Schaurig und faszinierend zugleich
Der Horror der frühen MedizinIch bin eigentlich durch und durch Fantasyleserin. Dennoch schaue ich hin und wieder gerne über meinen Tellerrand hinaus, was sich auch häufig schon gelohnt hat, so auch in diesem Fall. Ich kann gar nicht ...
Ich bin eigentlich durch und durch Fantasyleserin. Dennoch schaue ich hin und wieder gerne über meinen Tellerrand hinaus, was sich auch häufig schon gelohnt hat, so auch in diesem Fall. Ich kann gar nicht genau sagen warum, aber sobald ich dieses Buch erblickte und den Inhaltstext las, wollte ich es lesen. Die positiven Meinungen, die sagten es lese sich mehr wie ein Roman, als wie eine Biografie, verstärken diesen Wunsch nur noch.
Meine Meinung:
Die Biografie, die sich nicht wie eine solche liest
Als Erstes kann ich den bereits erwähnten Stimmen nur zustimmen. Der Horror der frühen Medizin ist das ideale Buch für all diejenigen, die Biografien eigentlich nicht mögen, es aber trotzdem mal mit einer probieren möchten. Lindsey Fitzharris versteht es meisterlich Spannung und Gänsehaut selbst bei trockneren Themen zu erzeugen. Ihr Stil ist locker, leicht sarkastisch und an manchen Stellen fast schon reißerisch, aber nicht so weit, dass es zu inszeniert wirkt. Man merkt, sie will nicht nur informieren, sondern vor allem auch unterhalten und das gelingt ihr mit ihrem Stil ausgesprochen gut.
Wie ein Besuch im Horrorhaus
Für die erwähnte Gänsehaut, sorgt in erster Linie das Thema. Der Titel des Buches ist nicht verfehlt und die Autorin beschreibt alle Gräuel der frühen Medizin überaus detailliert. Wenn gärende offene Wunden, Operationen bei vollem Bewusstsein und sich ausbreitende Seuchen detailliert beschrieben werden, ist das nichts für schwache Nerven, übt für den Leser dennoch eine makabrere Faszination aus, der auch ich mich nicht entziehen konnte.
Wenn man dann noch liest wie die damaligen Ärzte es nicht für nötig hielten sich oder ihre Instrumente zu waschen und den Zusammenhang von schlechter Hygiene und Seuchen kaum begreifen konnten, schüttelt es sich einem nur noch. Dazu reagierten die damaligen Ärzte auf neue Ansätze, wie Drachen, denen man ihren Schatz wegnehmen will: starrköpfig und pampig nach dem Motto "Mimimi, ich habs aber immer schon so gemacht und ändere das jetzt nicht". Der Untertitel suggeriert, dass Lister sich mit Quacksalbern auseinandersetzten muss, aber eigentlich sollte der Titel lauten: Joseph Listers Kampf gegen starrköpfige, stolze, alte Männer. Alles in allem ist man bei der Lektüre des Buches heilfroh in der heutigen Zeit mit Antibiotika und Desinfektionsmittel zu leben.
Überhaupt entzaubert Fritzharris die romantisierte Darstellung des 19. Jahrhunderts gewaltig. Nichts mit dem idyllischen Landleben oder der aufregenden Stadt, wie man sie z.B. in Austens Romanen findet. Die Autorin sagt wie es ist: Dreckig, und zwar gewaltig. Dabei zeichnet sie fast schon nebenbei nicht nur das faszinierende Portrait eines Mannes, der sich diesem Bedingungen entgegenstellt, sondern gleich auch noch das einer Gesellschaft, die buchstäblich in ihrem eigenen Dreck versinkt.
Das einzige kleine Manko, dass ich habe ist, das die Autorin hin und wieder dazu tendiert abzuschweifen. In 99% der Fälle sind es interessante Ergänzungen, aber wenn dann Joseph Listers neue Möblierung genau unter die Lupe genommen wird, fragt man sich schon, ob das jetzt so wichtig ist.
Fazit:
Dieses Buch ist schaurig und faszinierend zugleich. Es gleicht einem Besuch im Horror Haus, bei dem man sogar noch Etwas lernt. Die Autorin versteht es Informationen interessant und spannend zu verpacken und sich eine Biografie, wie einen Roman anfühlen zu lassen.