Profilbild von yellowdog

yellowdog

Lesejury Star
online

yellowdog ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit yellowdog über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.07.2019

Lyrische Prosa

Auf Erden sind wir kurz grandios
0

Auf Erden sind wir kurz grandios von Ocean Vuong besticht durch den gewählten Erzählstil, mit dem der Autor die passende Art zu erzählen gefunden hat. Es ist in einen Brief an die Mutter gefasst, die aber ...

Auf Erden sind wir kurz grandios von Ocean Vuong besticht durch den gewählten Erzählstil, mit dem der Autor die passende Art zu erzählen gefunden hat. Es ist in einen Brief an die Mutter gefasst, die aber nicht lesen kann und daher ist der Brief wohl mehr ein inneres Zwiegespräch, dass der 30jährige Erzähler führt und so seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend reflektiert. Er, liebevoll von der Familie Little Dog genannt, ist als Kind aus Vietnam in die USA gekommen. Die Anpassung war nicht einfach für die Familie, sowohl sprachlich als auch kulturell sind gewaltige Unterschiede.

Little Dog erzählt in einer schonungslosen Art und benennt Gewalt und Verluste deutlich.

Bemerkenswert ist, wie der Text sowohl analytisch wie auch sehr emotional erzählt wird. Es gibt Bezugnahme auf philosophische Texte von z.B. Roland Barthes, Bei Dao und andere, aber da Ocean Vuong auch Dichter ist, wird die Prosa streckenweise sehr lyrisch. Das gefällt mir außerordentlich und ist auch nicht so häufig zu finden.

Veröffentlicht am 10.07.2019

Portrait der syrischen Gesellschaft

Die geheime Mission des Kardinals
0

Ungewöhnlich für Rafik Schami, dass er den Plot seines Buches in Form eines Kriminalromans fasst. Es ist natürlich doch in erster Linie ein Roman über das Leben in Damaskus
Es ist 2010, eine Zeit in Syrien ...

Ungewöhnlich für Rafik Schami, dass er den Plot seines Buches in Form eines Kriminalromans fasst. Es ist natürlich doch in erster Linie ein Roman über das Leben in Damaskus
Es ist 2010, eine Zeit in Syrien vor dem Krieg.
Der 65jährige Kommissar Barudi übernimmt mit seinem Team den Mordfall an einen Kardinal. Barudi ist ein melancholischer, unangepasster Typ, der nie in die Partei der Machthaber eingetreten war und daher nie aufstieg, aber er ist damit zufrieden. Er mischt sich politisch nie ein, das würde bedeuten, entweder das Lied der herrschenden zu singen oder im Gefängnis zu verfaulen. So kann er wenigstens gute Polizeiarbeit leisten. Zu seinen engsten Mitarbeitern gehört Hauptmann Schukri, der ebenfalls eine Persönlichkeit ist. Weiter im Team sind Ali und Babil. Interessanterweise bekommen sie noch Verstärkung durch einen italienischen Commissario namens Mancini.

Ein Teil des Textes ist in Tagebuchform gehalten. Kommissar Barudis Tagebucheintragungen erlauben es, die Figur gut kennenzulernen.
Darin geht er mit seinen Erinnerungen sogar bis in die ärmliche Kindheit und an seine beruflichen Anfänge zurück, die erste unangenehme Berührungspunkte mit dem skrupellosen Geheimdienst beinhalten.

Der Rest des Textes ist in der dritten Person.

Rafik Schami lässt es sich nicht nehmen, Syriens Kultur und Lebensweise einfließen zu lassen. Dem Gewürzmarkt, der beim Lesen den Geruch von Koriander und Kardamon entwickelt. Der Geschmack der Nachtigallennester, ein Pistaziengebäck, das Leben der verschiedenen Religionen zueinander und die christliche Religion als Minderheit im Land, die ärmlichen Marktgassen, wo keine Touristen hinkommen usw.

Teilweise ist der Roman ganz schön verplaudert, aber Rafik Schami-Fans werden damit kein Problem haben.

Veröffentlicht am 05.06.2019

Der erste Streich

Wilder Winter
0

Der Roman wurde schon 1990 geschrieben und ist der erste Teil der ungewöhnlichen Reihe.
Interessant, zu erfahren, wie die Vergangenheit der ungleichen Freunde aussieht.
Die Hauptfiguren sind die Kumpel ...

Der Roman wurde schon 1990 geschrieben und ist der erste Teil der ungewöhnlichen Reihe.
Interessant, zu erfahren, wie die Vergangenheit der ungleichen Freunde aussieht.
Die Hauptfiguren sind die Kumpel Hap und Leonard, ein gutes Team.
Leonard war in Vietnam. Hap war in den 60ziger Jahren als Student und Kriegsdienstverweigerer m Gefängnis.
Die sechziger Jahre und was aus diesen Idealen übrig geblieben sind, ist das versteckte Thema des Romans neben dem geplanten Coup, eine Million Dollar aus einem schiefgelaufenen Bankraub aus dem Sabine River in Texas zu bergen.
Dafür werden Leonard und Hap von Haps Exfrau und ihren etwas verdrehten Freunden angeheuert. Anführer dieser verrückten Bande ist der undurchsichtige Howard, ein vorgeblich idealistischer Altachtundsechziger und neuer Freund von Haps Ex. Hinzu kommen noch der von Brandnarben verunstaltete Paco und der Analysephrasendreschende Chub. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Der Roman ist angereichert mit viel Wortwitz, der durchaus sehr derb ist.
Getragen wird auch dieses Buch durch die Erzählhaltung Haps, die von Ironie und Melancholie durchzogen ist.
Hinzu kommt der wildromantische Schauplatz Marvel Creek in Texas.

