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Veröffentlicht am 21.09.2021

Ein Roman voller Witz und Humor

Ástas Geschichte
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„Ástas Geschichte“ ist ein Roman, der mich trotz seiner verschachtelten Erzählweise immer wieder in seinen Bann gezogen hat. Denn Jón Kalman Stefánsson ist ein Meister darin, seine Leser zu unterhalten.

Schon ...

„Ástas Geschichte“ ist ein Roman, der mich trotz seiner verschachtelten Erzählweise immer wieder in seinen Bann gezogen hat. Denn Jón Kalman Stefánsson ist ein Meister darin, seine Leser zu unterhalten.

Schon die Überschriften der Kapitel verraten, dass da jemand am Werk ist, der Spaß am Fabulieren hat: „Ein ramponierter Geländewagen, eine nette Kotztüte, und zuweilen ist nicht oft, sondern bloß ab und zu“, „Schlechter Wein schlägt einem meist böse auf den Magen“ oder „Ist es in Ordnung, eine Atombombe auf Reykjavík zu werfen?“.

Dass zu Beginn des Romans der Erzähler einen begrüßt und ausführt, was er zunächst zu erzählen gedenkt, darf einen nicht dazu verleiten, den Roman zu unterschätzen. Ganz unterschiedliche Perspektiven wechseln sich vielmehr im Folgenden ab. Da ist zunächst einmal Ásta, die als Erziehungsmaßnahme auf einen einsamen Bauernhof zur Arbeit muss, dann gibt es noch ihren Vater Sigvaldi, der über sein Leben sinniert, als er von einer Leiter fällt, den Erzähler und schließlich Ástas Briefe, die sie in gesetzterem Alter geschrieben hat (auch wenn man es ihrem Inhalt kaum anmerkt).

Mit viel Witz holt Stefánsson seine Leser immer wieder in die Handlung zurück. Sei es, dass er sich über die Landmenschen von Island mokiert, sei es, dass er die Hauptstädter schlecht wegkommen lässt, über den Hang der Isländer zur Literatur spricht oder oder oder… Stefánsson hat die Gabe, über seine Figuren ironisch-distanziert zu schreiben, ohne dass sie ihren Charme verlieren. Das liegt vielleicht auch daran, dass in dem Roman Stefánssons die Menschen zumeist ein hartes Los haben. Allen voran Ásta, die bei einer Ziehmutter aufwächst, als ihre Mutter heillos überfordert ist. Àsta geht ihren Weg, lässt ihr Kind bei ihren Großeltern zurück, um in Österreich Theaterwissenschaften zu studieren. Gegen Ende des Romans erfährt man, dass sie schließlich selbst Vorlesungen hält.

Mit Männern hat Àsta wenig Glück. Jósef, die große Liebe, verliert sie aus den Augen, dem berühmten Schriftsteller Guðjón gibt sie den Laufpass. So stellt sich in dem Roman immer wieder die Frage, ob man die Liebe festhalten kann. Oder genauer: wehmütig wird erkannt, dass man sie eben nicht halten kann.

Es sind die komischen Stellen, die dem Roman seinen Unterhaltungswert geben. Wenn in der isländische Bauer, bei dem Ásta untergebracht ist, seine Mutter einfach draußen anbindet, weil sie jeden Morgen in einer ganz anderen Zeit aufwacht. Wenn die Wortkargheit der Isländer zelebriert wird. Wenn der Dichter sich für Kost und Logis darauf einlässt, dass Touristen seine Wohnung besichtigen dürfen.

In dem bunten Chor der Stimmen, die „Ástas Geschichte“ erzählen, gibt es keine einzige, die nicht irgendwie auch liebenswert ist. Entstanden ist ein opulentes Werk, ausladend in seinem Figurenkarussel und der Erzählstruktur, einladend in seinem überbordenden Witz und Humor.

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Veröffentlicht am 19.09.2020

Von Ahas zu Hiskia

Sei du meine Stärke
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Mit ihrer neuen Reihe „Die Chroniken der Könige“ begibt sich Lynn Austin in das Zeitalter der Könige Israels. Ihr erster Band „Sei du meine Stärke“ spielt im 8. Jahrhundert vor Christus, zur Zeit der Könige ...

Mit ihrer neuen Reihe „Die Chroniken der Könige“ begibt sich Lynn Austin in das Zeitalter der Könige Israels. Ihr erster Band „Sei du meine Stärke“ spielt im 8. Jahrhundert vor Christus, zur Zeit der Könige Ahas und Hiskia.

Das Südreich Juda ist dabei in keiner guten Verfassung: schwere militärische Niederlagen führen dazu, dass Juda zu einem Vasallenstaat der Assyrer wird. Außerdem werden in Jerusalem sogar im Tempel andere Götter angebetet.

