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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.06.2019

Berührender Lebensrückblick eines frisch Verwitweten, der mir dennoch fremd blieb

Die Angehörigen
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Völlig überraschend ist Gene Ashes Frau Maida gestorben. Bei der Vorbereitung einer Rede für eine Gedenkfeier einige Monate später kreisen seine Gedanken immer mehr um die Fragen: War seine Frau überhaupt ...

Völlig überraschend ist Gene Ashes Frau Maida gestorben. Bei der Vorbereitung einer Rede für eine Gedenkfeier einige Monate später kreisen seine Gedanken immer mehr um die Fragen: War seine Frau überhaupt glücklich? Und wenn ja, weshalb? Und ihre gemeinsame Tochter Dary: Ist sie glücklich? Was braucht es überhaupt zum Glück? Je mehr er sich mit diesen Fragen beschäftigt, umso klarer wird ihm, wie wenig er von seinen Nächsten weiss.
Es ist ein sehr gefühlvolles und teilweise auch fast schon poetisch geschriebenes Buch über die Liebe, den Tod und vieles mehr, was das Leben ausmacht ("... vielleicht sorgte der immer näher rückende Tod für eine Steigerung der Lebensintensität, die zwar nicht das Problem der Endlichkeit des Lebens löste, aber die Schwierigkeiten, mit denen er stets gehadert hatte."). Doch trotzdem blieb mir die Hauptfigur Gene, deren Gedanken und Empfindungen man hier zu lesen bekommt, merkwürdig fern. Eigentlich sind alle Zutaten vorhanden, dass man mit ihm fühlt und leidet, trauert und lacht. Und trotzdem - bei mir klappte es nicht.
Gene ist ein zurückhaltender, ruhiger und eher langsamer Mensch, der all sein Tun einem Zweck unterordnet und sich stark an Äusserlichkeiten und Erwartungen orientiert; vielleicht auch, weil sein Selbstbewusstsein nicht allzu gross ist. Auch das Glück scheint für Gene etwas zu sein, dass sich bei einem bestimmten Verhalten praktisch automatisch einstellt bzw. einstellen müsste, was er wiederholt versucht, seiner erwachsenen Tochter nahe zu bringen.
Möglicherweise ist es dieses extrem 'vernünftige' Verhalten und das ständige Hinterfragen Genes von allem und jedem, das ihn mir so fremd bleiben liess. Fast schon am Ende des Buches gibt es einen Abschnitt über das Lesen, der Genes Einstellung überdeutlich macht ("... er hatte die Bücher nicht frei gewählt, obwohl niemand da war, der ihm kritisch über die Schulter schaute. Stattdessen hatte er die korrekte Wahl getroffen - das Sachbuch über die Eisenbahnarbeiter, weil es ihn über ein wichtiges Thema informierte, und den Krimi, weil man sich ein solches Vergnügen nach allgemeiner Übereinkunft im Urlaub gönnen durfte, ja, musste. In Wirklichkeit aber ..."). Vielleicht war mir zu wenig 'echter' Gene vorhanden, um mich ihm nahe zu fühlen oder dieser Wesenszug ist mir schlicht zu fremd. So bleibt es bei einer anteilnehmenden Aussenansicht.

Veröffentlicht am 17.05.2019

Packender Thriller, jedoch mit einigen Mängeln

Als Grace verschwand
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Als die junge Grace Simone Porter anspricht und behauptet, ihre Tochter zu sein, ist Alles wieder da. Der grosse Schmerz und das Leid, als vor 18 Jahren ihre sechs Monate alte Tochter Helena verschwunden ...

