Platzhalter für Profilbild

Venatrix

Lesejury Star
offline

Venatrix ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Venatrix über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.05.2019

Beste Krimiunterhaltung

Tinnef
0

„Tinnef“ auf Deutsch „unnütz“ oder wie wir in Wien gerne sagen „für’n Hugo“ ist das vierte Buch in der derzeit acht Bände umfassenden Bronstein-Reihe.

Anders als sonst üblich „rollt“ der Historiker und ...

„Tinnef“ auf Deutsch „unnütz“ oder wie wir in Wien gerne sagen „für’n Hugo“ ist das vierte Buch in der derzeit acht Bände umfassenden Bronstein-Reihe.

Anders als sonst üblich „rollt“ der Historiker und Autor Andreas P. Pittler die Reihe quasi „von hinten“ auf. Wir befinden uns mit David Bronstein im Jahre 1913. Die Donau-Monarchie besteht zwar noch, aber der alte Kaiser und sein Reich haben schon wahrlich bessere Zeiten gesehen.
David Bronstein hat sein Jurastudium, das ihm seine Eltern unter allerlei Entbehrungen finanziert haben absolviert und versieht seinen Dienst als „Pflasterhirsch“ bei der Wiener Polizei, im Arbeiterbezirk Rudolfsheim. Statt wie in seinen Träumen Verbrecher zu jagen, ist er zum Streifendienst und zur Observierung eines russischen Agitators verdammt.
Immer auf eine Abwechslung hoffend, wird er zum Selbstmord des jungen Leutnants Meszaros gerufen. David hegt Zweifel und recherchiert auf eigene Faust. Er hält einen Angehörigen des österreichischen Hochadels für den Täter. Die Disziplinarbeschwerde – für Militärangehörige ist das entsprechende Militärgericht zuständig – folgt auf dem Fuß.

Wieder zur langweiligen Observation verdonnert, gerät er in ein Attentat auf einen Parlamentarier. Dabei rettet er Marie Caroline Edle von Ritter und hat von nun an in ihrem Vater einen Fürsprecher. Der zieht ein paar Fäden und schon findet sich David im Agenteninsti

tut (Kriminalamt) wieder. Den Fall Meszaros bekommt er nun offiziell zur Untersuchung zugeteilt.
Gemeinsam mit dem redseligen Kollegen Pokorny wird ermittelt.

Im Zuge der Ermittlungen kommt Bronstein zusammen mit seinem Freund Egon Kisch auf die Spur eines der größten Spionagefälle der Monarchie.

Meine Meinung:

Wieder ist dem Autor ein grandioses Sittengemälde der untergehenden Donaumonarchie gelungen. Noch hält der greise Kaiser seine Völker zusammen. Doch das Unheil dräut schon herauf.
Die Bücher rund um den jüdisch-stämmigen David Bronstein sind humorvoll und sprachlich exzellent. Die Passagen, die im Wiener Dialekt geschrieben sind, lassen einen direkt an Bronsteins Ermittlungen teilhaben.
Die Charaktere sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet.

Witzig und gelungen finde ich, dass Pittler die berühmte, von Gerhard Lobelsberger geschaffene, Figur des Joseph Maria Nechyba in die Geschichte einbaut.

Fazit:

Entgegen seines Titels ist das Buch kein „Tinnef“ und erhält fünf Sterne von mir.

Veröffentlicht am 25.05.2019

Wien zwischen Ständestaat und Nazi-Terror

Tacheles
0

Wien, im Frühsommer 1934: In seinem Wohnhaus am Judenplatz wird ein jüdischer Fabrikant erschlagen aufgefunden. Oberstleutnant Bronstein wird mit der Aufklärung betraut. Der Verdächtigen gibt es viele: ...

Wien, im Frühsommer 1934: In seinem Wohnhaus am Judenplatz wird ein jüdischer Fabrikant erschlagen aufgefunden. Oberstleutnant Bronstein wird mit der Aufklärung betraut. Der Verdächtigen gibt es viele: Die Roten, weil der Tote ein Fabrikant war? Die Braunen, weil er aus einer jüdischen Familie stammte? Die frühere oder die neue Ehefrau - oder gar beide zusammen?

Die Ermittlungen gestalten sich vor dem Hintergrund des aufkeimenden Nationalsozialismus als schwierig. In einem Geflecht politischer Zusammenhänge und persönlicher Verstrickungen muss Bronstein erkennen, dass der jüdischen Bevölkerung zunehmend Misstrauen und Missgunst entgegenschlagen. Sogar jenen, die sich - so wie der Oberstleutnant - selbst nicht für Juden halten („Ich bin Protestant.“).

