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Veröffentlicht am 24.06.2019

Höhen und Tiefen der Bewohner eines Dorfs an der ligurischen Riviera in den 1960ern

Marina, Marina
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Der Roman „Marina, Marina“ wurde nach dem gleichlautenden italienischen Hit der 1960er Jahre von Rocco Granata benannt, der ebenfalls in Deutschland ein sehr großer Erfolg war. Auch die Protagonistin ...


Der Roman „Marina, Marina“ wurde nach dem gleichlautenden italienischen Hit der 1960er Jahre von Rocco Granata benannt, der ebenfalls in Deutschland ein sehr großer Erfolg war. Auch die Protagonistin des Romans von Grit Landau, dem Pseudonym einer deutschen Autorin, heißt Marina. Überhaupt spielt Musik eine große Rolle im realen Leben der Autorin wie auch in ihrem Roman. Die Geschichte, die sie in ihrem Buch erzählt, beginnt im Jahr 1960, spielt in Episoden und endet zunächst 1968. Jedes Jahreskapitel ist mit einem Hit aus den italienischen Charts dieser Zeit betitelt und umfasst ein oder mehrere Unterteilungen. Die Lieder sollten fast jedem Leser bekannt sein und sorgten während des Lesens bei mir für Ohrwürmer.

Nicht nur die handelnden Figuren sind fiktiv, sondern auch der Handlungsort Sant’Amato an der ligurischen Riviera. Grit Landau hat den Ort in der Nähe von Imperia angesiedelt und mit zahlreichen Dorfbewohnern besiedelt. In Imperia habe ich vor ein paar Jahren selbst Urlaub gemacht und so habe ich mich durch die Beschreibungen der Autorin gerne wieder daran zurück erinnert an die vielen engen Straßen, das quirlige Miteinander und das karge Hinterland. Vor allem zwei Familien spielen im Roman eine bedeutende Rolle: Zum einen ist es die Familie des Lanteri, die Oliven anbaut und verarbeitet, zum anderen die Familie Vassallo, die im Ort einen Friseursalon betreibt. Alle anderen Charaktere, denen im Buch eine mehr oder weniger wichtige Rolle zukommt, stehen zu ihnen in verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehung. Zu Beginn der Geschichte findet sich zur besseren Übersicht und für ein kurzes Nachschlagen während des Lesens eine nützliche Auflistung der Charaktere.

Marina Vasallo stammt eigentlich aus ärmlichen Verhältnissen in Rom. Sie ist ihrem Gatten an die Riviera gefolgt. Gemeinsam haben sie zwei Kinder im Teenageralter. Nini, der halbwüchsige Sohn des Olivenbauern Davide Lanteri, ist unglücklich in sie verliebt. Aber niemand weiß, dass Marina ihrerseits ihr Herz an jemand anderen verschenkt hat. Außereheliche Affären wurden damals mit Strafen belegt und so scheint es für Marina und ihren Geliebten keine Zukunft zu geben. Grit Landau lässt auch ein Erlebnis in ihren Roman einfließen, das ihre Mutter in den 1960 selbst erlebt hat, und verbindet es mit einer weiteren romantischen Liebesgeschichte.

Zunächst ist es eine kleine Herausforderung sich an die italienischen Wörter zu gewöhnen, die die Autorin einflechtet, die allerdings eine typische Stimmung wie man sie vom Urlaub in Italien her kennt zaubern. In einem Glossar im Anhang konnte ich die Übersetzung nachschlagen, wenn sie sich nicht aus dem Textzusammenhang ergeben hat. Doch Sprache und Figuren im Blick zu behalten lohnt sich und es entspinnt sich eine Erzählung mit zahlreichen Intrigen und Verwicklungen eines ganzen Dorfs. Ich merkte rasch, dass im Hintergrund noch einige Geheimnisse in der Vergangenheit lauern, die das Verhalten einiger Bewohner in bestimmten Situationen begründen könnten und deren Schatten bis in den Zweiten Weltkrieg zurück reichten. Die Autorin schreibt dazu ein eigenes Kapitel im Anschluss an das Jahr 1968, das offene Fragen und viele Zusammenhänge klärt. Als Historikerin verbindet die Autorin hierin geschickt geschichtliche Ereignisse mit dem fiktiven Schicksal des Ortes Sant’Amato. Beendet wird der Roman mit einem Sprung ins Jahr 1980, was ich als Leser besonders angenehm fand, denn dort durfte ich erfahren, welche Entwicklungen die mir sympathisch gewordenen Figuren inzwischen durchlaufen hatten.