Allzu konservative Leser konventioneller Krimis muss ich jedoch ausdrücklich vor diesem Buch warnen, denn es gibt neben rauen Humor viel Raum für philosophische Diskussionen über den Geist der Sechziger mit seinen positiven und negativen Auswüchsen in den USA.
Auf ein dramatisches Finale wird deswegen nicht verzichtet.

Veröffentlicht am 01.06.2019

Journalismus ohne Kompromisse

Die Dinge beim Namen nennen
0

Die Dinge beim Namen nennen ist ein mächtiger Essayband einer feministisch geprägten US-amerikanischen Autorin und feministische Themen sind Bestandteil der meisten Essays. Dabei ist es ein sehr US-amerikanisches ...

Die Dinge beim Namen nennen ist ein mächtiger Essayband einer feministisch geprägten US-amerikanischen Autorin und feministische Themen sind Bestandteil der meisten Essays. Dabei ist es ein sehr US-amerikanisches Buch, dass die Probleme des heutigen USA deutlich aufzeigt.

Wie der Titel, erst Recht der Originaltitel “Call them by their true names” andeutet, sind die Texte auf eindeutige, klare Art verfasst. Das gehört zu Rebecca Solnits Stil. Die Essays sind alles andere als gemütlich oder versöhnlich. Schon gar nicht mit Donald Trump, den die Autorin sehr treffend portraitiert und seine üblen Methoden klar beim Namen nennt. Hier wird nichts geschöntes durchgelassen.
Besonders am Anfang des Buches analysiert Solnit Trump und Hillary Clinton und den Wahlkampf 2016. Es ist doch interessant, zu bemerken, das Hillary Clinton aufgrund des amerikanischen Wahlsystems verloren hat, obwohl sie 2,9 Millionen mehr Stimmen als Trump hatte. Und es sollte nicht vergessen werden, welche unfairen Methoden im Wahlkamp angewendet wurden. Das setzte neue, verherrende Maßstäbe.

Aber es gibt noch mehr Themen im Buch. Rebecca Solnit schreibt über Obdachlosigkeit, über die Todesstrafe und über Rassismus.
Rebecca Solnit lebt in San Francisco, das daher im Buch eine große Rolle spielte, zum Beispiel der Vorfall um Alex Nieto, der von 4 Polizisten erschossen wurde und der darauffolgende Prozess, der viel enthüllte.

Sehr informativ war auch der Artikel über den Standing Rock-Protest.

Das Buch besitzt 320 Seiten und ist damit ein mächtiges Werk.
Es ist ein in seiner eindeutigen Art ein radikales, bewegendes Buch: Politisch, betont feministisch und engagiert, aber nicht bequem.

Veröffentlicht am 28.05.2019

Mehr als 50 Gräber

Die Nickel Boys
0

Die Nickel Boys ist der neue Roman des vielfach preisgekrönten US-amerikanischen Schriftstellers Colson Whitehead, der hiermit ein wichtige Thema der Zeitgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts aufnimmt. ...

Die Nickel Boys ist der neue Roman des vielfach preisgekrönten US-amerikanischen Schriftstellers Colson Whitehead, der hiermit ein wichtige Thema der Zeitgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts aufnimmt.
1962 ist eine besondere Zeit für die afroamerikanischen Menschen. Martin Luther King beeinflusste sie. Auch der junge Elwood Curtis ist von ihm beeindruckt. Aber der alltägliche Rassismus ist überall spürbar, Rasentrennung ist noch nicht angeschafft.

Elwood ist ein guter Schüler, aber durch einen Zufall kommt er schuldlos in die Jugendreformschule der Nickel Akademie. Ein Ort, in der Misshandlungen an der Tagesordnung sind. Eine rassistische Hölle, in der es vorkommt, dass manche Kids für immer verschwinden.
Mehr als 50 nicht gekennzeichnete Gräber werden nach Schließung der Anstalt gefunden.

Die Nickel-Boys hat nicht ganz die Wucht von Underground Railroad, aber er hat auch ein wichtiges Thema und mit dem sensiblen Elwood, der unvorbereitet in diese abartige Umgebung kommt, eine funktionierende Hauptfigur. Er ist klug, aber hilflos. Man kann ihn gut verstehen und die passende Sprache des Romans ermöglicht es, sich mit ihm zu identifizieren.
Der Roman schafft es gut, zu zeigen, was die Situation bei den Betroffenen auslöst und wie es sie prägt. Das ergibt sich zum Beispiel auch in den Diskussionen zwischen Elwood und seinem ebenfalls einsitzenden Freund Turner. Ist es wichtiger einfach nur zu überleben, egal wie oder ist es genauso wichtig, seine Anständigkeit nicht zu verlieren, um sich selbst nicht zu verlieren.

Mich hat das Buch so beeindruckt, das ich gleich noch ein älteres Buch (John Henry Days) von Colson Whitehead bestellt habe.

Die Hörbuchausgabe wird von Torben Kessler gelesen, der vor kurzen schon sehr mit Das Verschwinden der Stephanie Mailer von Joel Dicker überzeugt hatte und für mich momentan zu den Top-Sprechern anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur gehört.