Freetown - Überzeugt auf den zweiten Blick
FreetownMaria vermisst Ishmael, einen Flüchtling aus Sierra Leone. Er kam vor 7 Jahren zu ihr, als Zeitungsbote und ist geblieben. Als er eines Tages urplötzlich wieder verschwindet, ist Maria verwirrt und sucht ...
Maria vermisst Ishmael, einen Flüchtling aus Sierra Leone. Er kam vor 7 Jahren zu ihr, als Zeitungsbote und ist geblieben. Als er eines Tages urplötzlich wieder verschwindet, ist Maria verwirrt und sucht Hilfe bei ihrer alten Affäre Vincent, der Psychologe von Beruf ist. Maria möchte über Ishmael sprechen und verstehen, warum er gegangen ist, bevor sie, wie sie selbst sagt, verrückt wird. Vincent dagegen konnte Maria nie ganz vergessen und mit ihrem Besuch kommen die alten Erinnerungen wieder hoch.
Ich muss gestehen, dass ich die Geschichte zuerst etwas ernüchternd fand und auch nicht genau wusste, was ich mit dem Gelesenen anfangen sollte. Im Prinzip hatte ich gerade einen Austausch von Monologen zweier Personen mitverfolgt, welcher sich auch gegen Ende nicht spürbar in ein Ergebnis auflöst. Gegen Ende behauptet Maria zwar, dass es ihr jetzt besser ginge und sie das Verschwinden von Ishmael verstehen würde, nur habe ich selber keine Anhaltspunkte dafür gefunden. Ishmael selbst tritt schon sehr bald in den Hintergrund und die vergangene Beziehung der beiden Charaktere tritt mehr und mehr hervor. Dieser erste Eindruck von der Handlung widersprach sich für mich mit dem sehr feinen und detaillierten Schreibstil des Autors, denn seine Sätze sind nie konstruiert, sondern unglaublich lebendig und menschlich. Wie passte dieser Stil mit der etwas unfertigen wirkenden Geschichte zusammen?
Bevor ich mir daher ein endgültiges Urteil erlauben wollte, habe ich zusätzlich eine seiner Lesungen von „Freetown“ besucht, wo ich mir eine zweite, vielleicht auch bessere Meinung über das Buch bilden wollte, was erfreulicherweise geglückt ist. Ich konnte zuerst einmal feststellen, dass nicht nur für mich der Kern der Geschichte auf Anhieb nicht ganz greifbar war. In seiner Präsentation des Buches, erklärte Otto de Kat auch, was seine Idee für die Geschichte war und wie diese sich dahin entwickelt hat, was sie jetzt ist. Nämlich kein Roman über einen Flüchtling, und wie wir Europäer, in relativem Wohlstand lebend, mit der neuen Situation umgehen. Keine Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und den Widersprüchen zu der Eigenen. Und auch keine klassische Liebesgeschichte mit Happy End.
Der Roman ist was er ist, ein Auszug aus dem Leben zweier Menschen, die auch mal eine Zeit lang einen Weg gemeinsam gegangen sind und sich nun nach langer Zeit wiedersehen. Ishmael ist dabei tatsächlich nur der Auslöser für das, was auf sein Verschwinden hin folgt. Was das genau ist, bleibt der Interpretation eines Jeden selber überlassen. Sollten sich Maria und Vincent vielleicht einfach noch einmal sehen, nach so langer Zeit? Ist es vielleicht die Erinnerung an ihre gemeinsame schöne Zeit oder die Erkenntnis, dass das, was man bereits hat, auch gut ist? Oder womöglich weckt das Kennenlernen einer fremden Kultur sogar den Wunsch nach neuen Abenteuern? Es gibt daher meiner Meinung nach auch ganz bewusst keine Auflösung der Geschichte. Denn sie soll einladen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der Roman ist eine kleine aber feiner Geschichte über zwei Menschen gegen Ende ihres Lebens und ihrer eigenen Erkenntnis, dass man im Alter nicht immer auch weiser geworden ist. Bestimmt werde ich mich auch noch an den einen oder anderen Roman von Otto de Kat wagen, denn „Freetown“ hat mich zumindest soweit überzeugt, seine Werke noch ein bisschen besser kennen zu lernen.