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Veröffentlicht am 07.05.2019

Ein Schlag in die Magengrube

Wo alle Lichter enden
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„Ich habe zugelassen, dass das, in was ich hineingeboren wurde, auch bestimmt hat, was aus mir geworden ist.“

Jacob McNeely macht sich keine Illusionen über seine Zukunft. Er ist ein McNeely, lebt in ...

„Ich habe zugelassen, dass das, in was ich hineingeboren wurde, auch bestimmt hat, was aus mir geworden ist.“

Jacob McNeely macht sich keine Illusionen über seine Zukunft. Er ist ein McNeely, lebt in einem abgelegen Kaff in den Appalachen, sein Vater kontrolliert in diesem Gebiet den Meth-Handel. Ein lukratives Geschäft, in das er seinen Sohn bereits früh eingebunden hat. Familie als solche existiert nicht, die drogenabhängige Mutter wurde von seinem Vater in eine Hütte im Wald verbannt, weil sie sich an seinen Vorräten vergriffen hat. Jacobs Leben ist vorgezeichnet, er weiß, dass von ihm erwartet wird, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Die Schule hat er abgebrochen und erledigt die Aufgaben, die ihm sein Vater zuweist. Auch dann, wenn sie ihm Gewissensbisse machen. Gerade mal 18 Jahre alt hat er schon resigniert, aufgegeben, wissend, dass er diesem Leben nicht entkommen wird. Fügt sich.

Der einzige Lichtblick in seinem Leben ist Maggie, seine Freundin aus Kindertagen. Er bewundert sie, ist fest davon überzeugt, dass sie es schaffen kann. Weggehen, studieren, die vorgezeichneten Pfade verlassen. Keine Option für ihn, oder etwa doch? Ein naiver Plan keimt auf, vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für ihn, eine gemeinsame Zukunft, fernab von dem in Stein gemeißelten Lebensweg eines McNeely.

Aber so leicht kommt er nicht vom Haken, auch wenn durch ein unverhofftes Hilfsangebot von außen plötzlich die Möglichkeit besteht, dem Schicksal ein Schnäppchen zu schlagen. Doch alle Sicherheit ist trügerisch.

Joy beschreibt gnadenlos einen Weg in den Abgrund. Düster, brutal, dreckig, hoffnungslos, keine Möglichkeit des Entkommens. Obwohl Jacob seine Situation reflektiert, scheut er sich doch davor, die „richtigen“ Konsequenzen zu ziehen. Man leidet mit ihm, wünscht, dass er diesem Leben entkommt. Vergeblich. Erlösung gibt es für einen wie ihn nicht.

„Ich konnte weder vor dem fliehen, was ich war, noch vor dem, woher ich kam (…) auf jemand wie mich fiel niemals ein Licht, so viel war sicher.“

Zeile für Zeile ist „Wo alle Lichter enden“ ein Schlag in die Magengrube, und David Joy reiht sich mit diesem Erstling nahtlos in die Linie der Grit Lit-Autoren ein: Woodrell, Pollock, Brown, Crews. Und das ist absolut als Kompliment gemeint.

Veröffentlicht am 06.05.2019

Zwei Außenseiter auf der Suche nach einem Platz in der Welt

Alte Sorten
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Eine berührende Geschichte zweier Außenseiter, beide tief verletzt, die sich allmählich näher kommen und sich gegenseitig heilen.

Keine tiefsinnigen Gespräche, die diesen Prozess in Gang setzen, es ist ...

Eine berührende Geschichte zweier Außenseiter, beide tief verletzt, die sich allmählich näher kommen und sich gegenseitig heilen.

Keine tiefsinnigen Gespräche, die diesen Prozess in Gang setzen, es ist vielmehr das tägliche Miteinander, die gemeinsame Arbeit, das wortlose Verstehen, das sie nicht nur zueinander sondern auch zu sich selbst führt.

Leise und behutsam erzählt, sehr anrührend die Passagen, in denen Sallys Verzweiflung offenbar wird, die nach ihrem Platz in der Welt sucht. Auf der anderen Seite Liss, die sich im Lauf der Jahre einen Panzer zugelegt hat, der sie davor bewahren soll, wieder verletzt zu werden.

