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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.05.2019

Spannend und komplex

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
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Es ist mir selten so schwer gefallen, meine Gedanken in Worte zu fassen. Ich habe das Buch verschlungen, aber weiß trotzdem nicht, wo ich anfangen soll. Zu viele Charaktere, die man erwähnen könnte, zu ...

Es ist mir selten so schwer gefallen, meine Gedanken in Worte zu fassen. Ich habe das Buch verschlungen, aber weiß trotzdem nicht, wo ich anfangen soll. Zu viele Charaktere, die man erwähnen könnte, zu viele Geheimnisse, die gelüftet werden, und das alles in einer Kleinstadt: Orphea.

Jesse Rosenberg ist Polizist. Während seiner Verabschiedung in den Ruhestand entscheidet er sich, einen Fall von damals noch einmal aufzurollen und den Hinweisen von Stephanie Mailer nachzugehen. Denn wenn er sich erst in etwas verbissen hat, bleibt er auch dran.

„[Jesse] ist der Beste von uns allen. Wir haben ihn den Hundertprozentigen getauft, weil er die Fälle, an denen er dran war, alle gelöst hat.“ (Zitat S. 15)

Von der namensgebenden Person selbst erfahren wir wenig, denn wie der Titel schon sagt, verschwindet sie. Doch wir lernen genug andere Charaktere kennen. Sei es nun eine Polizistin, die gegen die frauenfeindlichen Kollegen und die Vetternwirtschaft (in einer Kleinstadt ist die nicht zu vergessen!) ankämpfen muss. Ein abgedrehter Regisseur, der gerne groß rauskommen will. Ein Redakteur, der eine Affäre hat, die zu einem Problem wird. Ein Mädchen, das nach Hilfe ruft.

Trotz der Vielfalt der Sichtweisen sind die einzelnen Personen gut dargestellt. Man erfährt so einiges über sie und ihre Beweggründe. Es mag anfangs nicht klar sein, was die ein oder andere Figur in der Story zu suchen hat, doch der Nebel lichtet sich peu à peu. Ich konnte mit jedem leiden, lieben und hassen. Extrovertiert, überspitzt, schüchtern, lieb, zurückhaltend, überheblich, unfreundlich … hier sind quasi alle Charaktere vertreten.

Und während man sich so durch den Roman kämpft, in dem die Ermittlungen wieder laufen, könnte man annehmen, dass Orphea das wichtigste Städtchen der Welt sei. Dort tickt die Zeit anscheinend anders. Besonders momentan, denn es findet ein Theaterfestival statt, wofür die Zuschauer von überall her kommen. Dieses Festival ist der Nabel des Daseins von Orphea, weswegen ein großer Rummel darum gemacht wird. Alle Einwohner beteiligen sich irgendwie an den Vorbereitungen, denn man will ja zeigen, was man hat.

„Diese Stadt wirkte wie eine Filmkulisse.“ (Zitat S. 24)

Aber wie das bei einer Kulisse so ist, sieht nur die äußere Fassade pompös aus. Der Rest … nun ja. Schaut man dahinter, sieht man die Stützen, die Leere und die Wahrheit. Denn in Orphea hat jeder etwas zu verbergen, und so bekommt dann auch jeder Charakter seine Daseinsberechtigung.

Manches Mal lese ich bei Krimis: zu vorhersehbar, keine Spannung. Jetzt könnte man sich darüber streiten, ob es sich hier überhaupt um einen Krimi handelt, oder eher um einen Roman. Steht die Ermittlungsarbeit im Vordergrund, oder eher die Entwicklung der Charaktere? Ganz egal – hier ist definitiv nichts vorhersehbar. Die Geschichte besticht durch Wendungen und Wirrungen, deren Ausgang eine echte Überraschung ist.

Und doch hatte ich so zwischendurch meine Probleme. Angefangen bei einem Regisseur, der seine Informationen zum Mord und zum Mörder nur dann preisgeben will, wenn sein Stück beim Festival aufgeführt wird. Und statt ihn zu verhaften, tanzt man nach seiner Pfeife. Was machen schon ein paar Tage mehr aus, um den Mörder zu entlarven – wo er doch augenscheinlich wieder zugeschlagen hat und man ihn stoppen könnte, nein, müsste! Aber gut, hätten sie ihn festgenommen, wäre die Geschichte ja schnell zu Ende gewesen. Und wenn man bei diesem dritten Werk eines über den Autor weiß, dann dass sich keines seiner Bücher mit einer kurzen Geschichte zufrieden gibt.

