Die starken ersten 2/3 retten schwaches Ende
Die Unvollkommenen von Theresa Hannig stellt den zweiten Teil zu ihrem Debüt Die Optimierer dar, kann jedoch problemlos unabhängig davon gelesen werden.
Wer Die Optimierer gelesen hat, kennt Lila bereits, ...
Die Unvollkommenen von Theresa Hannig stellt den zweiten Teil zu ihrem Debüt Die Optimierer dar, kann jedoch problemlos unabhängig davon gelesen werden.
Wer Die Optimierer gelesen hat, kennt Lila bereits, die dort für Samson eine entscheidende Rolle gespielt hat. In Die Unvollkommenen ist sie dann selbst die Protagonistin und sieht sich nach fünf Jahren Verwahrung (=Gefängnis) einer völlig veränderten BEU gegenüber. Samson wird als eine Art Gott verehrt und die Vermischung von Robotern und Menschen ist deutlich vorangeschritten.
Wie der Klappentext schon verrät, will Lila etwas dagegen tun, doch Samson spürt sie auf, bevor sie wirklich zur Tat schreiten kann. Aber nicht nur er macht ihr ein Angebot und fordert so ihre Mithilfe ein. Mehrere Parteien sehen in Lila ihre einzige Chance um ihr Ziel zu erreichen und das ist auch einer meiner großen Kritikpunkte. Samson und eine weitere Person? Okay… aber dass dann wirklich jeder etwas von Lila wollte und sie für seine eigenen Zwecke einspannen oder benutzen wollte, war etwas too much. Dies passierte aber zum Glück erst im letzten Drittel des Buches, sodass es meinen Gesamteindruck nicht allzu sehr beeinflusst.
Generell konnte ich das auch schon bei Die Optimierer beobachten: der Anfang und Mittelteil haben mir extrem gut gefallen. Die Figuren wurden langsam aber stetig ausgebaut und haben Entwicklungen durchlebt. Die Story wurde so erzählt, dass genug Raum zum Rätseln blieb und vor allem hat Hannig mit ihrer Geschichte zum Nachdenken angeregt. Wie weit darf die Überwachung durch den Staat gehen, stellen Roboter in Zukunft eine Bedrohung dar, wie viel sollte man von sich Preis geben, was macht die Digitalisierung mit uns, und, und und…
Soweit, so gut – doch dann kommt das Ende. Plötzlich geht irgendwie alles ganz schnell und eine wichtige Szene jagt die nächste. Dabei verliert man als Leser leicht mal den Überblick und alles fühlt sich etwas gehetzt an. Als hätte die Autorin gemerkt, dass zum Ende ja noch einmal ein Knaller kommen muss, der gleichzeitig aber auch alle Stränge zusammenfügt. Mir persönlich ist das einfach zu viel des Guten. Natürlich habe ich nichts gegen Spannung und Action am Ende, aber halt einfach im passenden Maß. Bei einem Buch das, meiner Meinung nach, vor allem durch seine Thematik begeistert und eher subtil Spannung aufbaut, ist so ein vollgepacktes Ende dann weniger geeignet.
Da dies aber, wie gesagt, auch bei Teil eins schon so war, gehe ich davon aus, dass es einfach der Stil der Autorin ist und der muss ja nicht jedem gefallen. Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Was mir jedoch sehr gut gefallen hat, ist der relativ lockere Zusammenhang zwischen beiden Büchern. Zum einen wird das Wichtigste wiederholt, sodass alles noch einmal aufgefrischt wird, beziehungsweise man als „Quereinsteiger“ die Infos bekommt die man zum Verständnis benötigt. Zum anderen spielt Die Unvollkommenen fünf Jahre nach Die Optimierer und was dazwischen passiert ist, fehlt auch wenn man den ersten Teil kennt. Dadurch wird generell sehr viel erklärt und wenig als gegeben vorausgesetzt. Man kann das Buch also problemlos eigenständig lesen. Lediglich manche Eigenwörter versteht man mit Vorkentnissen leichter, diese erklären sich aber auch über kurz oder lang aus dem Zusammenhang.
Die Unvollkommenen ist keine Action-geladene Dystopie die mit erschreckenden Zukunftsszenarien Spannung aufbauen will. Dennoch, oder gerade deswegen, begeistert mich auch dieses Buch wieder. Die Autorin spricht extrem viele wichtige Themen an, die man im Alltag gerne mal vergisst oder als selbstverständlich betrachtet. Das Buch führt sie einem wieder vor Augen und regt zum bewussten Nachdenken an.