Die Umsetzung dieses interessanten Themas war leider nicht mein Geschmack
Die LuftvergolderinIn "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. ...
In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. Es ist eine gute Idee, die Biographie dieser Frau zu erzählen, denn erzählenswert ist sie, und ich kann vorab sagen, daß ich durch das Buch viel über Anna von Ungarn gelernt habe.
Die Autorin wählt den Weg, das auf auf dem Titel gezeigte Brautportrait Annas in die Geschichte einzubinden, gewissermaßen als roten Faden für das Buch zu nehmen. Das ist ein origineller Ansatz und von der Idee her gut, geht aber leider doch sehr auf Kosten des eigentlichen Themas. Es wurde mir leider fast durchweg zu viel auf Nebenschauplätzen verweilt. Die ersten hundert Seiten führten uns in die Hintergründe von Annas Situation als junge Frau ein - sie wurde fast noch als Kind mit Kaiser Maximilian von Österreich vermählt, der hier als Stellvertreter für seine Enkel agierte, die zu dem Zeitpunkt noch zu jung waren, um Anna selbst zu heiraten (ja, zwei Enkel, wer nun Anna letztlich tatsächlich heiratet, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht raus). Nach Maximilians Tod sitzt Anna erst mal herum und wartet darauf, daß einer dieser Enkel sie heiratet. Dies ist der Zeitpunkt der Entstehung des erwähnten Bildes und ihre Sitzungen mit dem Maler Hans Maler bilden in jenen ersten 100 Seiten eine Art Rahmenhandlung. Es werden immer einzelne Sätze aus verschiedenen Dialogen und Sitzungen der beiden herausgenommen, was auf mich ziemlich ungeordnet wirkt und auch zu mehreren Wiederholungen führt. So findet keine Unterhaltung statt, sondern man liest eben immer nur herausgerissene Sätze, die dann von ausführlichen erklärenden Absätzen unterbrochen werden. In diesen Absätzen erinnern sich sowohl Hans Maler wie auch Anna selbst an das bereits Geschehene. So erfahren wir über Annas Kindheit und Herkunft, über die kurzen Jahre der Ehe mit Maximilian und können uns Stück für Stück - passend zum roten Faden - ein geistiges Bild malen. Das ist an sich keine schlechte Methode und gerade Annas Erinnerungen und die persönlichen Einblicke in Maximilians Persönlichkeit, sind interessant. Leider aber gibt es auch sehr detailverliebte historische Informationen, die für die Geschichte oft gar keine Relevanz haben. Nun liebe ich Geschichte, lese sehr gerne darüber, aber es muß schon im Zusammenhang stehen und wenn die historischen Ausführungen die Handlungen ständig und lange unterbrechen, dann macht sogar mir das Lesen über Geschichte keinen Spaß mehr. Die Sprunghaftigkeit, die langen Einschübe ohne Relevanz für die Geschichte, die Wiederholungen...all das machte es schwierig und unerfreulich, sich durch diesen ersten Teil zu arbeiten. Fünfzig Seiten dieses ersten Teils sind dann einer ausführlichen Beschreibung der Kindheit und Jugend Hans Malers gewidmet, inklusive fast handbuchartiger Erklärungen zur Farbherstellung. An der Stelle habe ich den Klappentext noch mal konsultiert, weil es hier einfach so weit vom Thema entfernt war, daß ich dachte, ich hätte im Klappentext etwas übersehen. Nach diesen ersten 100 Seiten haben wir über Anna ziemlich wenig und über Hans Maler viel zu viel erfahren. Ich war an dieser Stelle kurz davor, das Buch abzubrechen und ohne Leserunde hätte ich das auch getan.
