Polarisierende Charaktere
Kevron traut sich kaum noch vor die Tür. Hinter jeder Ecke vermutet er jemanden, der ihm nach den Leben trachtet. Er traut niemandem über dem Weg, sich selbst vielleicht am wenigsten. Als eines Tages Prinz ...
Kevron traut sich kaum noch vor die Tür. Hinter jeder Ecke vermutet er jemanden, der ihm nach den Leben trachtet. Er traut niemandem über dem Weg, sich selbst vielleicht am wenigsten. Als eines Tages Prinz Tymur vor seiner Tür steht, bleibt Kevron kaum eine Wahl als dem Wunsch des Prinzen zu entsprechen. Einst ein begnadeter Fälscher, muss Kevron nun zeigen, dass er sein Handwerk nicht verlernt hat. Doch was als verhältnismäßig kleiner Auftrag beginnt, führt Kevron letztlich in Begleitung des Prinzen, einer Magierin und eines steinernen Wächters bis hinein ins ferne Nebelreich – eine Reise, die kaum gefährlicher sein könnte…
„Das gefälschte Siegel“ ist der Auftaktband zur Neraval-Trilogie, deren letzter Band vor kurzem erst erschienen ist. Die Autorin Maja Ilisch lässt im ersten Teil vier Charaktere gemeinsam auf die Reise gehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. So mangelt es auch nicht an Reibungspunkten, doch Tymur ist überzeugt, dass er die richtigen Gefährten für seine Mission ausgewählt hat. Als Steinerner Wächter hat Lorcan jahrzehntelang mit seinen Gefährten eine Schriftrolle bewacht. Eine Schriftrolle, die gefährlicher und machtvoller ist als alles andere im Reich Neraval. Vor tausenden von Jahren gelang es dem Helden Damar gemeinsam mit einer mächtigen Zauberin einen Erzdämonen zu besiegen und in die Schriftrolle zu bannen. Nun ist ein schrecklicher Verdacht aufgekeimt: womöglich wurde der Dämon befreit und ganz Neraval droht erneut einem finsteren Zeitalter zu versinken.
Aus diesem Grund macht sich Tymur, der für seinen Vater, den König, als Diplomat arbeitet, auf den Weg, um die Zauberin von damals zu finden. Lorcan hat die Schriftrolle so lange bewacht und ist Tymur mehr als zugetan, da ist es ein kluger Schachzug, in mitzunehmen. Nachdem Kevron bereits zu Beginn des Buches wichtige Arbeit geleistet hat, bleibt nur zu vermuten, weshalb Tymur in an seiner Seite wissen will – abgesehen davon, dass er so ein Auge auf den labilen Fälscher haben kann. Auch der genaue Grund, weshalb die Magierin Enidin mit von der Partie ist, ist nicht sofort ersichtlich. Immerhin, ihre Fähigkeiten unterwegs sind auf jeden Fall sehr praktisch.
Es dauert lange, bis aus den vier Weggefährten auch nur ansatzweise mehr als eine Zweckgemeinschaft wird. Sie misstrauen einander und einzig Tymur plappert ständig munter drauf los und ist jedermann gut Freund. Abgesehen von den Momenten, in dem eine andere, eisige und kaltblütige Seite an ihm zum Vorschein tritt. So zwiespältig wie sein Charakter sind auch die Gefühle der anderen für ihn. Sie schwanken zwischen Bewunderung, Liebe und Hass hin und her. Immer wieder werden Tymur und die Gefühle, die er in den anderen hervorruft, thematisiert. Es gibt zahlreiche Variationen des Themas, was auf Dauer ein wenig ermüdend war.
Neben den Befindlichkeiten der Hauptpersonen tritt die Welt, durch die sie reisen ein wenig in den Hintergrund. Zwar schildert die Autorin viele Details, doch leider muss ich sagen, dass für mich die Welt ein wenig blass bleibt. Mir fehlen die Dinge, die sie besonders machen, die sie unverrückbar mit der Geschichte verbinden. Ich hoffe jedoch, dass sich das in den Folgebänden noch ändern wird, denn da die Idee der Geschichte spannend ist, der Cliffhanger am Ende wirklich gemein und die Figuren interessant sind, will ich auf jeden Fall wissen, wie es weitergeht.