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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.08.2019

Ein amerikanisch-vietnamesischer Lyrik-Roman

Auf Erden sind wir kurz grandios
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Was für einen Schatz ich geborgen habe, merke ich bei Büchern erst, wenn ich es zuklappe und eine Wehmut sich in mir breit macht, dass es leider schon wieder zu Ende ist. Und einen solchen Schatz habe ...

Was für einen Schatz ich geborgen habe, merke ich bei Büchern erst, wenn ich es zuklappe und eine Wehmut sich in mir breit macht, dass es leider schon wieder zu Ende ist. Und einen solchen Schatz habe ich mit dem Debüt von Ocean Vuong geborgen! Sein Roman "Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist eine Perle in diesem Bücherjahr. Vor allem weil es so anders ist als viele andere Romane. Übrigens ist der Romantitel, den ich grandios finde, auch der Titel eines seiner Gedichte.
Er schreibt klar- leise Töne mit hohem Einschlag. Die poetische Prosa trifft einen mit voller Wucht, wie eine Welle die man kaum abwarten kann und dann haut sie einen doch um und man sitzt im Sand. So fühlt sich dieser Text an.
Ocean Vuong verarbeitet seine eigenen Erfahrungen als Einwanderungskind aus Vietnam in die USA mit diesem Roman. Ein fiktiver Charakter schreibt seiner Mutter, die nicht lesen kann, einen Brief um seine Erlebnisse zu verarbeiten. Die Kombination aus Liebe und Leid, diese Gradwanderung beschreibt er sehr gut. Die Geschichte wird erzählt, aber Ocean Vuong behält viel Raum für eigene Gedanken des Lesers bereit. Auch merkt man dem Roman sehr stark an, dass Ocean Vuong in erster Linie Lyriker ist und dann erst Schriftsteller – oder macht er eine neue Dimension auf mit diesem Roman?
Mich hat der Roman überzeugt, daher wünsche ich dem Roman viele Leser! Aber ich rate nur zum Roman, wer auch gerne Lyrik liest.

Veröffentlicht am 02.08.2019

Was ist schon normal?

All das zu verlieren
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Macron, derzeitiger Präsident der Grand Nation Frankreich, hat die Schriftstellerin Leïla Slimani zu seiner Botschafterin der Frankofonie auserkoren. Dann hat sie noch mit ihrem zweiten Roman den Prix ...

Macron, derzeitiger Präsident der Grand Nation Frankreich, hat die Schriftstellerin Leïla Slimani zu seiner Botschafterin der Frankofonie auserkoren. Dann hat sie noch mit ihrem zweiten Roman den Prix Goncourt abgeräumt. Spricht für diese Frau, marokkanischer Herkunft, geboren 1981 in Rabat, die in Paris studierte. Und nicht nur das, als Verfechterin der Gleichberechtigung tritt sie öffentlich meinungsstark auf.
Ihr Debüt ist, im Original bereits 2015, nun auch auf Deutsch erschienen mit dem Titel „All das zu verlieren“. Diesen Roman kann man mit diesem Vorwissen kaum unbedarft in die Hand nehmen.
Der Inhalt ist schnell zusammengefasst: Die Protagonistin, eine Pariser Journalistin, versucht ihre innere Leere mit Sex zu füllen. Zudem ist sie verheiratet und hat einen Sohn im Kleinkindalter. Sie plagt nun erwischt zu werden und hat eben Angst „all das zu verlieren“. Nun kann man sich natürlich die naheliegende Fragen stellen warum Madame sich nicht scheiden lässt in einer modernen Gesellschaft wie Frankreich. Aber das ist zu kurz gegriffen, denn aus meiner Sicht will die Autorin mittels dieser drastischen Konstellation und einer sehr plastischen Sucht das gängige Glücksmodell in Frage stellen und fordert den Leser heraus: Macht jeden die Ehe mit Kindern gleichermaßen glücklich? Die herkömmliche Norm wird ausgehebelt.
Natürlich provoziert die maghrebinische Autorin auch in dem das Thema Fremdgehen/Ehebruch seitens einer Frau im Fokus steht. Der Roman war ein Bestseller in Marokko und führe zu hitzigen Debatten. Eine weitere Ebene der Auseinandersetzung im lokalen kulturellen Kontext.

Hervorragend übersetzt von Amelie Thoma, liest sich dieses sehr französische Werk trotz teils harter Kost sehr gut. Nur sollte der Leser darauf eingestellt sein, dass es auch verstörende Passgen gibt.

In der Härte liegt zugleich auch sprachlich die Stärke des Romans. Selten finde ich ein solch emotional aufgeladenes Thema so nüchtern und zugleich poetisch in Szene gesetzt. Leïla Slimani kann wunderbar schreiben.
Mir fällt in der Tat keine andere so moderne wie richtungsweisende Schriftstellerin ein, die Frankofonie-Botschafterin sein sollte!

Fazit: Lesen und wirken lassen. Nicht bewerten.

Veröffentlicht am 14.06.2019

Minimalistisch kluge Episoden!

Kaffee und Zigaretten
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Ferdinand von Schirach schreibt grandios präzise und lesenswert. Wer nicht viel Zeit und Muse hat einen dicken Wälzer zu lesen, ist mit diesem Werk bestens bedient und bekommt trotzdem literarische wertvolle ...

