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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.10.2016

Historischer Roman mal anders

Wie Ihr wollt
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Mary Grey, englische Adlige und mit dem Makel der Kleinwüchsigkeit gezeichnet, hat sich das Missfallen der Königin Elisabeth I. zugezogen und lebt seit Jahren in Haft. Während ihr zu Beginn die Familien, ...

Mary Grey, englische Adlige und mit dem Makel der Kleinwüchsigkeit gezeichnet, hat sich das Missfallen der Königin Elisabeth I. zugezogen und lebt seit Jahren in Haft. Während ihr zu Beginn die Familien, bei denen sie unter Hausarrest gestellt wurde, wohlgesinnt waren, sind die Greshams (ihre aktuellen 'Aufpasser') alles andere als glücklich über ihre Anwesenheit und lassen sie es deutlich spüren, königliche Abstammung hin oder her.
Inmitten dieser unschönen Verhältnisse beginnt das Buch und während sich die Tage der Gefangenschaft nahezu ereignislos aneinanderreihen, berichtet Mary Grey, wie sie sie erlebt. Langeweile umgibt sie und als sie erfährt, dass ihr Ehemann gestorben ist und damit nahezu der Letzte ihrer Familie, beschließt sie, ihr Leben selbst in Worte zu fassen, damit etwas von ihr bleibt. Denn sonst ist da niemand mehr, der es tun könnte.
So wechseln sich ihre bisherige Lebensgeschichte, besser: die ihrer Familie, in der sie aufgrund ihrer Behinderung nur so am Rande 'mitlief' mit der Beschreibung ihrer Tage in Gefangenschaft ab. Es ist ein sehr eigentümlicher Ton, in dem erzählt wird. Oft werden Sätze nur angerissen und nicht beendet; es gibt Momentaufnahmen, bei denen (mir) unklar ist, wo und/oder mit wem sie sich ereignen. Und obwohl Marys Gegenwart in der Ich-Perspektive erzählt wird, blieb sie mir merkwürdig fremd. Zu unverständlich ist mir ihr Verhalten, das durch nichts erklärt wird. Einerseits eine verheiratete, nunmehr verwitwete Frau, andererseits ein Verhalten wie eine Fünfjährige: wirft ihrer Dienerin Sachen an den Kopf, bockt und will ihre Schuhe nicht anziehen (Schuhkrieg!). Dass sie aufgrund ihrer Vergangenheit (keine Liebe, Aufmerksamkeit, Anerkennung...) mit Sicherheit jede Menge psychische Schäden davon getragen hat, mag manches erklären, und dennoch bin ich ihr kaum nahe gekommen. Vielleicht ist es der Mangel an Emotionen in dem Erzählten, weder mit Anderen noch mit sich selbst.
Ebenfalls schwer tat ich mich mit dem weiteren 'Personal' der Geschichte. Die Verwandschaftsverhältnisse empfand ich recht verwirrend und da viel nur in kurzen Ausschnitten erzählt wurde, war ich immer wieder am Rumrätseln, wer nun gemeint sei. Der Stammbaum auf den inneren Umschlagseiten war teilweise hilfreich ebenso wie der Anhang, aber es blieben immer noch eine ganze Menge Fragen übrig. Und wie aus Katholiken und Protestanten Anglikaner geworden sind, ist mir jetzt vollständig unklar. Aber das wäre dann ein Thema für das nächste Buch, das ich lesen sollte
Alles in allem eine ungewohnte Lektüre, die nicht schlecht war, mich aber aufgrund der verwirrenden Politik-, Religions-, Verwandtschafts- und sonstigen Verhältnisse sowie der unzugänglichen Protagonistin nicht völlig begeistern konnte.

Veröffentlicht am 27.10.2016

Informativ aber nicht unterhaltend

Bullshit
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42 großzügig bedruckte Taschenbuchseiten zur Definition von Bullshit - irgendwie war ich mir sicher, dass hierbei noch genügend Raum bliebe für amüsante und/oder satirische Betrachtungen darüber, wann ...

