Gewaltig, sprachlich anspruchsvoll und anstrengend zugleich. Der Krieg der Enzyklopädisten von Christopher Gerald Robinson und Gavin Ford Kovite ist schlicht und einfach gesagt schwere Kost. Wer sich auf dieses Monument an literarischem Erguss heranwagt, muss sich auf eine ungewöhnliche Geschichte, aber auch auf eine gewaltige Sprache, verpackt in einigen Schachtelsätzen, gefasst machen. Das Buch ist ein großes Stop-and-Go-Verfahren. Mal ist es unglaublich fesselnd und tiefsinnig, mal reißt es dich an Stellen durch seine Langatmigkeit und Banalität komplett aus dem Kontext.
Doch dadurch sollte man sich nicht direkt abschrecken lassen. Was diese Autoren-Kollaboration zu bieten hat, ist bemerkenswert und nachklingend zugleich. Überraschenderweise lässt sich das Buch trotz seiner anspruchsvollen Sprache, einigen Fremdwörtern und auch der bereits erwähnten Längen, relativ gut und stellenweise sehr flüssig lesen. Auffallend gut fand ich unter anderem, die Leichtigkeit, mit der ich mich immer wieder in die jeweiligen Abschnitte und Kapitel eingefunden habe, obwohl die Geschichte aus gut drei bis vier Perspektiven erzählt wird. Der Krieg der Enzyklopädisten ist nämlich mit seinen 608 Seiten ein mittelschwerer Klopper.
Als Leser erwartet dich keine Geschichte mit einem riesigen Spannungsbogen und atemberaubenden Szenen. Vielmehr sind es die einfachen und eher unscheinbaren Erlebnisse und Schilderungen der Figuren, die dich als Leser beschäftigen. Die dir im Kopf bleiben und auch mal was hinterlassen. Denn so erging es mir. Ich dachte zu Anfang, ich bekomme eine Geschichte von Menschen aufgetischt, die immer irgendwie miteinander agieren. Auf eine einfache und lockere, typisch belletristische Art. Doch stattdessen habe ich kleine Momentaufnahmen aus den Leben dieser Figuren bekommen, die eindrucksvoll, bewegend und auch tragisch sind.
Wir begleiten Corderoy als jungen Akademiker, der irgendwie zwischen diesen anderen intelligenten und kultivierten Studenten als Mensch bestehen, ja, herausragen will; der eigentlich nicht weiß, was er genau machen will, und letztendlich daran scheitert, weil er sich selbst sabotiert und ihn die Eltern finanziell nicht mehr unterstützen können.
Dann ist da Montauk, der eigentlich auf die Elite-Universität schlechthin, Harvard, gehen könnte. Da er sich aber mal als Reservist bei der US Army gemeldet hat, wird sein Vorhaben durchkreuzt. Er wird tatsächlich eingezogen und in den Irak geschickt, wo das Land unter seiner Unsicherheit und keinerlei Struktur leidet. Und sich für ihn, in der Rolle eines Offiziers, die Frage stellt, was und wie und warum das alles passiert. Und was das vor allem mit ihm als Person macht.
Und es gibt noch Mani. Die Freundin, dann Ex-Freundin von Corderoy. Eine junge Künstlerin, die ihren eigenen Weg geht. Denn eigentlich wollen ihre Eltern, dass sie eine akademische Laufbahn einschlägt und das wirtschaftlich und ertragreich am Ende eines Tages sein soll.
Was alle drei schließlich, außer ihrer Freundschaft, gemein haben, ist eine Orientierungslosigkeit, die durch zu viele Möglichkeiten gegeben ist. Alle scheitern sie an den gegebenen Lebensumständen. Eins wurde mir bei dieser Feststellung klar: Du kannst alles sein. Virtuell, wie real. Du kannst eine Maske tragen, aber unter ihr liegt nacktes, rohes Fleisch.