Als die junge Grace Simone Porter anspricht und behauptet, ihre Tochter zu sein, ist Alles wieder da. Der grosse Schmerz und das Leid, als vor 18 Jahren ihre sechs Monate alte Tochter Helena verschwunden ist. Nichts, keine Spur, kein Lebenszeichen hat es seitdem von ihr gegeben und und Simone und ihr Mann haben mühevoll gelernt, mit diesem Verlust zu leben. Sie misstraut der jungen Frau, doch als diese ein Stofftier vorzeigt, das Helena gehörte, beginnt sie ihr Misstrauen abzulegen. Gemeinsam wollen sie nach der Wahrheit suchen, doch plötzlich ist Grace verschwunden. Simone macht sich auf die Suche und findet sich wieder in einem Gespinst aus Täuschungen, Lügen und Unwahrheiten.
Was ist diese Story spannend! Ich habe die rund 350 Seiten in gerade einmal zwei Tage durchgelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, was hinter all diesen seltsamen Zusammenhängen steckt und ich mir absolut keinen Reim darauf machen konnte, wie das alles zusammenhängen sollte. Irgendjemand schrieb, es wäre bereits von vornherein klar, aber ich habe dazu vielleicht zu wenig Thriller und Krimis gelesen; ich war ständig aufs Neue überrascht.
Trotzdem hat dieses Buch einige Mängel. Es gibt reihenweise Unplausibles und nicht Nachvollziehbares: Wieso passierte während der 18 Jahre nichts? Arztbesuche gab es nur zu Beginn? Und dann? Und wie kann Ginny sooo blauäugig sein? (Wer das Buch nicht gelesen hat, kann damit vermutlich nicht viel anfangen. Aber ich will nicht spoilern ). Das ist Alles wirklich ein wenig zu dick aufgetragen.
Auch der Schreibstil ist eher schlicht. Mehrmals wird am Ende eines Kapitels versucht, zusätzliche Spannung zu erzeugen, indem jemand (insbesondere Abbott) telefonisch nicht erreichbar ist. Dabei wäre das überhaupt nicht nötig, die Geschichte ist derart packend, dass solch künstlich erzeugte 'Cliffhanger' überflüssig sind. Oder die Beschreibung eines Übertäters: "... er tritt ein, mit verzerrtem Gesicht und einem bedrohlichen schiefen Grinsen." Hallo, Klischee lässt grüssen
Doch die Spannung machte diese Mängel wett, zumindest bei mir. Wer also über die genannten Schwächen hinwegsehen kann, wird einige wirklich packende Lesestunden haben.

Veröffentlicht am 26.04.2019

Eine außergewöhnliche Familiengeschichte des 20. Jahrhunderts, die fast nur Opfer kennt

Die Gewitterschwimmerin
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Als der 60jährigen Tamara Hirsch mitgeteilt wird, dass ihre Mutter gestorben ist, setzt dies einen Erinnerungsstrom in Gang, der Tamara ihr ganzes Leben vor Augen stellt. Parallel dazu wird die Geschichte ...