42 großzügig bedruckte Taschenbuchseiten zur Definition von Bullshit - irgendwie war ich mir sicher, dass hierbei noch genügend Raum bliebe für amüsante und/oder satirische Betrachtungen darüber, wann und wo überall Sprüche abgelassen würden, die als Bullshit zu betrachten wären.
Doch weit gefehlt. Dieses Büchlein ist eine durch und durch ernsthafte linguistische und philosophische Abhandlung über den Begriff Bullshit, wobei alleine die ersten 12 Seiten dazu dienen, die Abgrenzung zu Humbug festzulegen.Weiterhin wird die Herkunft wie auch die Verwandtschaft ähnlich klingender Worte analysiert, was ihn von der Lüge unterscheidet und so weiter und so weiter.
Für Linguisten mag dies durchaus geeignet sein ihren Wissensdurst zu stillen, für Anna und Otto Normalo (zu denen ich mich auch zähle) findet sich jedoch nur recht wenig wirklich Interessantes. So bin ich nun ein bisschen schlauer geworden, unterhalten habe ich mich dabei aber nicht.

Veröffentlicht am 27.10.2016

Ganz schön überladen

Drachenreiter 2. Die Feder eines Greifs
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Zugegeben, ich entspreche nicht gerade der Zielgruppe, die dieses Buch im Auge hat. Aber ich lese mit Begeisterung Kinderbücher, auch Fantasy, wobei mir Eragon zum Beispiel richtig gut gefallen hat.
Bei ...

Zugegeben, ich entspreche nicht gerade der Zielgruppe, die dieses Buch im Auge hat. Aber ich lese mit Begeisterung Kinderbücher, auch Fantasy, wobei mir Eragon zum Beispiel richtig gut gefallen hat.
Bei Cornelia Funkes neuem Buch fällt mein Urteil nicht so klar aus. Keine Frage, das Ganze ist durchweg spannend und sehr sehr bildhaft geschrieben, sodass ich die ganze Farbenpracht und Vielfältigkeit, die die Fabelwelt zu bieten hat, stets vor Augen hatte. Auch die Geschichte ist genau so, wie Kinder es wohl lieben: Zwei Menschen und viele Fabelwesen brechen auf, um drei noch ungeborene Pegasus-Pferde zu retten, die an Niedlichkeit sicher kaum zu überbieten sind. Natürlich ist diese Rettungsaktion gespickt mit Abenteuer, Ungewissheit und viel viel Gefahr, aber das gehört zu einer guten Geschichte schließlich dazu.
Was mich störte, war diese Masse, die schiere Masse der unterschiedlichsten 'Dinge':
Fabelwesen noch und nöcher, sodass sogar ein 12seitiges Glossar (am Endes des Buches) notwendig ist, um zumindest halbwegs den Überblick zu behalten. Irgendwann war es mir dann gleichgültig, worin sich die Senfwichtel von den Sumpfwichtel oder die Steinzwerge von den Odinszwergen unterscheiden, denn es war nur noch nervend, ständig vor- und zurückzublättern.
Dazu mindestens genauso viele Zeichnungen von Cornelia Funke (vermutlich aber eher mehr), die seit jeher ihre Bücher selbst illustriert. Im Gegensatz zu den Tintenbüchern (ich habe sie mir extra nochmal angeschaut) findet sich hier praktisch auf jeder Seite mindestens ein Bild, häufig auch zwei oder drei. Immer sehr düster gezeichnet, in schwarz-weiß gehalten, was in völligem Gegensatz zu der sonst so farbenprächtigen und irgendwie auch fröhlichen Geschichte steht (Freundschaft und Liebe sind die übergeordneten Hauptthemen des Buches, zumindest wirkte es so auf mich). Ab ca. Seite 150 achtete ich dann nicht mehr darauf, da sie sich zudem immer öfter wiederholten. Ganz im Gegensatz dazu gefielen mir die jedem Kapitel vorangestellten Aphorismen, Sinnsprüche oder was auch immern gut, denn entweder treffen sie sehr genau ins Schwarze und/oder machen sie Lust auf die AutorInnen, von denen sie stammen.
Ebenso begann der ständig indirekt erhobene Zeigefinger irgendwann zu nerven. Ja, wir Menschen sind (größtenteils) böse Geschöpfe, die die Tiere und die Natur ausrotten und zerstören. Und ja, es ist durchaus wichtig, darauf hinzuweisen. Aber nicht immer wieder und wieder auf's Neue. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch Kinder es bereits nach dem 3. oder 4. Mal verstanden haben.
Zuguterletzt regte mich etwas auf, was ich vermutlich nicht beachtet hätte, wenn ich nicht so viel zu mäkeln gefunden hätte So klischeehaft, wie die Jungen- und Mädchenrollen in diesem Buch dargestellt wurden, habe ich schon lange nichts mehr gelesen. Bens Schwester und seine Mutter kümmern sich um den Nachwuchs daheim, während Ben und sein Vater die Welt retten - ok, die Pegasus-Fohlen, die ungeborenen. Ein neuer zweiter Drachenreiter: ein Junge. Die wenigen weiblichen Wesen, die in der Ferne eine Rolle spielen, sind eine 'durchgeknallte' Ratte, die sich im entscheidenden Moment (unverschuldet) selbst ausschaltet und eine Papageiin, die schrill krächzend immer zu viel redet. Willkommen zurück in der Welt der Siebziger!
So habe ich das Buch mit gemischten Gefühlen zugeschlagen: Eine durchaus schöne und spannende Geschichte, die aber sooo viel besser hätte sein können. Vielleicht im dritten Teil?

