Zwei Schestern - zwei Schicksale
Manche Engel sterben früh„...Gedanken haben Flügel, und wenn du etwas wirklich aus vollem Herzen willst, dann passiert es auch...“
Wir schreiben das Jahr 1964. Die 21jährige Ruth hält das Tagebuch ihrer kleinen Schwester in den ...
„...Gedanken haben Flügel, und wenn du etwas wirklich aus vollem Herzen willst, dann passiert es auch...“
Wir schreiben das Jahr 1964. Die 21jährige Ruth hält das Tagebuch ihrer kleinen Schwester in den Händen. Ist sie schuld an deren Tod?
Dann erlaubt mir die Autorin einen Blick in die Vergangenheit. Ruth ist 7 Jahre und wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem ihr der Stiefvater versprochen hat, mit ihr baden zu gehen. Sie weiß noch nicht, dass genau an diesem Tag ihr Leben zerbrechen wird, denn der Besuch des Bades fällt aus, weil ihre kleine Schwester Christin geboren wird. Ab sofort dreht sich das ganze Leben um diesen kleinen Engel. Der Vater arbeitet Tag und Nacht, damit sich die Lebensverhältnisse verbessern. Die Mutter interessiert sich nicht mehr für Ruth. Sie vergisst sowohl ihren Geburtstag als auch den Schulanfang.
Die Autorin hat ein bewegendes Buch geschrieben, das emotional nicht leicht zu verarbeiten ist. Die Geschichte sollte man mit Bedacht lesen.
Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wir Ruths Leben bis zum Tod der Schwester erzählt. Der zweite Teil dient der Veröffentlichung von Christins Tagebuch. Im letzten Teil sucht Ruth die wirklich Verantwortliche für Christins Tod auf.
Der Schriftstil des Buches variiert in den einzelnen Teilen. Im ersten Abschnitt ist er eher sachlich. Deutlich wird, wie Kälte und Lieblosigkeit in Ruths Leben einziehen. Das hinterlässt sowohl psychische, als auch körperliche Spuren. Besonders hart ist es, dass Christin all ihre Wünsche erfüllt werden. Außerdem nutzt diese die Situation aus und stellt sich gegen Ruth. Hätte Ruth nicht die Mutter ihrer Freundin Silke, die für sie da ist und sie in schlimmen Situationen auffängt, wäre sie innerlich zerbrochen. Doch nach weiteren Schicksalsschlägen findet Ruth die Kraft, sich von der Familie zu lösen und sich ein eigenes Leben aufzubauen. Auf der Fahrt nach Berlin zu ihrer Tante Odette, die sie liebevoll empfängt und ihr beim Neuanfang hilft, trifft sie im Zug einen älteren Herrn. Von ihm stammt obiges Zitat.
Das Tagebuch ist sehr gefühlvoll geschrieben. Plötzlich bekommt auch Christin die Kälte der Mutter zu spüren. Der Absturz von der Prinzessin zum Niemand ist grausam und heftig. Doch es ist erst der Anfang vom Ende. Christin flieht mit 13 Jahren aus dem Elternhaus und landet schnell ganz unten.
Der letzte Teil ist geprägt von Ruths Wut und Rache. Erst aus Christins Tagebuch weiß sie, was zu Hause nach ihrem Auszug vorgefallen ist. Sehr gut herausgearbeitet sind die Gespräche zwischen Ruth und ihrer Mutter. Während hier Härte dominiert, sind die Dialoge von Ruth mit dem Stiefvater durch Verständnis und Einsicht geprägt.
Das Buch ist aufwühlend und über weite Teile realistisch. Es zeigt, was Kälte, Eigennutz, Lieblosigkeit und Egoismus in der Seele eines Kindes anrichten können.