Wie so oft bei Geschichten gibt es auch hier Situationen, die man schon früh hätte lösen können, hätte man miteinander geredet. Alles in allem wurde aber mein Lesevergnügen nicht geschmälert. So kann ich abschließend betonen: Das ist Meckern auf hohem Niveau!

Persönliches Fazit: Meiner Meinung nach sein bisher bestes Buch. Tolle Charakterzeichnungen und ein ungelöster Mordfall, der einige Geheimnisse ans Tageslicht bringt. Empfehlenswert für Fans von komplexeren Plots, die gern mitdenken.

© Recensio Online, 2019, Katharina

Veröffentlicht am 15.03.2018

Ein fein austariertes Thriller-Debüt

Girl on the Train - Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich.
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Rachel, das „Mädchen im Zug“, ist 30 Jahre alt, Alkoholikerin und arbeitslos. Um jedoch den trügerischen Schein gegenüber ihrer Mitbewohnerin aufrecht zu erhalten, pendelt sie jeden Morgen in die Londoner ...

Rachel, das „Mädchen im Zug“, ist 30 Jahre alt, Alkoholikerin und arbeitslos. Um jedoch den trügerischen Schein gegenüber ihrer Mitbewohnerin aufrecht zu erhalten, pendelt sie jeden Morgen in die Londoner Innenstadt und abends wieder zurück. Jeden Tag an der gleichen Stelle auf der Strecke, muss der Zug oft warten und Rachel nutzt die Zeit, um aus dem Fenster zu schauen. Sie sieht vertraute Wohnhäuser, in deren Straße nahe den Gleisen sie einmal gewohnt hat. Sie beobachtet ein Paar, nennt sie fiktiv Jason und Jess und ist überzeugt, dass die zwei miteinander glücklich sind. Sie bastelt für die beiden eine rundum perfekte Lebensgeschichte. Eines Tages beobachtet Rachel aus dem Zug heraus, wie Jess in ihrem Garten einen Mann küsst, der eindeutig nicht Jason ist. Als Jess am nächsten Tag verschwindet und die Polizei nach ihr sucht, beginnt das vermeintliche, verworrene Chaos.

Der Leser nimmt Rachel als psychisch instabile Beobachterin, als Stalkerin, wahr. "Oh Rachel", will man die meiste Zeit des Buches der Hauptprotagonistin sagen und sie am liebsten wachrütteln. Sie wirkt überaus naiv, kraftlos und gebrechlich. Sie belügt sich und andere, schwankt zwischen Weinerlichkeit und kristallklarer Einsicht in ihre hoffnungslose Lage. Erst zum Ende hin zeigt sie Stärke und man ist beinahe erleichtert darüber.

Der Erzählstil ist ungewöhnlich, aber sehr interessant. Er wechselt immer wieder zwischen drei Protagonistinnen. Neben Rachel gibt es zwei weitere Frauen, aus deren Sicht wir den Verlauf der Story erzählt bekommen: Megan (Jess) und Anna, die neue Frau von Rachels Ex-Mann.

Was geschah wirklich an jenem Tag? Wen hat Rachel am Schauplatz des Mordes gesehen? Wer ist Täter und wer Opfer? Und woran kann sich jeder erinnern?

Anfangs fand ich die Handlung etwas verwirrend. Ich muss auch zugeben, dass ich mehrere Anläufe brauchte. Bin aber froh, dem Buch die dritte oder vierte Chance gegeben zu haben, denn es hat sich definitiv gelohnt.

Das Cover mochte ich auf Anhieb. Es ist gut getroffen und passt zum Titel.

Fazit: Ein fein austariertes Thriller-Debüt, dessen Filmrechte schon vor Erscheinen verkauft waren. "Girl on the Train" kann man nicht einfach einen bestimmten Stempel aufdrücken. Der Thriller beinhaltet noch weitere Elemente, wie persönliche Dramen und Selbstfindung. Ich empfand diesen Roman als sehr interessant, mit Protagonisten, die in die heutige Gesellschaft passen, und fühlte mich beim Lesen gut unterhalten.

Veröffentlicht am 01.07.2024

Der perfekte Abschluss einer genialen Trilogie

City in Ruins
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Was habe ich mich auf diesen Band gefreut! Das Finale einer Trilogie, die mich durchweg überzeugt und bestens unterhalten hat. Ich bin traurig, dass ich mich nun von Danny verabschieden muss. Was mir am ...

