Eher ruhig und beschaulich gestalten sich die Ermittlungen Benesek Kittos in Kate Penroses „Nachts schweigt das Meer“. Dieser 464-seitige Kriminalroman bildet den Auftakt zu einer Serie, die auf den Scilly-Inseln vor der Küste Cornwalls spielt, und ist im Mai 2019 bei Fischer erschienen.
Benesek Kitto, Undercover-Ermittler in London, braucht eine Auszeit. Dafür kehrt er in seine Heimat zurück: nach Bryher, der kleinsten der fünf bewohnten Scilly-Inseln. Dort wird die 16-jährige Laura vermisst und kurze Zeit später ihr Leichnam gefunden. Ben macht sich auf die Suche nach ihrem Mörder und muss bald feststellen, dass es mehr Verdächtige gibt, als anfangs angenommen.
Dass gerade in den idyllischsten Ortschaften die dunkelsten Geheimnisse lauern, ist nichts Neues – ein Motiv, das in vielen Spannungsromanen aufgegriffen wird. Dennoch hebt sich dieser Krimi von der Masse ab, indem er vor einer eher ungewöhnlichen Kulisse spielt. Mir jedenfalls waren die Scilly-Inseln vor dieser Lektüre unbekannt, und umso mehr habe ich es genossen, diese anhand dieses Buches kennenzulernen. Karten in der vorderen Buchklappe erleichtern dabei die Orientierung und sorgen dafür, dass man sich auf Bryher bald heimisch fühlt.
Auch wenn der Roman eher ruhig daherkommt, verfügt er von Anfang bis Ende über ein konstantes Spannungsniveau. Dieses resultiert vor allem aus zwei Elementen: zum einen aus dem Gedanken, dass es innerhalb einer Gemeinschaft, bestehend aus 98 Menschen, wo eigentlich jeder jeden zu kennen glaubt, zu einem solchen Verbrechen kommen kann, zum anderen aus dem Umstand, dass sich das Geschehen im Vorfrühling ereignet, wo das Wetter genauso düster ist wie das Geschehen selbst. Gerade der erste Punkt lädt Leserinnen und Leser dazu ein, sich unentwegt Gedanken darüber zu machen, wer letzten Endes der Täter sein mag, eigene Urteile zu überdenken und, vor allem wegen immer neu auftauchender Motive, abzuändern. Nach und nach treten bei den Inselbewohnern neue Geheimnisse zutage, sodass man beim Lesen aus dem Grübeln kaum herauskommt. Der Fall wird am Ende recht überraschend, aber dennoch logisch nachvollziehbar aufgeklärt.
Der Roman selbst besteht aus zwei Handlungssträngen, den Ermittlungen im Fall „Laura“ selbst sowie den kursiv gedruckten Einschüben über Rose, einer Außenseiterin im Dorf, die mit mannigfaltigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Gerade diese Einschübe richten den Blick darüber hinaus auf Probleme, mit denen dieses ansonsten so malerisch anmutende Eiland zu kämpfen hat: Schmuggel und unlautere Immobiliengeschäfte.
Lebensnah, vielschichtig und detailliert beschreibt Penrose die Charaktere. Von Zeit zu Zeit wechseln die Sympathien, wobei Ben sich trotz seines Schicksals als kluger, ruhiger und überlegter Ermittler entpuppt. Sehr gut gefallen hat mir auch sein Assistent, Eddie, der sich von einem naiven, übermotivierten Anfänger zu einem gewieften, mitdenkenden Polizisten entwickelt.
Der Kriminalroman ist, bis auf die Einschübe, in der ersten Person Präsens verfasst; dieses verhilft den Lesenden zur Identifikation mit dem Geschehen und dem Protagonisten. Die Sprache an sich ist flüssig und schnörkellos zu lesen, ausführliche Beschreibungen der Inselwelt und des Klimas, auch im übertragenen Sinne, lassen Leserinnen und Leser tief in diese Welt eintauchen. Leider lässt der beschreibende Stil den Roman gerade im Mittelteil phasenweise etwas langatmig erscheinen.
Das Cover zeigt ein harmonisches Abbild der Insel, über dem sich schon dunkle Wolken zusammenballen, und passt daher gut zum Roman.
Alles in allem konnte mich Kate Penrose mit diesem ersten Band überzeugen, entführte er mich doch auf angenehm spannende Weise in eine mir bis dato unbekannte Inselwelt – ein Buch, das ich Liebhaberinnen klassischer und eher ruhiger Kriminalromane bedenkenlos empfehlen kann. Ich selber bin schon auf den zweiten Band gespannt.