Der Mittelteil ist dann wesentlich erfreulicher und da hat sich das Weiterlesen doch gelohnt. Es geht hier endlich wirklich um Anna und ihre Ehe zu dem Maximiliansenkel Ferdinand. Hier wird der sich vorher fast wie ein Sachbuch lesende Roman auch etwas mehr zu Roman, mit Szenen, die sich vom rein Beschreibenden wegbewegen und Emotionen zeigen. Leider sind diese Szenen auch immer wieder mit langen Einschüben voller Hintergrundinformationen unterbrochen. Insgesamt las sich das gesamte Buch über weite Strecken eher wie ein Sachbuch, nicht wie ein Roman. Der Schreibstil an sich ist sehr gut, man merkt, die Autorin kann mit Sprache umgehen, schreibt auf gehobenem Niveau und es war erfreulich zu lesen. Nur hätte sie sich vielleicht entscheiden sollen, ob sie nun einen Roman oder ein Sachbuch schreiben möchte, denn so ist es doch eine etwas unbefriedigende Mischung aus beidem geworden. Einige der Romanszenen sind richtig herrlich, gerade Annas Sterbeszene bewegt zutiefst und ist literarisch ein Vergnügen. Von solchen Szenen hätte ich mir viel mehr gewünscht und bei einem solchen Umgang mit Sprache hätte das hier ein absolutes 5-Sterne-Buch sein können. Anna und auch ihr Mann Ferdinand nehmen Kontur an, die Beziehung zwischen ihnen ist facettenreich und lebendig geschildert, die Szenen mit ihnen beiden zusammen sind die besten des Buches. Sehr berührend, farbig, die historischen Namen werden zu Menschen.
Weniger gut gelungen ist weiterhin die Vermittlung der Hintergrundinformationen. Die langen sachbuchartigen Einschübe habe ich bereits erwähnt, wobei mir diese noch lieber waren, als das häufig verwendete Dialog-Infodumping. Die Autorin greift hier vorwiegend auf Dialoge zwischen Anna und ihrer Kinderfrau Jeanne zurück - diese Dialoge (eigentlich eher Monologe Annas, unterbrochen von einzelnen Ausrufen Jeannes) dienen ausschließlich dazu, uns geschichtliche Details zu berichten und wirken unecht, weil niemand solche Dialoge führen würde. Besonders deutlich wird es, wenn auch noch erwähnt wird, daß Jeanne das, was Anna ihr erzählt, schon weiß oder unzählige Male gehört hat. Ich fühle mich als Leser dann immer nicht ernst genommen, wenn dieses Dialog-Infodumping angewendet wird. Hinzu kommt, daß einige dieser in den Dialogen beschriebenen Dinge wundervoll farbige Romanszenen abgegeben hätten anstatt so lieblos heruntererzählt zu werden.
Im letzten Teil des Buches springt die Autorin dann überraschend in die späten 1930er und berichtet uns in ziemlicher Detailfreude von einem Jungen aus einer Familie, der das Brautportrait nun gehört. Damit greift sie zwar ein wichtiges Thema auf, nämlich das der Beutekunst, aber abgesehen davon, daß einem die starke Verbindung des Jungen zu dem Gemälde nicht nachvollziehbar erscheint, daß vierzig Seiten lang viel Belangloses berichtet wird, das nichts mit dem Gemälde und Anna von Ungarn zu tun hat, paßt dieser Teil meines Erachtens nicht ins Buch. Da wäre vielleicht ein sachliches Nachwort sinnvoller gewesen, denn so wundert man sich, warum man minutiös über die Tagesabläufe eines Jungen, das Berufsfeld und den Werdegang einer Kaltmamsell und anderes liest. Insgesamt sind von den knapp über 300 Seiten ungefähr 100 Seiten Nebenhandlungen gewidmet, die mit Anna von Ungarn letztlich nichts zu tun haben. Wen das nicht stört, der kann mit diesem Buch durchaus glücklich werden, denn der Schreibstil an sich, die vielen historischen Informationen und die gute Recherche sind erfreulich. Ich war aber leider doch etwas enttäuscht.