Ich schleiche schon seit Ewigkeiten um dieses Buch herum und habe mich ihm nun endlich mal angenommen. Puh. Jetzt sitze ich hier mit Tränen in den Augen und weiß nicht genau, was ich von dem Ende halten soll. Ich bin aufgewühlt, berührt, bedrückt, ein bisschen unzufrieden – und habe ich schon aufgewühlt gesagt? Was ich weiß: Das Buch ist wichtig, so unglaublich wichtig und sollte von jedem einzelnen Menschen auf diesem Planeten gelesen werden. Ganz ehrlich.
Wie viele andere war ich angesichts der Erzählperspektive etwas skeptisch: Das Buch ist aus der Wir-Sicht geschrieben und nach und nach wird einem klar, dass hier Schwule der früheren Generation zu Wort kommen, die innerhalb der AIDS-Epidemie verstorben sind. Ich weiß nicht, ob es diese Erzähler für die Geschichte wirklich gebraucht hätte – nur am Ende hätte ich sie wirklich nicht missen wollen, weil sie mich zu Tränen gerührt haben. Sie überbringen die wichtige Botschaft, die nicht nur der Kuss-Weltrekord (der in der Realität wirklich stattgefunden hat!), sondern auch dieses Buch in die Welt tragen soll: Niemand ist verkehrt – und wenn die Welt das anders sieht, dann ist einzig und allein die Welt verkehrt.
Punkt. Aus. Ende. Das vermittelt dieses Buch auf eindrückliche, intensive, berührende und auch bedrückende Weise. Anfangs ist die Atmosphäre noch relativ locker und leicht: Wir lernen die einzelnen Protagonisten kennen: alle männlich, alle schwul, alle haben ihre eigene Geschichte. Während zwei als Einzelfiguren auftreten, deren Geschichten mit wichtigen Themen behaftet sind, stehen auch drei Paare im Mittelpunkt: Eines, das sich gerade erst kennengelernt hat. Eines, das schon länger zusammen ist. Und eines, das sich getrennt hat. Gerade letzteres Paar ist es, das sich der Aufgabe stellt, den Weltrekord für den längsten Dauerkuss aufzustellen. Über 32 Stunden. Welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben, wie hart es gegen Ende wird, durchzuhalten, welche Gedanken einem dabei im Kopf herumspuken – all das schildert der Autor, als hätte er es selbst erlebt. Weil er einen der College-Studenten befragt hat, der es wirklich erlebt hat. Das fand ich nicht nur interessant, ich bewundere auch die Realpersonen für das, was sie da vollbracht haben.
Was man bei der Lektüre des Buches nicht tun sollte, ist, eine herzergreifende Liebesgeschichte erwarten. Natürlich gibt es Momente, in denen einem plötzlich ein Grinsen aufs Gesicht springt, weil sich Ryan und Avery so süß anstellen – oder in denen Neil und Peters Unterhaltung so amüsant ist. Ich gebe auch gerne zu, dass ich bis zum Schluss am meisten bei Craig und Harry mitgefiebert habe – nicht nur, weil ich mich gefragt habe, ob sie den Rekord schaffen, sondern auch, weil ich so unbedingt wissen wollte, ob sie vielleicht sogar wieder zusammenkommen. Aber das ist die völlig falsche Erwartungshaltung für das Buch – vielleicht bin ich deshalb ein ganz klein wenig unzufrieden mit dem Ende. Es geht nicht um die eine Liebesgeschichte, mit der man von Anfang bis Ende mitfiebert – sondern um viele Liebesgeschichten, mitten aus dem Leben gegriffen. Momentaufnahmen. Man weiß nicht, ob sie glücklich werden, man weiß nicht, wie es hiernach weitergeht. Aber man weiß, dass sie richtig sind.
Die Message kann nicht an einem vorbeigehen, wenn man dieses Buch gelesen hat. Ob sie jeder verinnerlichen wird, ist eine andere Frage, aber vielleicht sind wir irgendwann an dem Punkt, an dem sich diese Frage gar nicht mehr stellt. Dieses Buch könnte vielleicht dazu beitragen.
Fazit
Für dieses Buch gibt es eigentlich nur ein Wort: GEWICHTIG. Dieses Buch malt nichts schön, sondern knöpft sich gerade auch die weniger schönen Seiten, die Schattenseiten vor. Es gab einen Punkt, an dem der heitere, süße Ton der Geschichten langsam bedrückender, ernster und bedeutender wird. Es schadet jedenfalls nicht, sich ein paar Taschentücher zur Seite zu legen.
Lest dieses Buch. Empfehlt es weiter. Drückt es euren Kindern in die Hand. Damit wir der Zukunft näherkommen, in der Begriffe wie „verkehrt“ im menschlichen Wortschatz hoffentlich Vergangenheit sind.