Kein Frühling
Der Titel "Der europäische Frühling" könnte auf Aufbruch oder Neuanfang schließen lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Autor beschreibt exemplarisch ein Europa, das am Ende ist, das zerfällt und in ...
Der Titel "Der europäische Frühling" könnte auf Aufbruch oder Neuanfang schließen lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Autor beschreibt exemplarisch ein Europa, das am Ende ist, das zerfällt und in dem die bisher gültigen Konventionen keinen Wert mehr haben. In den Städten herrscht Chaos, es gibt trotz Überwachung ständig Unruhen und Übergriffe. Die es sich leisten können, leben auf der Insel Lolland, Migranten bzw die, die sich nicht integrationswillig zeigen, deportiert man nach Mozambique in eine umzäunte, gut bewachte und bestens organisierte Containerstadt.
Zu den menschlichen Protagonisten gehören Elizabeth, ihr Mann Stig und die gemeinsame Tochter Emma. Elizabeth ist Wissenschaftlerin und arbeitet an dem interdisziplinären Forschungszentrum auf Lolland an der Erforschung und Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Stig, der ehemals aus der Punkszene kommt, ist längst schon zum angesagten Galeristen avanziert, den an der Kunst vor allem sein Gewinn interessiert. Ihre Tochter Emma hat psychische Probleme, die sich unter anderem in Essstörungen und ihrer ständigen Todessehnsucht äußern.
Ein weiterer Bewohner Lollands ist der Künstler Christian, eine Figur, auf die ich gern verzichtet hätte. Er hält sich für seine sexuellen Bedürfnisse ein geistig zurückbebliebenes Mädchen. Die drastischen Sexszenen hätten für meinen Geschmack kürzer gehalten sein sein können.
Ein Highlight des Romans ist die Reihe von Gesprächen zwischen Jack (Jagdhund) und Wilhelm (Elster), die in der nahen Zukunft stattfinden, beide sind Geschöpfe von Elisabeths Forschungsarbeit. In den Einschüben tauschen sich die beiden Tiere sehr reflektiert über ihr Leben aus und lassen beim Leser keinen Zweifel daran, dass sie die einzigen sind, die sich überhaupt Gedanken über die Verhältnisse machen, die Vor- und Nachteile ihrer Lebensumstände.
Alles in allem ist "Der europäische Frühling" ein interessanter Roman, der dadurch versteht zu verstören, dass viele Figuren, Situationen und Verhältnisse durchaus vertraut sind und aus dem Hier und Jetzt stammen könnten.