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Veröffentlicht am 10.07.2019

Ein intelligenter Krimi ohne Action und Verfolgungsjagden

Ein Sohn ist uns gegeben
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Donna Leon ist eine Konstante meines Leserlebens, ihre Brunetti-Romane begleiten mich seit über 25 Jahren. Eine Reihe, die nichts von ihrer Faszination für mich verloren hat. Die Autorin ist, wie auch ...

Donna Leon ist eine Konstante meines Leserlebens, ihre Brunetti-Romane begleiten mich seit über 25 Jahren. Eine Reihe, die nichts von ihrer Faszination für mich verloren hat. Die Autorin ist, wie auch ich, gealtert, und ihre Themenfelder haben sich im Lauf der Zeit verändert. Die Felder der mafiösen Strukturen Italiens, die Korruption, Behördenwillkür, politischen Verflechtungen sind natürlich noch immer präsent, aber sie nehmen nicht mehr so viel Raum ein. Stattdessen richtet sie verstärkt ihr Augenmerk auf die alltäglichen Probleme, die die Venezianer umtreiben. Aber es geht ihr nicht nur um die Vereinnahmung der Lagunenstadt durch Touristen und die sich daraus ergebenden Veränderung des Lebensraums, die Belastungen durch die Kreuzfahrtschiffe, sondern es sind auch immer wieder die individuellen Schicksale, die sie im Blick hat.

Wie das des betagten Kunsthändlers Gonzalo Rodriguez de Tejeda, Freund der Faliers und Paolas Patenonkel, der sein komplettes Vermögen einem jungen Liebhaber vererben möchte – sehr zum Missfallen seiner Familie und der venezianischen Gesellschaft. Brunetti wird von seinem Schwiegervater gebeten, den persönlichen Hintergrund des zukünftigen Erben zu durchleuchten, was ihm einige Bauchschmerzen bereitet. Aber was tut man nicht alles für die Familie. Alles scheint it rechten Dingen zuzugehen, doch dann erliegt Gonzalo einem Herzinfarkt und ein weiterer Todesfall in dessen Umfeld lässt Brunetti aufmerken…

Wie so oft in Donna Leons Romanen ist es nicht die Suche nach dem Täter, die die Handlung bestimmt. Es geht um die Natur des Menschen, um Ethik und persönliche Moral, über die der Commissario vor allem dann sinniert, wenn er nach Feierabend seine Klassiker liest. In diesem Fall ist es Euripides, aber auch eine alte Graphic Novel aus Paolas Studentenzeiten, die ihn über Flucht und Vertreibung nachdenken lässt, ein damals wie heute aktuelles Thema.

Keine Action, keine wilden Verfolgungsjagden, keine atemlose Spannung. Dafür ein intelligenter Kriminalroman, der mich, nachdem ich das Buch zugeklappt habe, höchst zufrieden aber auch nachdenklich zurückgelassen hat. Ich werde dem Commissario auf jeden Fall die Treue halten.

Veröffentlicht am 09.07.2019

Alles beim Alten

Cold Water
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1990, viel hat sich nicht geändert in Nordirland. Noch immer ist die Gewalt tagtäglich präsent. Noch immer inspiziert Duffy den Unterboden seines mittlerweile nagelneuen 5ers nach Semtex. Noch immer kämpfen ...

1990, viel hat sich nicht geändert in Nordirland. Noch immer ist die Gewalt tagtäglich präsent. Noch immer inspiziert Duffy den Unterboden seines mittlerweile nagelneuen 5ers nach Semtex. Noch immer kämpfen Katholiken und Protestanten gegeneinander. Noch immer werden Menschen die Kniescheiben zerschossen. Noch immer verschwinden Männer, Frauen, Teenager spurlos und niemand kümmert sich darum. „Die Neunziger können nicht schlimmer werden(…) Silberstreif, für’n Arsch.“

Alles beim Alten? Nein, nicht ganz, denn Sean Duffy ist auf dem Sprung. Weg aus Nordirland. Weg vom Carrickfergus CID. Weg aus der Coronation Road. Rüber nach Schottland. Mit Frau und Kind. Schluss mit dem Einsatz an vorderster Front, im reicht‘s. Gerade mal vierzig Jahre alt, aber katholisch, Bulle und Nordirland, das zählt so als wäre er siebzig. Also Halbtagsrente, sieben Tage im Monat, nur noch beratende Funktion und Kindermädchen für John Strong, den umgedrehten, paranoiden Spitzel.