„Marina, Marina“ ist eine Spiegelung des Lebens der Bewohner eines italienischen Dorfs an der ligurischen Riviera. Dabei thematisiert Grit Landau deren Wünsche, Träume und Vorstellungen von einer sinnerfüllten Zukunft, die jedoch den orts- und familiengegebenen Abhängigkeiten bei der Verwirklichung unterliegen. Gerade das macht den Roman realistisch und nachvollziehbar. Gerne empfehle ich ihn weiter.

Veröffentlicht am 17.06.2019

Spannung auf subtile Weise, die bis zum Schluss nicht abbricht

Die stumme Patientin
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Die stumme Patientin im gleichnamigen Psychothriller von Alex Michaelides heißt Alicia Berenson. Sie ist Malerin und wird mit blutigen Schnitten an ihren Armen neben ihrem toten Ehemann gefunden. Alles ...

Die stumme Patientin im gleichnamigen Psychothriller von Alex Michaelides heißt Alicia Berenson. Sie ist Malerin und wird mit blutigen Schnitten an ihren Armen neben ihrem toten Ehemann gefunden. Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Gatten an einen Stuhl gefesselt und anschließend mit fünf Schüssen auf den Kopf getötet hat. Inzwischen lebt sie seit sechs Jahren in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt. Seit dem Mord spricht sie kein einziges Wort und verweigert sich jeder Therapie. Über ein Bild von ihr wird immer noch gerätselt, ob es in Bezug zur Tat stehen könnte. Es entstand während ihres Hausarrests nach dem Verbrechen und thematisiert eine griechische Sage.

Theo Faber ist ein engagierter Psychotherapeut, der dem Fall von Beginn an viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Als in der Sicherheitsabteilung, in der Alicia eingewiesen ist, eine Stelle frei wird, bewirbt er sich darum und wird angenommen. In der Folgezeit setzt er alles daran, die Geschehnisse in der Nacht der Tat aufzuklären. Er fungiert in diesem Psychothriller als Ich-Erzähler. Dadurch konnte ich auch an seinen Gefühlen teilhaben. Hielt ich ihn zunächst für absolut integer, so stellte sich im Laufe der Geschichte heraus, dass er eine schwierige Kindheit hatte und selbst immer noch mit psychischen Problemen kämpft. Erstaunlich ist sein Wissen und sein Interesse über die einzelnen Details der Gewalttat.

Seine Erzählung wird durch einige Kapitel im Buch unterbrochen, in denen ich im Tagebuch von Alicia über die letzten Wochen vor dem Mord lesen konnte. Ein erster Hinweis darauf wurde im Prolog gegeben. Doch was ursprünglich als „freudige Aufzeichnung von Ideen und Bildern“ der Titelfigur gestartet wird, geht bald über in düstere Schilderungen.

Nach einigen Seiten begann ich unwillkürlich mit zu rätseln, was sich tatsächlich in der Mordnacht ereignet hat. Obwohl Alicia durch ihr mündliches und schriftliches Schweigen keine Hinweise geben kann, präsentiert Alex Michaelides einige eventuelle Mitwisser an den Ereignissen. Natürlich habe ich ständig darauf gehofft, dass es Theo gelingen wird, das Schweigen von Alicia zu brechen. Ich fand es interessant, dass der Autor, der selbst eine Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert hat, einige Einblicke in Therapiemethoden gibt. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen kleinen Weiterentwicklungen und Rückschritten im Verhalten von Alicia was die Spannung noch steigerte, denn der Weg zur Aufklärung der Tat war steinig. Neben seinem Vorgehen bei der Arbeit schildert Theo auch seine Eheprobleme und seinen Umgang damit. Er präsentiert sich einerseits als guter Therapeut, andererseits aber auch als Mensch mit Ecken und Kanten.

„Die stumme Patientin“ ist ein Psychothriller bei dem die Spannung auf subtile Art und Weise von Alex Michaelides herbeigeführt wird und bis zum Schluss nicht abbricht. Trotz möglicher eigener Lösungsansätze, die beim Lesen automatisch Gestalt annehmen, überrascht der Autor zum Ende mit einer großen Wende. Gerne gebe ich hierfür eine Leseempfehlung an alle Thrillerfans.

