Charlotte ist meine Lieblingsheldin jenseits der 80!
Charlotte Schwab erlebt einen zweiten Frühling – mit 82 Jahren. Vielleicht ist es auch eher ein dritter oder vierter Frühling, aber die Aussicht, ihrem 88-jährigen Schwager Hugo wieder zu begegnen, der ...
Charlotte Schwab erlebt einen zweiten Frühling – mit 82 Jahren. Vielleicht ist es auch eher ein dritter oder vierter Frühling, aber die Aussicht, ihrem 88-jährigen Schwager Hugo wieder zu begegnen, der gleichzeitig die Liebe ihres Lebens war, versetzt den Rhythmus ihres Lebens, das sie behaglich mit der Schaufensterpuppe Hulda teilt, in erhebliche Schwingung. Enkel Felix lässt seine Kumpel zum Renovieren antanzen, seine Freundin geht mit Charlotte einkaufen und die alte Dame hat Anlass für aufregende Gedanken über die Vergangenheit.
Es ist erstaunlich, wie heiter und oft auch lustig das Leben der alten Dame wirkt, was vor allem an der bewundernswerten Selbstironie liegt, die Autorin Ingrid Noll ihrer Figur eingibt. Kein Zipperlein wird ausgelassen – erst recht nicht, wenn Schwager Hugo auftritt, der um einiges hinfälliger ist.
Noch erstaunlicher aber ist, wie es Noll gelingt, in Charlottes Erinnerungen die Vergangenheit der Familie wieder auferstehen und lebendig werden zu lassen. Die Befindlichkeiten, Eitelkeiten und Verletzungen innerhalb der Familie brechen wieder auf und geben ein bewegtes Bild, das den Leser nicht kalt lässt und oft auch erheitert. Charlotte ist Jahrgang 1911 – und das bedeutet, dass sie dramatische deutsche Jahre wieder auferstehen lässt.
Noch einer ersteht wieder auf, nämlich Charlottes vermeintlich in Russland gebliebener Gatte Bernhard, dessen Ableben sie mit Hugo auch auf ganz andere Weise innig verbindet.
Zugegeben – wenn Bernhard das Licht der Welt erneut erblickt, verflachen teile des Romans zur Klamotte, aber dennoch bleibt die Komposition so liebenswert, ironisch, schwarzhumorig und lustig, dass man sie sich problemlos auch auf der Bühne vorstellen kann. Charlotte ist jedenfalls meine Lieblingsheldin jenseits der 80!