Ein absolutes Lese-Highlight!
Zwei Handvoll LebenKatharina Fuchs erzählt in ihrem Debütroman über das Leben ihrer Großmütter Anna Tannenberg und Charlotte Felten, die beide in der dritten Oktoberwoche im Jahr 1899 geboren wurden. Dennoch wachsen die ...
Katharina Fuchs erzählt in ihrem Debütroman über das Leben ihrer Großmütter Anna Tannenberg und Charlotte Felten, die beide in der dritten Oktoberwoche im Jahr 1899 geboren wurden. Dennoch wachsen die beiden Frauen sehr unterschiedlich und in verschiedenen Gesellschaftsschichten auf. Die Autorin erzählt eine berührende Geschichte, die mich sehr beeindruckt und an die Seiten gefesselt hat. Laut Klappentext denkt man, dass Anna und Charlotte etwa in der Mitte des Buches aufeinandertreffen, jedoch passiert dies erst ganz zum Schluss, was allerdings absolut nicht stört.
Anna wächst mit ihren fünf Geschwistern unter ärmlichen Verhältnissen im Spreewald auf. Trotz Armut besteht ihre Mutter auf eine Ausbildung für ihre Töchter, was in dieser Zeit sehr selten vorkam. Anna kommt in die Schneiderlehre. Diese Entscheidung beeinflusst ihren weiteren Lebensweg sehr. Als sie mit 19 Jahren den Spreewald Richtung Berlin verlässt, um bei ihrer Tante Adelheid unterzukommen, erwartet sie allerdings Hunger, Not und Arbeitslosigkeit. Wir schreiben das Jahr 1919 und der Erste Weltkrieg ist zwar vorüber, doch die Menschen leiden unter bitterer Armut. Als man im KaDeWe Verkäuferinnen sucht, ist das Anna's große Chance...
Charlotte wächst als einzige Tochter und Erbin eines Gutshofes in Sachsen auf. Ihr Vater ist ein cholerischer Mann, der vergblich auf den gewünschten männlichen Erben hoffte. So wächst Charlotte auf dem Pferderücken und immer mit dem Gefühl, ihren Vater den Sohn ersetzen zu müssen, auf. Um seinen Zornesausbrüchen zu entkommen, nimmt sie viel in Kauf. Als sie sich verliebt, weiß sie nicht, ob der Mann ihrer Träume wirklich sie als Person liebt oder den immensen Besitz, den sie einmal erben wird. Doch ihr Vater möchte seine Ländereien weiter vergrößern und sich seinen Schwiegersohn selbst bestimmen. Erstmals stellt sich Charlotte gegen ihren Vater und wird kurze Zeit später, nach Ende des Ersten Weltkrieges, nach Leipzig geschickt, um von ihrer Tante Cäcilie in die bessere Gesellschaft eingeführt zu werden. Dabei erhält man als Leser einen großartigen Einblick in die gesellschaftlichen Konventionen und in die damalige Zeit.
Die beiden Erzählstränge sind nathlos miteinander verknüpft. Abwechselnd wird aus der Sicht von Anna und Charlottes Leben erzählt. Über den Kapiteln steht der Name der jeweiligen Protagonistin. Vermisst habe ich hier manchmal eine Jahreszahl, denn oftmals gab es einen kleinen Sprung in der Zeit, der erst nach einigen Zeilen klar wurde. Schon nach den ersten Seiten fühlt man sich mit den jungen Frauen verbunden und möchte nach Kapitelende einerseits den Charakter nicht verlassen, aber gleichzeitig begierig weiterlesen, wie es mit der anderen Protagonistin weitergeht. Ich konnte den Roman kaum aus der Hand legen. Die Schicksale von Anna und Charlotte gingen mir nahe und wurden sehr glaubwürdig dargestellt. Beide Frauen wurden in die Zeit hineingeboren, die von zwei Weltkriegen beherrscht wurden....eigentlich unfassbar und trotzdem erging es auch meiner Großmutter nicht anders. Dementsprechend müssen Anna und Charlotte im Laufe der Jahre einiges erdulden und auch von geliebten Menschen Abschied nehmen. Doch es gibt auch wunderschöne Glücksmomente, die wir mit den beiden verbingen dürfen. Ich muss sagen, dass ich mich am Ende des Buches schwer tat, mich von den liebgewonnen Charaktere zu verabschieden.
Charaktere:
Nicht nur Anna und Charlotte wurden während des Lesens meine Freundinnen. Auch sämtliche Nebencharaktere wurden von der Autorin wunderbar gezeichnet und nehmen mehr oder weniger Platz in der Geschichte ein. Charlottes Kusine, die hübsche, aber unkonventionelle Edith, ist ein widersprüchlicher Charakter und Halbjüdin. Als die Nationalsozialisten mehr und mehr an die Macht kommen, sind Charlottes Onkel Samuel und ihre Tante Cäcilie in Gefahr. Doch wie so viele andere Juden nehmen sie Warnungen nicht ernst...
Ella wird zu Annas bester Freundin, die ihr immer zur Seite steht. Mit Günther haben wir auch einen richtig fiesen Charakter dabei, der über Leichen geht. Erich und Leo sind die große Liebe der jungen Frauen bevor der Krieg und das Schicksal zuschlägt.
Schreibstil:
Katharina Fuchs schildert das Leben ihrer Großmütter eindrucksvoll und voller Empathie. Die Atmosphäre wurde wundervoll eingefangen. Besonders spürte ich das bei einer Szene in Leipzig, als Charlotte mit ihrem Vater an Bahnhof ankommt und sie unwissentlich auf eine riesige Menschenmenge stoßen, die auf den Einzug Hitlers wartet. Dabei hatte ich Gänsehaut....
Der Roman besteht aus zwei Teilen. Im ersten Zeitabschnitt befinden wir uns vor und nach dem Ersten Weltkrieg, im zweiten verweilen wir in der Zwischenkriegszeit, erleben den Zweiten Weltkrieg und den Beginn des Wiederaufbaus. Im Vorwort geht die Autorin kurz auf die persönlichen Fakten ein.
Fazit:
Ein grandioser Roman, der sich in die Reihe meiner Bücher mit ♥♥♥ Lieblingsbuch-Status ♥♥♥ einreihen darf. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, fieberte mit Anna und Charlotte mit, litt und freute mich mit ihnen und war traurig, als ich die beiden wundervollen Charaktere am Ende verlassen musste, als ich die letzte Seite zuschlug. Absolute Leseempfehlung und definitiv eines meiner Jahres-Highlights!