Andreas Pittler, gelernter Historiker, weiß worüber er schreibt. Er gelingt ihm die Stimmung im Wien des Ständestaates einzufangen. Wir Leser sind mittendrin: Zwischen Heimwehraufmarsch und illegalen Nazis; zwischen Vaterländischer Front und verbotenen Gewerkschaften.

Pittler hat dem Volk aus Maul geschaut und schreibt fesselnde Dialoge im Wiener Dialekt, die mit tschechischen und jiddischen Ausdrücken durchsetzt sind. Das Glossar im Anhang bietet Aufklärung.

Fazit:

Eine packende Geschichte, spannend erzählt, hervorragend recherchiert. Gerne vergebe ich 5 Sterne.

Veröffentlicht am 25.05.2019

Bronsteins zweiter Fall

Ezzes
0

Wien im Jahre 1927, die politischen Spannungen nehmen zu. Dazu trägt auch der Prozess um die Geschehnisse in Schattendorf (Burgenland) bei. Im Streit zwischen Heimwehr und Schutzbund sterben zwei völlig ...

Wien im Jahre 1927, die politischen Spannungen nehmen zu. Dazu trägt auch der Prozess um die Geschehnisse in Schattendorf (Burgenland) bei. Im Streit zwischen Heimwehr und Schutzbund sterben zwei völlig unbeteiligte Menschen.

Oberstleutnant David Bronstein muss sich mit dem Mord an einem Gemischtwarenhändler herumschlagen. Das Opfer wird mit heruntergelassener Hose und sexuell erregt aufgefunden. Bronstein und sein Mitarbeiter Pokorny machen sich auf die Tätersuche. Der Tote hat einen denkbar schlechten Ruf. Er gilt als Miethai und Frauen sind für ihn Freiwild.
Recht bald hat Bronstein eine Spur, die ihn nach Wels führt und ihn kurz vom Tagesgeschehen in Wien ablenkt.

Er kommt mit mehreren Verdächtigen zurück, die er im Justizpalast einsperrt. Die Stimmung in der Stadt ist aufgeheizt. Das ungerechte Urteil im Prozess von Schattendorf (die Täter erhalten nur geringe Strafen) lässt die Massen vor dem Justizpalast aufmarschieren. Als Polizeipräsident Schober Schießbefehl auf die Demonstranten erteilt, brennt nicht nur der Justizpalast. Es gibt Tote auf beiden Seiten und Bronstein verliert den Glauben an die Gerechtigkeit. Als Ausgleich dafür nimmt er die Justiz in seine eigenen Hände und lässt die Verdächtigen im Mordfall des Gemischtwarenhändlers mit Hilfe seiner kommunistischen Freundin über die Grenze bringen.

Als einer der wenigen im Justizpalast verbliebenen Polizisten wird er von den eindringenden Demonstranten schwer verletzt. An seiner Seite, der Justizwachebeamte Andreas Cerny, der dem in Pension gehenden Pokorny, nachfolgen wird.

Noch am Krankenbett wird Bronstein vom Polizeipräsidenten Schober für seinen Einsatz öffentlich ausgezeichnet. Für David ist dieses Verhalten Schobers befremdlich, da der Präsident für gewöhnlich über Bronsteins jüdische Herkunft lästert.


Meine Meinung:

Andreas Pittler ist ein genialer Erzähler. Er vermittelt Geschichtsunterricht, ohne dass die Leser dies merken. Seine „Unterrichtseinheiten“ sind in den fesselnden Krimi eingebettet. Er bringt uns die explosive Stimmung in Wien näher, ohne zu werten.
Wir erleben die antisemitischen Andeutungen von Polizeipräsident Schober. Geschickt verknüpft der Autor Historie mit Fiktion. Große Teile des Buches sind im Wiener Dialekt geschrieben. Doch keine Angst, es gibt am Ende ein ausführliches Glossar.
Mit dem ersten Auftritt von Andreas Cerny führt Pittler eine neue Figur ein, die auf der Wellenlänge von David Bronstein liegt.


Ein Wort noch zum Titel: "Ezzes" ist jiddisch und beutet soviel wie "Rat", "Hinweis" oder "Tipp". Alles ganz brauchbar für einen Kriminalbeamten.

Fazit:

Ein genialer Krimi vor dem explosiven Hintergrund der sozialen Unruhen in Wien, die 1934 in den Bürgerkrieg münden werden. Fünf Sterne und eine absolute Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 25.05.2019

Beste Krimiunterhaltung

Chuzpe
0

David Bronstein ist wieder da! Autor Andreas Pittler dreht das Rad der Geschichte zurück und entführt seine Leser in das Jahr 1918.
Bronstein ist nach seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg wieder in den ...