Sally, siebzehn Jahre alt, gefangen in den Erwartungen von Eltern und Gesellschaft. Sie fühlt sich fehl am Platz in diesem Leben, das andere für sie ausgesucht haben, reagiert mit Wut und Selbstverletzung, verweigert die Nahrungsaufnahme. Der Hilflosigkeit der Eltern geschuldet folgt die Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Wieder eine Korsett aus „Du musst“ und „Du sollst“ ohne Verständnis und Interesse für die Gründe ihres Verhaltens. Auch wenn sie kein Ziel hat, weiß sie dass sie weg muss, weg aus diesem Leben der Vorschriften und falschen Anteilnahme.

Liss, Ende vierzig, hat das alles schon hinter sich, hat das Leben in den von ihrem Vater arrangierten Vierecken verlassen, hat es eingetauscht gegen die harte Arbeit auf dem heruntergekommenen Bauernhof ihrer Familie, den sie allein bewirtschaftet.

Die Begegnung der beiden ist zufällig. Keine Frage nach dem Woher oder Wohin, es zählt nur der Augenblick. Aus dem Unterschlupf für eine Nacht werden Tage, Wochen. Beide wortkarg und verschlossen, und doch brechen die Verkrustungen sowohl bei Liss als auch bei Sally allmählich auf. Die Arbeit mit und in der Natur, auf dem Hof, dem Feld, dem Wald, den Wiesen, dem Weinberg, hingeworfene Bemerkungen, all das bringt die beiden zusammen, aber auch wieder auseinander. Doch jeder Schritt zurück birgt in sich auch wieder zwei Schritte nach vorn.

Es ist dieses wortlose Verstehen, diese gegenseitige Erkennen, das die Verkrustungen um die Seelen aufweichen und sowohl bei Sally als auch bei Liss den Heilungsprozess einleitet. Das mit den Verletzungen der Vergangenheit abschließen und für die Zukunft hoffen lässt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 01.05.2019

Spannender Krimi und Wohlfühllektüre im besten Sinne

Weiße Fracht
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Es kommt selten vor, dass ein sogenannter „Urlaubskrimi“ all meine Erwartungen erfüllt, und noch weniger erwarte ich die Fortsetzung einer solchen Reihe mit Ungeduld – außer bei den „Lost in Fuseta“-Kriminalromanen, ...

Es kommt selten vor, dass ein sogenannter „Urlaubskrimi“ all meine Erwartungen erfüllt, und noch weniger erwarte ich die Fortsetzung einer solchen Reihe mit Ungeduld – außer bei den „Lost in Fuseta“-Kriminalromanen, was mit Sicherheit der Hauptfigur geschuldet ist. Leander Lost, der Hamburger Kommissar, der sein Austauschjahr bei der portugiesischen Polícia Judiciária an der Ost-Algarve verbringt. Von seinen Kollegen oft scherzhaft Senhor Léxico genannt, weil er zum einen alles weiß, zum anderen als Asperger eine ganz besondere Sicht auf die Fragen der Existenz hat. Im zwischenmenschlichen Bereich ist er eher unbeholfen, bedient sich in der Kommunikation eines „Kompendiums sinnloser Sätze, schießt oft über das Ziel hinaus. Und obwohl er nicht lügen kann, ist er doch in der Lage, anhand seiner genauen Beobachtungsgabe bei einem Gegenüber im Bruchteil einer Sekunde festzustellen, ob dieser die Wahrheit sagt. Eine Fähigkeit, die bei Vernehmungen von unschätzbarem Nutzen ist.

Gemeinsam mit Graciana und Carlos, seinen portugiesischen Kollegen, ermittelt er im Mordfall an einem deutschen Aussteiger, dem Bruder des stellvertretenden Hamburger Polizeipräsidenten, was zur Folge hat, dass zwei ehemalige Kollegen Losts die Ermittlungen vor Ort unterstützen sollen. Dumm, überheblich und ohne Fingerspitzengefühl in ihren Aktionen, sehen Graciana und Carlos, wie geringschätzig sie ihren deutschen Freund behandeln. Und das bringt ihnen keine Sympathiepunkte ein.

