Über die Zuverlässigkeit der Erinnerung
MemoriaEin kluger Autor hat einmal gesagt, dass ein guter Spannungsroman mit einem Knall beginnen muss. Diese Anweisung hat Zoe Beck für den Einstieg in „Memoria“ beherzigt: Ein ICE muss auf freier Strecke halten, ...
Ein kluger Autor hat einmal gesagt, dass ein guter Spannungsroman mit einem Knall beginnen muss. Diese Anweisung hat Zoe Beck für den Einstieg in „Memoria“ beherzigt: Ein ICE muss auf freier Strecke halten, weil der Wald großflächig brennt. Die Zugreisenden, unter ihnen Harriet, eine junge Frau mit einem Leben voller geplatzter Träume, werden evakuiert. Als sie hinter dem Fenster eines in der Nähe stehenden Hauses eine ältere Frau sieht, die Hilfe benötigt, fasst sie sich kurzentschlossen ein Herz und rettet sie. Mission erfüllt, oder etwa doch nicht? Aug‘ in Aug‘ mit der Frau beschleicht sie ein seltsames Gefühl. Es scheint fast so, als ob sie ihr früher schon einmal begegnet wäre. Aber das ist erst der Anfang, denn in den folgenden Tagen, Wochen gibt es immer wieder Situationen, in denen sie eine ähnliche Ahnung beschleicht, sie verunsichert. Bildet sie sich das ein oder kann sie ihren Erinnerungen trauen?
Becks Stoff ist zwar zeitlich in einer nahen Zukunft mit dystopischen Anleihen angesiedelt, aber es sind die brisanten Themen unserer Gegenwart, die den Hintergrund des Thrillers bilden. Die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Besitzenden und Besitzlosen, eine gespaltene Gesellschaft, in der jeder Schritt überwacht wird, Lebensräume, die von den Auswirkungen des Klimawandels verwüstet werden, der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen, der nicht mehr gefahrlos für alle möglich ist, die Möglichkeiten, ob gut oder schlecht, die KI bietet, Ethik, Moral und Verantwortung von Forschung und Wissenschaft, die auf dem Altar des Profits geopfert werden.
Es sind äußerst interessante Themen, die die Autorin hier behandelt und damit jede Menge Denkanstöße liefert. Und gerade durch die Verknüpfung mit den Lebensumständen und der Geschichte der Protagonistin werden sie greifbar, wirken realistisch und nicht zuletzt auch sehr beängstigend. Aber ach, so spannend die Story über weite Strecken auch war, hat sie doch mit der „Auflösung“ ausgetretene Pfade beschritten und offenbar nicht nur meine Vermutungen bestätigt. Das sollte einer erfahrenen Thriller-Autorin nicht passieren, kratzt es doch an dem guten Eindruck, den der Leser/die Leserin bisher hatte. (3,5 von 5)