Als der 60jährigen Tamara Hirsch mitgeteilt wird, dass ihre Mutter gestorben ist, setzt dies einen Erinnerungsstrom in Gang, der Tamara ihr ganzes Leben vor Augen stellt. Parallel dazu wird die Geschichte ihrer Vorfahren erzählt, beginnend mit dem sechsjährigen Friedrich Hirsch, Tamaras Grossvater. Er und seine Eltern sind Juden, die bereits seit langer Zeit im badischen Endingen leben und erfolgreich eine Schneiderei betreiben. Dennoch gehören sie nicht dazu, was ihnen immer wieder deutlich gemacht wird. Friedrich wird ein erfolgreicher Mathematikprofessor, doch als der Nationalsozialismus sich in Deutschland breit macht, muss er erkennen, dass er und seine Familie unerwünscht sind. Es zerstreut sie in alle Himmelsrichtungen, Friedrichs Kinder wenden sich voller Hingabe dem Kommunismus zu und wie durch ein Wunder finden sie sich alle nach Kriegsende wieder. Sie beginnen ein neues Leben in der DDR und haben dort ebenfalls Erfolg; doch der Krieg hat Spuren hinterlassen, mit denen nicht nur Friedrichs Kinder, sondern auch seine Enkel sehr zu kämpfen haben.
Es ist unglaublich, was den einzelnen Mitgliedern dieser Familie widerfährt, vom moralischen Abgrund bis zu schwindelerregenden Höhen durchqueren sie praktisch jeden erdenklichen Punkt. Es gibt Demütigungen, Gewalt, sexuellen Missbrauch, aber auch die reine Lebensfreude, Ehrungen, Würdigungen, Luxus - die Familie lässt nichts aus. Eine Achterbahn von Erlebnissen und Gefühlen, die insbesondere die Generation Tamaras zeitlebens daran hindert, Glück zu empfinden. Doch ihre Eltern sind ebenfalls durch die Kriegserlebnisse schwer gezeichnet, wenn auch beide aus unterschiedlichen Gründen.
Eigentlich eine grandiose Familiengeschichte, denn die Autorin hat zudem einen sehr eindringlichen Sprachstil: "Sie hatten jahrelang die Zähne zusammengebissen vor Angst, und die Angst hatte ihnen die Kieferknochen zermahlen."- "Offenbar bin ich in einem System gross geworden, das mit dem Erwachsenwerden seiner Kinder nicht gerechnet hat." Doch zwei Dinge lassen mich hadern mit diesem Roman.
Zum einen ist es die Nichtreflektiertheit fast aller ProtagonistInnen, die sich weigern, sich mit ihrer Vergangenheit und den daraus resultierenden Verletzungen auseinanderzusetzen. Stattdessen wird auf Teufel komm raus gelebt, um Alles zu vergessen, auch wenn es den Kindern die grössten Schmerzen zufügt. Bei der Kriegsgeneration ist dies vielleicht noch halbwegs nachzuvollziehen, aber bei deren Kindern? Insbesondere Tamara mit ihrer Wut und Aggression gegen alles und jeden wurde mir immer unsympathischer, auch wenn diese durch die Ursachen nachvollziehbar wurden.
Zum andern habe ich so meine Schwierigkeiten mit der Erzählweise. Tamara erzählt chronologisch rückwärts ausgehend vom Tod ihrer Mutter, immer mit mehreren Jahren Abstand dazwischen. Zwischen ihren Abschnitten findet sich die Geschichte Friedrichs und seiner Söhne, diese aber chronologisch vorwärts, auch hier mit grösseren Zeitabständen. Zum Verständnis hier der Aufbau der ersten 100 Seiten: 2011, 1889, 1996, 1903, 1991, 1918, 1989, 1932, 1986, 1933 usw. Ich mag diese Form des Erzählens nicht allzu sehr, da ich durch diese ständigen Wechsel sowohl zeitlich wie auch personell keine richtige Beziehung zu den Figuren aufbauen kann. Man springt hin und her und zumindest zu Beginn musste ich ständig den glücklicherweise auf der letzten Seite vorhandenen Stammbaum der Familie zu Hilfe nehmen.
So bleiben letztendlich gemischte Gefühle.

Veröffentlicht am 15.04.2019

Unterhaltsamer, spannender Schmöker mit einigen Schönheitsfehlern

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
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In einer kleinen Stadt beschäftigt sich die talentierte Journalistin Stephanie Mailer mit einem Verbrechen, das 20 Jahre zurückliegt. Vier Menschen wurden damals ermordet und der Täter nach langen Untersuchungen ...