Ferdinand von Schirach schreibt grandios präzise und lesenswert. Wer nicht viel Zeit und Muse hat einen dicken Wälzer zu lesen, ist mit diesem Werk bestens bedient und bekommt trotzdem literarische wertvolle Stücke. Hier versammeln sich leise, aber sehr zutreffende kurze Passagen zu diversen Themen, die von Schirach selbst erlebt hat oder historisch bekannte Blöcke wie beispielsweise die Geschichte der Farbe Magenta auf einer Seite.

Ein Buch für Verwirrte, die zu viel im Kopf tragen, auf zu viele Fragen gleichzeitig eine Antwort suchen, können hier mit vielleicht etwas Ruhe finden. Nichts ist überfrachtet, kurz und gut.

Veröffentlicht am 12.06.2019

Potpourri an Anekdote

Heut ist irgendwie ein komischer Tag
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„Urteile können sich ändern, wenn man Dinge nicht nur aus der Ferne und in Eile betrachtet. Wenn man stattdessen dabei ist, mit Aufmerksamkeit.“ (S. 167)

In “Heut ist irgendwie ein komischer Tag” teilt ...

„Urteile können sich ändern, wenn man Dinge nicht nur aus der Ferne und in Eile betrachtet. Wenn man stattdessen dabei ist, mit Aufmerksamkeit.“ (S. 167)

In “Heut ist irgendwie ein komischer Tag” teilt Cornelius Pollmer, ein begabter Schreiberling, mit uns seine Reiseaufzeichnungen und Begegnung eines Sommers, den er in Brandenburg verbrachte.
Er war nicht bei den Highlights der Sehenswürdigkeiten, nein, Pollmer war in Hermannswerder, Neuruppin, Fürstenberg, Werben, Fehrbellin, Karwe.
Besäufnisse wechseln sich ab mit melancholisch, auch literarischen Geschichten. Vor allem sind es Geschichten über ehrliche Begegnungen mit Brandenburgern.
Es sind Einblicke, ein Buch wie eine Begegnungscollage ohne Pointen.

Dieses Buch passt in unsere Zeit den eigenen Carbon footprint zu verringern und sich mal in nächster Nähe umzusehen und das „schneller, höher, weiter“ sein zu lassen.
Nur finde ich den Untertitel suboptimal, denn ums Wandern geht es nicht. Statt der „Wanderung durch die Mark Brandenburg“ hätte es eher wie auf der Rückseite heißen sollen, denn es trifft die Sache um einiges besser: Fontane Reloaded! Fontane ist der seidene rote Faden, der immer mal wieder aufgenommen und weitergesponnen wird.

Bald hat das Mäkeln ein Ende, nur noch eines, da es auch sehr schade ist, dass es keine Karte Brandenburgs gibt wo all die Geschichten ihrer örtlichen Verhaftung bekommen. Sei es im inneren Buchumschlag noch zu Beginn der einzelnen Geschichten.

Cornelius Pollmer schreibt diese Texte mit einer beeindruckenden sprachlichen Vielfalt. Mich hat er überzeugt! Alleine sprachlich macht dieses Buch schon Spaß ohne überheblich daherzukommen. Fast schon ein Sprachschöpfer der „Bonmot-Bömbchen“ (S. 33).

Fazit: Glück ist überall zu finden - lasst uns mit offenen Augen in der Nähe flanieren statt nur von der Ferne zu träumen.

Ich danke dem Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar recht herzlich.

Veröffentlicht am 12.05.2019

Asiatisch, gigantisch - lesenswert!

Die Lotosblüte
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So gänzlich anders als viele andere Romane, die ich in den letzten Wochen und Monaten gelesen habe. Und überzeugend! Es liegt an vielem – die Geschichte, die unfassbar ist, so fern der eignen Alltagsrealität. ...

So gänzlich anders als viele andere Romane, die ich in den letzten Wochen und Monaten gelesen habe. Und überzeugend! Es liegt an vielem – die Geschichte, die unfassbar ist, so fern der eignen Alltagsrealität. Dann die Umgebung, Korea als Setting katapultiert einen auch ganz weit weg. Und natürlich die sprachliche Ausgestaltung, ein historischer Stoff im asiatischen Gewand! Wahnsinn!
Die Globalisierung und die Digitalisierung vernetzt uns alle auf ein Art, dass man manchmal den Eindruck bekommen könnte alle Orte der Welt gleichen sich so langsam an und der Reiz der Andersartigkeit verschwindet. Aber dieser tolle koreanische Roman von Hwang Sok-Yong erinnert uns wieder auf beeindruckende Art und Weise wie kulturell unterschiedlich und vor allem reichhaltig die Welt ist! Alleine die großartige Art wie diese Geschichte erzählt wird, auf eine leise eindringliche Weise und doch ein so packender und dramatischer Inhalt.
Ich brauchte zwar etwas um in den Text einzutauchen, aber es war eher die andere Art der Erzählkunst die mich stocken ließ und faszinierte. Auch finde ich die Übersetzung flüssig und gut von Ki-Hyang Lee.
Worum geht es= "Die Lotusblüte" beginnt schon irritierend, denn Chong weiß nicht so recht wo sie ist und die Irritation und Wachsamkeit der ersten Seite trägt sie weiter. Fast märchenhaft beginnt hier ein Epos über eine interessante Zeit in Südostasien. Es geht um einen alten koreanischen Mythos, der hier aufgearbeitet wird. Frauenhandel, Opium, Prostitution, Zweitfrauen – alles Themen, die hier aufgearbeitet werden. Es rückt die Frauen des 19. Jahrhunderts in den Fokus.
Fazit: Ein dicker Wälzer mit dem man sich mal gut eine Woche einschließen kann und mental entschwindet! Beeindruckend!