Den ersten Teil der Zeitenmedaillon-Trilogie “Die Auserwählte” habe ich im Zuge meiner Häppchenlesung-Challenge erst vor kurzem gelesen und es hatte mir sehr gut gefallen. Als nun die Autorin verkündete, dass der 2. Teil “Die Seherin” auf Netgalley schon verfügbar wäre, habe ich sofort mein Glück versucht. Ich danke Netgalley und dem Verlag 47North Verlag für die Möglichkeit, das Buch schon vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin lesen zu dürfen.
Coverbild
Analog zum Cover des ersten Bandes ist auch dieses gestaltet. In der Mitte sieht man das Zeitenmedaillon, das von zierlichen Blütenranken umrahmt wird. Die grafischen Zeichnungen glänzen golden auf nachtblauem Hintergrund. So simpel, so schön.
Handlung
Als dritte Tochter einer Medaillonträgerin übernimmt Amélie die Bürde ihres Erbes und beginnt ihr Abenteuer der Zeitreise. Nach einem kurzen Sprung in die Zukunft landet sie aber im Jahr 1473. Ein gefährliches Zeitalter, gerade für Frauen, denn die Hexenverfolgung ist allgegenwärtig. Prompt wird Amélie auch gefangen genommen und verschleppt. Zufällig lernt sie dort Holmger kennen, der sie kurzerhand befreit und mit nach Dänemark nimmt. Aber dort werden die Beiden durch eine Intrige am Königshof auf eine harte Probe gestellt und Amélie bleibt nichts anderes übrig als mit ihrem Medaillon in eine andere Zeit zu fliehen.
Buchlayout / eBook
Wie im ersten Band schon ist das eBook eher schlicht gehalten. Die gut 302 Seiten werden in 24 angenehme Kapitel eingeteilt, die jeweils mit der Nummer und nur dem Wort “Kapitel” eingeleitet werden.
Idee / Plot
Die Thematik der Frauenrechte, bzw. nicht vorhandenen Frauenrechte in der Vergangenheit, auch im Vergleich zur Gegenwart, ist auch hier - wie im ersten Band - gut präsent, bleibt aber dezent im Hintergrund und ist mehr auf das Thema Hexenverfolgung verschoben. Amélie bekommt Hilfe, indem sie Zeitsprünge macht und dabei wesentliche Informationen erhält. Aber dieses Wissen kann der Zeitreisenden gerade in der Vergangenheit, wie dem Mittelalter, zum Verhängnis werden. Denn Menschen mit heilenden und zukunftsvoraussehendem Wissen wurden ganz schnell als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Es ist wohl nicht nötig zu sagen, dass Frauen einen Großteil der Opfer der Hexenverfolgung ausmachten.
Emotionen / Protagonisten
Verständlicherweise ist Amélie Laurent zunächst sehr unsicher auf ihrer Reise, wird aber von Tag zu Tag tougher und mutiger. Bis sie sogar auch moralische Grenzen überschreitet. Mir gefällt sehr gut, dass die Protagonistin nicht den Romantasy typischen, unterschwellig erwarteteten Handlungskonventionen entspricht, sondern auch mal über die Stränge schlägt. Ja, das ist gut so, denn es muss nicht immer moralisch korrekt sein! Und das Mittelalter war auch grausam! Trotzdem bleibt sie reflektiert und setzt sich mit ihrem Gewissen auseinander. Nicht nur die Zeitreisen, sondern auch Träume, die ihr einen kurzen Einblick in zukünftige Ereigne sehen lassen, lässt sie ständig in Gefahr leben.
Sie verliebt sich schnell in ihren Holmger, der sie mit einer List an sich gebunden hat. Holmger von Aalborg ist ein sympathischer, dänischer Abgesandter des Königs. Er verkörpert das nordische, rauhe Temperament mit einem weichen Kern. Er hat sich schnell in Amélie verliebt und ist ihr total ergeben.
