Cover-Bild Drehtür
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inkl. MwSt
  • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: Seelenleben
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 224
  • Ersterscheinung: 11.08.2016
  • ISBN: 9783462049343
Katja Lange-Müller

Drehtür

Roman

Was vom Helfen übrig bleibt

Asta ist nach 22 Jahren im Dienst internationaler Hilfsorganisationen am Münchner Flughafen gestrandet. Von den Kollegen weggemobbt aus der Krankenstation in Nicaragua, wo sie zuletzt tätig war, steht sie neben einer Drehtür und raucht.

Sie wollte eigentlich gar nicht zurück. Aber weil sich ihre Fehlleistungen häuften, bekam sie ein One-Way-Ticket geschenkt. Und nun weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Einigermaßen wohl fühlt sie sich nur, wenn sie gebraucht wird. Und wer könnte sie, die ausgemusterte Krankenschwester, jetzt noch brauchen? Während Asta über sich nachdenkt, beobachtet sie ihre Umgebung – und meint, Menschen wiederzuerkennen, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist: den Koch der nordkoreanischen Botschaft, der eines Abends mit geschwollener Wange in einem Berliner Hauseingang hockte, ihre Kollegin Tamara, die ein glühender Fan von Tamara »Tania« Bunke war, ihren Exfreund Kurt, mit dem sie turbulente Wochen in einer tunesischen Ferienanlage verbrachte, und viele andere mehr. Mit jeder Zigarette taucht Asta tiefer in ihre Vergangenheit ein – und mit jeder Episode variiert die Erzählerin ein höchst aktuelles und existenzielles Thema: das Helfen und seine Risiken.

Katja Lange-Müller liefert mit diesem Roman einen weiteren Beweis ihrer großartigen Erzählkunst.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.02.2017

Astas Geschichten

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Ein Roman soll dieses Buch sein, doch auf mich wirkte 'Drehtür' eher wie ein Erzählband. Zusammengehalten werden die etwas mehr als 200 Seiten durch Asta, die nach vielen Jahrzehnten im Ausland als Krankenschwester ...

Ein Roman soll dieses Buch sein, doch auf mich wirkte 'Drehtür' eher wie ein Erzählband. Zusammengehalten werden die etwas mehr als 200 Seiten durch Asta, die nach vielen Jahrzehnten im Ausland als Krankenschwester wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen gelandet, gönnt sie sich eine Atempause an einer Drehtür, wo sie sich ihrer Nikotinsucht hingeben kann. Dabei beobachtet sie die sie umgebenden Menschen, von denen manche sie an frühere Bekannte, KollegInnen oder FreundInnen erinnert - oder sind es sie vielleicht sogar? Doch immer wieder verliert sie die Personen aus ihrem Blickfeld, jemand Anderes taucht auf - und eine neue Erinnerung bahnt sich ihren Weg in Astas Gedächtnis, um danach wieder zu verschwinden. Wie die Menschen, die durch die Drehtür gehen.
Mir kamen diese Rückblicke, die sehr detailliert geschildert werden, recht wahllos vor. Es geht unter anderem um eine Kollegin, die wiederum den Werdegang einer Möchtegern-Revolutionärin erzählt; ein Aufenthalt in New York, bei dem ein Film das eigentliche Ereignis war; ein Urlaubsaufenthalt mit einem Ex-Freund; eine Begegnung mit einem Nordkoreaner, die vielleicht der Auslöser für ihr eventuelles Helfersyndrom war; ihre einzige wahre Liebe. Es sind mindestens zehn, wenn nicht mehr Geschichten, die häufig wiederum den Rahmen für eine weitere Erzählung bilden. Meist sind es eher alltägliche Begebenheiten, die durch eine bestimmte Wendung zu etwas Außergewöhnlichem werden. Dazwischen hängt Asta ihren eigenen Gedanken nach, beispielsweise über das Helfen an sich oder über die Bedeutung einzelner Worte ihrer Muttersprache, die sie so lange nicht genutzt hat.
Es macht Freude, Katja Lange-Müllers Sprache zu folgen, beinahe mehr als dem Roman (der nach meinem Dafürhalten keiner ist). Denn wie sie die Vielfältigkeit der Worte nutzt und mich beim Lesen immer wieder darüber zum Staunen brachte - das ist wirklich beeindruckend. Nur ein kleines Beispiel: "... wirkte Georg, als ob er den Ostler, der er ja war, nur spiele. - Das ist eine Rolle, dachte ich. Aber wickelt er sich in sie hinein oder aus ihr heraus?"
Wäre das Ganze jetzt noch ein 'richtiger' Roman; eine Geschichte in der man die Entwicklung einer oder mehrerer Personen mitverfolgen kann - ich wäre sicherlich hin und weg gewesen. So aber wird mir vermutlich nur die wirklich gute Sprache der Autorin in Erinnerung bleiben - der Rest eher nicht.