Nur wenig erfährt man in den Büchern der Chroniken und der Könige über diese Zeit. Lynn Austin gelingt es, aus den knappen biblischen Informationen eine spannende Geschichte entstehen zu lassen. Schon der Beginn des Romans hat es in sich: der älteste Sohn des Königs soll dem Gott Moloch geopfert werden. Dennoch gelingt es Hiskias Mutter Abi, dass ihr Sohn in der Thora unterwiesen wird. Das Buch endet damit, dass Hiskia nach Ahas‘ Tod zum neuen König wird und das Land wieder zurück zum JHWH-Glauben führt.

Die Mischung aus Fiktion und Fakten überzeugt, auch wenn manches eher unserer Zeit entspricht, etwa die starke Fokussierung des Opfers auf den Aspekt der Vergebung. Gottestreue und Vertrauen stehen im Zentrum vieler Gespräche, sodass es nicht verwundert, dass viel aus dem Buch der Psalmen zitiert wird. Etwas anachronistisch sind die Verweise auf die Gottesebenbildlichkeit des ersten Schöpfungsberichts und auf Hiob – beide Texte waren zur Zeit der Handlung noch nicht bekannt.

Sehr gelungen ist das Einfühlungsvermögen in die Figuren. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird das Geschehen beleuchtet, sodass man die Gedankenwelt am Königshof, am Tempel und die der Propheten kennenlernt.

Für mich war der Hauptbeweggrund, das Buch zu lesen, die Möglichkeit, eher unbekannte biblische Texte kennen zu lernen. Das gelang mir bereits bei Lynn Austins Buchreihe über die Rückkehr aus dem Exil nach Israel.

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Veröffentlicht am 14.05.2019

Herrliche Münchauseniade

Die Analphabetin, die rechnen konnte
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In Johannesburg beginnt der Roman von Jonas Jonasson. In Schweden endet er. Dazwischen findet in „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ eine ganz und gar abstruse Abenteuergeschichte statt, die ihresgleichen ...

In Johannesburg beginnt der Roman von Jonas Jonasson. In Schweden endet er. Dazwischen findet in „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ eine ganz und gar abstruse Abenteuergeschichte statt, die ihresgleichen sucht. Hauptperson: Nombeko Mayeki.

Mit ihr begibt man sich als Leser auf eine herrliche Münchhauseniade voller absurder Abenteuer und unwahrscheinlichen Begegnungen. An manchen Stellen wirkt es fast so, als ob das Unwahrscheinliche die Normalität ist. Jonas Jonassons Einfallsreichtum scheint unerschöpflich zu sein.

Das beginnt schon mit Nombeko selbst. Die Latrinentonnenträgerin arbeitet sich in Südafrikas größtem Slum nach und nach vom Latrinenbüro von Soweto hoch, denn sie kann zwar nicht lesen, aber dafür umso besser rechnen. Sie landet als Putzfrau bei einem Ingenieur, hilft mit, Südafrikas erste Atombombe zu bauen. Mit ihr zusammen landet sie schließlich in Schweden. Doch wie wird man eine Atombombe wieder los?

Ihre Klugheit bringt Nombeko immer wieder weiter. Sie schafft es überall, mit den Füßen auf dem Boden zu landen. Das ist der eine Grund, weshalb mir „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ gefiel: man kann die schelmenhaft clevere Nombeko einfach nur liebgewinnen. Der andere Grund ist die Art, wie Jonas Jonasson erzählt: er ist ein Meister der Fabulierkunst. Pointenreich erzählt er, immer mit einem Lächeln im Gesicht, was man im Leben alles so erleben könnte.Wenn es dabei zu den ungewöhnlichsten Begegnungen kommt: umso besser. Dass die Personen, die sonst noch in dem Buch auftauchen, eher stereotyp sind, tut keinen Abbruch. Denn je stereotyper sie sind, umso mehr Ecken und Kanten haben sie. Und die witzig-charmant aufs Korn zu nehmen, das ist Jonas Jonassons Spezialität.

Ich bin eigentlich kein allzu großer Freund von Hörbüchern. Meistens entgeht mir beim Hören im Auto irgend etwas, und ich muss mir ein Kapitel nochmal anhören, was auf dauer etwas nervt. Mit diesem Hörbuch bin ich aber gut zurecht gekommen. Anfangs irritieren die zwei Erzählstränge in Südafrika und in Schweden, aber spätestens wenn sie sich vereinigt haben, kann man den Irrungen und Wirrungen der Geschichte gut und leicht folgen. Ein idealer Roman für ein Hörbuch. Katharina Thalbachs Stimme habe ich dabei sehr genossen – sie liest sehr betont, nicht überhastet, lässt Pausen. Warum auch immer: im Auto kam ihre Stimme nicht so knörzig rüber als im CD-Player, daher wurde es mein Auto-Hörbuch für einige Wochen. Und ja: es waren unterhaltsame Autofahrten.

Veröffentlicht am 24.04.2019

Von der Macht der Fantasie

Der Klang der Farben
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Wie klingen Farben? In seinem Bilderbuch für Erwachsene „Der Klang der Farben“ beschreibt Jimmy Liao, wie ein blindes 15-jähriges Mädchen mit der U-Bahn durch eine Stadt fährt. Was sie nicht sehen kann, ...

