Bissig, tragisch und mit einer gewissen Komik durchdrungen
Der Zopf meiner GroßmutterDer neue Roman von "Alina Bronsky" trägt den Titel "Der Zopf der Großmutter" und erscheint im KiWiVerlag.
Maxim, der seine Eltern nicht kennt, flieht mit seinen Großeltern als jüdische Kontingentsflüchtlinge ...
Der neue Roman von "Alina Bronsky" trägt den Titel "Der Zopf der Großmutter" und erscheint im KiWiVerlag.
Maxim, der seine Eltern nicht kennt, flieht mit seinen Großeltern als jüdische Kontingentsflüchtlinge aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland. Man sieht es seiner Oma mit ihrem langen, hennagefärbten Zopf zwar nicht mehr an, doch früher war sie eine gefeierte Tänzerin. Nun versucht sie in der Flüchtlingsunterkunft alles Böse von Max fernzuhalten, Bakterien, schlechte Nahrung und sogar die Menschen. Nur zu Nina und ihrer Tochter, ebenfalls jüdische Russen, lässt sie Kontakt zu. Es entwickelt sich eine besondere Beziehung der zwei Familien, die für einige Veränderung sorgt. Der Großvater verliebt sich in Nina. Der Junge Max wird zum Mittler zwischen den aus den Fugen geratenen Welten der Erwachsenen und erlebt am eigenen Leib seine ungewöhnliche Patchwork-Familie mit.
Nach Alina Bronskys Roman "Baba Dunjas letzte Liebe" habe ich mir auf dieses Buch gefreut, denn auch in diesem Roman gibt es eine Großmutter, die sich etwas skurril und anders verhält.
Es geht um die Kontingentflüchtlinge Max und seine Großeltern, wie sie sich ihren Platz im Leben, etwas fern der deutschen Gesellschaft suchen. Die Großmutter Margarita Iwanowna nimmt mit ihrem Enkel am ersten Schulunterricht teil und zeigt sich als schützende Über-Großmutter. Sie möchte ihn vor allem schützen, hält ihn offen ausgesprochen sogar für einen kränklichen Idioten und redet ihm diesen Unsinn auch noch ein. Sie püriert ihm sein Essen, desinfiziert ihm die Hände und hält ihn von anderen Kindern fern. Das ist für den Jungen tragisch, es klingt stark überspitzt und dadurch eben auch schon bereits komisch. Hier hat nicht der Junge Max ein Problem, sondern seine Oma. Sie muss sich in einer fremden Gesellschaft integrieren und hält verbissen an alten Gewohnheiten fest. Sie besucht die Synagoge und ist doch antisemitisch, dabei ermöglichte ihr genau dieser jüdische Status die Einreise nach Deutschland.
Die Autorin lässt aus der Sicht von Enkel Maxim erzählen, zunächst als sechsjährigem Jungen, später dann im Teenageralter. So nimmt er auch einige Details aus den verschiedenen Lebenserfahrungen mal mehr und mal weniger wahr. Und der Leser folgt dieser Anschauung und erkennt nach und nach die Verhältnisse der Personen, die genauen Geschehnisse, die hinter dem Handeln der Erwachsenen stecken. Völlig nüchtern erduldet er die Demütungen seiner Oma und dabei sieht er die entscheidenden Vorgänge, Handlungen und Gefühle und lässt so den Leser einiges ahnen und damit gespannt weiterlesen.
Der Schreibstil erfolgt in einem der Autorin typischen Stil, mal einfach nur bildhaft und einfach beschreibend, mal rasant und situationsbezogen humorvoll, mal bissig und pointiert. Es ist dieser einzigartige Stil, den man mit jedem Buch von Bronsky erneut genießen kann.
Mal wieder bin ich von diesem Buch total begeistert, ich liebe den Erzählstil und die besonderen Charaktere sorgen für meine uneingeschränkte Anteilnahme an der Geschichte, in diesem Fall hat die Großmutter die tragende Rolle, die mich immer wieder aufs Neue mitgerissen hat. Großvater Tschingis macht nicht viele Worte, er hält zu seiner Familie und arbeitet für ihr Wohlergehen. Mehr Einzelheiten möchte ich nicht verraten.
Trotz ihrer bissigen Art ist es die Großmutter, die polarisiert. Sie ist mit ihrem roten Zopf kaum zu übersehen, sie wirft mit Kraftausdrücken und Gemeinheiten nur so um sich, hat scheinbar für niemanden ein gutes Wort übrig.
Sie ist so kalt und grimmig wie der sibirische Winter, schlagfertig wie ein Eisbrecher, doch im Innersten warmherzig und gut. Im Grunde ihres Herzens liebt sie die Menschen ihrer Familie, doch das würde sie nie offen zugeben.
Alina Bronsky stellt durch ihre Darstellung Figuren so dar, dass man über sie lachen muss, wobei man das eigentlich gar nicht will. Durch die Großmutter erleben wir Mobbing in seiner unkultiviertesten Form mit, doch man verzeiht ihr, weil sie aus Angst um ihre Lieben so handelt.
Einfach herrlich, diese aufdringliche Über-Großmutter! Ein Roman voller Biss und mit raffinierter Vorgehensweise, mit einem besonderen Erzählstil und einer Handlung, die viele Emotionen hervorruft. Auch dieser Bronsky-Roman bekommt meine vollste Leseempfehlung.