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Veröffentlicht am 12.06.2019

Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit

Deutsches Haus
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Die als Drehbuchautorin bekannt gewordene Autorin stellt in ihrem ersten Roman den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt im Jahre 1963/64 in den Mittelpunkt. Die Protagonistin Eva, geboren 1939, ist als ...

Die als Drehbuchautorin bekannt gewordene Autorin stellt in ihrem ersten Roman den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt im Jahre 1963/64 in den Mittelpunkt. Die Protagonistin Eva, geboren 1939, ist als Dolmetscherin für die polnischen Zeugen, zumeist KZ-Überlebende, tätig. Sie wird erstmalig mit der furchtbaren deutschen Vergangenheit konfrontiert und – worunter sie zunehmend leidet – mit dem damals noch weit verbreiteten Verdrängen, Vergessen und angeblichem Nicht-gewusst-haben. Sie selbst fühlt sich schuldig. Aber für sie kommt es noch ärger, erkennt sie doch im Laufe des Prozesses, dass ihre eigene, doch so bürgerliche Familie in die Gräueltaten involviert war. Fast schon als zu viel erschient es mir, dass noch andere Romanfiguren große Schuld – in anderen Bereichen – auf sich geladen haben.
Das Buch mahnt gelungen an, dass wir unsere Geschichte während des Nationalsozialismus niemals vergessen dürfen. Es ist gut recherchiert und liest sich recht flüssig. Über kleine juristische Unkorrektheiten möge hinweggesehen werden (z.B. wird nicht der Eröffnungsbeschluss zu Beginn eines Strafprozesses verlesen, sondern die Anklageschrift, und werden Dolmetscher nicht von der Staatsanwaltschaft geladen, sondern von dem Gericht). Daneben erhalten wir einen schönen Einblick in den Zeitgeist der 1960er Jahre, insbesondere was die Rolle der Frau anbelangt.

Veröffentlicht am 06.06.2019

Vater-Sohn-Beziehungen

Die rothaarige Frau
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Dieser Roman vermischt realen Alltag und Märchenhaftes.
Die Geschichte spielt zwischen etwa 1980 und 2015. Der 16jährige Cem, dessen Vater die Familie verlassen hat, verdingt sich, um sein Studium bezahlen ...

Dieser Roman vermischt realen Alltag und Märchenhaftes.
Die Geschichte spielt zwischen etwa 1980 und 2015. Der 16jährige Cem, dessen Vater die Familie verlassen hat, verdingt sich, um sein Studium bezahlen zu können, bei dem Brunnenbaumeister Mahmut. Dieser wird für Cem zu einem strengen, aber gerechten Ersatzvater. In dem Dorf, in dem sie einen Auftrag ausführen, verliebt sich Cem in eine doppelt so alte rothaarige Schauspielerin, aus deren einziger gemeinsamer Nacht ein Sohn hervorgeht, wie Cem aber erst 30 Jahre später erfährt. Während der Arbeit am Brunnen kommt es zu einem mysteriösen Unglück. Cem geht vom Tode des Meisters aus und flüchtet Hals über Kopf mit zurückbleibenden starken Schuldgefühlen. Während der Folgejahre bringt er es zum erfolgreichen Bauingenieur und Immobilienspekulanten. Erst 30 Jahre nach seiner Tätigkeit als Brunnenbaulehrling erfährt er, dass aus seiner einzigen Nacht mit der Schauspielerin ein Sohn hervorgegangen ist. Es kommt zu einer folgenreichen Begegnung der beiden.
Die Geschichte ist reich an Symbolik. Wie ein roter Faden ziehen sich durch sie die Ödipus-Sage und ihre Umkehrung, die persische Sage von Rostam und Sohrab mit Vater- bzw. Sohnes-Mord. Sie lassen natürlich Deutungen zu auf die Beziehung Cems zu seinem eigenen Vater und zu seinem Sohn. Ein bisschen Interesse an Mythologie sollte man daher beim Lesen mitbringen. Es empfiehlt sich vielleicht auch, sich mit dem politischen System der Türkei im fraglichen Zeitraum vertraut zu machen. Mir persönlich erscheint Vieles etwas umständlich erzählt und es hätte gut auf einige Wiederholungen verzichtet werden können. Ein völlig überraschender Schachzug, der mir gut gefallen hat, befindet sich ziemlich am Ende und betrifft die Erzählperspektive.

Veröffentlicht am 02.06.2019

Über den Rassismus in Amerika

Die Nickel Boys
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Der Roman ist fiktiv, hat aber einen wahren skandalösen Hintergrund, der erst nach Jahrzehnten aufgedeckt wurde.

Florida, 1960er Jahre. Der junge, farbige Elwood ist ehrgeizig, intelligent und kommt ...

Der Roman ist fiktiv, hat aber einen wahren skandalösen Hintergrund, der erst nach Jahrzehnten aufgedeckt wurde.