Wie klingen Farben? In seinem Bilderbuch für Erwachsene „Der Klang der Farben“ beschreibt Jimmy Liao, wie ein blindes 15-jähriges Mädchen mit der U-Bahn durch eine Stadt fährt. Was sie nicht sehen kann, stellt sie sich vor. Traumbild reiht sich an Traumbild, eines bunter und fantasievoller als das andere.

Bald schon wird deutlich: diese Illusion lässt sich nicht immer aufrechterhalten – das Mädchen wird müde, verfährt sich, stolpert… Unbeirrt hält sie dennoch an ihrer Suche nach dem allersüßesten roten Apfel, nach dem einen Blatt aus Gold fest. Vor allem aber ist es die „Suche nach dem Licht, das in meinem Herzen schimmert“. Diese spannungsgeladene Doppelbödigkeit macht das Buch tatsächlich zu einem Bilderbuch für Erwachsene. Die bezaubernde kindlich-naive Traumwelt rutscht immer wieder ins Melancholische, etwa bei der Erinnerung an die Zeit, als sie noch sehen konnte.

Letztlich ist es die Kraft der Fantasie und die Kraft der Dichtkunst, die Jimmy Liao in „Der Klang der Farben“ besingt. Sie können dem Menschen Halt geben, wenn das Leben selbst diesen Halt nicht mehr bietet. Kein Wunder, dass Liao sein Buch „den Dichtern“ gewidmet hat. Die Flucht aus der Realität freilich kann gelingen. So hat das Mädchen später ihren Schutzengel wieder, der am Anfang des Buches verlustig gegangen ist.

Liao zitiert am Ende des Buches einen Auszug aus dem Gedicht „Die Blinde“ von Rainer Maria Rilke. „Ich bin eine Insel“, sagt die Blinde in diesem Gedicht über sich selbst. Ein Satz, der auch auf das blinde Mädchen von Liao zutrifft. Überhaupt kann man Liaos „Der Klang der Farben“ als Adaption von Rilkes Gedicht lesen. Viele der Motive des Gedichts tauchen in den Zeichnungen auf.

Für mich hat sich „Der Klang der Farben“ nicht so leicht erschlossen wie die anderen Bilderbücher für Erwachsene des taiwanesischen Künstlers, die ich bisher gelesen habe. Fasziniert hat mich schließlich aber, wie Liao Rilkes Gedicht frei in Szene setzt und die Macht der Fantasie thematisiert.

Veröffentlicht am 13.02.2019

Das Leben der einfachen Menschen in Holt - beeindruckend erzählt

Abendrot
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Mit einem nüchternen Blick skizziert Kent Haruf in seinem Buch „Abendrot“ die Ränder der amerikanischen Gesellschaft. Die fiktive Kleinstadt Holt ist Schauplatz des Romans und zugleich der Ort, der die ...

Mit einem nüchternen Blick skizziert Kent Haruf in seinem Buch „Abendrot“ die Ränder der amerikanischen Gesellschaft. Die fiktive Kleinstadt Holt ist Schauplatz des Romans und zugleich der Ort, der die Handlung mit ihren unterschiedlichen Figuren zusammenhält. „Abendrot“ ist die Fortsetzung von „Lied der Weite“ des bereits verstorbenen amerikanischen Autors. Ein Fortsetzungsband zu „Abendbrot“ soll noch bei Diogenes erscheinen.

Kent Haruf zeigt in seinem Roman eine gesellschaftliche Kälte, der die Figuren kaum genügend eigene Wärme entgegensetzen können, um zu bestehen. Selbst der Rinderzüchter Raymond, die einzige ausschließlich positiv wirkende Figur des Romans, kommt kaum über die Runden und steht immer wieder vor der Pleite.

Holt erweist sich als ein Ort, an dem man sich behaupten muss, auch wenn man nur sein eigenes kleines Glück bewahren will. Die großen Träume haben in Kent Harufs „Abendrot“ keinen Platz. Umso zerbrechlicher wirken bereits die kleinen Träume der Einwohner von Holt. Haruf gelingt es in seinem Buch, dass man beim Lesen immer damit rechnet, dass nichts so bleibt, wie es beschrieben ist. Alles kann sich mir nichts dir nichts zum Guten oder zum Schlechten wenden.

Während Harufs Schreibstil mir anfangs etwas zu hölzern wirkte, muss ich sagen, dass er mir im Laufe des Lesens immer mehr gefallen hat. Es ist faszinierend, wie es ihm gelingt, mit wenigen Worten Stimmungen zu erzeugen – seien es beklemmende, seien es hoffnungsvolle. Wobei bei Haruf nie alles verloren ist und nie alles nur glücklich sein kann. Dabei bleibt es immer beim zurückhaltenden, beobachtenden Erzähler.