Veröffentlicht am 17.10.2016

Terminal – oder: der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert

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Eine Frau steht außen vor einer wenig frequentierten Drehtür des Flughafens in München und raucht. Die Frau ist Asta Arnold, ihr Gepäck ist verloren. Der Leser nimmt Teil an ihren Gedanken.

Davor gibt ...

Eine Frau steht außen vor einer wenig frequentierten Drehtür des Flughafens in München und raucht. Die Frau ist Asta Arnold, ihr Gepäck ist verloren. Der Leser nimmt Teil an ihren Gedanken.

Davor gibt es kurze Gedanken über den Weg dorthin – danach, ebenso kurz, über den Weg wieder hinein, Terminal. Ja, das ist gerade etwas, was eine Art Hommage sein soll daran, wie die Autorin ihre Hauptfigur durch Wortspiele driften lässt – im Sinne freier Assoziationen, zum Beispiel, Blitzgewitter Blitzartig artiger Blitz. Es passiert – nichts.

Asta sinniert über ihr Leben nach, erinnert sich an Stationen – sie ist ausgebildete Krankenschwester, 65 Jahre alt, tätig gewesen für internationale Hilfsorganisationen an den verschiedensten Orten der Welt. Auch darüber sinniert sie , sucht den Sinn „Helfen ist geil und macht geil: machtgeil.“ S. 37 Sonst sind viele, sehr viele Sätze lang, komplex, verlieren sich fast: „Einen wundervoll roten Schopf hatte sie, feine helle Porzellanhaut und flaschenglasgrüne Augen, was allerdings, ihre Mutter muss eine Ignorantin gewesen sein oder Carmen als Neugeborenes komplett kahl, nun gar nicht zu diesem feurigen Rufnamen passte – und mir neidischem Trampel Anlass zum Spott gab, wenigstens zu diesem.“ S. 17 Diese Sätze machen Astas Gedankenwelt (be)greifbar. Weiter im Sinne der freien Assoziation nimmt Asta Blickkontakt auf, erinnert sich anhand derer, die sie sieht, an Menschen aus ihrem Leben – oder sind es gar diese selbst? Projektionen? Ihre Gesundheit? Vergessen, wie so manches?

Blickkontakt, dabei bleibt es, etwas zu sagen fällt ihr immer schwerer. „Kaum verliebt, das war ich öfter gewesen.“ S. 138 Asta geht lieber weg. Auch das eine, das erste Mal, das das letzte ist, woran sie den Leser teilnehmen lässt.

Ich mag kaum wieder aus dieser Betrachtung hervortreten, die sich fast zwingend dem Stil des Buches unterordnetet, dennoch: Der Schreibstil ist wunderschön. Die Sprache grandios. Nichts zu viel. Selbst die kleinen Drehtürsymbole, verstreut über den Text, sind punktgenau gesetzt, leiten jeweils Übergänge ein; ich lade zum Nachspüren ein. Dennoch. Mir fehlt etwas mehr an Handlung, Handeln, nicht nur abgehandelt werden, Behandelnden zusehen.