Florida, 1960er Jahre. Der junge, farbige Elwood ist ehrgeizig, intelligent und kommt auch in der Welt der Weißen voran. Er glaubt an Bürgerrechte und hat Martin Luther King zum Idol, nach dessen großartigen Worten er lebt. Völlig zu Unrecht wird er der berüchtigten, vermeintlich gemeinnützigen Besserungsanstalt Nickel Academy – benannt nach einem früheren Direktor - zugeführt, wo schwarze und weiße Jungen schon für geringste Vergehen eingesperrt werden. Schlimmste körperliche Züchtigungen, Gewalt, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, selbst Mord durch die sadistischen Anstaltsmitarbeiter sind an der Tagesordnung. Rassentrennung ist hier selbstverständlich. Elwood versucht, seine Würde als Mensch zu behalten, wenngleich sein neuer Freund Turner sein Bestes gibt, ihm seine Naivität und seinen Glauben an das Gute im Menschen auszutreiben.
Das Buch führt uns das Böse im Menschen vor Augen. Es zu lesen, ist deshalb nicht angenehm. Es trägt dazu bei, das dunkle, heute noch fortwirkende Kapitel des Rassismus in der amerikanischen Geschichte aufzuarbeiten. Gelungen ist, wie der Autor gleich zum Punkt kommt, ohne den Leser erst langwierig mit Informationen über den geschichtlichen Hintergrund zu überhäufen. Ohne jegliche Sensationslust stellt er das Thema Gewalt recht nüchtern dar. Am Ende gibt es eine völlig überraschende Wendung. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es sehr viele Romanfiguren gibt, die ich nicht immer gut einordnen konnte.

Veröffentlicht am 18.05.2019

Verdammt zu einem Leben in der DDR

Über alle Grenzen
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Jetzt ist es schon rund 30 Jahre her, dass die Mauer fiel. Wer allerdings dieses Hörbuch hört, wird meinen, die Geschehnisse hätten sich erst gestern zugetragen. Besonders an der DDR-Geschichte Interessierten, ...

Jetzt ist es schon rund 30 Jahre her, dass die Mauer fiel. Wer allerdings dieses Hörbuch hört, wird meinen, die Geschehnisse hätten sich erst gestern zugetragen. Besonders an der DDR-Geschichte Interessierten, die außerdem Familiengeschichten mögen, möchte ich das Hörbuch empfehlen.
Im Mittelpunkt steht die siebenköpfige Familie Alexander, die Ende der 1950er Jahre aus Bayern nach Erfurt zieht und nach dem bald folgenden Mauerbau so schnell nicht mehr aus der DDR gelangen soll. Schon bald geraten sie mit der allgegenwärtigen Obrigkeit in Konflikt und unter Beobachtung, weil der Vater seinem Chef einen Gefallen macht. Richtig kritisch wird es, als der einzige Sohn in den Westen flieht, später seine Frau und Kinder durch Fluchthilfe nachkommen lässt, was zur Inhaftierung des Vaters führt. Auf dem Weg zurück in die DDR, um seine sterbenskranke Mutter noch einmal zu sehen, wird auch er inhaftiert. Der Rest der Familie ist zunehmenden Repressalien ausgesetzt, so dass es nicht wundert, als die Tochter Lotti Mitte der 80er Jahre mit Mann und Kindern Ausreiseanträge stellt.

Chronologische Schilderungen aus dem Werdegang der Familie zwischen den späten 50er Jahren und Mitte der 80er Jahre wechseln sich ab mit Bruchstücken aus der Gegenwart (2010/11), als Lotti ihren todkranken Bruder Bruno erstmals wiedertrifft und ihn pflegt.

Was bin ich froh, nicht in der DDR aufgewachsen zu sein. Der eine Erzählstrang bringt uns so viele bedrückende Details nahe und lässt gut nachempfinden, warum die DDR-Bürger letztlich einen so großen Freiheitsdrang hatten. Irgendwie hat man das eine oder andere ja schon einmal gehört. Wenn alles aber so geballt erzählt wird, lässt es einen betroffen und mit mehr Verständnis für die Ostdeutschen zurück. Der zweite Erzählstrang prangert wohl die Pflegezustände in deutschen Altersheimen an. Hier habe ich mich etwas daran gestoßen, dass Lotti, die doch völlige Laiin in der Pflege ist, zu bestimmend und zu besserwisserisch auftritt und ihre völlige Aufopferung für den Bruder zu unrealistisch wirkt. Alles in allem waren es für mich aber 655 Minuten interessante Hörminuten, zumal Beate Rysopp gut gelesen hat.


Veröffentlicht am 01.05.2019

Nicht nur eine leichte Urlaubslektüre

Marina, Marina
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Anders als das Buchcover es vermuten ließe, ist der Roman keineswegs nur eine klischeehafte Urlaubslektüre über Bella Italia und die berühmte italienische Amore. Sicherlich, es ist eine Geschichte über ...

Anders als das Buchcover es vermuten ließe, ist der Roman keineswegs nur eine klischeehafte Urlaubslektüre über Bella Italia und die berühmte italienische Amore. Sicherlich, es ist eine Geschichte über die Bewohner des fiktiven Ortes Sant’Amato an der Riviera sowie deren Verflechtungen untereinander und ist im Wesentlichen in den 1960er Jahren angesiedelt. An Tiefgang erhält die Geschichte, weil das zu dem Zeitpunkt solange noch nicht zurückliegende Geschehen in Italien im Zweiten Weltkrieg , vor allem die Partisanenkämpfe, worüber ich bislang nicht viel wusste, und die Rolle der Deutschen nicht nur oberflächlich thematisiert werden. In formaler Hinsicht weist das Buch einige schöne Besonderheiten auf. Im vorderen Klappendekel befinden sich schöne Fotos von der Riviera; jedes Kapitel beginnt mit einer Zusammenfassung zu einem bekannten italienischen Schlager, der einen als Ohrwurm geradezu verfolgt; am Ende sind drei Rezepte besonderer Gerichte abgedruckt. Sehr hilfreich sind das Personenregister am Anfang und das Glossar am Schluss. Ohne beides lässt sich nicht so einfach durch die vielen Romanfiguren und klangvollen eingestreuten italienischen Vokabeln navigieren.