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Veröffentlicht am 23.05.2019

Ein Buch der Wahrheit

Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist oder Sieben Schritte in die Diktatur
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Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist. Dieser Titel spricht Bände und verrät unter anderem, dass die Autorin von den Repressionen des Mobs zum Exil gezwungen war. So ging es auch vielen anderen Menschen ...


Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist. Dieser Titel spricht Bände und verrät unter anderem, dass die Autorin von den Repressionen des Mobs zum Exil gezwungen war. So ging es auch vielen anderen Menschen in der Türkei, viele landeten im Gefängnis. Von einer Demokratie in der Türkei kann man nicht mehr sprechen.

Die Journalistin und Schriftstellerin Ece Temelkuran, die natürlich auch emotional schreibt, besitzt die Fähigkeit, die Situation genau zu beschreiben.
Auch der Untertitel „Sieben Schritte in die Diktatur“ ist sprechend.
Ece Temelkuran spricht aber nicht nur von der Türkei unter Erdogan, auch Trump, Putin, Orban, AfD, die Brexiteers uva. werden erwähnt.

Wie die Autorin die Methode genau analysiert und durchschaut hat, ist beeindruckend und sollte dem Leser helfen, diese Maschen der Populisten früher zu durchschauen. Das Schema ist oft das gleiche.
Die Autorin verschweigt auch nicht, wie schwierig es ist, sich gegen diese Taktiken zu wehren und wie die Folgen weitreichend sind. Es ist nicht unbedingt ein optimistisches Buch. Die Populisten haben ihre Machtstellung weitgehend so gefestigt, dass eine kurzfristige Umkehr unwahrscheinlich ist.
Es wird auch klarer, was diese Ideologien aus den Menschen machen. Die Gesellschaft wird grundsätzlich verändert. Der Zusammenbruch der Demokratie ist möglich, zum Teil erfolgt.
Es ist schwer, in so einer verzerrten Welt zu leben, in der Wahrheiten und frühere Werte bei der Masse nicht mehr viel zählen. Aber resignieren und den Populisten kampflos das Feld zu überlassen, wäre fatal. Ece Temelkurans Buch ist daher wichtig!

Veröffentlicht am 20.05.2019

Der Weg des Boxers

Ein feiner Typ
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Willy Vlautins fünfter Roman hat wieder ein relativ bedächtiges Erzähltempo, wie es auch für Vlautins Musik häufig kennzeichnend ist. Er ist Songwriter und Sänger der Band Richmond Fontaine.

Horace Hopper, ...

Willy Vlautins fünfter Roman hat wieder ein relativ bedächtiges Erzähltempo, wie es auch für Vlautins Musik häufig kennzeichnend ist. Er ist Songwriter und Sänger der Band Richmond Fontaine.

Horace Hopper, ein junger Mann, Anfang 20, mit indianischen Wurzeln, lebt auf einer Farm in Nevada. Mr. und Mrs. Reese, Besitzer der Schaffarm, sehen in Horace einen Sohn, der vielleicht einmal die Farm übernehmen könnte.
Doch Horace, der früh von seiner Mutter verlassen wurde und sich wurzellos fühlt, will sich selbst beweisen.Er geht nach Tucson, Arizona um dort Profiboxer zu werden. Der Traum vom Erfolg als Boxer ist aber schwer zu realisieren.
Es gibt einige detaillierte Beschreibungen der Boxkämpfe, die beeindrucken und die Härte des Sports deutlich zeigen. Auch die Boxbranche, inklusive ihrer Schattenseite, wird realistisch gezeichnet.

Die Charaktere der Protagonisten sind fein gemacht. Horace ist ein getriebener, wortkarg und melancholisch.
Der schon ältere Mr. Reese ist ein Mensch, der die beschützen möchte, die er liebt, aber Horace kann er nicht vor sich selbst beschützen.
Man spürt die ganze zeit die Einsamkeit der Figuren, die in einer Verlorenheit mündet.

Der Roman wäre deprimierend, wenn Willy Vlautin nicht mitfühlend n und mit seinen Figuren mitleidend schreiben würde. Das ist sein Markenzeichen, dass für alle seine 5 Bücher gilt.

Veröffentlicht am 12.05.2019

Ein wechselhaftes Leben

Die Lotosblüte
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Hwang Sok-Yong ist zweifellos ein bedeutender Schriftsteller und Die Lotosblüte ist ein großer Roman. Ein Roman, der von Leben einer Frau im 19.Jahrhundert erzählt. Chong, die als junges Mädchen als Zweitfrau ...

