Was ist Liebe und kann man sie planen?
Meine Checkliste zum VerliebenNaomis (13) Leben steckt gerade fest und das nicht gerade in einem Alltag, den man festhalten möchte. Ihre Eltern haben sich getrennt. Seither umsegelt ihr Vater die 7 Weltmeere und ihre Mutter musste ...
Naomis (13) Leben steckt gerade fest und das nicht gerade in einem Alltag, den man festhalten möchte. Ihre Eltern haben sich getrennt. Seither umsegelt ihr Vater die 7 Weltmeere und ihre Mutter musste mit ihnen in eine billigere Wohnung, weit weg ziehen. Seither macht sie Yoga und liest Ratgeberliteratur am laufenden Meter. Darin gibt es auch eine Checkliste mit 36 Fragen des Psychologen Arthur Aron, die, wenn zwei Menschen, sie sich gegenseitig stellen, sie ehrlich beantworten und sich dann 4 Minuten lang still in die Augen schauen, sich verlieben. Ehrlich! Sie würde das ja gerne mit dem süßen Gustav aus ihrer Klasse ausprobieren, aber der ist angesagt und sie als die „Neue“ ist nur die Nummer 15 unter den 16 Mädchen der Klasse. Der schaut sie sicher nicht an. Nur die stille, aggressive Juli, die gerne mal zuschlägt, ist noch unbeliebter. Dann wird ihr für ein Bioexperiment Adrian, der unbeliebteste Junge und Asperger Autist zugeteilt. So gefühllos wie er seziert, könnte man doch mit ihm das Experiment wagen, so einer verliebt sich doch nicht, aber interessant wäre es schon. Bei Juli riskiert sie auch nichts außer Schlägen und die bekommt sie eh ab, was hat sie also zu verlieren? Ein Experiment, mit erstaunlichen Folgen.
Als Kind dachte ich, es wäre doch sicher mal cool, die Neue zu sein. Man ist neu, man ist anders, sicher für alle spannend und man kann sich neu erfinden, weil einen ja noch nicht jeder seit dem Kindergarten kennt. Aber sowohl bei Anja Janotta, als auch Ute Krause, die selbst als Kinder viel umzogen, steht zwischen den Zeilen ihrer Bücher, daß es alles andere als cool ist. Also glaube ich ihnen. Auch ansonsten kann ich Naomi gut verstehen, daß sie gefrustet ist, selbst ohne ihre ständigen Streitereien mit ihrem 9 jährigen Bruder Tim, für den sie immer Verständnis haben soll, weil er ja jünger ist. Doch wer hat Verständnis mit ihr und damit dass sie alle ihre Freunde verloren hat und ihr Vater sich nie meldet und wenn nur mittels Postkarte an Tim? So stellt Naomi ihre Fragen an die zwei unbeliebtesten Klassenkameraden und die Fragen zeigen Wirkung, nachvollziehbar. Nein, Naomi trifft keine gute Fee, aber die Fragen bringen zum Nachdenken, über sich und das Gegenüber und beim Lesen auch dem Leser selbst, wenn er ehrlich mit sich selbst ist. Für das Experiment hat sie sich harte Nüsse ausgesucht, Menschen bei denen sie bezweifelt, daß sie zu Gefühlen überhaupt in der Lage sind! Dies ist kein Märchen, Naomi wird nicht Ballkönigin, sie spielt auch keine Hauptrolle in der Schulaufführung, lediglich in dem Abenteuer, das ihr Leben ist. Den Soundtrack dazu, hat sie ja schon mit Crowded House, der Lieblingsband ihres Vaters und nun auch von ihr schon gefunden. „Don't dream it's over“ lässt sie nicht mehr los und schleicht sich in ihre Träume und in mein Ohr. Ebenso lassen sich Naomis Fragen nicht ohne weiteres abschütteln, nicht von ihr und nicht von Adrian oder Juli.
Naomi ist 13, sie hat die Sorgen und Nöte von vielen Mädchen dieses Alters. Sie handelt, denkt und fühlt wie eine 13 Jährige und ist daher auch bisweilen ebenso kindisch. Ihre Hoffnungen entsprechen dem Alter und daher wird nein, nicht wild geknutscht. Es ist kein Märchen, es ist ein, so-könnte-sein-Buch und dabei wunderschön. Es vermittelt der Zielgruppe nebenbei auch den Wert dessen was zählt und motiviert hinter die Fassade zu gucken. Auf nicht ganz angenehme Weise lernt Naomi auch zu schätzen was sie hat, statt nur nach etwas zu streben was sie nicht hat. Dabei gerät sie mit Adrian fürchterlich in Streit über die emotionale bzw. wissenschaftliche Frage, was denn Liebe ist und wie sie funktioniert (Absolut lesenswert!).
Ist das wirklich ein Buch für Mädchen ab 12, oder doch eher für die Mütter, die gerne hätten, daß ihre Töchter das lernen? Nee, es ist wirklich für Mädchen, denn man fühlt mit Naomi. Nicht nur sie, auch die stille Juli, in der innerlich ein Vulkan aus Frust und Angst brodelt und Adrian, der in seiner emotionalen Wahrnehmung nicht dem Durchschnitt entspricht, sind sehr gut und nachvollziehbar beschrieben. Leider ist auch sehr nachvollziehbar, wie seine Mitschüler auf Adrian reagieren, auch wenn sie wissen, das er anders ist. Gerade Asperger Autisten werden gerne in Regelschulen inkludiert und 2 h die Woche Hilfe durch einen Sonderpädagogen hilft da nicht, gegen die allgegenwärtigen Besonderheiten in der Wahrnehmung und im Verhalten. Daher hat Anja Janotta in altersgerechter Sprache (die Vorbilder stellen ihre Füße unter ihren Tisch) eine Geschichte erzählt, die zwar ein wunderbares Ende hat, aber keines, an dem Hollywood interessiert wäre, zu subtil. Gerade das gefällt mir. Im Leben sind es meist nicht die großen Bling-Bling-Momente, die das Leben verändern, sondern die kleinen, feinen Momente des Glücks, das zarte Erwachen. Sie ermutigt hinter die Fassaden der Mitschüler zu blicken, um verborgene Freundschaftsjuwelen bergen zu können. „Now we're getting somewhere“!. Den Soundtrack zum Buch von Crowded House kann ich nur empfehlen, ebenso wie dieses Jugendbuchjuwel.