Eine zweite Leiche wird gefunden, aber die Ermittlungen kommen nur stockend voran. Aber dann, der entscheidende Durchbruch, der darauf hinweist, dass die Helfershelfer eines inhaftierten Kriminellen eine große Menge Drogen auf dem Seeweg ins Land einschleusen wollen und dass der ermordete Deutsche auf irgendeine Art darin verwickelt war…

Spannend, aber „Weiße Fracht“ ist mehr als ein bloßer Kriminalroman, obwohl der Autor ein höchst interessantes Thema beleuchtet, nämlich die Kanäle, auf denen Drogenlieferungen nach Europa gelangen. Dazu die sympathischen Protagonisten, die detaillierten Landschaftsbeschreibungen, die unaufdringlichen Schilderungen der portugiesischen Lebensart, und dann natürlich auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Ribeiro sehr feinfühlig beschreibt und von Band zu Band weiterentwickelt. Aber auch die Dramatik, die sich aus dem Umstand ergibt, dass das Austauschjahr des deutschen Kommissars sich dem Ende entgegen neigt und die Rückkehr nach Hamburg im Raum steht. Gerade jetzt, wo sich für ihn beruflich und im Privaten alles zum Guten zu entwickeln scheint. Als Leser drückt man ihm die Daumen, hoffend, dass dieser Kelch an ihm vorübergeht. Aber wozu hat er schließlich Freunde? Die werden schon noch eine Lösung finden, oder?

„Weiße Fracht“ unterhält im besten Sinne. Und nun beginnt wieder die Wartezeit, bis der nächste Teil der Reihe mit Leander Lost und Graciana und Carlos, seinen Freunden von der Polícia Judiciária, erscheint. Ich warte ungeduldig darauf!

Veröffentlicht am 28.04.2019

Ein ungeschönter Blick oder Schreiben als Therapie

Cherry
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„Cherry“ speist sich aus der Biografie des Autors. Allerdings bleibt es dessen Geheimnis, inwieweit die geschilderten Episoden seinen eigenen Erlebnissen entsprechen. Aber man darf davon ausgehen davon, ...

„Cherry“ speist sich aus der Biografie des Autors. Allerdings bleibt es dessen Geheimnis, inwieweit die geschilderten Episoden seinen eigenen Erlebnissen entsprechen. Aber man darf davon ausgehen davon, dass er den Großteil dessen, was er schildert, genau so erlebt hat.

Aufgewachsen in einer amerikanischen Mittelklasse-Familie, kommt Nico Walker bereits als Jugendlicher mit Drogen in Kontakt. College in Cleveland, Abbruch, danach Army. Knapp zwanzigjährig wird er in den Irak geschickt, heiratet vor der Abreise seine Freundin und leistet seinen Militärdienst an der Front bei über 250 Einsätzen in einem Sanitätskorps ab, wofür er zahlreiche Auszeichnungen erhält. Diese Zeit geht nicht spurlos an ihm vorüber. Opiode und Drogen betäuben. Nach seiner Rückkehr findet er sich im Alltag nicht mehr zurecht, kämpft mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Heroin hilft, und so wird er abhängig. Die Sucht will finanziert werden, also beschafft er sich das Geld durch Banküberfälle, wobei die erbeuteten Summen überschaubar sind. Er wird geschnappt und zu elf Jahren Haft verurteilt. Seine Entlassung steht für November 2020 an.

