„Bei solchen Gelegenheiten wird man wieder daran erinnert, dass dieses Amt etwas Besonderes ist und dass eine Antwort den Menschen das Gefühl vermittelt, ihr Leben, ihre Sorgen sind wichtig. Und das kann in kleinem, manchmal aber auch im entscheidenden Maß verändern, wie sie selbst ihr Leben betrachten.“ (Obama in Briefe an Obama)
Worum geht’s?
„10 letters a day“ – das hat Barack Obama entschieden, als er ins Amt des amerikanischen Präsidenten trat. Jeden Tag möchte er 10 Briefe der Bürger vorgelegt bekommen, die sich an ihn wenden. Er war der erste Präsident, der dies konsequent verfolgte. Er wollte wissen, was da Volk bewegt. „Briefe an Obama“ beleuchtet das Phänomen „10 LADs“, die riesige Maschinerie hinter der Postbearbeitung und die Briefe selbst.
Schreibstil / Gestaltung
Das Hardcover-Buch mit abnehmbaren Schutzumschlag zeigt Barack Obama grübelnd und lesend in einem Sessel sitzend. Das Cover passt sehr gut zur Vorstellung, dass Obama sich jeden Abend die Mappe der 10 ausgewählten Briefe mit ins private Büro nahm. Das Cover ist schlicht und unaufdringlich.
Das Buch geht chronologisch durch Obamas Amtszeit und beginnt bereits zum Zeitpunkt, als er gewählt, aber noch nicht an der Macht ist. Es gibt stets eine Auswahl aus Zuschriften, welche gestalterisch aufgearbeitet wurden, einige mit Antwort von Obama, andere unbeantwortet. Auf die Briefe folgen stets 2-3 Kapitel, die von der Autorin geschrieben das System beleuchten, Einblicke in die Arbeitsweise geben und einen Brief mit seiner Hintergrundgeschichte beleuchten. In den Kapiteln kommen insbesondere auch die Mitarbeiter und Obama selbst regelmäßig zu Wort.
Mein Fazit
Auf das Buch aufmerksam geworden bin ich erstmals durch den ehemaligen Cheffotografen des Weißen Hauses, Pete Souza. Seine Bildbände über Barack Obama fand ich sehr interessant und auf Instagram stellte er das Buch „To Obama“ vor. Umso glücklicher war ich, dass das Buch nunmehr auf Deutsch erschienen ist. Aus zahlreichen Serien und Sendungen kannte ich das Prinzip der Briefe an den Präsidenten und war daher umso mehr gespannt, wie viel Wirklichkeit hierhinter steckte.
Der Einstieg in das Buch fiel mir etwas schwer. Das Buch startet unmittelbar – ohne Vorwort, ohne Einführung – mit der Auswahl der ersten Briefe, erst im Anschluss gibt es eine allgemeine Einführung der Autorin zum Thema und zu den Gründen, wieso sie das Buch schrieb. Tatsächlich wirkte der Teil merkwürdig unstrukturiert und ich war vor allem verwirrt. Mit Verlauf des Buches hatte man sich hieran aber schnell gewöhnt und die Abwechslung zwischen Erzählungen aus der Praxis, der Beleuchtung von Einzelfällen und den realen, echten Briefen (welche in Übersetzung vorliegen) gefiel mir sehr gut.
Etwas stört es mich, dass die Briefe gestalterisch aufgearbeitet sind, mit handschriftähnlichen Schriftarten zB. Auch der regelmäßige Wechsel in der Gestaltung sollte wohl die Vielfalt unterstreichen, wirkte aber irgendwie künstlich. Zudem hatte ich an einigen Stellen das Gefühl, dass ggf. durch die Übersetzung eine ungewollte Härte in Obamas Antworten eingeflossen ist. So fiel mir dies besonders im ersten Drittel des Buches vermehrt auf, dass die Briefe teils belehrend und fast schon gemein klangen. Ich vermute allerdings, dass dies primär der Übersetzungstatsache geschuldet ist. Fantastisch wäre es daher gewesen, wenn die Originale mit abgedruckt wären, allerdings würde dies definitiv den Rahmen des Buches sprengen.
