haben mir zwar nicht wirklich gefallen (einige wenige dafür sehr!), aber das ist ja wie immer Geschmackssache. Jedenfalls bietet das Buch eine bunte Mischung, bei der für jede/n etwas dabei sein sollte.
Die Geschichte enthält einige wunderbare, einmalige Momente, die ich nicht missen möchte. Trotzdem konnte sie mich nicht ganz und vor allem nicht durchgehend überzeugen. Manchmal war mir dieser Blick ins Innenleben zu detailliert, manche Szenen fand ich langweilig und nichtssagend. Oft fehlte mir auch die Spannung; dieser Drang, weiterzulesen wollte sich über weite Strecken einfach nicht einstellen.
ProtagonistInnen (+/-)
„Frank schaut in Moll. Etwas in seinen Augen ist immer ein bisschen schwer, ein bisschen wehmütig.“ Seite 69
Die ProtagonistInnen sind ohne Frage sehr liebevoll ausgearbeitet und besitzen alle ihre Stärken und Schwächen, ihre Geheimnisse und ihre Verletzungen aus der Vergangenheit. Dennoch blieb da immer eine kleine Distanz zwischen mir und den Figuren, besonders zu Rosa. Ich weiß nicht genau, woran es lag, dass ich mich einfach nicht in die Figuren verliebt habt, so wie ich es mir bei diesem Roman eigentlich gewünscht hätte. Ich habe mitgefühlt und mitgelitten, aber nicht so intensiv, dass ich nur mehr die Geschichte im Kopf hatte oder traurig gewesen wäre, als ich das Buch geschlossen habe. Das ist sehr schade, und ich kann absolut verstehen, dass es bei vielen anderen LeserInnen anders war! Dass Rosa raucht, ist zwar authentisch (Jugendliche rebellieren nun mal gerne), andererseits sehe ich es auch kritisch, da sie somit dem Zielpublikum als negatives Vorbild dienen könnte. Denn, traurige Wahrheit: Mehr als die Hälfte der erwachsenen RaucherInnen haben vor dem 17. Lebensjahr damit begonnen.
Figuren (+)
Nur wenige Nebenfiguren haben im Buch einen Auftritt. Ihre Rollen sind zu klein, als dass man sagen könnte, dass sie gut oder schlecht ausgearbeitet sind. Jedoch ist mir hier nichts negativ aufgefallen – im Gegenteil, viele der Menschen, die Rosa, Frank und David auf ihrer Reise treffen waren sehr interessant und charmant! Ich habe sie gerne kennengelernt!
Spannung (-)
Was mir bei diesem Buch leider über weite Strecken wirklich gefehlt hat, war die Spannung. Immer wieder wird der Spannungsbogen kurz aufgebaut, bricht jedoch schon nach wenigen Seiten wieder ein. Ich war zwar stets neugierig, wie die Geschichte weitergehen würde, das Buch war aber kein Pageturner für mich und übte auch keinen Sog aus, weiterzulesen. An manchen Stellen (besonders in der ersten Hälfte) musste ich mich sogar zum Weiterlesen zwingen – eigentlich hätte ich lieber ein neues Buch begonnen.
Atmosphäre (♥)
Dafür konnte die Autorin bei mir mit der dichten Atmosphäre punkten. Man fühlt sich, als würde man selbst schwüle Nächte in diesem engen Camper verbringen, bei Sonnuntergang am Strand liegen und selbstgekochte Spagetti verzehren und als würde man den warmen Wind beim Fahren im Gesicht spüren. Obwohl die Autorin auf detaillierte Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten verzichtet und sich lieber auf die innere Reise und das komplizierte Beziehungsgeflecht der Hauptfiguren konzentriert, bekommt man dennoch ein sehr gutes Gefühl für das Leben in Australien und den Charme des Landes und seiner EinwohnerInnen. Toll!
Feministischer Blickwinkel (♥)
Rosa ist eine sehr starke, selbstbewusste weibliche Figur, die sich immer wieder gegenüber David und Frank durchsetzt. Männer waschen ab und dürfen weinen. Auch die ehrliche Thematisierung von Sexualität, Homosexualität, Einverständnis (Consent) und Gleichberechtigung (im Buch wird Naomi Aldermans „Die Gabe“ gelesen, was ich ziemlich cool fand) hat mir sehr gut gefallen. Nicht so gut gefallen haben mir die gegenderten Beleidigungen, die zum Glück nur sehr selten vorkommen (Flittchen, Miststück).
Mein Fazit
„Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte“ ist ein überraschend ehrlicher, tabuloser Jugendroman, der sein Zielpublikum ernst nimmt und ihm einiges zutraut, was mir besonders als angehende Lehrerin sehr gefallen hat. Trotzdem konnte mich das Buch leider nicht ganz überzeugen. Das lag zu einem großen Teil daran, dass ich nur sehr schwer in die Geschichte gefunden habe und dass sie mich trotz manch unglaublich berührendem, wunderbarem und intensivem Moment nicht immer erreichen konnte. Es gab Szenen, die mich fast zu Tränen rührten, aber auch viele Kapitel, die nichts in mir ausgelöst haben. Einerseits mochte ich die einfache, aber doch tiefgründige und poetische Sprache der Autorin (viele Metaphern und Vergleiche fand ich wunderschön!), andererseits war mir der Schreibstil oft auch zu pathetisch, zu künstlich mit Bedeutung aufgeladen. Die sehr kurzen Sätze wirkten auf mich oft abgehackt; sie haben mich aus dem Lesefluss und aus der Geschichte gerissen. Es handelt sich um ein stilles Buch, das wenig Dialog und Handlung enthält und sich eher auf die „innere Reise“, also die innere Weiterentwicklung und Selbstfindung konzentriert, anstatt auf äußere Vorkommnisse. Womit die Autorin eindeutig glänzen kann, ist ihre erfrischende, feinfühlige, altersadäquate Ehrlichkeit, mit der sie tabulos und tiefgründig über (auch schwierige) Themen wie Liebe, Schuldgefühle und Sexualität spricht. Die ProtagonistInnen sind ohne Frage sehr dreidimensional und liebevoll ausgearbeitet, dennoch blieb da immer eine kleine Distanz zwischen mir und den Figuren, besonders zu Rosa. Ich weiß nicht genau, woran es lag, dass ich mich nicht in die Figuren verliebt habe, so wie ich es mir bei diesem Roman eigentlich gewünscht hätte. Oft fehlte mir auch die Spannung; dieser Drang, weiterzulesen wollte sich über weite Strecken einfach nicht einstellen. An manchen Stellen (besonders in der ersten Hälfte) musste ich mich sogar dazu zwingen. Punkten konnte die Autorin dafür mit der dichten Atmosphäre. Man fühlt sich, als würde man selbst schwüle Nächte in diesem engen Camper verbringen und den warmen Wind beim Fahren im Gesicht spüren. Ich werde dieses Roadtrip-Feeling, das Anne Freytag sehr intensiv einfängt, bestimmt nicht so schnell vergessen. Kurz: „Mein Leben basiert auf einer wahren Geschichte“ ist ein erfrischend ehrlicher Jugendroman mit Schwächen, der mich insgesamt leider nicht ganz überzeugen konnte.
Jetzt freue ich mich auf „Den Mund voll ungesagter Worte“ und hoffe, dass dieses Buch mehr meinen Geschmack trifft.
Bewertung
Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
ProtagonistInnen: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 4 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +
Insgesamt:
❀❀❀,5 Lilien
Dieses Buch bekommt von mir insgesamt dreieinhalb Lilien!