Aber noch gilt es, einen letzten Fall zu lösen. Kat McAtamney, ein fünfzehnjähriges Tinkermädchen ist weg, spurlos. Fahrende verschwinden immer wieder und niemanden kümmert’s, nur eine weitere Ausreißerin. Nicht so Duffy. Gemeinsam mit „Crabbie“ McCrabban und Lawson, seinem Nachfolger, verbeißt er sich in den Fall und gibt nicht eher Ruhe, bis dieser aufgeklärt ist. So, wie wir es von ihm gewohnt sind.

Die Reihe um Sean Duffy neigt sich dem Ende zu, was ich mit größtem Bedauern zur Kenntnis nehme, ist es für mich doch eine der besten Serien, die auf dem Buchmarkt zu finden ist. Zum einen liegt das natürlich an der Hauptfigur, dem sympathischen, unangepassten, zynischen Detective mit Herz, zum anderen aber auch an den Fähigkeiten Adrian McKintys (in Belfast geboren und in Carrickfergus aufgewachsen), die “Troubles“, die Politik und deren Auswirkungen auf die Menschen in Nordirland en passant in seine Romane einzuarbeiten. Dazu braucht er keinen Holzhammer, manchmal reicht ein auf den ersten Blick belangloser Nebensatz. Diese gesellschaftspolitische Dimension der Reihe macht sie für mich besonders wertig, hebt sie sich damit doch von den üblichen Krimis/Thrillern, die ihr Augenmerk lediglich auf den Fall und dessen Aufklärung richten, deutlich ab.

Nicht zu vergessen, Duffys ausgeprägte Liebe zur Musik und seine umfangreiche Plattensammlung. Ganz gleich, ob Jazz, Klassik oder Rock/Pop, hat er alles und hat auch zu allem eine Meinung. Speziell zu Phil Collins und Bono, dem von den meisten Iren wegen seiner Steuertricksereien nicht sonderlich geschätzten Frontman von U2. Dieses wiederkehrende Element bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Und auch der Originaltitel „The Detective Up Late“ hat, wie bereits die sechs Vorgänger, einen Bezug zur Musik und ist einer Songzeile aus „Bad as me“, einem Song von Tom Waits entliehen.

Nichtsdestotrotz, schon wegen des Abschieds aus seiner protestantischen Nachbarschaft in der Coronation Road und dem Umzug nach Schottland, bereitet uns „Cold Water“ langsam, aber sicher, auf den Abschied von Sean Duffy und dem Carrickfergus CID vor. Zwei Bände sind noch geplant, aber das war’s dann, wenn man dem Autor glauben darf. Ich vermute, dass das Karfreitagsabkommen1998 den Schlusspunkt setzt, und das würde aus meiner Sicht auch Sinn machen. Auch wenn ich es jetzt schon bedauere.

Veröffentlicht am 02.07.2019

Historischer "Closed Room" Roman

Die letzte Stunde
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Minette Walters, die englische Bestsellerautorin psychologischer Spannungsromane, wechselt mit „Die letzte Stunde“ das Genre und wendet sich der Historie zu.

Dorset, Südengland, wir schreiben das Jahr ...

Minette Walters, die englische Bestsellerautorin psychologischer Spannungsromane, wechselt mit „Die letzte Stunde“ das Genre und wendet sich der Historie zu.