Inhaltich bietet das Buch eine breite Palette. Es gab die berichtenden Teile, die den Gang der Briefe, die Arbeit der Kommunikationsleute und den Ablauf der Auswahl beleuchten. Es war sehr interessant, hier Einblicke zu erhalten. Viele Informationen kamen für mich sehr überraschend (etwa, dass teilweise bis zu 250000 Briefe die Woche kamen; dass Obama häufig Verfügungen für weitergehende Informationen machte oder auch, dass viele Briefe nicht nur bei Obama, sondern im halben Weißen Haus landeten). Das Buch beleuchtet eine Struktur, die ich mir nie hätte vorstellen können und die faszinierend zeigt, wie mit den Eindrücken einer Bevölkerung umgegangen wird. So erfährt man etwa, dass teilweise bis zu 400 Briefe am Tag Hilferufe sind, bei denen die Leute sich oder andere gefährden. Eine Sonderabteilung nimmt sich jedem dieser Fälle an. Die Auswahl der im Buch gezeigten Briefe ist von wütend über informativ bis zu lustig sehr vielfältig. Die meisten Briefe gehören jedoch in die Kategorie wütend, tragisch oder schön. Menschen erzählen Obama ihre Geschichten – und oftmals reagiert er hierauf, mit direkter Hilfe, mit Gesetzesänderungen, mit starken Worten.
Es waren zahlreiche bewegende Briefe dabei. In einem Brief schildert ein schwuler Mann, dass sein Partner als Soldat in den Krieg zieht und niemand wissen darf, dass er schwul ist. In einem anderen Brief berichten Eltern über ihre Tochter, die beim Terroranschlag am 9/11 gestorben ist. Ein anderer Brief erzählt die Geschichte eines Mannes, der einem illegalem Einwanderer ein Vater sein will, der Staat ihn aber abschieben will. Es gibt einen Brief einer Anwältin, die Obama für die Begnadigung eines Mandanten dankt. Es gibt zahlreiche Lobbriefe für Obama, Dankesbriefe für seine Reformen, aber auch einige kritische Stimmen und einen jungen Schüler, der um Hausaufgabenhilfe bittet. Auf jeden Fall ist „Briefe an Obama“ ein breitgefächertes Portfolio an Briefen, die die amerikanische Politik bewegen wollten und auch teilweise bewegt haben. Auch die Einzelfälle, die intensiver beleuchtet wurden, waren teilweise sehr interessant und zeigten, welche Auswirkung eine Antwort des Weißen Haues haben kann. Besonders in Erinnerung blieb mir das Kapitel „Rote Punkte“ – die Markierung für Briefe mit Selbst- oder Fremdgewährdung. Es war ein Kapitel, was mir Gänsehaut und Tränen beschwert hat.
Einzig kritisieren mag ich, dass gegen Ende hin – passend zum Ende von Obamas Amtszeit – natürlich auch das Thema Trump in den Briefen aufgegriffen wird. Hierbei merkt man die Positionierung der Autorin als Obama-Befürworterin doch sehr stark. Es gibt viele Briefe, die widerspiegeln, wie besorgt die Bevölkerung ist und auch durch das Zuwortkommen der Mitarbeiter wird ein klares Anti-Trump-Bild gezeichnet. Ein bisschen weniger Meinung und ein bisschen mehr Neutralität wären ein krönender Abschluss gewesen. Denn bis zu diesem Punkt ist das Buch sehr ausgewogen und zeigt auch viele Anti-Obama-Briefe, viel Kritik.
Am Ende ist „Briefe an Obama“ ein interessanter Einblick in ein fremdes, wenig bekanntes System, welches Obama in seiner Amtszeit als Präsident genutzt hat, um die Beweggründe des Volks zu erfahren. Es ist ein spannender Einblick in das Volk selbst und welche Themen es bewegt und ein teilweise emotionaler Nachweis, was manchmal durch simple Worte bewegt werden kann.
[Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, dass mir freundlicherweise vom Verlag überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]