„Cherry“, Army-Slang für Frischlinge, ist sicherlich keine große Literatur, sondern eher der Versuch des Autors, Erlebtes mittels Schreiben zu verarbeiten. Eigentherapie, sozusagen. Obwohl die Sprache simpel ist, gewinnt das Buch spätestens dann an Tiefe, wenn Walker seine Erlebnisse im Irak-Krieg schildert. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass er nach der Rückkehr in die Heimat von Erinnerungen heimgesucht wird, die sich in PTBS manifestieren. Und hier zeigt sich dem Leser auch ein ungeschönter Blick auf ein Amerika, das seinen Veteranen nichts, aber auch gar nichts zu bieten hat und sie mit ihren Problemen, ganz gleich, ob gesundheitlicher oder finanzieller Natur, allein lässt. Die medizinische Betreuung erschöpft sich im Verschreiben von Medikamenten, die Abhängigkeit generieren. Und zu der Opiod-Krise geführt haben, die mittlerweile die gesamten Vereinigten Staaten überzieht.

Der Roman ist authentisch. Geschrieben von einem, der das Grauen er- und überlebt hat und glücklicherweise geschnappt wurde. Wer weiß, ob er sonst noch leben würde. Positiv vermerken muss man die Tatsache, dass Walker sich nicht in Selbstmitleid suhlt, sondern seine „Karriere“ mittlerweile aus der Distanz sieht und beschreibt. Bleibt zu hoffen, dass er auch nach seiner Entlassung einen großen Bogen um Drogen machen wird.

Die Filmrechte sind mittlerweile verkauft, für die Hauptrolle ist der englische Schauspieler Tom Holland im Gespräch.

Veröffentlicht am 19.03.2019

Wahrheit will keine Götter neben sich

Das Ende der Lügen
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Everybody’s darling wird sie wohl nicht mehr werden. Claire Dewitt, die unkonventionelle Protagonistin der amerikanischen Autorin Sara Gran, polarisiert. Und das ist auch gut so, denn glattgebügelte Ermittlerinnen ...

Everybody’s darling wird sie wohl nicht mehr werden. Claire Dewitt, die unkonventionelle Protagonistin der amerikanischen Autorin Sara Gran, polarisiert. Und das ist auch gut so, denn glattgebügelte Ermittlerinnen gibt es im Krimigenre wie Sand am Meer. Claire DeWitt ist wohltuend anders. Okkultem und Drogen in jeder Form nicht abgeneigt und Anhängerin des französischen Detektivs Silette, dessen Standardwerk Detection ihre Bibel und Leitfaden ist. Immer auf der Suche nach der Wahrheit, Gerechtigkeit spielt bei ihr nur die zweite Geige.

In „Das Ende der Lügen“, dem dritten Band der Reihe sind es verschiedene Fälle, miteinander verknüpft, in denen Claire die Wahrheit an Licht bringen will oder schon gebracht hat. Vergangenheit und Gegenwart. Der aktuelle betrifft sie selbst, denn ein absichtlich herbeigeführter Autounfall hätte sie fast das Leben gekostet. Stellt sich natürlich die Frage, wer ein Interesse daran hat, sie umzubringen. Ob das mit ihrer vor vielen Jahren verschwundenen Jugendfreundin Tracy zusammenhängt? Drei Teenager in Brooklyn, die beeinflusst von den Cynthia Silverton-Heftchenromanen ihre ersten Gehversuche in der Detektivarbeit gewagt hatten und durch das mysteriöse Verschwinden Tracys auseinandergerissen wurden. Wo findet sich die Lösung dieses Rätsels? In den Heftchen, die Claire kürzlich aufgetrieben hat ? Aber zuerst einmal gilt es herauszufinden, wer für den Mordversuch an „der besten Detektivin der Welt“ verantwortlich ist. Vielleicht findet sich ja ein Hinweis in einem ähnlichen Fall, den sie 1999 in L.A. bearbeitet hat.

Obwohl die Erzählweise durch die verschiedene Zeitebenen recht verschachtelt ist und sich die Zusammenhänge dem Leser nicht immer erschließen, verliert die Autorin nie den Überblick über die unterschiedlichen Handlungsstränge. Der Leser hingegen schon das eine oder andere Mal. Aber genau das macht den Reiz der Claire DeWitt-Romane aus. Alles ist irgendwie chaotisch, manche Fälle lassen sich lösen, andere wieder nicht. Wie im richtigen Leben.