Das Austauschjahr des Hamburger Kriminalkommissars Leander Lost neigt sich dem Ende zu. Als Asperger Autist hat er sich nach Startschwierigkeiten erstaunlich gut eingelebt und entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten hat er seine Rückkehr noch nicht bis ins letzte Detail geplant. Völlig untypisch für ihn, macht sich Hoffnung auf eine Verlängerung seines Aufenthalts an der Algarve in ihm breit. Währenddessen hat der Mittelmeerraum und eigentlich ganz Europa kein Kokain mehr, nach einer erfolgreichen Beschlagnahmung einer Großlieferung. Mit dem Kopf voller Gefühlschaos begibt er sich an den Tatort bei einem anderen Hamburger Auswanderer, einem Schreiner. Auffällige Symbole wie eine weiße Feder, mit Wachs beschmiert, im Auge des Toten, scheinen auf eine lang zurückliegende Mordserie in Spanien hinzudeuten. Doch Leanders kühler Kopf und sein Blick fürs Detail lassen ihn, sehr zum Ärger eines seiner Kollegen, nicht auf diese Spur festlegen. Als ein weiterer Mord geschieht, der von diesem Tathergang völlig abweicht, stehen die Ermittler vor einem Rätsel, aber Leander Lost vergisst ja nie und hat den Blick fürs Detail.
Ein Asperger Autist mit Gefühlen, das irritiert wohl niemanden so sehr, wie Leander selbst, der nun emotional völlig überfordert und verunsichert ist. Immerhin sein Schützling Sarah, weiß was sie will, das hilft ihm ein wenig, in seinem Alltag, ebenso wie seine Angewohnheit mehrmals täglich ertrinkende Insekten aus seinem Pool zu retten, um das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten durch deren Bestäubung der Blüten. Bei aller Detailverliebtheit verliert er doch nie den Blick für das große Ganze und knüpft bisweilen Verbindungen, auf die sonst niemand so käme. Parallelen und Verbindungen im Alltagsleben zu knüpfen fällt ihm nicht so leicht. Gelingt es ihm doch verblüffen ihn seine Erkenntnisse selbst bisweilen am meisten. Ich mag seine Erkenntnisse und wie er zu diesen gelangt. Mal sind sie charmant, mal verblüffend oder irritierend. Bei Leander Lost muss man einfach mit allem rechnen. Seine portugiesischen Kollegen und Freunde Graziana und Carlos, wissen ihn zu nehmen und zu schätzen, dank Grazianas jüngerer Schwester Soraya, die als Sozialpädagogin Leanders Besonderheit erkannt, und ihrer Schwester und Carlos erklärt hat. Er kann nicht lügen, er kann nichts vergessen und er kann keine Gefühle erkennen. Aber Leander ist wissbegierig und mithilfe von Sachbüchern eignet er sich das skurrilste Wissen an, aber auch nützliches so z.B. wie man Mikroausdrücke im Gesicht erkennt, was ihn zum wandelnden Lügendetektor macht.
Dieser Fall ist diesmal nicht sozialkritisch, hier geht aufgrund der erweiterten Ermittlerkonstellation um die Kritik an der Gesellschaft, daran wie diese mit Menschen umgeht, die anders sind. Es geht um Werte wie Liebe, Freundschaft und Familie. Das ist wunderbar eingewoben in knifflige Ermittlungen, die diesmal ganz persönlich werden. Als Portugalkrimi nimmt Gil Ribeiro (Künstlername) den Hörer mit in das Land, das er lieben gelernt hat. Als Deutscher hat er natürlich einen anderen Blick auf das Land und sieht es aus unserer Sicht, seine Schönheit und seine kulinarischen Besonderheiten. Denn in Portugal wird gekocht, mit Leidenschaft und das nicht nur von Grazianas Mutter (im Gegensatz zu vielen amerikanischen Büchern, in denen sich ausschließlich von Take away ernährt wird). Es wird die Liebe zum Leben und zum Alltag zelebriert, der Urlaub, der jederzeit auch zu Hause in den kleinen Dingen liegen und entspannen kann.
Mir gefallen seine Charaktere und seine Entwicklung, na ja, es entwickeln sich nicht alle, die evolutionäre Stagnation des gebürtigen Spanier Subinspector Miguel Duarte empfinde ich als eine Art running gag ähnlich des Kommissars Overbeck bei Wilsberg. Ohne ihn, würde einfach etwas fehlen!
Auch wenn ich die Stärke dieser Reihe eindeutig in den unterschiedlichen Persönlichkeiten und der Ausgangssituation sehe, ist dieser Fall wirklich kniffelig und wieder sehr komplex, und stellenweise sehr spannend. Da bedarf es schon eines Leander Lost, die Dinge in Verbindung zu bringen, und einer Graziana und eines Carlos, um ihn vor sich selbst zu retten, naja und einige Menschen, die ihnen wirklich am Herzen liegen.
Andreas Pietschmann trifft den Ton genau. Wohl angeblich nicht aussprachetechnisch, aber für mich klingt es überzeugend, ich bin bislang an der portugiesischen Aussprache auch gescheitert. Mit seiner angenehm wandelbaren Stimme schafft er sowohl die Schroffheit des testosterongeschwängerten Lebemannes Carlos, als auch des bisweilen kindlich naiven und dann wieder klar rationalen Leander Lost. Bei den weiblichen Rollen hält er sich zurück, sie werden weicher, aber ohne zu übertreiben interpretiert. Für mich die ideale Besetzung! Aus diesem Grund ziehe ich bei dieser Reihe das Hörbuch dem Buch jederzeit vor.
Ein wunderbarer Krimigenuss, von dem ich nicht genug bekommen kann. 5 von 5 Sternen.