Leo, Jack, Bea und Melody sind zwar gemeinsam als Kinder einer wenig fürsorglichen Mutter aufgewachsen, dadurch aber nicht zu Erwachsenen geworden, die für sich selbst und füreinander einzustehen gelernt haben. Ganz im Gegenteil: im Hinterkopf hatten sie meist das ausstehende Erbe als Lösung und letzte Sicherheit, das vom Vater in einem Fond angelegte Geld, das ihnen zum vierzigsten Geburtstag von Melody, der Jüngsten der Geschwister, zu gleichen Teilen zufallen sollte. Jetzt hat ein Fehltritt Leos dazu geführt, dass die Mutter mit ihrer Vollmacht das Erbe weitgehend geplündert hat, um ihn und ihren eigenen Ruf von einem Skandal freizukaufen. Leider aber haben die anderen Geschwister durchaus länger schon finanzielle Sorgen, die jetzt übermächtig werden:
da ist Jack, der in der Schule nur „Leo light“ war (weniger intelligent, interessant und erfolgreich als der Älteste) und als Erwachsener kaum selbst als Antiquitätenhändler für seinen Unterhalt sorgen kann – heimlich hat er eine Hypothek auf das Wochenendhaus aufgenommen, das er gemeinsam mit seinem Ehemann besitzt. Dann ist da Bea, Beatrice, Leo am nächsten, einst ein aufstrebender Stern unter den jungen Autorinnen mit einem Buch über ein Alter-Ego ihres Bruders Leo, die schon lange nichts mehr geschrieben hat und sich immerhin selbst mit einem Job bei einem Verehrer und in einer schäbigen Mini-Wohnung sparsam über Wasser hält. Und zuletzt gibt es Melody, gefangen in ihren „Upwardly-Mobile“ Träumen für ihre Zwillingstöchter und mit einer erdrückenden Hypothek, die sich umzingelt sieht von anderen Müttern, die im Gegensatz zu ihr meist eine Karriere aufgegeben hatten und über jene Zeit sagen: „Natürlich musste ich ein paar Leuten in den Arsch kriechen […] aber wenigstens musste ich ihn nicht abwischen.“ S. 131
Cynthia D’Aprix Sweeney schreibt in ihrem Debütroman über Fortysomethings – darüber, was aus den Träumen und Zielen geworden ist und womit es weitergehen soll für nicht weniger als den Rest des Lebens. Sie lässt die erzählen, die sich noch auf andere oder die Vergangenheit verlassen, die nicht loslassen wollen – oder sich auf gar keinen Fall festhalten. „Das wäre, als wollte man die Zeit zurückdrehen. Wir hatten ein paar gute Jahre. …. Verdammt gute Jahre.“ S. 217 Die Charaktere sind bis in die Nebenfiguren detailliert ausgearbeitet, das Setting ist New York zwischen den verschiedenen Immobilienkrisen, die für einige den Aufstieg bedeuten, für andere den Untergang – für die meisten von ihnen allen die Verunsicherung und damit durchaus gut auf die entsprechende Generation in Deutschland übertragbar, die sich hier Sorgen um Geldanlagen, Jobs und Rente macht. Es ist eine Geschichte über jene, die nicht mehr damit hadern, erwachsen zu werden – aber damit, was noch ist, was noch kommen soll. Oder wie Leo denkt: „Es war nicht der Luxus, den er vermisste, es war die Überraschung.“ S. 249
Der Roman ist unterhaltsam und gut geschrieben, oft mit einigem Sarkasmus, es werden keine zu glatten Lösungen präsentiert (bis auf einen winzigen etwas stärker rosaroten Einschub in einer Klammer gegen Ende, den man aber verzeihen kann). Geschickt die Überleitungen, zum Beispiel zu Beginn mit den roten Schuhen und den verschiedenen Bars. Ich konnte mitfühlen, mich fast widerstrebend mit einigen Sorgen, Ängsten und Hoffnungen identifizieren, der leichten Melancholie folgen (kein düsteres Schwarz, eher ein versöhnliches Sepia). Die Landung auf dem Boden der Realität ist vielleicht nicht immer sanft, kann aber bedeuten, überhaupt wieder selbigen unten den Füßen zu haben. „Es gab keine Gewissheiten, jede Entscheidung war nur eine wohlbegründete Vermutung oder ein Sprung in einen geheimnisvollen Abgrund.“ S. 282 Leseempfehlung für ein unterhaltsames zeitgenössisches Buch, das eine Generation pointiert und gleichzeitig mitfühlend charakterisiert, nur knapp an 5 Sternen vorbei wegen der starken Konkurrenz dieses Jahr!