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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.06.2019

Kristallkind

Der glücklichste Sommer unseres Lebens
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Der glücklichste Sommer unseres Lebens von Ondine Khayat ist ein angenehm zu lesendes und berührendes Buch. Die Buchgestaltung mit Cover und Titel deutet auf betont unbeschwerte und leichte Kost hin. Aber ...

Der glücklichste Sommer unseres Lebens von Ondine Khayat ist ein angenehm zu lesendes und berührendes Buch. Die Buchgestaltung mit Cover und Titel deutet auf betont unbeschwerte und leichte Kost hin. Aber die Handlung ist tiefsinnig und daher hochwertigere Kost als man denken sollte.
Mit feinfühliger Psychologie zeigt die Autorin Ondine Khayat dem Leser die Gefühlswelt eines neunjährigen Mädchens in Paris.
Colline ist sehr sensibel und hat ein hohes Einfühlungsvermögen. Das macht sie aber auch anfällig und wenn sie spürt, wie ihre Eltern sich streiten, leidet sie besonders. Als ihr Eltern sich scheiden lassen wollen, ist sie traurig und fühlt sich sogar verantwortlich. Die fast 70jährige Clelie beschließt, die verstörte Colline für die Dauer der Sommerferien bei sich aufzunehmen, damit sie sich seelisch wieder erholen kann. Zusammen mit ihren liebenswerten Nachbarn kümmern sie sich um das Leben. Da gibt es einige amüsante Passagen und die Begegnung mit diesen liebevollen Menschen hilft Colline, wieder fröhlicher zu werden.
Colline freundet sich außerdem mit einem gleichaltrigen Jungen an, der ebenfalls Probleme hat.

Das wirkt wie eine Therapie und fast glaube ich, dass der Leser gleich mittherapiert wird.
Der Hinweis am Schluß des Buches, das man mit so sensiblen Menschen besonders sorgsam umgehen muss, halte ich für treffend.

Veröffentlicht am 11.05.2019

Babushka mit Power

Der Zopf meiner Großmutter
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Der Zopf meiner Großmutter ist die emotionale Geschichte eines Jungen, der mit seiner Großmutter und Großvater aus Russland nach Deutschland emigrierte.
Ein grimmiger Humor bestimmt das Buch.
Erzählt wird ...

Der Zopf meiner Großmutter ist die emotionale Geschichte eines Jungen, der mit seiner Großmutter und Großvater aus Russland nach Deutschland emigrierte.
Ein grimmiger Humor bestimmt das Buch.
Erzählt wird die Geschichte aus Kinderperspektive. Max ist ein Junge, der von seiner herrischen Großmutter mit rabiaten Mitteln behütet wird. Obwohl Max offensichtlich ein intelligenter Junge ist, hält sie ihn für einen körperlich wie geistig beschränktes Kind und nennt ihn oft Schwachkopf oder Idiot.
Die Großmutter hatte Vergangenheit Verluste hinzunehmen und bleibt in der neuen Umgebung fremd, aber das entschuldigt nicht alles. Sie hat den Hang zur Tyrannin! Deswegen ist trotz des humorvollen Erzähltons die Geschichte streckenweise tragisch. Mit der Zeit beginnt für Max eine Zeit der Befreiung als die Großmutter den eisernen Griff lockert.

Erstaunlich und bemerkenswert übrigens, dass die Autorin ihre Sympathien für die Figur der Großmutter durchblicken lässt, denn diese ist eine starke Persönlichkeit.
Max und sein Großvater bleiben hingegen immer passiv.

Das ist sprachlich originell und gut gemacht! Alina Bronsky hat schon einige gute Romane geschrieben, in denen es um die Schwierigkeit der Integration geht, aber auch um die Chancen, die dabei entstehen. Der Zopf meiner Großmutter ist genauso gut wie Alina Bronskys frühe Romane Scherbenpark und Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche.

In der Hörbuchversion liest die großartige österreichische Schauspielerin Sophie Rois, die mit ihrer kratzigen Stimme gut zur exzentrischen Großmutter passt, aber auch die Kinderstimme mühelos beherrscht.

Veröffentlicht am 11.05.2019

Zeitreise in Fotos

Fred Herzog
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Der in Deutschland geborene, aber seit über 60 Jahren in Kanada lebende Fotograf Fred Herzog ist bemerkenswert.

Es startet mit einem Selbstportrait 1959. Dann folgen Texte zunächst in Englisch, gemischt ...

Der in Deutschland geborene, aber seit über 60 Jahren in Kanada lebende Fotograf Fred Herzog ist bemerkenswert.

Es startet mit einem Selbstportrait 1959. Dann folgen Texte zunächst in Englisch, gemischt mit einigen Fotos. Schließlich viele Fotos. Es sind Alltagsfotos in Kanada die dominieren und sie haben ihre ganz eigene, hohe Qualität, obwohl sie natürlich nicht dramatisch sind.