Veröffentlicht am 27.10.2016

Bregenz - kein Ort für zum Glücklichsein?

Ein langes Jahr
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Auch wenn der Ort nirgends in diesem Buch genannt wird, ist schnell klar, dass es nur Bregenz sein kann, wo die Menschen leben, von denen in 'Ein langes Jahr' die Rede ist. Eva Schmidt ist eine derart ...

Auch wenn der Ort nirgends in diesem Buch genannt wird, ist schnell klar, dass es nur Bregenz sein kann, wo die Menschen leben, von denen in 'Ein langes Jahr' die Rede ist. Eva Schmidt ist eine derart akkurate Beschreiberin, dass man nicht nur die Stadt schnell erkennt, sondern auch während des Lesens die Strecken die die Personen zurücklegen, mit dem Finger auf dem Bregenzer Stadtplan nachzeichnen kann.
Als Roman wird das etwas mehr als 200 Seiten starke Büchlein annonciert, was meiner Meinung nach zumindest am Beginn ziemlich danebenliegt. Die durchnummerierten Kapitel, von denen es 38 Stück gibt und die meist zwei bis fünf Seiten umfassen, verbindet anfangs kaum mehr als der Schauplatz Bregenz. Die beschriebenen Menschen kennen sich meist nicht und wenn sie etwas gemeinsam haben ausser ihrem Wohnort, ist es eine Einsamkeit, die die einen mehr, die anderen weniger gut ertragen. Allzuviel erfährt man nicht über die Personen; wenn, dann geschieht es eher beiläufig. Es sind die Beschreibungen einer Stunde oder eines Tages, vielleicht auch einer Woche, in denen scheinbar nebenbei Sätze fallengelassen werden, die das Drama eines Lebens andeuten und/oder plötzlich offenlegen.
Der Ton ist sachlich-nüchtern, kaum eine Spur von Empathie, stattdessen die exakte Beschreibung der Vorkommnisse und des Innenlebens der Protagonisten. Die ersten 50 bis 70 Seiten tat ich mich ziemlich schwer mit diesem Buch: Was interessierten mich diese eintönigen Leben dieser größtenteils so fürchterlich drögen Menschen? Das einzig Spannende war die Raterei, um wen es sich im neuen Kapitel handelt. Denn zu Beginn jedes neuen Abschnittes werden nur Personalpronomen genutzt und ich musste aufmerksam weiterlesen um herauszufinden, von wem denn nun die Rede ist. Doch dann beginnen sich die Lebenswege der Beschriebenen zu kreuzen. Da ich nun bereits etwas vertraut war mit Tom, dem Sohn aus reichem Elternhause; Herrn Agostini, dem älteren Hundeliebhaber; Cora, der etwas zu viel trinkenden alleinerziehenden Mutter und den vielen Anderen, wollte ich wissen, wie und ob die Begegnungen mit den restlichen Figuren sich weiterentwickelten.
So viel kann ich verraten: Viel mehr Handlung gibt es auch im Rest des Buches nicht. Die Menschen begegnen sich, gehen auseinander oder nicht - wie ihm wahren Leben nur ohne Glück. Es fühlte sich für mich ein bisschen so an, als würde ich einen etwas intimeren Einblick in das Leben mancher Bregenzer BürgerInnen erhalten, ob die nun wollten oder nicht. Und ich glaube, die Meisten hätten es eher nicht wollen - so traurig wie deren Leben wirkt.
Muss oder sollte man das lesen? Um sich zu unterhalten wohl eher nicht - ausser man ist BregenzliebhaberIn und möchte die Stadt mal von einer völlig anderen Seite erleben.
Shortlist Deutscher Buchpreis 2016