Was habe ich mich auf diesen Band gefreut! Das Finale einer Trilogie, die mich durchweg überzeugt und bestens unterhalten hat. Ich bin traurig, dass ich mich nun von Danny verabschieden muss. Was mir am dritten Teil gefallen hat, verrate ich euch jetzt:

Vom Mafiosi zum erfolgreichen Geschäftsmann. Diesen Status hat sich Danny Ryan hart erarbeitet und er will nach seinem erfolgreichen Feldzug gegen das Drogenkartell mit dem Kauf eines alten Hotels in Las Vegas den Coup seines Lebens machen. Danny kann einfach nicht genug bekommen und zettelt mit dem Kauf einen ungeahnten Krieg an, ohne zu wissen, welche einflussreichen Gegner er sich damit zu Feinden macht. Als ihm dies schließlich bewusst wird, muss er sich erneut seiner Vergangenheit stellen, um nicht alles zu verlieren. Vor allem nicht das Wichtigste in seinem Leben – seinen eigenen Sohn.

Don Winslow zieht die Fäden in diesem finalen Band clever zusammen. Er blickt zurück in die Vergangenheit und lässt alte Bekannte wieder auftauchen, mit denen Danny noch die ein oder andere Rechnung offen hat. Aber auch Dannys neue Gegner sind ihm durchaus ebenbürtig und nicht zu unterschätzen. Als es dann seinem Sohn an den Kragen geht, kennt Danny keine Gnade mehr. Er verwandelt sich schlagartig wieder in den skrupellosen Kerl aus Band 1, vor dem er sich selbst gefürchtet hat. Ebenjene Verwandlung und das Setting der grandiosen Stadt Las Vegas machen diesen Reihenabschluss für mich zu einem echten Highlight.

Der Schreibstil von Winslow ist gewohnt spannend, mitreißend und äußerst bildhaft. Bei einigen Szenen hatte ich das Gefühl, mittendrin in einem Blockbuster zu sein. Ich konnte die Geschehnisse hautnah miterleben und fand es ziemlich nervenaufreibend, die Story aus diversen Perspektiven betrachten zu dürfen. Die Charaktere hat Winslow ausgesprochen detailliert und authentisch gezeichnet. Sie sind vielschichtig und geheimnisvoll, schrecken aber vor nichts zurück. Danny beweist bis zum Schluss, dass er es immer noch drauf hat. Ich hab ihn einfach gefeiert!

Fazit: Action, Nervenkitzel, Gewalt, aber auch große Gefühle runden das Werk von Winslow ab und bilden den perfekten Abschluss dieser genialen Trilogie. Winslow verabschiedet sich, wie ich hörte, mit „City in Ruins“ aus der Bücherwelt und hat auf jeden Fall noch mal ordentlich Eindruck hinterlassen. Ich halte seine Bücher in Ehren!

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Veröffentlicht am 25.06.2024

Teilweise zu ausufernd, meistens spannend und voller Ideen

Ferryman
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Tatsächlich hat mich das Buch ein wenig überrascht. Im positiven Sinne. Ich hatte einen leichten Krimi erwartet, mir wurde jedoch eine neue phantastische Welt im Science-Fiction-Stil eröffnet, in die ich ...

Tatsächlich hat mich das Buch ein wenig überrascht. Im positiven Sinne. Ich hatte einen leichten Krimi erwartet, mir wurde jedoch eine neue phantastische Welt im Science-Fiction-Stil eröffnet, in die ich mich erst hineinfinden musste. Der Einstieg war holprig, trocken, zu viel Neues prasselte auf mich ein. Doch als ich mich mit den Figuren und Gegebenheiten vertraut gemacht hatte, war ich schier gefangen in der sagenumwobenen Story.

Proctor Bennett ist der Hauptprotagonist der Geschichte. Ein wenig gewöhnungsbedürftig als Charakter, aber nach und nach habe ich ihn zu verstehen gelernt. Er liebt Prospera, stellt nichts in Frage, lebt sein Leben. Sowohl beruflich als auch privat. Jedoch hat so alles schöne Leben ein plötzliches Ende, weshalb sich unser Charakter die Frage stellt: „Was mache ich hier eigentlich?“ Das hat mir gut gefallen, denn dadurch hat sich Proctor weiterentwickelt und seine Figur ist durch diese Erfahrungen gewachsen. Auch die Nebenfiguren haben zur Story beigetragen und konnten daher gut mit Proctor harmonieren. Den ein oder anderen hätte ich gern näher kennengelernt, zum Beispiel seine Frau Elise, Künstlernatur, wild und eigensinnig.

