Geheimnisse, die man (nicht) vergessen will
Die verborgenen Stimmen der BücherEmmett Farmer führt ein bescheidenes, aber recht zufriedenes Leben. Der junge Mann arbeitet – wie seine Schwester Alta – auf dem Bauernhof seiner Eltern Robert und Hilda, als die Familie einen Brief ...
Emmett Farmer führt ein bescheidenes, aber recht zufriedenes Leben. Der junge Mann arbeitet – wie seine Schwester Alta – auf dem Bauernhof seiner Eltern Robert und Hilda, als die Familie einen Brief erhält. Emmett soll bei der alten Buchbinderin Seredith in die Lehre gehen. Seine Eltern sind zunächst entsetzt, da sie schlecht über Bücher denken. Doch sie schicken ihn schließlich doch zu der Frau – auch weil sie glauben, dass er nach einer schweren Krankheit seine Aufgaben auf dem Hof nicht mehr erfüllen kann. Zwar erfährt er bei ihr zunächst nur wenig über das Handwerk und darf auch nicht in das Gewölbe mit den kostbaren Büchern. Dennoch schließt Emmett seine Meisterin nach einer Weile in sein Herz. Doch je länger er bei der alten Frau ist, desto mehr wird ihm bewusst, dass etwas ganz Besonderes hinter dem Buchbinden steckt. Und allmählich wächst in ihm zudem die Erkenntnis, dass er selbst Teil eines Geheimnisses ist, das er eigentlich vergessen sollte…
„Die verborgenen Stimmen der Bücher“ ist das Romandebüt von Bridget Collins.
Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen und insgesamt 28 Kapiteln. Erzählt wird zuerst in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Emmett. Im dritten Teil bleibt es bei der Ich-Perspektive, aber die Sichtweise ändert sich. Der Aufbau ist durchdacht und funktioniert gut.
Der Schreibstil des Romans ist ungewöhnlich und hat mir sehr gefallen. Er ist detailreich und voll von intensiven Beschreibungen und Sprachbildern. Dennoch wird das Lesen beziehungsweise Zuhören nicht anstrengend. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht, obgleich der Roman in den ersten Kapiteln recht mysteriös daherkommt und nur langsam an Fahrt aufnimmt. Die Geschichte spielt in einer fantasievollen, aber rückständigen Welt, wobei sich die Autorin für das Worldbuilding jedoch nicht viel Zeit nimmt.
Im Vordergrund stehen Emmett und eine andere Person, auf die ich nicht weiter eingehen werde, um nicht zu viel vorwegzunehmen. Die zwei Hauptcharaktere waren mir nicht gänzlich unsympathisch, dennoch wurden ich mit beiden nicht so richtig warm, da ich eine Person (Emmett) oft als zu naiv, die andere als arrogant empfunden habe. Ihre Gedanken- und Gefühlswelt wird sehr gut deutlich. Mit deren Verhaltensweisen und Reaktionen war ich jedoch nicht immer einverstanden. Einige der Nebenfiguren, allen voran Emmetts Schwester Alta und die Buchbinderin, waren mir sympathischer, andere hingegen wirken ein wenig eindimensional, weil sie als durchweg böse dargestellt werden. Alles in allem wird dem Leser jedoch ein breites und reizvolles Personenspektrum präsentiert.
Inhaltlich steckt in dem Roman sehr viel. Die kreative Idee des Buchbindens und der Magie, die damit verbunden ist, hat eine Menge Charme. Leider werden die Hintergründe und Details dazu nicht so vertieft, wie ich es mir gewünscht hätte. So wird bis zum Ende nicht ganz deutlich, wie genau das Ganze funktioniert. Zudem nimmt diese Idee nicht sehr viel Raum ein, wodurch der Roman einen Teil seines Potenzials nicht nutzt. Stattdessen fokussiert die Handlung nach dem ersten Drittel sehr auf eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Ich fand sie zwar sehr interessant, aber sie hätte durchaus kürzer abgehandelt werden können. So wird die Geschichte zum Teil etwas langatmig.
Positiv anzumerken sind die vielen Wendungen und Einfälle, mit denen der Roman überraschen kann. Sie sorgen dafür, dass immer wieder Spannung aufkommt. Ein Pluspunkt ist für mich auch, dass in der Geschichte moralische Fragen aufgeworfen werden.
Ich habe die Geschichte als ungekürzte Lesung gehört. Sprecher Frank Stieren hat seinen Job dabei sehr gut gemacht.
Das Cover gefällt mir sehr gut, auch wenn sich der inhaltliche Bezug nicht sofort erschließt. Der deutsche Titel weicht vom englischsprachigen Original („The Binding“) deutlich ab und ist nach meiner Ansicht etwas irreführend, da es nicht um Stimmen geht.
Mein Fazit:
„Die verborgenen Stimmen der Bücher“ von Bridget Collins ist ein Roman, der sein Fantasy-Potenzial leider nicht ausschöpft. Doch trotz kleinerer Schwächen hat mich die Geschichte aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit gut unterhalten.