David Bronstein ist wieder da! Autor Andreas Pittler dreht das Rad der Geschichte zurück und entführt seine Leser in das Jahr 1918.
Bronstein ist nach seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg wieder in den Polizeidienst eingetreten. Neben dem Mord an einer jungen Frau plagen ihn eine Menge anderer Sorgen. Da ist zum einen sein an der Spanischen Grippe schwer erkrankten Vater, die mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Heizmaterial und auf der anderen Seite die unklaren Hierarchien. Wer ist nun sein Chef? Wer ist Innenminister? Monarchie oder Republik? In diesen unruhigen Zeiten versuchen manche Leute das Recht (oder was sie dafürhalten) in eigene Hände zu nehmen.

Ein Lichtblick in diesen tristen Zeiten nähert sich in Form eines Rotschopfes: Jelka, eine Kommunistin, die Bronstein gehörig den Kopf verdreht.

Wieder lässt uns Pittler an der Geschichte Österreichs teilhaben. Er erzählt sie so lebendig, dass wir glauben dabei gewesen zu sein, als die Giftgasgranaten explodieren und die Menschen hungern.
Pittler erklärt die Zusammenhänge der Politik ohne den Eindruck zu erwecken, Geschichtsunterricht zu erteilen. Diese unterschwellige Art historische Zahlen, Daten und Fakten zu vermitteln, ist die große Kunst des Andreas Pittler.
Wenn unter dem Eindruck dieser Ereignisse die Kriminalhandlung manchmal ein wenig in den Hintergrund tritt, tut das der Spannung insgesamt keinen Abbruch.

Wie immer, lässt Pittler seine Protagonisten im breiten Wiener Dialekt sprechen.


Fazit:

Ein historischer Krimi, der in die Ereignisse rund um den Zerfall der Donaumonarchie eingebettet ist. 5 Sterne!

Veröffentlicht am 25.05.2019

Fesselnd bis zur letzten Seite

Tod im Hamam
0

Andreas Pittler hat mit seinem spannenden Krimi, den er in der Hauptstadt Mazedoniens Skopje ansiedelt ist, den Nagel auf den Kopf getroffen.
Boris Woronski, ein Bautycoon, mit einer Vorliebe für ganz ...

Andreas Pittler hat mit seinem spannenden Krimi, den er in der Hauptstadt Mazedoniens Skopje ansiedelt ist, den Nagel auf den Kopf getroffen.
Boris Woronski, ein Bautycoon, mit einer Vorliebe für ganz junge Gemahlinnen, wird ermordet aufgefunden. Doch er ist nicht nur tot, sondern gekreuzigt.
Kommissar Tito Tukovic entdeckt bei seinen Ermittlungen, dass eine Vielzahl von Personen ein Motiv hatte, den umtriebigen Baumeister ins Jenseits zu befördern.

Den alten Leitspruch der Lateiner „Cui bono?“ (Wem nützt es?), kann er hier getrost vergessen – sehr viele Leute ziehen einen Nutzen aus Woronskis Tod, doch blöderweise haben alle ein Alibi. Brenzlig wird die Causa, als er weitere Hinweise erhält.

Sowohl die Schilderung des Alltags als auch die der möglichen und tatsächlichen Täter sind völlig authentisch.
Die Charaktere sind liebevoll und teilweise schrullig gezeichnet, allen voran Prvoslav Tukovic, der Vater des Ermittlers, einstmals selbst Polizist, der dem Tito-Jugoslawien nachtrauert.

Als Österreicherin sind mir balkaneske Zustände nicht ganz unbekannt. Nicht umsonst gibt ein altes Sprichwort, das sagt „der Balkan fängt am Wiener Südbahnhof an“.
Sehr interessant sind die Seitenblicke auf die Vergangenheit des Staates, der immer wieder Spielball der umliegenden (König)Reiche und von 1944 bis 1991 eine Teilrepublik von Jugoslawien. Nach dem Zerfall von Jugoslawien kämpft der kleine Binnenstaat mit Korruption und der Abwanderung vor allem der jungen Bevölkerung.

Einziger Kritikpunkt - viel zu kurz. Ich hätte noch 200 Seiten lang in Skopje bleiben können.

Fazit:

Ein sehr empfehlenswerter Krimi, der mit subtilen Humor bis zur letzten Seite fesselt. Ich gebe gerne fünf Sterne und wünsche mir mehr von Tito Tukovic. .