Veröffentlicht am 08.06.2019

Steht dem ersten Band der Reihe in nichts nach

Die Fotografin - Die Zeit der Entscheidung
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„Die Fotografin – Die Zeit der Entscheidung“ ist der zweite Teil der Saga um eine Fotografin und ihrer Berufsausübung zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit voraussichtlich fünf Bänden von Petra Durst-Benning. ...

„Die Fotografin – Die Zeit der Entscheidung“ ist der zweite Teil der Saga um eine Fotografin und ihrer Berufsausübung zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit voraussichtlich fünf Bänden von Petra Durst-Benning. Die Titelfigur und Protagonistin Minna Reventlow, genannt Mimi, ist eine fiktive Figur, die 1879 geboren wurde und in Esslingen als Tochter eines Pfarrers und seiner Frau aufgewachsen ist. Der zweite Band spielt in den Monaten April bis Dezember im Jahr 1912. Die Handlung knüpft nahtlos an den ersten Teil an und spielt durchgehend in der Leinenweberstadt Laichingen auf der Schwäbischen Alb. Eine Vorkenntnis der vorigen Bands ist nicht unbedingt erforderlich, steigert aber das Lesevergnügen.

Mimi hat sich bei ihrem Onkel Josef häuslich niedergelassen und verantwortet die Pflege für den Erkrankten. Immer mehr wächst sie in die Ortsgemeinschaft hinein und findet Freunde. In ihrer Zeit als Wanderfotografin hat sie in Ulm Johann kennengelernt und sich mit ihm befreundet. Er ist in Laichingen aufgewachsen, hat aber einige Jahre in Amerika gelebt. Jetzt ist er wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt und arbeitet wie die meisten männlichen Bewohner des Dorfs als Weber für den Unternehmer Gehringer, wo er seine Kollegen im Laufe der Zeit von der Notwendigkeit einer Gewerkschaft überzeugen möchte. Gehringer nutzt seine Macht als Arbeitgeber immer mehr aus. Sogar Mimi versucht er, für sich einzuspannen. In ihrer Freundschaft kommt sie Johann gefühlsmäßig immer näher und denkt zum ersten Mal nach einigen Enttäuschungen darüber nach, eine Familie zu gründen. Das Jahr 1912 wird für die Fotografin zu einer Zeit der Entscheidung, bei der sie zwischen Wanderschaft und Ortsansässigkeit mit Verstand und Gefühl entscheiden muss.

Mimi ist dem Misstrauen der Ortsbewohner mit ihrer offenen, selbstbewussten Art entgegengetreten und hat sich auch von Rückschlägen nicht von ihrem Vorhaben, sich um ihren todkranken Onkel zu kümmern und dennoch ihren Beruf auszuüben, abbringen lassen. Auch im zweiten Band macht Petra Durst-Benning es ihrer Protagonistin nicht immer leicht. Durch den eingetretenen Alltag wird Mimi immer mehr geerdet. Sie lernt die Notwendigkeit kennen, den eigenen Haushalt selbst zu führen, denn mit ihrem geringen Verdienst kann sie sich kaum Hilfe leisten. Neben dem Kochen lernt sie auch zu gärtnern, was nochmal einiges Geld einspart. Ihre für die damalige Zeit moderne Weise, Personen auf Fotos zu arrangieren, trifft nicht bei jedem auf Zustimmung. Auch die Öffnung ihres Ateliers am Sonntag wird kritisiert. Selbst ihr Onkel bemängelt ihre Einmischung bei Problemen der Nachbarn, Freunden und Bekannten. Mimi ist sich dessen zwar durchaus bewusst, doch sie bleibt sich selber treu und handelt manchmal nur nach ihrem Herzen. In einer Nebenhandlung lässt Petra Durst-Benning den Sohn einer Laichinger Witwe den Wunsch verspüren, an der Kunstschule in der nächstgelegenen Stadt Stuttgart studieren zu wollen. Dieser Zweig der Geschichte zeigt deutlich die Unterschiede zwischen dem Leben in einer quierligen Stadt und einem beschaulichen Ort auf.

„Die Fotografin – Die Zeit der Entscheidung“ von Petra Durst-Benning steht dem ersten Band der Reihe in nichts nach. Das Thema Fotografie wird auch diesmal wieder von Fotos aus dem eigenen Bestand der Autorin untermalt, die im Anhang zu finden sind. Obwohl ihre Figuren nur fiktiv sind, wirkt dank der guten Recherche die Erzählung lebendig. Die Handlung ist vorstellbar, bewegend und unterhaltsam. Daher empfehle ich den Roman gerne weiter und freue mich auf die Fortsetzung.

