Ein Brief holt all die Erinnerungen wieder hervor, die André Cabral über Jahrzehnte tief in seinem Gedächtnis vergraben hat. Er musste weg aus Rio, nur fernab von Brasilien konnte er sich ein Leben aufbauen und das, was geschehen war, verdrängen. Doch nun schreibt ihm Luana und alles ist, als wenn es erst gestern gewesen wäre. Das Leben mit seinem Vater und seinem kleinen Bruder Thiago und ihrer Haushälterin Rita und deren Tochter Luana. Aufgewachsen sind sie zusammen, doch dann verliebt sich André in die Angestellte. Eine Liebe, die nicht sein darf, die geheim bleiben muss. Doch es sind nicht nur die Standesunterschiede, die die beiden trennen, es ist noch mehr, doch von den Geheimnissen ihrer Eltern ahnen sie nichts und stürzen sich ins Verderben.
Schon das bunte Cover des Romans lässt erahnen, dass Luiza Sauma eine lebendige und intensive Geschichte geschrieben hat. Sie entführt den Leser nach Ipanema ins Jahr 1985 und öffnet die Türen zu einer unbekannten Welt. Die Ordnung Brasiliens ins klar getrennte Klassen, die je nach Zugehörigkeit Freiheiten und Möglichkeiten eröffnen oder eben klare Wege vorgeben, die hart und steinig sein werden. Der Versuch, die Grenzen zu überwinden, ist zum Scheitern verurteilt und führt zwangsweise alle ins Unglück.
Der Roman wechselt so locker zwischen unbeschwerter Jugend und der ersten Liebe und einer tiefen Traurigkeit, die durch den Verlust der Mutter ausgelöst wurde, wie es von der lässigen und fröhlichen Copacabana nicht weit in die ärmlichen Favelas ist. Die Figuren bewegen sich zwischen der hart erkämpften Normalität nach dem Unfalltod und der Freude auf ein selbstbestimmtes Leben nach der Schule. André hat alles vor sich, alle Türen stehen ihm bei seiner Herkunft offen und er kann seinen Träumen freien Lauf lassen. Für Luana ist die Schule bereits beendet und die Zukunft vorbestimmt: wie ihre Mutter wird sie als Dienstmädchen arbeiten. Schon in jungen Jahren hat sie die Regeln verinnerlicht: in der Küche essen, nicht aufs Sofa der Herrschaften setzen, Zähne zusammenbeißen und freundliche bleiben. Obwohl sie sich lange wehrt, kann auch sie den Gefühlen letztlich wenig entgegensetzen.
Dieser unbeschwerten Liebe der Jugend, die scheinbar alle Regeln außer Kraft setzen kann, setzen die Erwachsenen ihre eigenen Lebensregeln entgegen, die den Status quo erhalten und dafür großes Leid produzieren. Sie haben Geheimnisse, die verborgen bleiben müssen und mit denen sie sich arrangiert haben. Die Klarheit, die sie ihren Kindern vorleben, ist jedoch auch für sie keineswegs so eindeutig.
So locker der Schreibstil in Luisa Saumas Debüt die augenscheinliche brasilianische Lebensfreude wiederspiegelt, so stark trifft einem das Buch, wenn man hinter die Fassade blickt und den Preis erkennt, den die Figuren zahlen müssen für ein Leben im Schein. Die überraschenden Wendungen unterstreichen nur, wir wenig wir über das Leben auf der anderen Seite des Kontinents wissen und wie sehr ein sonnenverwöhnter Strand den Blick vom Wesentlichen abzulenken vermag. Ein rundum überzeugender Roman, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt.