Eine wunderschöne, lange nachklingende, italienische Familiengeschichte
Die langen Tage von CastellamareJedes Kapitel – außer dem ersten mit der passenden Überschrift „Der Geschichtensammler“ - beginnt mit einer Geschichte und zieht so Amedeos Begeisterung für Geschichten, Legenden und Märchen wie einen ...
Jedes Kapitel – außer dem ersten mit der passenden Überschrift „Der Geschichtensammler“ - beginnt mit einer Geschichte und zieht so Amedeos Begeisterung für Geschichten, Legenden und Märchen wie einen roten Faden durch das ganze Buch hindurch. Mit jeder Seite wird dem Leser die Familie Esposito vertrauter, ebenso ihre „Feinde/Gegenspieler“, die Familie des Conte D’Isantu und der Krämer Arcangelo. Die anderen eigenwilligen, gläubigen, aber auch abergläubischen Inselbewohner bekommen mit der Zeit immer mehr Kontur und auch die Beschreibung der Insel Castellamare macht sie sehr lebendig. Es scheint allerdings so, als würde auf ihr ein Fluch liegen – es ist immer wieder die Rede von den „Klagen“, die aus den Höhlen der Insel zu hören sind. Im Mittelpunkt der Geschichte steht zunächst Amedeo Esposito, der als Findelkind einen schwierigen Start ins Leben hatte und zum Glück auf einen Arzt traf, der ihn nicht nur bei sich aufnahm, sondern ihm sogar das Studium finanzierte. Durch seine körperliche Größe bleibt Amedeo eine Anstellung in einem Krankenhaus verwehrt und es verschlägt ihn schließlich als Landarzt auf Castellamare. Hier findet er ein Zuhause, seine Frau Pina und jede Menge Geschichten über die Insel, ihre Bewohner, die Heilige Agata und er schreibt sie alle in sein rotes Geschichtenbuch, in dem er auch wichtige Ereignisse festhält. Leider erliegt Amedeo vor der Ehe mit Pina dem Drängen der Contessa Carmela und es gibt ein böses Erwachen, als er in der Nacht der Niederkunft seiner Frau ausgerechnet zur Entbindung der Contessa gerufen wird. Es kommt noch schlimmer, denn sie bezichtigt ihn, der Vater ihres Sohnes zu sein. Damit beginnt für ihn ein Kampf um seine Ehe und seine Stellung als Arzt. Diese wird ihm vom Conte aberkannt und so findet sich Amedeo eines Tages als Barbesitzer im baufälligen „Haus am Rande der Nacht“ wieder.
Das „Haus am Rande der Nacht“ wird zum Lebensmittelpunkt von 3 Generationen Espositos und so manches Mal steht des Haus kurz vor dem Ruin. Das Haus, seine Besitzer und seine Gäste durchleben eine sehr ereignisreiche Zeit, die von den beiden Kriegen über Erdbeben, Erschließung für Touristen und die Währungsumstellung auf Euro reicht. Gerade die geschichtlichen Einflechtungen in das Leben auf Castellamare machen das Buch sehr spannend und realitätsnah.
Mit viel Herz und Wärme erzählt die Autorin, wie die Insulaner (hauptsächlich Fischer und Bauern) in einer eingeschworenen, mit ihrer Insel tief verwurzelten Gemeinschaft leben. Sie halten in schweren Zeiten zusammen, es gibt aber auch viel Klatsch und Tratsch, der wirklich niemanden verschont. Bei einer so kleinen Insel ist das auch kein Wunder – sie sind teilweise wie von der Außenwelt abgeschnitten und bekommen die Entwicklungen auf Sizilien oder dem Rest Europas gar nicht oder erst verspätet mit. Außerdem haben sie mit Erdbeben zu kämpfen und mit dem teils sehr kargen Boden. Trotzdem geben sie nie auf und finden auf ihre Art Lösungen. Und wen sie einmal in ihr Herz geschlossen haben, den wollen sie nicht mehr gehen lassen. Amedeos Söhne wollen in die Welt hinaus und hassen bisweilen die Insel, dagegen kann sich seine Tochter Maria-Grazia bald kein schöneres Leben mehr vorstellen. Die Charaktere aller Protagonisten sind mit ihren Emotionen, Ängsten und Hoffnungen schön beschrieben und machen es dem Leser nicht leicht, sich von ihnen am Ende des Buches zu verabschieden. Dieses Familienepos hat mich berührt und in seinen Bann gezogen, so dass ich das Buch oft gar nicht aus der Hand legen mochte.
Nur der Bezug des Covers zum Roman habe ich immer noch nicht gefunden. Aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch und ich kann eine ganz klare Leseempfehlung aussprechen.