Cover-Bild Das Haus aus Stein
15,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Penguin
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 128
  • Ersterscheinung: 18.03.2019
  • ISBN: 9783328600763
Aslı Erdoğan

Das Haus aus Stein

Roman
Gerhard Meier (Übersetzer)

Aslı Erdoğans wichtigster Roman endlich auf Deutsch

»Haus aus Stein« ist nicht nur der wichtigste Text im Werk der gefeierten türkischen Schriftstellerin Aslı Erdoğan. In diesem symphonisch komponierten Roman über Gefangenschaft und den Verlust aller Sicherheiten nimmt sie auch auf erschütternde Weise die eigene Gefängniserfahrung vorweg. »Was hatte ich hier zu suchen? Was war übrig von einem Ich?«, fragt einer der Protagonisten. Ein anderer wird freigelassen, doch was in der Haft geschehen ist, bleibt unsagbar, und er verfällt allmählich dem Wahnsinn. Aslı Erdoğan folgt mit ihrer poetischen dunklen Sprache den tiefen Narben, die eine Begegnung mit dem »Haus aus Stein« hinterlässt. Ihren in der Türkei bereits 2009 erschienenen Roman ergänzt sie durch einen eigens für diese Ausgabe verfassten Essay über die Monate, die sie 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch willkürlich im Frauengefängnis Bakırköy-Istanbul inhaftiert war.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.10.2019

Alle Straßen gehörten ihm, doch er ging nirgendwo hin

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„Ich war in ein endloses, einziges Jetzt gepfercht, sein Stundenzeiger war abgefallen und sein Minutenzeiger drehte sich sinnlos im Kreis. Die Stunden waren blutig gepeitscht worden und vermochten ihre ...

„Ich war in ein endloses, einziges Jetzt gepfercht, sein Stundenzeiger war abgefallen und sein Minutenzeiger drehte sich sinnlos im Kreis. Die Stunden waren blutig gepeitscht worden und vermochten ihre schwere Last nicht mehr zu tragen, keinen Schritt mehr vor und zurück zu tun, die Zeit nicht mehr von der Stelle zu bewegen.“

Inhalt

Wen es einmal in das Haus aus Stein verschlägt, der kommt nicht mehr zurück in die Welt der Unbedarften, der Optimisten, der Menschen, die nach jedem schlechten Tag einen neuen, besseren erwarten. Denn sämtliche Vorstellungen von einer Sinnhaftigkeit und einer tieferen Bedeutung des eigenen Lebens werden nach und nach ausgelöscht. Bei jedem, der die Mauern des Gefängnisses von innen gesehen hat und irgendwann die Mauern desselben Gebäudes von außen, gibt es keine Hoffnung mehr. Der Körper, die Hülle ist noch da, der Inhalt aber unwiederbringlich zerstört. Alles wird seltsam unbedeutend, Neuanfänge scheinen sinnlos und auch die Hoffnung wieder so zu werden, wie man einmal war, ist zwischen den grauen Mauern versickert …

Meinung

So klein und unscheinbar dieser Roman aus der Feder der türkischen Autorin Asli Erdoğan auch ist, so zentnerschwer und bedrückend wirkt sein Inhalt. Es ist ein tiefsinniger, umwälzender Roman, der weder gefallen möchte, noch restloses Verständnis erzwingt, vielmehr initiiert er weitreichende Gedankengänge des Lesers, der hier einen wunderbar anspruchsvollen, literarischen Text in den Händen hält, dem man sich aus diversen Perspektiven nähern kann.

Die Bewältigung eines Gefängnisaufenthalts ist einerseits sehr generalistisch und nachvollziehbar beschrieben und greift doch, sobald man die Vorgeschichte der Autorin kennt und das Nachwort gelesen hat, ganz persönlich in das Leben der Beteiligten ein. Interessant auch der Aspekt der Schuld bzw. Nichtschuld der Gefangenen. Denn seltsamerweise kommt diese Erzählung ganz ohne die Begriffe des Rechts oder Unrechts aus.