In einer kleinen Stadt beschäftigt sich die talentierte Journalistin Stephanie Mailer mit einem Verbrechen, das 20 Jahre zurückliegt. Vier Menschen wurden damals ermordet und der Täter nach langen Untersuchungen ermittelt. Doch Stephanie Mailer hat Zweifel an diesem Ergebnis und es gelingt ihr, die damals mit dieser Angelegenheit beauftragten Cops mit ihren Zweifeln anzustecken. Als sie auch noch als vermisst gemeldet wird, ist bald Allen klar: Dieser alte Fall ist noch immer nicht abgeschlossen.
Wer den Erstling ‚Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert‘ von Joël Dicker gelesen hat, wird schnell feststellen, dass eine Reihe von Ähnlichkeiten vorhanden ist: ein lang zurückliegender Fall; viele unerwartete Wendungen; die meisten Personen haben etwas zu verbergen; das Offensichtliche ist garantiert nicht die Wahrheit. Doch leider erreicht dieses dritte Buch des Autors nicht die Qualität von ‚Harry Quebert‘.
Je länger die Suche nach der Wahrheit andauert, umso mehr Figuren stehen zumindest zeitweise im Mittelpunkt, deren Geschichte ebenso wie die aller Anderen ausführlich erzählt wird. Leider auch dann, wenn sie mit dem eigentlichen Fall nichts bzw. nur wenig zu tun haben, sodass man sich fragt: Wozu dafür nun 50 oder mehr Seiten? Kein Zweifel, Joël Dicker kann erzählen. Aber warum bei einer derart komplexen Geschichte noch zusätzliche Episoden hinzugefügt werden, die zum eigentlichen Ganzen nichts beitragen, bleibt mir unverständlich. Vielleicht um die 600er-Seitenzahl zu überschreiten?
Das zweite Manko ist die Exzentrik einzelner Figuren, insbesondere die des ehemaligen Chief Kirk Harvey. Diese Witzfigur ist derart überzogen dargestellt, dass ich sie nicht ernst nehmen konnte und mich immer wieder kopfschüttelnd fragte: ‚Was soll das?‘ Völlig unglaubwürdig wird es, als er trotz seines abstrusen Verhaltens (erinnerte mich ein bisschen an Rumpelstilzchen) umschmeichelt und verehrt wird, anstatt ihn einfach vor die Luft zu setzen.
Doch trotz meiner Mäkeleien ist es ein spannender und unterhaltsamer Krimi, der darauf hoffen lässt, dass das vierte Buch des Autors es durchaus wieder mit der Qualität von ‚Harry Quebert‘ aufnehmen kann.

Veröffentlicht am 05.04.2019

Actionreicher Thriller vor historischem Hintergrund

Sojus
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1956, während des Kalten Krieges, bietet ein ungarischer Geheimpolizist dem Westen ein Dossier an mit den Namen von KGB-Agenten und -Doppelagenten. Andreas Eckart, der sich nach einer verheerenden Gefangenschaft ...

1956, während des Kalten Krieges, bietet ein ungarischer Geheimpolizist dem Westen ein Dossier an mit den Namen von KGB-Agenten und -Doppelagenten. Andreas Eckart, der sich nach einer verheerenden Gefangenschaft in der US-amerikanischen Psychiatrie zurückgezogen hat, wird von einem früheren Mitstreiter kontaktiert, mit ihm gemeinsam dieses Dossier aus Budapest herauszuholen. Keine einfache Aufgabe, da nach der Invasion der Sowjetunion ein Aufstand tobt und bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen.
Im ersten Viertel des Buches geht es gleich richtig zur Sache: Andreas Eckart wird aus einer streng bewachten US-amerikanischen psychiatrischen Klinik in einem showdownähnlichen Schachzug befreit und in Sicherheit gebracht. Wow, für solch eine Aktion brauchen manch andere AutorInnen gut und gerne 300 Seiten
Ähnlich actionreich geht es weiter vor dem Hintergrund des Ungarnaufstandes. Keine Frage, der Autor weiß wovon er schreibt und schildert detailliert die Ursachen, die zu diesem Aufstand führten. Dennoch wirkte es auf mich mehr wie eine Kulisse, vor der sich die eigentliche Geschichte abspielt, denn es hätte sich genauso gut auch während der sowjetischen Invasion der Tschechoslowakei ereignen können. Vielleicht liegt es daran, dass die beiden Protagonisten kein Teil dieser Gesellschaft waren und somit sämtliche Ereignisse praktisch aus dritter Hand erfuhren.
Während ich die Actionszenen praktisch durchweg als packend und spannend empfand, hatte ich hingegen mit den 'gefühligen' Situationen Eckarts so meine Schwierigkeiten. Nicht dass ich so etwas nicht gerne lese. Aber in dieser Form passte es einfach nicht zu ihm: "Sammelte die Scherben seiner Liebe auf..." oder "Was die Waage zur Neigung brachte ...". Natürlich ist er ein nachdenklicher Mensch, der sich Gedanken über seine Vergangenheit und den Sinn des Lebens macht, aber nicht mit einer derart romantisierenden Attitüde.
Sieht man diesen Mäkeleien ab, ist es ein richtig actionreicher Thriller, bei dem ich nun nur noch frage: Wann kommt die Verfilmung?