Dorset, Südengland, wir schreiben das Jahr 1348. Schiffe haben die Pest ins Land gebracht, die Todesfälle häufen sich. Lady Anne, Herrin von Develish, zählt zu den klugen Köpfen ihres Standes. Sie hat bei Nonnen eine umfassende Erziehung genossen hat, und sie reagiert schnell. Um die Menschen zu schützen, die unter ihrer Fürsorge stehen, entscheidet sie sich für die komplette Isolation ihrer Wasserburg. Niemand darf diese verlassen, aber auch der Zutritt wird jedem verwehrt. Tragischerweise betrifft diese Anordnung auch ihren Mann, der mit seinem Gefolge auf dem Rückweg von einem benachbarten Anwesen ist und nun außen vor bleiben muss. Alle sterben an den Folgen der Krankheit.

Die Vorräte reichen nicht ewig, die Reserven schwinden. Das Leben auf der Burg verändert sich, und nicht jeder kommt damit zurecht. Standesunterschiede verschwinden im Angesicht des Kampfes ums Überleben. Es ist nicht mehr die gesellschaftliche Position, die den Rang bestimmt, es ist die Art und Weise, wie man mit den neuen Verhältnissen zurechtkommt. Hier wird Thaddeus für Anne schnell unentbehrlich, ein ehemaliger Dienstbote, den sie aufgrund seiner Fähigkeiten zum Verwalter einsetzt. Hunger, Streitereien und Entbehrungen nagen an dem inneren Frieden, aber es kommt noch heftiger, als ein rätselhafter Mord geschieht.

Im Gegensatz zu ihren straff erzählten Kriminalromanen nutzt Walters in diesem historischen „closed room“ Roman die breite Leinwand, verliert sich aber selten in Nebensächlichkeiten. Ihre Sympathien gehören den Niederen, den Rechtlosen, die ihr Leben in den Dienst der Gemeinschaft stellen und mehr moralische Integrität als Klerus und Adel besitzen In ihren Beschreibungen des Feudalsystems, der Landschaft, Personen, Lebensumstände etc. ist die Autorin so akribisch, wie wir es von ihr gewohnt sind, was mit Sicherheit intensiver Recherchearbeit geschuldet ist. Bleibt zu hoffen, dass sie dieses hohe Niveau auch in „In der Mitte der Nacht“, dem zweiten Band der Pest-Saga, halten kann. Ich gehe davon aus.

Allen Fans von Rebecca Gablé und Ken Follet nachdrücklich empfohlen!

Veröffentlicht am 09.06.2019

Alex Beer setzt Maßstäbe

Der dunkle Bote
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Wien, wir schreiben das Jahr 1920, Oktober/November. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, der Versailler Vertrag kennt kein Pardon mit den Verlierern. Chaos und Elend wo man hinschaut. Kriegsheimkehrer bevölkern ...

Wien, wir schreiben das Jahr 1920, Oktober/November. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, der Versailler Vertrag kennt kein Pardon mit den Verlierern. Chaos und Elend wo man hinschaut. Kriegsheimkehrer bevölkern die Straßen, alles ist knapp. Keine Arbeit, kein Geld. Der Schleichhandel blüht, und wer noch Reserven hat, versorgt sich auf dem Schwarzmarkt. Alle anderen frieren und hungern, leben von der Hand in den Mund. Die Rattenfänger aus dem rechten, linken und antisemitischen Lager haben Hochkonjunktur. Die Jugendlichen organisieren sich in Banden, genannt „Platten“, und ringen um die Vorherrschaft. Das Verbrechen blüht. Waffenhandel, Valutenschmugel, Mord, alles da.

Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter von der Abteilung „Leib und Leben“ geht die Beschäftigung nicht aus, denn ein Serienmörder treibt in den Gassen der Metropole sein Unwesen, von der Presse als der „dunkle Bote“ bezeichnet. Immer wieder tauchen Leichen auf, die zwei Gemeinsamkeiten haben. Zum einen fehlt ihnen die Zunge, zum anderen taucht zum jeweiligen Mordfall ein mysteriöses Bekennerschreiben mit römischer Zahl auf, das die beiden ratlos zurück lässt. Die Zeit drängt, ist doch der Ermittlungserfolg an den Umzug in ein größeres Büro gekoppelt. Nur gut, dass sie von der „Hühnerarmee“, den Frauen aus dem Schreibbüro, unterstützt werden.