Veröffentlicht am 06.06.2019

Authentische Schilderungen, lebendige Figuren - ein Lese-Highlight!

Wir sehen uns unter den Linden
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Bereits der Titel des Romans „Wir sehen uns unter den Linden“ von Charlotte Roth verrät, dass die Geschichte in Berlin spielt. Entsprechend vereinbaren Ilo und Volker im Jahr 1928 wie auch Sanne und Kelmi ...

Bereits der Titel des Romans „Wir sehen uns unter den Linden“ von Charlotte Roth verrät, dass die Geschichte in Berlin spielt. Entsprechend vereinbaren Ilo und Volker im Jahr 1928 wie auch Sanne und Kelmi 25 Jahre später ihre Treffen auf der Prachtstraße der damaligen Hauptstadt. Das Cover ist zwar schlicht gestaltet, sagt aber über die Beziehungen der Paare aus, dass ihr Leben schicksalhaft nicht nur sichtbar von dunklen trüben Wolken überschattet ist.

Ilona, kurz Ilo gerufen, hat eine glänzende Zukunft als Schauspielerin und Sängerin vor sich. Als sie 1928 den angehenden Lehrer und Sozialisten Volker trifft und die Machtergreifung der Nationalsozialisten immer mehr Ressentiments mit sich bringt passt sie ihre Pläne an. Aufgrund seiner politischen Aktivitäten erhält ihr Ehemann Volker im weiteren Verlauf Berufsverbot. Inzwischen ist die Familie mit Tochter Susanne komplett und die Liebe überwiegt auch in den Kriegstagen die schlechte Lebensbasis durch die zunehmenden Einschränkungen. Zum Ende des Krieges hin wird Volker denunziert und von den Nationalsozialisten vor den Augen seiner fünfzehnjährigen Tochter erschossen.

Susanne eifert ihrem Vater nach, wird Lehrerin, engagiert sich politisch ganz in seinem Sinne und hilft im Ostteil Berlins, im dem die Familie seit langen Jahren wohnt, beim Aufbau. Eines Tages lernt sie den Koch Kelmi kennen, der im Westteil wohnt und im Ostteil nach einer Lokalität für ein eigenes Restaurant sucht. Bei gemeinsamen Treffen lernen sich beide nicht nur besser kennen, sondern erfahren immer mehr, dass sie in vielen Punkten eine andere Lebenseinstellung haben, die geprägt ist von ihrem Umfeld. Die politische Lage spitzt sich zunehmend zu, bis es schließlich im August 1961 zum Mauerbau kommt und damit jeder Berliner eine endgültige Entscheidung für einen Stadtteil und damit auch für einen Staat treffen muss, in dem er leben will.

Charlotte Roth hat interessante, abwechslungsreich gestaltete Figuren in ihrem Roman verwoben. Mit Ilo und Volker sowie Sanne und Kelmi treffen sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander. Ilona stammt aus gut betuchtem Hause, durch ihren Beruf ist ihr Bewunderung sicher. Volker ist der Sohn eines einfachen Arbeiters. Er kämpft für die gerechte Verteilung der vorhandenen Güter und stellt sich aktiv auf die Seite der Sozialisten. Kelmi ist eigensinnig, aber warmherzig und wurde mir daher als Person schnell sympathisch. Auch er stammt aus einer begüterten Familie im Westteil Berlins, was wegen seiner Herkunft zu genügend Konfliktpotential mit der ganz im ideologischen Sinne ihres Vaters handelnden Sanne führt.

Bis in die Nebenhandlungen hinein hat Charlotte Roth mit Gefühl ihre Figuren gut ausformuliert. Um einen Überblick über die gesellschaftspolitische Lage im Zeitraum der Geschichte zu geben, schafft sie Figuren, die durch ihr Sein und Handeln den jeweiligen Zeitgeist wiedergeben wie beispielsweise die Jüdin Sidonie an der Seite des Kulturagenten Eugen sowie die behinderte Schwester von Volker und die Nachbarn von Ilo und ihrer Familie. Deutlich und begründet lässt sie die unterschiedlichen Gesinnungen hervortreten.