Es geht auch nicht darum, etwas zu erklären und es schönzureden, nein vielmehr konzentriert sich der Inhalt auf die Zersetzung des menschlichen Glaubens an irgendetwas, an einen Gott, an einen Menschen oder auch an das System – nur durch die Schilderung einer unbestimmten Abfolge der stets gleichen Sinnlosigkeit und Lethargie – begrenzt durch Mauern aus Stein.

Dennoch wird deutlich, wie die Gefangenen behandelt werden, das Folter als eine der vielen grausamen menschlichen Methoden angewandt wird, um die Insassen zu brechen. Und letztlich zielt der Inhalt vor allem auf den Schaden ab, den die Seele erleidet, ganz egal, was der Körper aushalten kann oder nicht.

Für diesen Roman muss man sich Zeit nehmen, er zwingt dazu aufmerksam zu lesen, gerade weil er kein klassischer Unterhaltungsroman ist, sondern eher eine philosophische Auseinandersetzung mit der Thematik und außerdem entwirft er so zahlreiche sprachliche Bilder, dass man geradezu aufgefordert wird, den Text reflektierend zu betrachten. Auch ein mündlicher Austausch über das Gelesene bietet sich hier an und ich könnte mir gut vorstellen, eine derartige Lektüre in einem Lesekreis aufzugreifen und sie in der Gruppe zu besprechen.

Fazit

Ich vergebe hochachtungsvolle 4 Lesesterne, für diesen weder leichten noch herkömmlichen Text, der intensiv und reflektierend das Unausgesprochene benennt und die Emotionen des Lesers wachrüttelt. Der ungewöhnliche Aufbau und die Fähigkeit sowohl distanziert als auch betroffen zu wirken und dem Text durch Wiederholungen, Metaphern und Leerstellen eine derartige erzählerische Dichte zukommen zu lassen, hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sicherlich kein Buch für jedermann und irgendwie auch sehr speziell. Doch wenn man etwas sucht, was so direkt nicht zu beschreiben ist, wenn man auf die Grundsätze des menschlichen Daseins zurückgeführt werden möchte, dann sollte man unbedingt zu diesem Buch greifen. Ein Roman, der nachhallt und das Prädikat „besonders“ verdient.

Veröffentlicht am 12.05.2019

Aslı Erdoğan – Das Haus aus Stein

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In Istanbul steht das „Sansaryan Han“, ein Haus aus Stein, das das Vorbild für Aslı Erdoğans Roman bildet. In jenes Haus wurden die politischen Häftlinge, die Schwerkriminellen, die Staatsgegner gebracht ...

In Istanbul steht das „Sansaryan Han“, ein Haus aus Stein, das das Vorbild für Aslı Erdoğans Roman bildet. In jenes Haus wurden die politischen Häftlinge, die Schwerkriminellen, die Staatsgegner gebracht und gefoltert. Hiervon schreibt die Autorin, die nach dem Militärputsch 2016 selbst zum Opfer des türkischen Staates wurde und 132 Tage im Gefängnis verbringen musste. Was sie 2009 literarisch verarbeitete, musste sie selbst am eigenen Leib nur wenige Jahre später erfahren.

Der Roman, der mit dem bedeutendsten türkischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, hat keine Handlung im klassischen Sinn. So wie sich die Persönlichkeit in der Gefangenschaft zunehmend auflöst, ist auch der Text schwer greifbar, er kreist spiralförmig auf ein Ziel hin, von dem man nicht weiß, was es sein wird: Tod oder Leben, Erlösung oder Verdammnis. Einer, der einstmals offenbar hinter den Mauern lebte, lebt nun außen, in den Schatten der Gemäuer, aus denen die unzähligen Stimmen dröhnen. Aber für ihn ist es gleich, auf welcher Seite der Mauer er steht, er trägt die Erfahrungen tief in sich und kann sie wie böse Dämonen nicht mehr los werden.