Aber es sind nicht nur die Morde, die Emmerich umtreiben. Noch immer sucht er nach seiner entführten Luise und den Kindern, aber seine verzweifelten Bemühungen bleiben ohne Ergebnis, laufen ins Leere.

Auch der dritte Kriminalroman mit August Emmerich zeichnet sich durch die gelungene Verbindung zwischen spannendem Kriminalfall und einer sehr gut recherchierten, atmosphärisch starken Schilderung der Lebensbedingungen in der österreichischen Metropole nach dem Krieg aus. Die historischen Details sind korrekt wiedergegeben und fügen sich nahtlos und unterstützend in die Geschichte ein.

Für mich ist „Der dunkle Bote“ definitiv der beste Band der Reihe, und man darf sich schon auf die am Ende des Buches angedeutete Fortsetzung freuen. Alex Beer setzt im Genre des historischen Kriminalromans mit dieser Reihe Maßstäbe, und ich bin fest davon überzeugt davon, dass sie dieses Niveau auch in den Nachfolgern nicht nur halten kann sondern auch halten wird.

Veröffentlicht am 08.06.2019

Rassismus in Amerika

Die Nickel Boys
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Wie bereits in „Underground Railroad“ widmet sich Colson Whitehead in seiner neuesten Veröffentlichung „Die Nickel Boys“ einem weiteren Kapitel des amerikanischen Rassismus und hält sich dabei eng an verbriefte ...

Wie bereits in „Underground Railroad“ widmet sich Colson Whitehead in seiner neuesten Veröffentlichung „Die Nickel Boys“ einem weiteren Kapitel des amerikanischen Rassismus und hält sich dabei eng an verbriefte Tatsachen. Ich scheue mich, dieses Buch einen Roman zu nennen, fusst die Geschichte doch auf realen Ereignissen: Die Florida School for Boys (später bekannt geworden als die Dozier School), zwischen 1900 und 2011 (Schließung), eine Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche, bildet den Hintergrund für die menschenunwürdige Behandlung und die abscheulichen Verbrechen, die den in deren Obhut gegebenen Kindern und Jugendlichen durch das „pädagogische Personal“ angetan wurden.

Stellvertretend schildert Whitehead das Schicksal von Elwood, einem intelligenten Jungen, aufgewachsen bei seiner Großmutter, der sich früh für die Ideen von Dr. Martin Luther King begeistert und dem Irrglauben anhängt, das eines Tages auch Afroamerikaner die gleichen Rechte wie Weißen haben könnten. Weit gefehlt, denn er ist zur falschen Zeit am falschen Ort und gerät so in die Mühlen eines Systems, das geprägt ist von Diskriminierung, Verachtung und Brutalität gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Er muss unglaubliche Grausamkeiten erdulden, mitansehen, wie Freunde zu Tode geprügelt und verscharrt werden. Erkennen, dass er sich in einem rechtsfreien Raum befindet, in dem ein schwarzes Leben nichts gilt.

„Die Nickel Boys“ ist ein wichtiges Buch, ein dokumentarischer Roman, der das Leben in der Dozier-Anstalt unaufgeregt und deshalb umso eindrücklicher und zu Herzen gehend schildert. Der den Blick auf ein Amerika richtet, in dem bis heute trotz „Black lives matter“ ein schwarzes Leben nichts gilt. In dem das Rechts-, Ordnungs- und Strafvollzugswesen noch immer von einem tief sitzenden Rassismus dominiert wird. In dem jeder Dritte Häftling Afroamerikaner in Haft ist, obwohl deren Anteil an der Bevölkerung nur 13 % beträgt (Zahlen von 2013). In dem die Alt Right Bewegung auf dem Vormarsch ist. In dem der amtierende Präsident aktiv die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt und Rassismus wieder gesellschaftsfähig gemacht hat.