Veröffentlicht am 25.10.2021

Klatschgeschichten aus dem 18. Jahrhundert

Die militante Madonna
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Viele unserer heutigen Stars und Sternchen würden neben Chevalier d'Éon, einem Adligen aus dem 18. Jahrhundert, regelrecht blass aussehen. Er war Botschafter Frankreichs in England, Agent, Soldat, ein ...

Viele unserer heutigen Stars und Sternchen würden neben Chevalier d'Éon, einem Adligen aus dem 18. Jahrhundert, regelrecht blass aussehen. Er war Botschafter Frankreichs in England, Agent, Soldat, ein Hochstapler, Büchernarr, Freimaurer und genoss es, immer wieder als Frau zu leben.

"Die Natur hat mir das großzügigste Geschenk gemacht, äußerlich beiden Geschlechtern anzugehören. Hierher rührte die öffentliche Verwirrung. Ich war mit einer Stimme gesegnet, die für einen Mann als sehr hoch und für eine Frau als sehr tief galt. Ich war groß für eine Frau und klein für einen Mann. Hatte schöne Knöchel, sowohl für einen Mann als auch für eine Frau. Meine Uniform betonte meine Stärke und Beweglichkeit, ein Ballkleid hob meine Anmut hervor, und mein Alter spielte keine Rolle. Ich war nie auch nur auf die Idee gekommen, das eine Geschlecht zugunsten des anderen aufgeben zu müssen."

Die Gesellschaft akzeptierte das mit nicht mehr Geraune als heutzutage, doch immer wieder kam es durch Wetten mit ausufernden Einsätzen darüber, welches Geschlecht der Chevalier habe, zu Eklats. Seine Freunde, der Klatschjournalist Morande sowie der Dramatiker Beaumarchais versuchten dadurch an Geld zu kommen und fädelten eine Reihe Intrigen ein.

Es ist eine illustre Lebensspanne, die Irene Dische durch den Chevalier selbst erzählen lässt, der sich direkt an sein lesendes Publikum wendet. Es wird gelogen, betrogen, intrigiert und geschmeichelt, wobei die Hauptfigur sich noch zurückhält. Doch wie seine Freunde vorgehen, nur auf den eigenen Vorteil bedacht und ohne Rücksicht auf Verluste, lässt mich nur den Kopf schütteln. Was findet er an diesen entsetzlichen Menschen, dass er ihnen über Jahre hinweg die Treue hält?

So wenig man eine Antwort auf diese Frage erhält, so wenig erfährt man über die tieferen Beweggründe der einzelnen Figuren. Die Charaktere wirken blass, die einzelnen Personen bleiben nicht im Gedächtnis. In erster Linie ist es ein unterhaltsames Panoptikum, in dessen Zentrum der Chevalier d'Éon steht; ein Buch mit Klatsch- und Tratschgeschichten aus dem 18. Jahrhundert. Heutzutage liest man so etwas in der GALA

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