Genauso nackt und roh hat sich das Buch manchmal gelesen. Ohne Frage, es hat mir mit seiner Sprache und seiner Tragweite durch gewisse Szenen und Stilmittel ungemein imponiert. Die Dialoge und die Erläuterung der Gefühle in den Protagonisten selbst und zwischen einander ist unglaublich stark. So waren die Szenen im Irak, dank Gavin Ford Kovite, unglaublich authentisch und in der Formulierung zum Teil so drastisch, dass ich auch mal schlucken musste. Hier wird einfach deutlich, dass da ein Ex-Soldat tatsächlich passierte Dinge in diese fiktive Geschichte einfließen lässt. Und so fern all die Geschehnisse oftmals scheinen, das hat sie mir, auch wenn die Handlung im Zeitraum von 2004 – 2005 spielt, enorm verdeutlicht und so viel näher für mich als Person gebracht.
Und auch die Geschehnisse um Mani und Corderoy, die auf den ersten Blick eine sehr merkwürdige und doch besondere Beziehung verbindet, sind nicht frei von Tiefgang. Hier spiegeln sich ungemein viele Ängste aus der jungen Generation wider. Man versucht so gut es geht, eine Berufung zu finden, die nicht nur einen gewissen Lebensstandard sichert, sondern die gleichzeitig gesellschaftlich nachhaltig ist und einen selbst verwirklicht. Mit etwas Glück stehen die eigenen Eltern und der Rest der Sippschaft noch hinter einem und klopfen dir die Schulter wund. Aber gleichzeitig möchte man mit dieser Unsicherheit nicht allein dastehen. Man sucht nach jemanden, der einem diese Angst nimmt. In den man sich zur Not verlieren kann. Das kann durch eine Beziehung geschehen, oder wie hier oftmals eher unbewusst, aber dennoch dominant vertreten, durch Sex. Mit anderen oder mit sich selbst.
Wer weiß nicht, dass all das zugleich utopisch ist? Meistens geht man als junger Mensch Kompromisse ein. Manchmal macht man sogar gar nichts von alledem und schämt sich einfach dafür, weil alle anderen das hinbekommen und du eben nicht.
Der Krieg der Enzyklopädisten zeugt unter anderem von diesem Phänomen.
Und so gut ich es auch an vielen Stellen fand, so großartig ich die unterschwelligen Gedankenanstöße auch mag. Sie sind nicht offensichtlich. Man muss sie sich erarbeiten. Dieses Buch ist tatsächlich Arbeit. Denn es verfolgt, meiner Meinung nach, keinen großes Ziel. Keinen Höhepunkt. Es plätschert storytechnisch bei allen dreien ein wenig vor sich hin. Aber das ist nichts, was jeden begeistert. Vor allem nicht mit der Herausforderung an Sprache und Verständnis, die sich in den vielen Schachtelsätzen wiederfindet. Ehrlich gesagt, finde ich es auch zum Teil pseudo-philosophisch und übertrieben gewichtig geschrieben.
Wenn man sich das Nachwort der Autoren durchliest und vor allem Christopher Gerald Robinsons Ausführungen, bekomme ich im Nachhinein das Gefühl, dass der Kerl literarisch einfach nur mal dick auftragen wollte.
Was mich am Ende aber letztendlich am meisten stört, ist, dass ich den großen Sinn, das Motiv, hinter der diesem Buch bis heute nicht verstehe. Es erschließt sich mir nicht. Es gibt wie gesagt, einige Stärken. Aber genauso viele Schwächen. Und das große Fragezeichen, warum wir ausgerechnet diesen Figuren über die Schulter schauen, wird nicht kleiner. Es fühlt sich auch nicht an, als wäre da, trotz der Gemeinsamkeiten, trotz der Freundschaft, irgendeine Sache, die ich als Leser verstehen müsste. Es macht einfach nicht „Klick“. Viele Schilderungen und Ansätze, und das Buch selbst, führen einfach ins Leere. Wirklich sehr schade in Anbetracht dessen, was da sicher möglich gewesen wäre.
Fazit
Der Krieg der Enzyklopädisten war bzw. ist einfach sehr schwer zu greifen. Ich kann nur erahnen, was der Sinn dieses Buches ist, hoffen, dass ich es auf meine eigene Art richtig interpretierte. Aber genau aus diesem Grund, kann ich dieses Buch nur sehr vorsichtig und unter großem Vorbehalt empfehlen. Denn ein einfaches Buch ist es nicht. Leicht ebenso wenig. Und wer Mühe und Scheu hat, sich durch ein Buch von solcher Komplexität an Sprache zu kämpfen, ist nicht der richtige Kandidat.