Der Wunsch nach Veränderung - Im Bann eines fremden Lebens
"Farben der Nacht" von Davit Gabunia ist ein Roman der mich sehr stark beeindruckt hat. Nicht aufgrund seiner Länge oder Geschichte als solches, eher durch das erschaffene Abbild einer ganzen Gesellschaft. ...
"Farben der Nacht" von Davit Gabunia ist ein Roman der mich sehr stark beeindruckt hat. Nicht aufgrund seiner Länge oder Geschichte als solches, eher durch das erschaffene Abbild einer ganzen Gesellschaft. Grob gesagt geht es in dem Roman nämlich um fünf Menschen auf der Suche nach ihrem Glück, für das sie im Endeffekt alles aufs Spiel setzen - ihr Leben, ihren Glauben und alles um sie herum. Über ein Land im Aufbruch und Wandel, über Aufstände und Machtwechsel, Chancen und Veränderung.
Surab, ein eigentlich glücklicher Mann und Vater zweier Kinder, hat vor einer Weile seinen Job verloren und wird zum Hausmann degradiert. Seine Frau geht arbeiten und er? Er versinkt bekümmert in der Wohnung eines trostlosen Wohnblocks und soll nun auf die Kinder aufpassen, mit ihnen 'blöde' Spiele spielen und sich langweilen. Statt nach einer neuen Arbeit zu suchen, vegetiert er auch noch spät nachts auf dem Sofa vor sich hin und beginnt irgendwann den neuen Nachbar von gegenüber mit seinem roten Alfa Romeo zu beobachten. Auch spät in der Nacht sind die Fenster des Nachbarn noch hell erleuchtet. Surab starrt gebannt auf das fremde Leben und beobachtet das bunte Treiben der Männer auf der anderen Seite. Fast regelmäßig erscheint in dessen Wohnung ein höherer Beamter im Anzug und Surab beobachtet durch das Fenster das homosexuelle Liebesspiel der beiden.
Von Irrsin, Faszination und Aufregung getrieben, beginnt Surab die beiden zu observieren, Fotos zu schießen und diese säuberlich auf dem Rechner abzuspeichern. Er geht auf in der Rolle des Spitzels und sein ganzes Leben scheint sich nur noch darum zu drehen. Eines Tages beobachtet Surab einen furchtbaren Streit zwischen den beiden. Eine Vase fliegt, der Beamte verlässt schnellstens die Wohnung und Surab wittert seine Chance. Eine Chance auf ein besseres Leben. Eine Chance auf Veränderung. Doch nicht nur sein Leben bewegt sich in eine ganz andere Richtung ...
Gabunia erschafft mit seinem Buch ein sehr eindrucksvolles Bild einer Gesellschaft im Wandel. Es ist der Sommer 2012 in dem die Menschen auf die Straße gehen. Ein Sommer, der die Regierung zum Sturz bringt. Es entstehen neue Chancen, Möglichkeiten und Hoffnungen. Surab und seine Familie stehen für mich sinnbildlich für die Perspektivlosigkeit, fernab aller Hoffnung, die aufgrund dramatischer Ereignisse und Veränderungen, neue Möglichkeiten erlangen. Es ist ein literarisch sehr starkes, raffiniertes und spannendes Abbild, dessen Ende ungewiss bleibt.
Was soll ich anderes sagen? Mich hat dieser Roman sehr mitgerissen, bewegt und irgendwie auch betrübt. Gerade diese stets mitschwingende trostlose Vegetation und Schwere, die ich bereits bei "Das Birnenfeld" oder "Das achte Leben (für Brilka)" erlebt habe, macht diesen Roman so wahnsinnig intensiv und faszinierend. Es ist diese Vielschichtigkeit innerhalb dieser Geschichte, die zunächst mit einem Ende beginnt und dann Schritt für Schritt die Beobachtungen, Gedanken und Erlebnisse der Protagonisten schildert.