Ein Gefangener der Zeit
EIN GEFANGENER DER ZEIT
„Es muss irgendeinen Sinn hinter meiner absonderlichen Existenz geben, irgendeinen Plan oder ein verborgenes System. So etwas Seltsames passiert nicht ohne Grund.“
Der fünfunddreißigjährige ...
EIN GEFANGENER DER ZEIT
„Es muss irgendeinen Sinn hinter meiner absonderlichen Existenz geben, irgendeinen Plan oder ein verborgenes System. So etwas Seltsames passiert nicht ohne Grund.“
Der fünfunddreißigjährige Maximilian Temper führt ein recht unspektakuläres Leben. Als Magister der alten Sprachen hat er eine halbe Assistentenstelle an einer Universität inne, jobbt auf dem Bau und arbeitet zudem an einer Forschungsarbeit. Max sieht sich als korrekter Wissenschaftler, der Probleme als logische Herausforderung betrachtet. Nach fünfjähriger Beziehung hat seine Lebensgefährtin Anna sich von ihm getrennt und der bevorstehende Jahreswechsel erweckt keine allzu große Vorfreude auf das neue Jahr. Auf der Silvesterparty trifft er auf Anna, doch weder sie noch Max ahnen, dass er das Jahr 2000 nicht erleben wird. Max stirbt jedoch nicht etwa, sondern findet sich in einem Automatismus wieder, den er weder begreift, noch zu akzeptieren bereit ist: er wacht an jedem neuen Morgen um ein Jahr früher auf. Max lebt seit dieser Silvesternacht nicht mehr kontinuierlich vorwärts, sondern zurück – er gehört plötzlich nirgendwo mehr hin. Der junge Wissenschaftler muss lernen, permanent Abschied zu nehmen. Alle Menschen, die er kennen lernt, verschwinden nach wenigen Tagen wieder. Es folgen Jahre unsteten Reisens in die Vergangenheit, ein Vorgang, der weder erklärbar, noch aufzuhalten ist.
Fabian Vogt konstruiert im Zuge der Zeitreisen seines Protagonisten interessante Begegnungen mit berühmten Menschen – wie beispielsweise dem Hofmaler Antoon Van Dyck, dem jungen Franz von Assisi, dem Abt Odo von Cluny, dem byzantinischen Feldherrn Germanus, dem antiken Dichter und Schriftsteller Lukian von Sammosata und sogar dem Apostel Paulus. Max Temper erlebt historische Ereignisse hautnah mit, die er bislang nur aus Geschichtsbüchern kannte und verfolgt höchstpersönlich die Fortschritte der Medizin, der Technik und der Kultur. Er durchwandert Zeiten blutiger Auseinandersetzungen, sieht die tragischen Auswirkungen der Schwarzen Pest, der Leibeigenschaft und der Sklaverei, der Unterdrückung der Frauen und der Willkür der Machthabenden. Der Protagonist erhascht bei dieser Reise aber nicht nur Einblicke in das Leben und Wirken der Menschen verschiedener Epochen, sondern erfährt zudem tiefere Hintergründe und Auswirkungen seines eigenen Handelns – er gewinnt wertvolle Erkenntnisse über sich selbst.
Die Tatsache, dass ich Science Fiction nicht unbedingt zu meinen favorisierten Genres zähle und ich Zeitreisen eher skeptisch gegenüber stehe, hat in diesem Fall mein Lesevergnügen nicht getrübt. Man darf sich von diesem Buch keinen durchgehenden Spannungsbogen erwarten, hofft jedoch bis zuletzt auf eine Erläuterung von Ursache und Auswirkung dieser Zeitreisen. Als Neuling im Bereich von Zeitreise-Geschichten fand ich es anfangs schwer, mir deren Begleiterscheinungen vorzustellen – mit einigen der angeführten Paradoxa hatte ich zugegebenermaßen Verständnisprobleme. Was mich empfindlich störte war zunächst die viel zu kleine Schrift, die den Lesefluss beeinträchtigte. Ich war auch ein wenig befremdet über die erotischen Anspielungen und der Tatsache, dass der Autor Franz von Assisi im Fäkaljargon sprechen lässt. Leider wurden bis zuletzt offene Fragen teilweise nicht beantwortet. Nichtsdestotrotz hat mich dieses Buch sehr gut unterhalten, was zum einen auf der lebendigen Schilderung historischer Fakten, zum anderen auf viele bereichernde Aussagen des Autors beruht. Einige davon regen durchaus zum Nachdenken an. So schreibt Fabian Vogt beispielsweise:
„Es ist ein Geschenk, einen Tag nach dem anderen leben zu dürfen, Pläne zu schmieden, Dinge wachsen zu sehen und Menschen kontinuierlich begleiten zu können.“
„Sieh nicht deine Grenzen, sieh deine Möglichkeiten!“
„Ob ich meine Ideale wegen eines teuren Kleidungsstückes oder wegen meiner Todesangst verkaufe, ist nur ein quantitativer Unterschied. Entweder bewährt sich mein Glauben in allen Lebenslagen oder er ist nur ein lächerlicher Zeitvertreib für gute Tage. Außerdem ist es so, dass einer, der einmal angefangen hat, Kompromisse zu schließen, nicht mehr aufhören kann. Entweder man lebt ernsthaft oder man lässt es. Wenn ich die höchsten Ideen meinen egoistischen Wünschen unterwerfe, haben sie schon verloren. Man kann nur mit der Lüge oder ohne die Lüge leben. Es gibt keinen Mittelweg.“ (Aristides)
„Letztendlich handeln wir fast immer nur aus Angst. Und auf die trifft das Gleiche zu wie auf die Lüge. Man kann nur mit ihr oder ohne sie leben. Wer in einem Bereich seines Lebens Angst hat, kann sie auch nicht mehr aus Wahrheit oder Liebe, sondern nur noch aus Angst. Gott sagt: „Fürchte dich nicht!“ und dieser Satz ist der einzige, der wirkliche Freiheit bringt. Darum fürchten wir auch den Tod nicht. Wir wissen, dass er nicht das letzte Wort hat. Wenn wir in dieser Situation nicht auf Gott vertrauen, dann werden wir es auch in keiner anderen schaffen.“ (Aristides)