Ein paar Fotos zeigen auch eine andere Welt, z.B. Guatemala, Mexiko oder San Francisco.
Von Deutschland sieht man nur ein Foto mit einer Lokomotive, also ein Abschied.

Die Texte sind informativ, aber nicht gerade inspirierend. Das gelingt dem Fotografen durch sein Werk schon alleine. Vancouver in Kanada ist eine Stadt, die ich auch einmal besucht habe und die ich sehr schätze. Fred Herzogs Fotos sind weder kritisch verurteilend noch verherrlichend.
Seine Fotos liegen ganz auf meiner Linie. Der überwiegende Teil sind in Farbe. Ist doch mal ein schwarzweiß-Foto dabei, dann passt es motivisch aber auch so.

Zwar sind die Fotos teilweise wirklich alt, aber das mindert sie nicht und teilweise ist es eine Zeitreise.

Fein, dass man Fred Herzog durch dieses Buch noch zu seinen Lebzeiten (er ist 88) entdecken kann.

Veröffentlicht am 10.05.2019

Wirkungsmächtige Fotos

Zufälle im Museum
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Ist das gestellt? Das ging mir als erstes durch den Kopf beim Betrachten der Fotos, aber der Titel impliziert, das es nicht inszeniert ist.
Immer sieht man den Betrachter eines Gemäldes von hinten und ...

Ist das gestellt? Das ging mir als erstes durch den Kopf beim Betrachten der Fotos, aber der Titel impliziert, das es nicht inszeniert ist.
Immer sieht man den Betrachter eines Gemäldes von hinten und entdeckt Ähnlichkeiten, manchmal stärker manchmal schwächer und einige Male glaubt man, die Museumsbesucher wären direkt dem Gemälde entstiegen, so gut passen zum Inhalt. Sehr oft sind es Farben, die den Zusammenhang stellen, dann wieder ergänzen die Menschen das Motiv des Gemäldes, z.B. das Mädchen mit den Zöpfen oder der gebückte alte Mann, dessen Hinterkopf bzw. sein weißer Haarkranz ins Bild übergeht. Oder auch die roten Haare einer jungen Frau vor einem impressionistischen Hintergrund.
Es kommt auch vor, dass man den Mensch auf den ersten Blick nicht wahrnimmt, weil er mit dem Gemälde zu verschmelzen scheint.

Der österreichische Fotograf Stefan Draschan arbeitet mit Leidenschaft und das kann er auch mit dem Ergebnis vermitteln.
Vieles ist wirklich sehr originell, fast alles erzeugt eine Stimmung mit starker Wirkung.

Veröffentlicht am 04.05.2019

Ohne Wahrheit ist die Demokratie verstümmelt

Der Tod der Wahrheit
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Der politische und Gesellschaftliche Zustand der westlichen Welt ist in einem Zustand, den man noch vor 10 Jahren nicht erwartet hätte. Lügen und Fake-News dominieren und werden allgemein von einer Mehrheit ...

Der politische und Gesellschaftliche Zustand der westlichen Welt ist in einem Zustand, den man noch vor 10 Jahren nicht erwartet hätte. Lügen und Fake-News dominieren und werden allgemein von einer Mehrheit akzeptiert.
Aufschlussreich der Untertitel dieses Buches: Notes on Falsehood in the Age of Trump

Bemerkenswert, dass die Pulitzerpreisträgerin und ehemals gefürchtete New-York-Times-Literaturkritikerin Michiko Kakutani inzwischen politische Texte schreibt. Sie scheut auch keine Polemik. Es wundert auch nicht, dass es immer wieder auch literarische Verweise und treffsichere Zitate im Text gibt. Man kann sogar sagen, dass Literatur die Wurzeln für Michiko Kakutanis Denken in diesem Buch gab. Es gibt sogar einmal einen ausführlichen Ausflug in die Philosophie, z.B. Hanna Arendt, dem Dekonstruktivismus von Derrida und dem Vorfall um Paul de Man. Den kritischen Ansatz, den Folgen des Dekonstruktivismus mitverantwortlich zu machen, folge ich aber nicht.
Viele andere Zusammenhänge stellt die Autorin aber souverän zusammen. Immer wieder wird sich auf Georg Orwell bezogen, auf Huxley, Philip Roth, Stefan Zweig, Klemperer, Thomas Pynchon, David Foster Wallace und viele andere.
Es ist ein sehr amerikanisches Buch, in dem Donald Trumps Methode des Lügens in den Vordergrund gestellt und analysiert wird.

Ein Fazit sehe ich in dem Satz:
„Einfache Gegenmittel gibt es nicht, entscheidend ist aber, dass die Bürger sich gegen den Zynismus und die Resignation wehren, auf die Autokraten und machthungrige Politiker angewiesen sind, um den Widerstand zu untergraben.“

Ein lesenswertes Buch!