Die Beziehung der beiden gefällt mir gut, obwohl ich mir da etwas mehr Tiefe gewünscht hätte. Besonders Holmger ist mir nicht so greifbar. Aber ich kann ihre und seine Handlungen gut nachvollziehen.
Handlungsaufbau / Spannungsbogen
Nach einem Einblick in Amélies Familienleben und ihrer Beziehung zur ihrer Schwester Brigit geht Amélis Abenteuer auch schon gleich los. Das Medaillon führt sie in das 15. Jahrhundert. Die Spannung wird kontinuierlich aufgebaut und weitergetrieben bis es zu einem recht krassen Höheapunkt kommt. Hossa! Tanja Neise hat diesmal auch mehrere verschiedene Zeiten eingebaut und der Wechsel bringt noch mal viel Spannung mit.
Leider tauchen Amélis Träume recht kurzfristig vor dem Ereignis auf, bei dem Amélie das Wissen aus dem Traum benutzen kann. Hier hätte man das vielleicht besser übe das Buchaufteilen können, denn die nächsten Ereignisse wird dadurch nach dem zweiten oder dritten Traum schon fast vorhersehbar.
Trotzdem geht mir vieles zu schnell und ich hätte mir tatsächlich mehr Details gewünscht, auch wenn es dann mehr Seiten bedeutet hätte. Aber die Geschichte hätte definitiv das Potenzial dazu gehabt!
Schön ist aber, wie Tanja Neise mit dem Zeitparadoxon umgeht. In ihrer Zeitreisegeschichte kann und wird zwar die Zukunft durch die Handlungen die Madaillonträgerinnen verändert, das Schicksal der Personen bleibt aber das Gleiche, egal durch welchen Einfluss. Ein sehr spannender Ansatz.
Szenerie / Setting
Die Autorin kann mir alle Zeiten und Orte bildhaft vor Augen führen. Sie baut auch immer wieder geschichtliche Ereignisse oder Persönlichkeiten ein, was mir besonders gut gefällt.
Auch die Protagonistin kann sich in den verschiedenen Zeiten gut zurecht finden, wurde sie ja von ihrer Mutter auf vieles vorbereitet. Besonders lustig sind aber ihre Gedanken, als sie sich in einer jüngeren Zeit, den 80ern befindet. Wie erklärt man einem Menschen aus dem 18. Jahrhundert, wie eine Toilettenspülung funktioniert?
“Im nächsten Moment rauschte frisches klares Wasser wie durch Zauberhand in die Schüssel. Ich zuckte erschrocken zurück und bekreuzigte mich. Das war wie von Hexenhand herbeigeführt. Wie hatte sie das gemacht?”
Tanja Neise “Das Zeitenmedaillon - Die Seherin”, Pos. 3315 (kindle Edition © Tanja Neise, 47North Verlag)
Der technische Fortschritt der Neuzeit wirkt genauso beängstigend auf sie wie sie selber mit ihrem Wissen auf ihre Mitmenschen im 15. Jahrhundert. Hier stellt Tanja eine sehr nette Analogie auf köstlich humorvoller Art her!
Sprache / Schreibstil
Sprachlich hat mich Tanja Neise wieder voll überzeugt. Sie passt die Ausdrucksweise der Zeit angemessen an. Die Sprache ist verschnörkelter und gestelzter, was aber mit dem Setting absolut gut harmoniert. Dennoch lässt es sich sehr gut und flüssig lesen.
FAZIT
Eine wirklich schöne und stimmige Fortsetzung der Zeitreisegeschichte mit teilweise kriminalistischen Zügen. Ich hätte mir mehr Details und manchmal auch mehr Tiefe gewünscht, was aber das Leseerlebnis nur ein wenig beeinflusst. Vor allem die Messages gefallen mir sehr die Tanja durch viele manchmal unauffälligen Kleinigkeiten einfließen lässt.