Ich hatte doch recht hohe Erwartungen an diesen Roman, und ich hatte damit gerechnet, dass die unterschiedlichen Früher-/Heute-Erzählstränge ähnlich feinsinnig verwoben sein würden wie beispielsweise zumeist auch in Romanen von Charlotte Roth, die ich gemeinhin sehr gerne lege. Ohnehin sagen mir Romane, in denen sich eine gegenwärtige Handlung mit einer vergangenen abwechselt, eigentlich sehr zu – letztlich tue ich mich mit der Bewertung von „Was uns erinnern lässt“ jedoch sehr schwer; meine Erwartungen sind weder total enttäuscht, noch vollauf erfüllt worden.
Der gegenwärtige Teil, der sich rund um Milla abspielte, hat mich dabei völlig ratlos zurückgelassen: Ich habe mit dieser Mittdreißigern nichts anfangen können, in deren kleinem Mikrokosmos es außer ihrem 14jährigen Sohn und ihr nichts zu geben schien, der es lediglich ein kleines „dududu!“ wert war, als ihr Sohn die Haushaltskasse zu Gunsten seiner Freundin plünderte und der selbst die Tatsache, dass ihr 14jähriges Kind sich in einer Beziehung mit einer zwanzigjährigen Erwachsenen befand, kaum ein Stirnrunzeln abrang. Für mich herrschte da eine ganz ungesunde Symbiose – und da kam es mir ganz seltsam vor, dass die eher einzelgängerischere und verschlossene Milla nach ihrem Kennenlernen auf Anhieb ganz dick mit Christine befreundet sein sollte, deren Familie sie zudem insgesamt auch eher mit offenen Armen willkommen hieß und bereitwillig ihre ganze Familienhistorie vor ihr ausbreitete, wobei ständig betont wurde, dass man gelehrt worden sei, besser gar keinem zu vertrauen. Irgendwie hat mich dieses ganze Szenario sehr unbehaglich fühlen lassen…
Jenen Teil, der sich in der Vergangenheit zutrug, also die direkt geschilderte Dresselsche Familiengeschichte, fand ich sehr viel interessanter; da die Familie allerdings in unmittelbarer Nähe der deutsch-deutschen Grenze und inmitten des Schutzstreifens lebte, war auch sie in einem eher beschränkten Mikrokosmos gefangen, lebte nicht „richtig“ in der DDR, aber eben doch auch nicht im Westen. Der Einblick, den man hier in den Alltag der DDR erhält, ist also auch eher beschränkt; mich erinnerten die Dressels sehr viel mehr an eine Familie, die halt sehr abgeschnitten irgendwo im Wald lebt. (Ich habe knapp 15 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands lediglich einen Kurzurlaub bei Freunden in und aus der ehemaligen DDR verbracht, die immer städtisch gelebt hatten, und als wir uns gegenseitig darüber austauschten, wie [unterschiedlich] wir aufgewachsen waren, und als sie mir zusammen mit weiteren ostdeutschen Bekannten diverse Stätten ihrer Vergangenheit zeigten: Das unterschied sich alles teils sehr drastisch von dem Leben in der DDR, das in „Was uns erinnern lässt“ in Bezug auf die Dressels geschildert wird, bei denen sämtliche Gefahren im Vergleich eher theoretisch und bis zur Zwangsenteignung eher bloße Drohungen sind. – Ich fand es übrigens auch sehr schade, dass der weitere Verbleib der Familie Dressel nach der Zwangsenteignung nicht weiter geschildert wird; nur vereinzelte Begebenheiten werden erwähnt, wie es ihnen bis zur Wiedervereinigung und überhaupt weiterhin ergangen ist; in diesem Buch folgt auf die Zwangsenteignung quasi direkt das Jetzt, 40 Jahre später.)
Vielleicht habe ich aufgrund des Settings aber auch einfach von vornherein zuviel „DDR-Schilderungen“ erwartet anstatt mich eher auf den Aspekt der „Familiensaga“ zu konzentrieren.
Wie gesagt: Insgesamt fand ich die Geschichte der Dressels, die hier bereits am Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzt, definitiv interessanter als den Jetzt-Erzählstrang; Johanna und Marie Dressel habe ich als starke Frauenfiguren empfunden (die in meinen Augen zudem definitiv stärker als Christine oder eben Milla waren). Hätte der Roman nun nur die Vergangenheit der Familie Dressel umfasst, hätte ich ihn sicher echt gut gefunden, aber so in der Kombination hat mir letztlich irgendwie etwas gefehlt bzw. für mich passte Milla überhaupt nicht zu dieser Geschichte; da würde ich es sehr viel authentischer gefunden haben, hätten die Nachfahren der Dressels einfach ganz von sich aus nachzuforschen versucht bzw. jemanden damit beauftragt, herauszufinden, wie korrekt die Enteignung der Familie dereinst wirklich abgelaufen war. Denn die Figur der Milla hat für mich die Geschichte wirklich derart negativ beeinträchtigt, dass ich da alles in Allem leider nicht über mehr als eine mittlere Bewertung hinauskomme.
[Ein Rezensionsexemplar war mir, via #NetGalleyDE, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]