Man kann den Roman nur als kafkaesk im klassischen Sinn bezeichnen. Es gibt kein Verbrechen, keine Anklage und kein Urteil für eine Tat. Es herrschen eine diffuse Angst und Verunsicherung und die Verzweiflung wird zunehmend stärker. Das Individuum kann die Lage nicht überschauen, schon gar nicht kontrollieren, sondern ist ausgeliefert. So fühlt es sich an im Gefängnis, wo Willkür herrscht, vor der nur der Tod schützt.

So schwer der Text auf der Handlungsebene zugänglich ist, so sehr strahlt er doch sprachlich. Aslı Erdoğan spricht in Metaphern, verbildlicht so das Innen- und Außenleben ihrer Figuren und lässt zugleich Deutungsspielraum. Sie erspart dem Leser so auch deutliche Beschreibungen der Folter und Qualen, deren Folgen jedoch auch so spürbar werden. Die Realität der politischen Lage hat hier die Literatur eingeholt und einmal mehr bewiesen, dass der Mensch zu mehr fähig ist, als man sich in den schlimmsten Alpträumen ausmalen mag.

Veröffentlicht am 07.05.2019

Wenn Wunden zu Wort kommen

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Zum Inhalt:

Aslı Erdoğan erzählt eine Geschichte über das menschliche Dasein in einem Gefängnis und die Zeit danach im vergeblichen Kampf um Normalität. Die namenlosen Figuren zeigen mit ungebrochener ...

Zum Inhalt:

Aslı Erdoğan erzählt eine Geschichte über das menschliche Dasein in einem Gefängnis und die Zeit danach im vergeblichen Kampf um Normalität. Die namenlosen Figuren zeigen mit ungebrochener Vehemenz die Verzweiflung und die pure Hoffnungslosigkeit in all ihren Facetten und lassen autobiographische Einblicke vermuten, wobei die Autorin tatsächlich jedoch erst Jahre später nach Erscheinen dieses Romans selbst Erfahrungen in monatelanger Haft machen musste. Für diese deutsche Erstausgabe hat die Autorin zusätzlich ein Vorwort verfasst, das bereits den düsteren Klang der nachfolgenden Geschichten erahnen lässt.


Meine Leseerfahrung:

Ich habe mich bei diesem Buch ausnahmsweise mal nicht auf die Originalsprache gestürzt, bevor ich die deutsche Ausgabe in Händen hielt. Und ich kann nur sagen, wenn diese Geschichte auf Deutsch schon so auf poetischer Ebene beeindruckt - wenn da auch an einigen Stellen auf Grund vereinzelter Ungereimtheiten womöglich die Übersetzung nicht wirklich gelungen sein mag -, dann muss die türkische Version Einen auf Grund der bildhaften Sprache völlig umhauen. Daher werde ich dieses Buch auch unbedingt in der Originalfassung lesen.


So viel Leid, Qualen und Hoffnunglosigkeit kann man als Leser wirklich nur bei völliger eigener seelischer Gesundheit ertragen. Die Sprache ist zwar nicht immer flüssig oder einwandfrei verständlich, aber ich habe einige schöne Stellen aus diesem Buch mitgenommen, die mir vor Augen führen, wie wundervoll man mit Worten zaubern kann. Sätze wie "Die Finger des wandernden Mondscheins fahren mir fiebrig über die Lippen." oder "...der Knochen hält das aus, dieser bleiche Mitwisser der Zeit."


Trotz der schönen Sprache ist die geschaffene Atmosphäre durchgehend beklemmend und lässt den Leser tief betrübt zurück mit dem Gedanken, wie grausam und unbarmherzig doch das Leben für manch Anderen sein kann.  


Fazit:

Ein beeindruckendes poetisches Werk von Aslı Erdoğan, das einen durchweg verstörenden Einblick in den menschlichen Geist gewährt, was man nur mit gesundem Verstand zu ertragen und begreifen im Stande ist.