Zu Beginn wirkt das Buch und auch die Geschichte düster, unnatürlich, sodass ich (wie eingangs erwähnt) Probleme hatte, mich zurechtzufinden. Der Autor wechselt zwischen auktorialer Erzählweise und der Ich-Perspektive hin und her, was einfach nicht mein Ding ist. Ich muss mich dadurch andauernd kopftechnisch umstellen, weshalb ich eine einzelne Perspektive bevorzuge.

Ungefähr zur Hälfte des Buches zieht die Geschichte merklich an und es kommt zu Wendungen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Auch der Schreibstil des Autors hat sich nach und nach verbessert. Man konnte seine Begeisterung für die Geschichte förmlich spüren und sich dem Sog deswegen nicht mehr entziehen. Durch seine detailreichen Beschreibungen des Lebens in Prospera und der umliegenden Welt, konnte ich mir das Leben dort wunderbar vorstellen und habe die Geschichte sehr genossen. Insbesondere das Ende hat mir sehr gut gefallen, auch wenn es vorhersehbar war. Aber die ganze Aufdröselung der Geschehnisse war rundum gelungen, spannend und hinterließ keine offenen Fragen.

Fazit: Das Buch rutscht hin und wieder in einen Bereich, in dem man sich selbst die Frage stellt, wieso, weshalb, warum passiert dieses und jenes. Mir selbst ist das ein wenig zu sehr Philosophie und Eintönigkeit gewesen. Der Autor hätte diesen Teil besser ausarbeiten oder eben komplett rauslassen können. Der Hauptstrang an sich jedoch war interessant und gut umgesetzt, facettenreich und voller kreativer Plotideen. Ich empfehle das Buch gern weiter, denn dem ein oder anderen Science-Fiction-Fan wird es bestimmt gefallen.

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Veröffentlicht am 24.06.2024

Spannende und atmosphärische Story

RAUCH
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Fünf frühere Studentenfreunde wollen ihrer ehemaligen Kommilitonin die letzte Ehre erweisen und reisen dafür auf die Westmännerinsel, die bekannt ist für ihre Wetterextreme. Doch die Vergangenheit holt ...

Fünf frühere Studentenfreunde wollen ihrer ehemaligen Kommilitonin die letzte Ehre erweisen und reisen dafür auf die Westmännerinsel, die bekannt ist für ihre Wetterextreme. Doch die Vergangenheit holt sie schnell ein, als sie begreifen, dass das größte Geheimnis der Verstorbenen auch mit ihnen zu tun hat. Eine Abreise ist wettertechnisch nicht möglich und so müssen sie überlegen, wie sie am besten aus dieser heiklen Situation entfliehen können. Am Ende findet man ein Feuer und mehrere Leichen. Doch was ist passiert?

"RAUCH" wird vom Verlag nicht als Reihenfortsetzung betitelt, man trifft jedoch auf bereits bekannte Figuren aus den letzten Titeln "SCHNEE" und "NACHT", indem Polizist Tyr und die Rechtsmedizinerin Idunn bereits zusammen im Ermittlungsteam arbeiteten. Auch in diesem Fall werden beide mit dem Fall beauftragt, als man in einem Feuer eine nicht identifizierte Leiche findet. Man erfährt ein wenig mehr über das Privatleben von Idunn und Tyr. Auch wenn diese Informationen nur ein kleiner Teil der Story sind, waren sie mir zu langweilig und beeinträchtigten damit den Spannungsbogen, der für den "Fall" an sich durchaus vorhanden war. Die Autorin fokussiert sich jedoch zum Großteil auf die fünf Studentenfreunde und ihr Geheimnis, das sie jahrelang verschwiegen haben, sie nun allerdings vor ein großes Problem stellt.

Zitat Pos. 3986:
"Konnte Drogenkonsum so etwas entschuldigen? Konnten Drogen Eigenschaften in einem wecken, die man normalerweise nicht besaß? Führten sie dazu, dass Begierden, die man in nüchternem Zustand im Griff hatte, unkontrolliert hervorbrachen?"

Als Leser verfolgt man gespannt, wie die Protagonisten anfangen, sich gegenseitig zu misstrauen und zu beschuldigen und sich immer weiter in prekäre Situationen verstricken. Auch die winterlich düstere Atmosphäre Islands passt wunderbar zu dieser Geschichte, die erst Stück für Stück aufgeklärt wird. Parallel zueinander erzählt die Autorin aus Sicht der Freunde und in einem weiteren Erzählstrang aus Idunns Sicht in der Gegenwart.
Das Ende ist wendungsreich und hat mich überrascht.

Fazit: Eine spannende und atmosphärische Story, die mir ohne die Nebengeschichte der bekannten Protagonisten noch besser gefallen hätte.

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