Hwang Sok-Yong ist zweifellos ein bedeutender Schriftsteller und Die Lotosblüte ist ein großer Roman. Ein Roman, der von Leben einer Frau im 19.Jahrhundert erzählt. Chong, die als junges Mädchen als Zweitfrau an einen 80 Jahre alten Mann verkauft wird und nach dessen Tod als Konkubine arbeiten muss. Diese Szenen empfand ich als schwer erträglich, da der Stil des Autors so intensiv ist. Dabei ist der Roman insgesamt sehr gut lesbar.

Chong ist eine besondere Frau, die ihr Schicksal nutzt um sich zu entwickeln und sie hat Sinn für Selbstbestimmung, was ihr natürlich nicht ohne weiteres zugestanden wird. So dauert es lange, bis ihr der Aufstieg gelingt. Mehrfach muss sie neu beginnen, da sich die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen ändern.

Hwang Sok-Yong verfügt über eine Sprache, die in ihrer Detailliertheit die Sinne beim Leser weckt und er hat literarische Mittel, die eine große Wirkung ausstrahlen. Das ist deutlich stärker ausgeprägt, als in Hwang Sok-Yongs frühen Roman Die Geschichte des Herrn Han, der eher nüchtern erzählt ist.

Literatur aus Südkorea (oder überhaupt aus Asien) hat es nicht gerade leicht in Deutschland, daher kann man dem Europaverlag dankbar sein, dass sie diesen Roman herausgebracht haben.

Veröffentlicht am 08.05.2019

Feine Ironie

Frank Kunert. Lifestyle
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Frank Kunerts Schwerpunkt liegt auf Studioarbeiten. Die menschenleeren Szenerien in seinen Fotos haben etwas skurriles und verschmitztes. Sein Blick ist ein anderer als der übliche. Dafür habe ich viel ...

Frank Kunerts Schwerpunkt liegt auf Studioarbeiten. Die menschenleeren Szenerien in seinen Fotos haben etwas skurriles und verschmitztes. Sein Blick ist ein anderer als der übliche. Dafür habe ich viel übrig und spüre eine latente Geistesverwandtschaft.

Das einleitende Essay Zwischen Lifestyle, Groteske und Metaphysik von Jörg Restorff führt gut in das Buch hinein.

Nicht immer versteht man Titel der Fotos und Inhalt sofort, aber dann versteht man die Ironie, es macht Klick und so macht das Betrachten Spaß.
Man bekommt Lust, weitere Bildbände von Frank Kunert zu sehen.

Veröffentlicht am 05.05.2019

Der Wert der Erinnerungen

Lügenleben
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Sayed Kashua ist ein in Israel geborener Schriftsteller arabischer Herkunft, der 2014 in die USA emigrierte. Er hat mehrere Romane geschrieben, darunter das bekannte Tanzende Araber. Sein neuer Roman Lügenleben ...

Sayed Kashua ist ein in Israel geborener Schriftsteller arabischer Herkunft, der 2014 in die USA emigrierte. Er hat mehrere Romane geschrieben, darunter das bekannte Tanzende Araber. Sein neuer Roman Lügenleben hat einige autobiografische Wurzeln.

Der Icherzähler Said ist ein ebenfalls ein israelischer Araber, der aus Tira in der Nähe von Jerusalem stammt. Er berichtet seine Geschichte, die ihn ins Exil nach Amerika führte.
Als junger Mann gab es einen entscheidenden Vorfall, der das Leben mehrerer Menschen veränderte und das ihn mit Schuld ausfüllt, die ihn jahrelange begleitet.
Das Buch nimmt seine Spannung daraus, das man erst allmählich erfährt, was damals geschehen ist, was den Protagonisten zum Exil zwang. Das bedeutete den Verlust der Heimat und eigentlich auch der Existenz.
Said ist Journalist und Schriftsteller, eigentlich Ghostwriter, doch in den USA bekommt er keine Aufträge. Nach 13 Jahren kehrt er kurzzeitig zurück nach Israel, weil sein Vater schwer erkrankt ist. Das ist der Ausgangspunkt der Geschichte, die in Form eines Berichts dient, indem er seine Erinnerungen zurückfließen lässt. Verlust, Trauer und Melancholie bestimmen den Erzählton.
Die Beziehungsprobleme der Figuren lassen sich nicht einfach lösen, sie sind erstarrt und oft sprachlos. Said und seine introvertierte Frau können nicht über die Vergangenheit sprechen, obwohl sie immer gegenwärtig ist und als innerer Konflikt ungelöst bleibt.

In diesem Buch erfährt man viel vom Leben palästinischer Familien in Israel. Die literarische Qualität ist stark.
Der aus dem Hebräischen übersetzte Roman war die letzte Übersetzungsarbeit von der großartigen Mirjam Pressler.