Eine Hommage an eine starke Frau
Mit diesem Porträt setzt die Autorin einer Frau ein Denkmal, die als Ehefrau eines Widerstandskämpfers gegen Hitler immer in dessen Schatten gestanden ist: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, ihrer Mutter.
Nina ...
Mit diesem Porträt setzt die Autorin einer Frau ein Denkmal, die als Ehefrau eines Widerstandskämpfers gegen Hitler immer in dessen Schatten gestanden ist: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, ihrer Mutter.
Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg (1913-2006), geborene Lerchenfeld, ist in einer Zeit aufgewachsen, in der „Contenance“ und Disziplin alles war. Als sie Claus Schenk Graf von Stauffenberg kennen- und lieben lernt, setzt sie 1933 die Ehe mit dem jungen Offizier durch. Eine Liebesheirat in Adelskreisen? Zu dieser Zeit eine echte Seltenheit. Sie teilt ihren Mann nicht nur mit seinem Beruf sondern auch mit dem Dichter und Philosophen Stefan George bis zu dessen Tod 1933.
Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg ist Mutter von vier Kindern und mit dem fünften schwanger, als der Umsturzversuch ihres Mannes und seiner Verschwörer am 20. Juli 1944 misslingt. Claus von Stauffenberg wird noch in der Nacht hingerichtet, sein Bruder Berthold wenig später. Die Familien werden in Sippenhaft genommen, Nina in verschiedene Gefängnisse bzw. KZ, die Kinder ins Kinderheim. In der Haft kommt im Jänner 1945 Konstanze, die Autorin, zur Welt.
Wie schafft es eine Frau mit dieser Geschichte zu überleben? Zum einem erhält sie, bis zu deren Tod, Hilfe und Unterstützung von ihrer Schwägerin Melitta von Stauffenberg, die als Flugzeugkonstrukteurin und Testpilotin, trotz der angeheirateten Verwandtschaft und der eigenen jüdischen Herkunft, für die Nazis unverzichtbar ist. Zum anderen halten der christliche Glaube und eben jene Contenance, die es fast nur in den adeligen Familien gibt, die junge Witwe aufrecht.
Obwohl Himmler versprochen hat, die „Sippe Stauffenberg auszurotten“, gelingt ihm dies nicht. Im Gegenteil, zu Nina von Stauffenberg 80. Geburtstag finden sich mehr als 40 Familienmitglieder ein.
Konstanze von Schulthess räumt auch mit dem lange gepflegten Bild, der ahnungslosen Ehefrau auf. Sie hält ihrem Mann den Rücken frei. Aus Sicherheitsgründen ist Nina von Stauffenberg nicht in die Details des Widerstandes eingebunden. Trotzdem weiß einiges, vernichtet Unterlagen und gibt auch unter den schlimmen Haftbedingungen nicht mehr preis, als der Gestapo ohnehin schon bekannt ist.
Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg überlebt ihren Mann um 62 Jahre und wird, wie die anderen Witwen der Verschwörer, niemals wieder heiraten. Sie alle halten ihren Männern die Treue.
Meine Meinung:
Konstanze von Schulthess hat ihren Vater niemals kennengelernt, kennt nur Erzählungen, Zeitungsberichte und Fotos. Ihre Mutter hat in den 1960er Jahre auf Drängen der Kinder eine Familienchronik verfasst, die, neben zahlreichen Gesprächen, Grundlage dieses Buches ist. Die Quellenlage ist nicht ganz einfach, weil Claus Schenk Graf von Stauffenberg als „gescheiterter Attentäter“ in die Geschichte eingegangen ist. Die Meinungen ob Held oder nicht, gehen auch 75 Jahre später noch auseinander. Viel Material ist vernichtet worden, um die Eingeweihten zu schützen, was ja bekanntlich nicht gelungen ist. Im Gegenteil, man hat den Umsturzversuch als zusätzlichen Aufhänger benutzt, mit unliebsamen Mitmenschen abzurechnen.
Gut gefällt mir, dass hier der Umsturzversuch aus Sicht der Frauen geschildert wurde. In vielen Werken über Stauffenberg und seinen Helfern herrscht die militärische Sicht vor. Sowohl bei der Vorbereitung als bei den Hinrichtungen danach. Über die Frauen und Familienangehörigen, die unter dem Terror der Nazis zu leiden hatten, ist wenig zu lesen. Daher halte ich dieses Porträt auch für ein wichtiges Stück Zeitgeschichte, auch wenn es Jahre später und von einer Betroffenen geschrieben worden ist.
Die Autorin nähert sich ihre Mutter, die in den Jahren nach dem Krieg, scheinbar stoisch dem Aufwachsen ihrer Kinder gewidmet hat, wobei sie auch hier eher streng und unnahbar wirkt. Mit Kraftanstrengung und unbeugsamen Willen renoviert sie ihren Familiensitz, sammelt die geraubten Möbel und Haushaltgegenstände wieder ein.
Neben zahlreichen Fotos, die den Krieg überstanden haben, finden sich Anekdoten in diesem Porträt. Schmunzeln musste ich über den „Watschenbaum“, denn der ist auch in meiner Familie ein geflügeltes Wort. Wenn Großmutter oder Mutter gemeint haben, dass meine Schwester oder ich am „Watschenbaum rütteln“, war es höchste Zeit aus deren Sichtfeld zu verschwinden bzw. einen Gang zurückzuschalten.
Natürlich bleiben einige Fragen offen, da die Autorin manches nicht gefragt hat (was sie bedauert) und manches einfach nicht erzählt wurde.
Fazit:
Konstanze von Schulthess hat eine Hommage an eine bemerkenswerte Frau geschrieben, die zufällig ihre Mutter war. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.