Gekonnt vermittelte mir die Autorin den geschichtlichen Hintergrund. Dabei bleibt sie neutral und wertet nicht. Auf diese Weise konnte ich mir selber eine Ansicht darüber bilden, warum es zu einem geteilten Deutschland gekommen ist. Mit viel Liebe für ihre Geburtsstadt schildert Charlotte Roth die Örtlichkeiten der Hauptstadt, die bereits damals ein besonderes Flair hatte.

Mit dem Roman „Wir sehen uns unter den Linden“ blickt Charlotte Roth auf ein Stück Zeitgeschichte Deutschlands von den Jahren vor dem 2. Weltkrieg bis zum Beginn des Baus der Mauer. Ihre Schilderungen sind authentisch und ihre Figuren werden in ihrem Umfeld lebendig. Gerne empfehle ich das Buch an alle Leser weiter, die sich für historische Romane interessieren.

Veröffentlicht am 04.06.2019

Kurzer, aber umso intensiverer Roman

Unwetter
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Emilia ist Soziologin, 42 Jahre alt und sie wohnt mit ihrem Ehemann Bruch, der Arzt an einem Krankenhaus ist, und den beiden gemeinsamen Kindern in einem alten Haus im Deichvorland in der Nähe von Amsterdam. ...

Emilia ist Soziologin, 42 Jahre alt und sie wohnt mit ihrem Ehemann Bruch, der Arzt an einem Krankenhaus ist, und den beiden gemeinsamen Kindern in einem alten Haus im Deichvorland in der Nähe von Amsterdam. Den Wohnraum konnten sie günstig erwerben nachdem sich der erste Nachwuchs einstellte. Gerade die einsame Lage vom Haus, aber auch die beiden Kinder lassen die Ehepartner eng zusammenwachsen, denn ihr gemeinsames Leben fordert viele Kompromisse und Absprachen.

Ein Theaterbesuch bei dem ein Stück aufgeführt wird, das eine Vergewaltigungsszene beinhaltet, lässt Emilia wieder an ein verdrängtes furchtbares eigenes Erlebnis denken. Zwölf Jahre hat sie es vor ihrem Mann verborgen. Immer mehr und immer stärker sucht es sich fortan seinen Weg in ihr Bewusstsein und verändert ihre Wahrnehmung im Alltag. Doch der Titel des Romans „Unwetter“ der Niederländerin Marijke Schermer bezieht sich nicht nur auf die sich ändernde psychische Einstellung der Protagonistin des Buchs, sondern auch auf die anhaltenden Regenfälle, die das Hab und Gut der Familie bedrohen.

Schon nach kurzer Zeit merkte ich beim Lesen, wie schwer Emilia an ihrem Geheimnis trägt, das sich immer stärker in den Vordergrund drängt. In ungewöhnlichen Situationen empfindet sie Angst, was sich mir später aus dem Zusammenhang mit dem früher Erlebten erklärte. Emilia ist eine Frau mit starken Emotionen, die tief empfindet. Die erwähnte Szene im Theaterstück ruft zwiespältige Gefühle in ihr hervor, denn sie glaubt, dass die Inszenierung mit Freude erfolgte. Ihr ist übel und ihr ist bewusst, dass es immer zwei Seiten gibt, auch in einer erzwungenen Interaktion. Gerne würde sie endlich ihr Geheimnis teilen, doch ihre Sorge wächst, dass man ihre Empfindungen nicht verstehen wird. Es lässt sie nicht mehr los, sie hat Albträume und fühlt sich unter Wasser gezogen. Bruch ahnt nicht, welche Parallelen Emilia im Unwetter sieht, das ihr Haus bedroht.

Marijke Schermer setzt sich in ihrem Roman damit auseinander, wie viel Schweigen eine Ehe verträgt. Ist zum Erhalt einer harmonischen Partnerschaft umfassende Offenheit notwendig oder kann Verschweigen auch zum Schutz dienen für sich selbst oder auch für den Partner? Emilias Grübeln bewirkt, dass sie ihr eigenes Verhalten spiegelt. Eine Krise im Job verstärkt noch ihre Empfindungen. Zum Ende hin sorgt die Autorin für einen unerwarteten Twist.

Marike Schermer Roman ist kurz, aber umso intensiver. Die seelische Verletzung Emilias ist deutlich zu spüren. Ihre Geschichte ist bewegend und zeigt, dass die Zeit trotz großer Bemühungen nicht alle Wunden zu heilen vermag. Gerne empfehle ich das Buch weiter.